Protocol of the Session on May 10, 2012

Das ist prinzipiell eine gute Idee, aber wer weiß, wie lange solche Bauvorhaben in dem Bereich dauern und

wie teuer die ausfallen. Da ist, glaube ich, der Bus mit 460 000 Euro auf lange Sicht etwas preiswerter. Wie gesagt: Wenn wir etwas haben wollen, müssen wir das auch weiter machen, aber nicht auf Kosten derer einsparen, die sich nicht wehren können und die keine schönen Aufsichtsratsposten und keine luxuriösen Einladungen zu vergeben haben.

Es sind Menschen, zu denen wir auch einmal gehören können. Schon morgen kann man im Rollstuhl sitzen, schon morgen kann man seinen Rollator vor sich herschieben. Das kann jeden jederzeit treffen. Man sollte sich immer vor Augen führen, wie sich diese Menschen fühlen, die tagtäglich darauf angewiesen sind, von A nach B zu kommen, wenn sie zu Bittstellern degradiert werden. Fragen Sie mal einen Rollstuhlfahrer oder einen Blinden, wie er im öffentlichen Personennahverkehr von Berlin zurechtkommt bzw. weniger gut zurechtkommt!

[Beifall bei den PIRATEN]

Einsparungen ja, aber nicht auf Kosten der Menschen, die benachteiligt sind! Barrierefreiheit ist ein vom Land langfristig und planungssicher zu garantierendes Grundrecht. Es wird sogar Werbung dafür gemacht. 700 000 Euro für mehr Rücksicht im Straßenverkehr – das habe ich im Haushaltsplan dazu gefunden. Deshalb fordere ich den Senat als Vertreter der Bürger von Berlin und als Eigentümer der BVG dazu auf, dass Busse beschafft werden, die die Funktion Kneeling unaufgefordert ausführen.

[Beifall bei den PIRATEN]

Die Beschaffung von Bussen, die diese Funktion nur auf Anforderung des betroffenen Fahrgasts gewährleisten, ist abzubrechen. Beenden Sie die Diskriminierung der Menschen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind! Schon morgen können Sie selber zu dieser Gruppe gehören.

[Beifall bei den PIRATEN – Beifall von Elke Breitenbach (LINKE)]

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Zu den beiden Anträgen wird die Überweisung federführend an den Ausschuss für Bauen, Wohnen und Verkehr und mitberatend an den Ausschuss für Gesundheit und Soziales empfohlen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so.

Ich rufe auf

(Präsident Ralf Wieland)

lfd. Nr. 4.5:

Priorität der Piratenfraktion

Tagesordnungspunkt 8

Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Erhebung von Steuern durch öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaften im Land Berlin (Kirchensteuergesetz-KiStG)

Antrag der Piratenfraktion Drucksache 17/0303

Erste Lesung

Ich eröffne die erste Lesung. Für die Beratung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt die Piratenfraktion. – Herr Kollege Lauer, Sie haben das Wort!

[Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN und der LINKEN]

Das habe ich gehört! – Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen! § 137 Abs. 2 Weimarer Reichsverfassung – die Älteren von Ihnen werden es noch kennen –:

Die Religionsgesellschaften, welche Körperschaften des öffentlichen Rechtes sind, sind berechtigt, aufgrund der bürgerlichen Steuerlisten nach Maßgabe der landesrechtlichen Bestimmungen Steuern zu erheben.

Nach Grundgesetz ist das auch in der Bundesrepublik Deutschland gültig, denn wir haben diesen Paragrafen übernommen, und aus diesem Grund können wir auch das regeln, was wir da tun, und sagen, dass die Kirchen zukünftig ihre Kirchensteuern bitte selber einziehen sollen. Was der Freistaat Bayern schafft, schafft das Land Berlin mit Sicherheit auch.

[Beifall bei den PIRATEN]

Da man das rechtlich machen kann, werde ich jetzt mal einfach Ihre Gegenargumente antizipieren und schon mal sagen, warum es auch klug ist, was zu machen.

