Torsten Hilse
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Jahr 2007 legte die Enquetekommission des Deutschen Bundestages „Kultur in Deutschland“ ihren Abschlussbericht vor. Im Abschnitt 6.5 wendet sie sich der deutschen Sprache zu. Das Kapitel trägt folgende Überschrift: „Erhalt und Förderung der deutschen Sprache“. Ich erlaube mir, einige Passagen daraus zu zitieren:
In einem Expertengespräch der Enquetekommission in der 15. Wahlperiode bestand Einigkeit darüber, dass innerhalb des deutschen Bildungswesens und der medialen Öffentlichkeit ein Verlust an Sprachbewusstsein, ein schrumpfender Wortschatz und eine abnehmende Bereitschaft zu verzeichnen seien, die deutsche Sprache zu fördern, sie fortzuentwickeln und ihr die ihr zukommende Bedeutung beizumessen.
Ich fahre fort mit einem weiteren Zitat:
Derzeit ersetzen rund 7 000 angelsächsische Ausdrücke die entsprechenden deutschen Begriffe. Eine Ersetzung und Verdrängung von Teilen des deutschen Wortschatzes durch Anglizismen, Kunstwörtern und Slang hinterlassen jedoch verstärkt Spuren in der deutschen Sprache, die zu der Befürchtung Anlass geben, dies führe zu einer Schwächung des Kulturgutes deutsche Sprache.
Ich habe diese Zitate in die Begründung meines Antrags aufgenommen, um deutlich zu machen, dass die Zuwendung zu dem beschriebenem Problem nicht das Ergebnis einer provinziellen Sichtweise ist. Nein, unsere Sprache hat ein ernsthaftes Problem! Wenn die Enquetekommission den Erhalt der deutschen Sprache bedroht sieht, muss das aufhorchen lassen. Diesem Phänomen muss man sich stellen, diese Sorge muss man teilen, es sei denn, man hat kein Verhältnis zur eigenen Sprache.
Der Bericht der Enquetekommission fährt fort – ich zitiere ein letztes Mal:
Das Bewusstsein dafür, dass es wichtig ist, sowohl im Inneren wie nach außen sprachpflegerisch zugunsten der deutschen Sprache einzutreten, muss wach gehalten werden, sonst ist zu befürchten, dass die deutsche Sprache an Bindungs- und Integrationskraft verliert.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Genau aus diesem Grund ist dieser Antrag, den ich Sie bitte, zuzustimmen, entstanden. Es geht darum, die Wahrnehmung zu schärfen, dass unsere Sprache in ihrem Bestand gefährdet ist. Sie ist aus den Fugen geraten und droht, ihre Differenzierungskraft, Integrationskraft und Sprachtiefe zu verlieren.
Es geht um nicht weniger, als unser Kulturgut deutsche Sprache nicht zu einem Kauderwelsch verkommen zu lassen. Es geht darum, Sprache ihrer Funktion nicht zu berauben, sie muss dem unmissverständlichen Gedankenaustausch verpflichtet bleiben. Wir politisch Handelnden haben hierfür eine große Verantwortung. Die Sprache der politisch und öffentlich Handelnden hat normsetzenden Charakter. Wir müssen nicht wie die Freizeit-, Sport- und Werbebranche in einen Wettbewerb um das rudimentärste Deutsch treten. Dieser Antrag zielt allein darauf, im Bereich des Landes Berlin und seiner Verwaltung eine Sensibilisierung für die Pflege und den Erhalt der deutschen Sprache zu erreichen. Dieser Antrag ist ein Appell, nicht mehr, und nicht weniger. Dieser Antrag ist ein Appell, nicht länger die Flucht aus der eigenen Sprache durch eigene Impulse zu beschleunigen. Dieser Antrag ist ein Appell und eine Erinnerung, dass Sprache gepflegt werden muss, gepflegt wie alles, was lebt und was sich weiterentwickelt. Dieser Antrag ist ein Appell, dass wir in Achtung jener Menschen, die uns die Wahrung des Allgemeinwohls übertragen haben, eine Sprache wählen, in der wir auch verstanden werden. Wenn wir Begriffe wie Worst Case oder Front Office, Back Office, Letter of Intent, Case Management, One-Stop-Agency, Hidden Champions, Soft Skills oder Best Practice verwenden, dann werden nur wenige Menschen wissen, dass wir damit den Kunden- und Verwaltungsbereich, die Absichtserklärung, die Fallbearbeitung, die zentrale Anlaufstelle, die verborgenen Talente oder die Erfolgsmethode meinten. Ich habe in den vergangenen zehn Jahren oft beobachten müssen, dass wir Parlamentarier uns untereinander, aber auch wir Parlamentarier die Verwaltung, nicht verstanden haben, weil wir viele Begriffe nicht kannten, die verwandt worden sind.
Um dem Verdacht vorzubeugen, ich sei dagegen, dass Fremdwörter die deutsche Sprache bereichern: Sie sind wichtig, ohne sie würden wir nicht mehr auskommen. Englisch ist eine wunderbare Sprache, ich wünschte, jeder könnte Englisch sprechen. Aber man sollte die eigene Sprache nicht mit fremden Sprachen vermengen. Darum liebe Kolleginnen und Kollegen, stimmen Sie diesem Antrag zu. Er greift die Handlungsempfehlungen auf, die die Enquetekommission des Deutschen Bundestages den Ländern empfohlen hat. Diese Handlungsempfehlungen an den Senat sind keine Zumutung, erst recht keine Revo
lution. Sie sind das Geringste der Dinge, die nahe liegenderweise aufgegriffen werden sollten. Bitte setzen Sie das Wohl und die Pflege unserer Sprache über die Grenze, die Fraktionen bilden. Sprache muss verbinden. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und bitte Sie herzlich, diesem Antrag zuzustimmen!
Im Übrigen, liebe Kolleginnen und Kollegen, werde ich dem nächsten Parlament aus eigenem Entschluss nicht mehr angehören. Ich wünsche allen, die wieder hier einziehen, viel Energie und Spaß an der Arbeit und allen, die es nicht schaffen, dass sie wieder gut im Privaten und zivilen Arbeitsleben Fuß fassen können. In diesem Sinne verabschiede ich mich. – Danke schön!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Gutzeit – lieber Martin!
Ja! Wir waren zusammen in Schwante. Da kann man das auch sagen! – Vor uns liegt der Siebzehnte Tätigkeitsbericht des Berliner Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR. Wie alle Jahre zuvor sind die Themenfelder, derer sich die Behörde widmet, unverändert, wenngleich es auch neue Schwerpunkte gibt.
Eines der Themenfelder, dem sich Ihre Behörde, Herr Gutzeit, verstärkt zuwendet, ist der Kampf gegen die Verklärung der realen DDR-Verhältnisse und das Relativieren von Unrecht und Verbrechen. In Ihrer Arbeit gegen die Verharmlosung von DDR-Unrecht und Stasiterror bedient sich die Behörde auch der in den vergangenen Jahren eingesetzten Instrumente. Hier sind vor allem die Herausgabe von Publikationen, die Beratungstätigkeit, die
Erarbeitung von Unterrichtsmaterialien sowie Vorträge vor Schülern und Studenten zu nennen.
Ein zweites Themenfeld, welches an Gewicht gewonnen hat, ist die Rehabilitierung von Menschen, die zu DDRZeiten in sogenannten Jugendwerkhöfe eingesperrt waren. Viele dieser Arrestierungen hatten politische Hintergründe, sei es um die Eltern zu erpressen, zu bestrafen oder um die Jugendlichen selbst zu brechen. Viele dieser Menschen haben einen hohen Beratungsbedarf, weil oft Unterlagen fehlen oder Gerichte diese Art der politischen Willkür nicht als solche einstufen. Die Landesbehörde leistet bei der Rehabilitierung dieser Menschen wertvolle Arbeit und konnte in vielen Fällen helfen. Zahlreiche konkrete Schicksale kann man im vorliegenden Siebzehnte Tätigkeitsbericht nachlesen. Ich empfehle Ihnen, wie alle Jahre zuvor, die Lektüre dieses Berichts. Dabei kann man sich hineinlesen und sehen, wie umfangreich die Arbeit ist, die ich hier gar nicht schildern kann.
Über diese beiden Tätigkeitsfelder hinaus ist sie weiterhin tätig im Bereich der finanziellen Förderung von Verfolgtenverbänden und Aufarbeitungsinitiativen, in der Ausrichtung von Veranstaltungen und Tagungen sowie in der individuellen Beratung all jener, die die Behörde aufsuchen. Allein die Tatsache, dass im Jahr 2010 mehr als 87 000 Menschen einen Antrag auf persönliche Akteneinsicht stellten, macht deutlich, dass das Kapitel DDRUnrecht noch lange der Aufarbeitung bedarf.