Es geht uns nicht darum, die Kirchensteuer abzuschaffen, sondern wir sagen: Na ja, wenn man das hier richtig auslegt bzw. sehr nah am Text ist, dann steht da: Die Kirchen sind dazu berechtigt, Kirchensteuern einzuziehen. Allerdings steht da nirgendwo, dass das Land Berlin oder irgendein anderes Land diese Kirchensteuern für sie einziehen soll. Das heißt, die Kirchen können das weiterhin tun, und wenn die Kirchen diese Kirchensteuern effizient einziehen, dann ist es ihnen auch möglich, im Zweifelsfall mehr Geld rauszuziehen. Sie sagen vielleicht: Na ja, die finanzieren ja daraus soziale Einrichtungen oder sonst irgendwas. – Können sie auch weiterhin machen. Wir sagen nur: Das Land Berlin soll nicht die Kirchensteuern

weiter für Religionsgemeinschaften, also Körperschaften des öffentlichen Rechtes, einziehen.

Man kann sich natürlich noch fragen – das habe ich gerade gefunden – – Passt das überhaupt? – Nein, das passt gar nicht. Super!

Ich glaube, ich belasse es an der Stelle dabei und freue mich jetzt auf Ihre Erklärungen, warum es natürlich nicht möglich ist. – Bitte! – Vielen Dank!

[Beifall bei den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Vielen Dank! – Es wäre ganz nett, wenn der Senat es ermöglichen würde, dass wir hier ganz normal unsere Beratung durchführen können. – Als Nächster dann der Kollege Verrycken von der SPD.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das ist heute meine erste Rede als kirchenpolitischer Sprecher meiner Fraktion.

[Beifall bei der SPD, der CDU und den PIRATEN]

Ich muss zu Beginn meiner Rede etwas meine Verwunderung zum Ausdruck bringen, weil wir in der Tat heute viele interessante Themen hatten, die von der Koalition und der Opposition aufgebracht worden sind, die, glaube ich, alle ihre Richtigkeit, ihre Brisanz hatten: Thema Schönefeld, Thema HFS, Thema 1. Mai, Thema S-Bahn, Thema Strom. Mir ist noch nicht so ganz klar – aber vielleicht kann mich Herr Lauer da auch gleich noch mal aufklären –, wieso die Piratenfraktion sich gerade jetzt mit dem Thema Kirchensteuer auf Basis einer Empfehlung – es ist ja noch nicht mal ein Urteil – des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1987 befasst.

[Martin Delius (PIRATEN): Weil wir’s können!]

Entweder sind Sie wahnsinnig gründlich, oder Sie haben sich gründlich verzettelt. Eins von beiden muss es sein. Vielleicht können mir gleich noch kurz eine Antwort darauf geben, denn ich habe noch nicht ganz nachvollziehen können, warum der Vorstoß gerade jetzt von der Piratenfraktion kommen sollte.

Ich glaube, wir haben in der Tat im Augenblick in vielen Bereichen Berührungspunkte zwischen Kirche und Staat. Das ist auch gut so, sage ich ganz ausdrücklich. Das soll auch weiterhin so bleiben. Deswegen kapriziere ich mich auch ganz direkt auf Ihre Begründung, warum Sie diesen Antrag einbringen. Sie begründen das mit der strikten Trennung von Staat und Kirche, die dadurch ermöglicht werden soll, dass Sie die Kirchensteuereinziehung den Kirchen überlassen. Mal abgesehen davon, dass es dann

trotzdem die Kirchensteuer gäbe, die letztendlich staatlich legitimiert wäre durch das Grundgesetz bzw. die Weimarer Reichsverfassung, als deren Rechtsnachfolger das Grundgesetz ja gilt, stellt sich trotzdem die Frage: Ist das tatsächlich gewünscht? Ist das richtig?