Sehr geehrter Herr Gutzeit! Seit vielen Jahren habe ich nicht nur im Rahmen der parlamentarischen Arbeit Ihre Tätigkeit mit viel Interesse und Anteilnahme verfolgt. Ich möchte Ihnen heute sagen, dass ich die Beständigkeit und das Engagement Ihrer Arbeit und das Ihrer Behörde außerordentlich schätze. Ich hatte immer die Gewissheit, dass jeder persönliche Fall, mit dem Sie konfrontiert werden, bei Ihnen in guten Händen war. Und die Art und Weise, wie Sie das Thema Aufarbeitung von Unrecht in die Gesellschaft hineingetragen haben, hat mich ebenso stark beeindruckt. Ich erlaube mir, dies einmal grundsätzlich so zu benennen, weil Beständigkeit und Zuverlässigkeit auch eine Würdigung wert sind.
Ich möchte meinen Beitrag mit einem Ausblick auf das kommende Jahr schließen, den Sie, Herr Gutzeit, selbst in Ihrem Bericht niedergeschrieben haben. Ich zitiere:
Die Folgen der SED-Diktatur wirken bis heute nach. Darauf wird der Landesbeauftragte auch in Zukunft nachdrücklich verweisen, sich den daraus ergebenden Herausforderungen entschlossen stellen und dabei sein besonderes Augenmerk auf die Beratung und Betreuung der Verfolgten dieser Diktatur richten. Es gibt nach wie vor viel zu tun!
Sehr geehrter Herr Gutzeit! Das sehe ich auch so. Es gibt nach wie vor viel zu tun. Dabei wünsche ich Ihnen und den Mitarbeitern Ihrer Behörde, aber auch im Interesse unserer Stadt weiterhin viel Erfolg. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Entscheidung für das Freiheits- und Einheitsdenkmal lag in der Verantwortung des Bundes, also nicht in unserer Verantwortung. Alle Entscheidungen wesentlicher Natur sind gefallen. Mithin kommt der Antrag der Grünen zu spät.
Dieser Antrag – so viel will ich noch sagen, ehe ich meine Rede zu Protokoll gebe – hat aus meiner Sicht nur eine einzige Stoßrichtung, nämlich das Denkmal zu verhindern. Ich persönlich bin außerordentlich froh darüber, dass es ein Freiheits- und Einheitsdenkmal geben wird. Das kann ich auch für meine Fraktion, die sozialdemokratische Fraktion des Abgeordnetenhauses, sagen. – Vielen Dank!
[zu Protokoll gegebener Redeteil]
Die Positionen zu Ihrem heutigen Antrag haben wir bereits zweimal in den zuständigen Ausschüssen ausgetauscht. Alle Argumente sind bekannt. Damit wäre aus meiner Sicht eine neuerliche Befassung heute nicht nötig gewesen.
Die Frage, ob ein Einheits- und Freiheitsdenkmal in Berlin aufgestellt werden sollte, ebenso die Frage zum Standort sowie über die künstlerische Ausgestaltung liefen in der Verantwortung des Deutschen Bundestags. Damit hat die Entscheidung eine breite demokratische Legitimation erfahren. Im Gegensatz zu Ihrer Wahrnehmung ist die Diskussion um das Denkmal über viele Jahre auch von einem breiten öffentlichen Diskurs begleitet worden. Ihr Vorwurf geht daher ins Leere. Vielleicht können Sie sich nur nicht damit abfinden, dass jeder Planung auch eine Entscheidung folgen muss. Seit gestern Abend kennen wir auch den konkreten Entwurf. Auch dies ist entschieden. Also, alles ist gesagt, alles ist entschieden. Der Antrag ist von der Zeit überholt.
Ehe ich in aller Kürze auf das eigentliche Anliegen Ihres Antrags eingehe, will ich vorab feststellen: Ich und die Kolleginnen und Kollegen meiner Fraktion sind froh, dass es ein Einheits- und Freiheitsdenkmal geben wird, auch wenn über die ästhetische Qualität des Entwurfs die Meinungen auseinandergehen. Ich hätte mir persönlich eine andere Gestaltung vorstellen können. Aber ich bin mir sicher: Die Berlinerinnen und Berliner werden sich des Denkmals annehmen. Und es wird seine eigene Wirkung in die Gesellschaft entfalten und zu einem nicht mehr hinwegzudenkenden Bestandteil der deutschen Geschichtsreflexion werden.