[Zuruf von Dr. Gabriele Hiller (LINKE)]

Wollen wir tatsächlich alle hier im Hause von ganz links bis ganz konservativ oder auch ganz gemischt wie bei Ihnen die Trennung von Kirche und Staat? – Da sage ich für meine Fraktion, dass wir als SPD an dem derzeitigen Status quo, der in den letzten hundert, hundertfündzig Jahren durch mühsames Kämpfen erreicht worden ist, eigentlich nicht rütteln wollen. Uns ist wichtig, dass es auch weiterhin Institutionen gibt, die wir fördern wollen. Es gehörte eben auch dazu, Kirche und Staat zu trennen, wenn man sagen würde: Wir sind jetzt der Auffassung, wir wollen den Kirchen keine Zuwendungen mehr geben. – Es wäre konsequent, wenn Sie im Hauptausschuss sagen würden: All das, was an kirchlicher Arbeit passiert im sozialen Bereich, im karitativen Bereich, im Jugendhilfebereich, ist eigentlich Mumpitz. Das kann der Staat selber machen. – Das wäre eine klare Trennung von Staat und Kirche. Das, meine lieben Damen und Herren von den Piraten, wollen wir an der Stelle definitiv nicht.

[Martin Delius (PIRATEN): Das schreibt doch gar keiner!]

Das steht in Ihrer Begründung. Lesen Sie es selber nach!

[Beifall bei der SPD und der LINKEN]

Ich glaube, dass wir versuchen sollten, in der nächsten Zeit darüber nachzudenken, wie wir nicht Regelungen, die in den letzten Jahren funktioniert haben, verkomplizieren, sondern wie es uns gelingt – wir laden alle Fraktionen ein, gemeinsam darüber nachzudenken –, bestimmte Steuerungsmechanismen effizienter zu machen, besser zu machen. Da können wir gern ins Gespräch miteinander kommen. Warum das gerade an dieser Stelle der Fall sein sollte, ist mir, wie gesagt, im Augenblick etwas schleierhaft.

Insofern ende ich in dem Fall mit einem Zitat des verehrten Stéphane Hessel aus seiner Streitschrift „Empört euch!“, in dem Fall vielleicht tatsächlich auch ganz passend zu Ihrem wunderbaren Antrag, den Sie eingebracht haben:

Neues schaffen heißt, Widerstand leisten. Widerstand leisten heißt, Neues schaffen.

Insofern wird die SPD-Fraktion Ihre Anregung nicht unterstützen können. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit!

Vielen Dank! – Es gibt jetzt eine Kurzintervention des Kollegen Lauer. – Bitte schön, Herr Kollege Lauer!

Vielen lieben Dank, Herr Präsident! – Lieber Herr Verrycken! Warum machen wir das? – Erstens, weil wir es können, zweitens, weil es in unserem Programm steht, und drittens, weil wir ja nicht absehen konnten, dass das mit – Aufsichtsrat und so – diesem Flughafen passiert. Jetzt könnten wir natürlich sagen: Okay, der liebe Gott hat was dagegen, dass das hier zu viel Aufmerksamkeit bekommt, und hat deswegen das mit dem Flughafen gemacht. – Das halte ich allerdings für eine etwas steile These.

Grundsätzlich: Warum wollen wir eine Trennung von Staat und Religion? – Ja, weil wir es halt wollen!

[Wolfgang Brauer (LINKE): Sollte die SPD auch wollen!]

Jetzt kann man natürlich sagen: Karitative Aufgaben und sonst irgendwas, das ist gut, dass die Kirche das macht. – Ich wundere mich, dass Sie das jetzt als Errungenschaft verteidigen, dass Sie jetzt sagen: Das ist seit hundertfünfzig Jahren so geregelt. – Ich wollte jetzt eigentlich nicht auf diese Schiene kommen, aber es gibt natürlich durchaus Ereignisse, wo sich z. B. die katholische Kirche zu dem Thema Abtreibung äußert, zum Thema Homosexualität äußert, wo man sich die Frage stellen muss: Na, ist das noch so zeitgemäß? Entspricht das den Dingen, die wir alle hier diskutiert haben?