Ihre Kritik daran, Frau Eichstädt-Bohlig, dass das Denkmal auf dem alten Sockel des Kaiser-Wilhelm-Denkmals errichtet wird, teile ich nicht – im Gegenteil: Man kann dies auch positiv interpretieren. Mit dieser Verbindung aus altem Sockel und neuem Denkmal wird die Widersprüchlichkeit der deutschen Geschichte sichtbar. Oder um sinngemäß Herrn Thierse zitieren zu dürfen, darf ich sagen: An die Stelle, an der mit dem Kaiser-WilhelmDenkmal einst ein Denkmal von oben errichtet wurde, wird nun ein positives deutsches Geschichtszeichen gesetzt, das aus der Mitte des deutschen Parlaments hervorgegangen ist. – Im Übrigen, Frau Eichstädt-Bohlig: Die authentischen Orte der friedlichen Revolution von 1989 wie z. B. das Brandenburger Tor oder Mauergedenkstätten können nicht die Aufgabe übernehmen, die einem Denkmal zukommt. Um die Freude über die Einheit zu dokumentieren, bedurfte es eines bewusst gesetzten Erinnerungszeichens.
Und nun noch einmal zu Ihrem eigentlichen Anliegen! Mit diesem Antrag verfolgen Sie eigentlich das Ziel, das
Einheits- und Freiheitsdenkmal zu verhindern. Um einen Beweis hierfür zu liefern, zitiere ich aus Ihrem Antrag. Dort steht:
Der Bund wird aufgefordert, vor weiteren Entscheidungen in der Sache ein öffentliches Diskursverfahren durchzuführen, in dem die grundsätzliche Bedeutung solch eines Denkmals für Deutschland in Berlin ebenso wie die Suche nach einem geeigneten Standort und die Anforderungen an die Gestaltung erörtert werden.
Statt das Denkmal grundsätzlich infrage zu stellen, versuchen Sie mit diesem Antrag, dieses auf Umwegen zu verhindern. Sie wollen alles wieder offen halten. Nicht besser kann man eine Sache behindern, als sie immer wieder neu zur Disposition zu stellen, selbst wenn alles bereits beschlossen ist. Und mit diesem Verfahren reihen Sie sich politisch in Ihre grundsätzliche Haltung bei der Gestaltung unseres Landes ein. Die Grünen sind auch in diesem Falle die Verhindererpartei. Sie wollen nur verhindern, nicht gestalten. Glauben Sie denn ernsthaft, dass weitere zehn Jahre Diskussion um das Denkmal an sich, seinen Ort und sein Aussehen einen gesamtgesellschaftlichen Konsens ohne jeden Widerspruch herbeiführen könnte? – Sehr geehrte Frau Eichstädt-Bohlig! Wir sagen ja zum Denkmal für die deutschen Einheits- und Freiheitsbestrebungen. Und deshalb sagen wir nein zu Ihrem Antrag.
Persönlich möchte ich gerne meine Rede mit dem Satz schließen, dass ich mich unglaublich darüber freue und es mir viele Jahre meines Lebens undenkbar erschien, dass vor dem Platz des ehemaligen Palastes der Republik ein Denkmal für die deutsche Einheit und Freiheitsbestrebungen stehen könnte. Ich freue mich darüber, dass die Dankbarkeit über die deutsche Einheit und die Freude, diese friedlich wiedergewonnen zu haben, mit diesem Denkmal an nachfolgende Generationen weitergegeben werden kann.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Henkel! Ehe ich unser Abstimmungsverhalten benenne und begründe, möchte ich auf Ihre hier vorgetragene Position eingehen und mich zu Ihrer Entschließung positionieren.
Auch wir, die sozialdemokratische Fraktion, lehnen jede Position ab, die einen totalitären Anspruch begründet und auf die Errichtung einer Diktatur gerichtet ist.
Wir Sozialdemokraten werden nie vergessen, dass der Kommunismus millionenfaches Leid in vielen Ländern der Welt über die Menschen gebracht hat. Wir Sozialdemokraten haben unter den Kommunisten selbst einen hohen Blutzoll gezahlt.
Wir haben auch nicht vergessen, dass der Kommunismus stalinistischer Prägung mit den Nationalsozialisten eine gemeinsame Menge an geistiger Übereinstimmung besaß.
Wenn es galt, die parlamentarische Demokratie zu bekämpfen, fand man beide totalitäre Ideologien in der Vergangenheit oft Seite an Seite stehen. Wer ein Beispiel hierfür hören möchte, sei erinnert an den gemeinsamen Aufruf von NSDAP und KPD zum Streik der Berliner Verkehrsbetriebe im November 1932. Kein Volk dieser Erde hat die Staatsform des Kommunismus je selbst frei gewählt. Das Experiment des Kommunismus ist das Trauma vieler Völker. Der Kommunismus ist gescheitert. Allein in der Sowjetunion sind nach Schätzungen 20 Millionen Menschen diesem Experiment zum Opfer gefallen. In der Begründung Ihrer Entschließung und in Ihrer Rede, Herr Kollege Henkel, sind Sie darauf eingegangen. Oder um ein Beispiel aus der von vielen verklärt gesehenen DDR zu nennen: In dem kommunistischen Teil Deutschlands wurden 16-jährige Jugendliche wegen Buntmetalldiebstahls Ende der 40er-Jahre zum Tode verurteilt, weil sie – so der Vorwurf – den Aufbau des Sozialismus sabotierten. Wer heute über künftige Wege zum Kommunismus fabuliert, muss wissen, dass er sich in den Kontext dieser Verbrechen stellen lassen muss.
Das umso konsequenter, wenn kritische Reflektion zu den dunklen Seiten kommunistischer Gewaltherrschaft ausbleibt. Weil das so ist und weil wir ein waches Geschichtsverständnis haben, weisen wir alle Gedanken über kommunistische Wege als Alternative zu demokratischer Verfasstheit von Staaten zurück. Ich bin überzeugt, dass diese Sicht alle Fraktionen – übrigens auch die Linken – hier in unserem hohen Hause eint.
Ebenso sicher bin ich, dass Gewalt gegen Andersdenkende auf parteiübergreifende Ablehnung stößt. Wenn linksextreme Gewalttäter Menschen bedrängen, schlagen und verletzen, so wie aktuell geschehen und beschrieben, muss dies geahndet und bestraft werden. Diese Gewalttäter müssen die gleichen Konsequenzen unseres Rechtsstaates zu spüren bekommen, wie rechte Gewalttäter.
So weit zum Grundsätzlichen Ihrer Entschließung, Herr Henkel.
Nun zum konkreten Anlass. Da schreibt nun eine linke Bundestagsabgeordnete,
die zugleich Bundesvorsitzende ist, einen Artikel für die Zeitung „Junge Welt“. Der Artikel trägt die Überschrift – das wurde schon zitiert – „Wege zum Kommunismus“. Sie teilt dort ihrer ergebenen Leserschaft mit, dass die Wege zum Kommunismus nur zu finden seien, wenn wir uns dazu auf den Weg machten, und so weiter und so fort. Am Ende des Weges wartet dann die große Verheißung. Ich möchte nicht mehr zitieren, ich habe den ganzen Artikel gelesen. Er ist geschichtsverloren und in einem Duktus gehalten, der mich an den obligatorischen Staatsbürgerkundeunterricht in der DDR erinnert hat.
In diesem Duktus wurde den DDR-Bürgern die Welt außerhalb der Mauer erklärt. Konsequenterweise sieht Frau Lötzsch in der Bundesrepublik Deutschland auch den Hort des Militarismus, den es zu bekämpfen gilt, fast so, als verlautbarte noch das ZK der SED die Sicht auf den Klassenfeind.
Das grenzt schon an Lächerlichkeit. Glaubt sie wirklich, dass sie – ausgenommen von ein paar Gläubigen – noch ernst genommen wird? Sieht sie nicht, dass bis auf Nordkorea die letzten kommunistischen Staaten der Welt den Rückwärtsgang eingelegt haben?
Sehr geehrter Herr Henkel! Von Frau Lötzsch’ Artikel geht eine Geisteshaltung aus, die eine Belastung für die Demokratie darstellt.
Sie ist auch deshalb gefährlich, weil von dieser Haltung Signale an das linksextreme Spektrum ausgehen. Frau Lötzsch ist ein Ärgernis für ihre eigene Partei und schadet der Linkspartei als demokratischer Partei außerordentlich. Sie macht sichtbar, was wir alle wissen.
Ich muss jetzt leider zum Ende kommen. – Wir werden dennoch dieser Entschließung nicht zustimmen,
weil wir – – Es gibt Äußerungen, die werden wir auch weiterhin aushalten müssen. Das ist in einer Demokratie so, und das soll auch so bleiben.
Wir können nicht bei jedem Unsinn, der gesagt wird, eine Entschließung verabschieden.
Das ist der Grund. Inhaltlich kommen wir Ihnen sehr nahe. Wir haben eine eigene Entschließung vorgelegt,
bzw. wir schließen uns der der Grünen mit einer kleinen Änderung an. Die Begründung hierfür wird Ihnen gleich vorgetragen. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Lieber Herr Gutzeit! Lieber Martin! Dem Parlament liegt mit dem Jahresbericht 2009 der nunmehr 16. Tätigkeitsbericht des Berliner Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR – so ist der ausführliche und korrekte Ausdruck – vor. Es ist eine gute Tradition, dass das Berliner Abgeordnetenhaus unabhängig davon, wie lang die Tagesordnung ist und zu werden droht, der Besprechung im Plenum immer wieder Zeit einräumt, so auch heute.
Vor 20 Jahren wurde die deutsche Einheit vollendet. Vor 21 Jahren legten Proteste und Demonstrationen den Grundstein hierfür. 20 Jahre sind ein sehr langer Zeitraum, dem man eine Generation zuweist. Eine so lange Zeit mag den Einen oder die Andere dazu verführen, dem Thema Aufarbeitung des DDR-Unrechts mit distanziertem Verständnis zu begegnen. Wer jedoch einen Blick in den Tätigkeitsbericht wirft – und wie alle Jahre zuvor möchte ich Sie wieder dazu ermuntern –, wird herauslesen können, wie aktuell und wichtig die Arbeit des Landesbeauftragten und seiner Behörde noch immer ist.
Nach wie vor wird die Behörde des Berliner Landesbeauftragten von sehr vielen ehemaligen DDR-Bürgern aufgesucht, die trotz politisch begründeter Haft oder sonstiger Verfolgung noch keinen Antrag auf Rehabilitierung oder Akteneinsicht gestellt haben. Die Gründe für diesen anhaltenden Beratungsbedarf sind vielfältig. Zum einen waren viele Menschen über die Rehabilitierungsmöglichkeiten noch immer nicht ausreichend informiert, andere benötigen Hilfe im Zusammenhang mit rentenrechtlichen Fragen, wieder andere brauchten Zeit, um nach Verfolgung und Haft den nötigen Abstand zu persönlicher Nachforschung zu finden.
Im Gegensatz zu den Vorjahren wuchs aus dem gestiegenen Interesse der Öffentlichkeit an der friedlichen Revolution sogar der Beratungsbedarf von Opfern der SED
Diktatur. Das ist bemerkenswert, 20 Jahre danach. Darauf verweist der Bericht des Landesbeauftragten in seiner Einleitung. In den folgenden Ausführungen wird diese Einschätzung durch konkrete Beispiele und Zahlen hinterlegt. Ich erspare Ihnen das jetzt alles. Nur grundsätzlich: Es wird wieder darauf verwiesen, dass Fragen nach strafrechtlicher Rehabilitierung im Vergleich zum Vorjahr abermals zugenommen haben.
Gleichfalls wird in diesem Zusammenhang berichtet, dass die Bearbeitung von Anträgen auf Opferrente – richtig heißt das: Zuwendung nach § 17a Strafrechtliches Rehabilitierungsgesetz – in Berlin mittlerweile relativ zeitnah und unproblematisch verläuft. Das ist positiv zu erwähnen.
Hingegen bleibt es ein häufiges Ärgernis, dass einige Jobcenter die Opferrente als reguläre Einkünfte werten und auf andere Sozialleistungen wie zum Beispiel das Arbeitslosengeld II anrechnen. Dies steht im Widerspruch zu den gesetzlichen Vorgaben. Der Landesbeauftragte konnte in konkreten Fällen oft vermittelnd tätig werden, und durch Verweis auf die Gesetzeslage konnten diese Entscheidungen häufig schnell und unbürokratisch rückgängig gemacht werden.
In einigen konkreten Fällen geht der Landesbeauftragte auch auf die Schwierigkeiten ein, verfolgungsbedingte Gesundheitsschäden herauszufinden und zur Anerkennung zu bringen. Die Frage, was sind gesundheitliche Beeinträchtigungen, die auf Verfolgung und Haft, und was sind gesundheitliche Beeinträchtigungen, die auf das normale Altern zurückzuführen sind, sorgt häufig für Kontroversen zwischen Behörden und Antragstellern. Wenn Menschen überzeugt sind, auch wenn es keine Anerkennungsgründe für haftbedingte Folgeschäden gibt, diese Gründe wären gegeben, zeigt das, wie traumatisch viele Folgen aus der DDR-Rechtsprechung Menschen ein Leben lang begleiten können.
Ein besonderer Schwerpunkt des Berichtes liegt wieder in der Zusammenarbeit und Förderung mit und von Verfolgtenverbänden.
Ich habe nicht mehr sehr viel Zeit und will nur noch kurz erwähnen, dass auch die Bildungsarbeit einen großen, zentralen Schwerpunkt einnimmt. Im Bericht ist ein schönes Beispiel von Lehrerinnen und Lehrern zu finden, die reflexartig ablehnend reagieren, wenn die Diskussion auf SED-Unrecht zu sprechen kommt. Das ist 20 Jahre nach dem Fall der Mauer immer noch Realität. Ich selbst kenne eine Geschichtslehrerin, die 15 Jahre nach dem Fall der Mauer im Geschichtsunterricht an einem Gymnasium heftig bestritten hat, dass es unter Stalin in der UdSSR zivile Opfer gegeben hat. Ableitend daraus war auch entsprechend ihre Sicht auf das DDR-Unrecht. Also es ist noch viel zu tun, auch wenn diese Menschen weniger werden. Dieses Beispiel zeigt das gut.
Es bleibt abschließend festzustellen, Herr Gutzeit, dass Sie und Ihre Behörde nach wie vor in unser aller Namen und für unsere Stadt wichtige Arbeit leisten. Dafür danken wir Ihnen ganz herzlich, insbesondere im Namen der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieser Antrag, der jetzt zur Debatte steht, war bereits auf der Konsensliste. Mithin können wir feststellen, dass das Anliegen eine breite Zustimmung in diesem Hause genießt. Die einzige Fraktion, die nicht zustimmen wird, ist die FDP-Fraktion. Die Gründe hierfür werden wir sicherlich noch hören. Ich will für die SPD-Fraktion in aller Kürze ein paar Gedanken und Gründe nennen, weswegen wir ein großes Interesse haben, dass dieses Museum mit dem sperrigen Namen „Zentrum für Widerstands- und Oppositionsgeschichte gegen die SED-Diktatur“ kommt.
Bislang war es so, dass wir uns in unserem Erinnern und in der wissenschaftlichen Zuwendung sehr stark den Orten zugewandt haben, an denen Unrecht praktiziert wurde, Menschen ihr Leben ließen, gefoltert oder verfolgt wurden. Ich nenne nur einmal das Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen oder die Keller im Rathaus von Prenzlauer Berg, in denen Menschen gefoltert und gequält wurden. Das war die eine Ebene, der wir uns in den letzten zwanzig Jahren zugewandt haben.
Die zweite sind die Institutionen selbst, von denen Unrecht ausging. Ich will hier die Staatssicherheit selbst, das SED-Regime mit all seinen Facetten oder das Diktat der SED nennen.
Es gibt aber eine Lücke, und wir könnten sie schließen, wenn es uns gelänge, dieses Museum zu errichten – wohlgemerkt aber immer in Trägerschaft des Bundes, weil es wahrscheinlich unsere Möglichkeiten überfordern würde. Die Lücke, die es zu schließen gilt, ist das widerständige Verhalten der Menschen selbst in der DDR. Es gab zu allen Zeiten in der DDR Menschen, die sich nie daran gewöhnt hatten, dass es eine Diktatur gibt, dass
man seine Meinung nicht frei sagen konnte. Diese Menschen konnte man überall finden, nicht nur in Berlin, sondern auch in Zittau, in Leipzig, in Rostock, überall. Diesem Teil der Geschichte sich zuzuwenden, das ist jetzt die Aufgabe.
Ich will nur ein Beispiel für widerständiges Verhalten nennen: Als im August 1968 die Panzer durch die DDR rollten und die tschechische Grenze überschritten, haben viele Menschen – ich bin übrigens in Zittau geboren, einer Grenzstadt zur Tschechoslowakei – nachts mit Farbe auf die Straße „Dubcek“ oder „Freiheit“ geschrieben. Alle, die mit Farben zu tun hatten, etwa Malermeister und Lackierer, wurden noch in der Nacht aus ihren Betten geholt, verhört und z. T. hart bestraft. Über diese Menschen redet heute kaum noch jemand.
So etwas wie in Zittau lässt sich in allen Städten finden. Das ist ein Grund, sich der Sache geschichtlich und wissenschaftlich zuzuwenden. Dabei will ich es bewenden lassen. Es gibt noch viele Ebenen, die der Betrachtung würdig wären. Schauen wir einmal, ob es uns gelingt. Ich habe heute schon dem RBB gesagt – sie wollten vorab meine Meinung hören –, ich sei zuversichtlich. Wenn überfraktionell so viel Übereinstimmung da ist, wird es uns wohl gelingen, einen solchen Gedenkort zu errichten. Er ist wichtig auch im Hinblick darauf, der Verklärung, die zunehmend unter den jungen Menschen der ehemaligen DDR anzutreffen ist, Einhalt zu gebieten. Wer in diesem Land gelebt hat, hat nicht nur ein Brot für 78 Pfennig und Brötchen für 5 Pfennig gekauft, sondern er musste auch Angst haben und riskierte Kopf und Kragen, wenn er eine nicht angepasste Meinung frei gesagt hat. Das gehört auch zur Reflexion der DDR-Geschichte, und diese Lücke können wir mit diesem Museum schließen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!
Frau Präsidentin! Meine Rede gebe ich zu Protokoll.
Ihnen, Herr Dr. Lindner, wünsche ich eine gute Zeit im Deutschen Bundestag. Viel Erfolg! Ich habe Ihnen gerne zugehört, auch wenn ich Ihre Argumente nicht immer geteilt habe.
[zu Protokoll gegebener Redeteil]
Ihr Antrag wurde sowohl im Innenausschuss als auch im Hauptausschuss abgelehnt. Wir werden der Empfehlung der Ausschüsse folgen und Ihren Antrag heute hier im Plenum gleichfalls ablehnen. Ehe ich die Gründe der Ablehnung nenne, möchte ich Ihnen Folgendes sagen:
Ich verhehle nicht, dass ich mir gewünscht hätte, dass vor 20 Jahren nicht nur die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes Ostberlins auf eine Stasi-Mitarbeit hin untersucht worden wären, sondern die gesamte Berliner Verwaltung. Heute wissen wir, dass auch die Westverwaltung von Stasi-Mitarbeitern unterwandert war. Einige spektakuläre Fälle haben großes Aufsehen erregt, zuletzt der Fall Karl-Heinz Kurras – Sie haben es erwähnt. Vor 20 Jahren wäre eine Überprüfung auch der gesamten Westberliner Verwaltung ein Signal gewesen – ein Signal für die Gleichbehandlung aller Beschäftigten der Stadt, zugleich aber auch ein Signal dafür, dass die Aufarbeitung der SED-Diktatur innerhalb der Stadt nicht an der Mauer Halt machen kann. Und nicht zuletzt hätte ein solches Vorgehen einen unbelasteten Neustart in die gemeinsame Zukunft der wiedervereinten Stadt signalisiert. Diese Chance wurde vertan. Man muss allerdings den Handelnden von damals zugute halten, dass sie es sich nicht vorstellen konnten, dass die Stasi so weit in die Westberliner Verwaltung hineinreichte. Und man muss auch anerkennen, dass die Aufgaben der Nachwende
Dr. Martin Lindner
monate dazu zwangen, andere Prioritäten und Handlungsschwerpunkte zu setzen. Insofern wäre es schön gewesen, wenn ein solcher Antrag wie der Ihre vor 20 Jahren gestellt worden wäre.
Heute jedoch kommt der Antrag zu spät. Es lässt sich aus den Einzelfällen, so spektakulär sie auch sein mögen, nicht nachvollziehbar begründen, weswegen mit 20 Jahren Verspätung Beschäftigte – wie bereits pensionierte oder verstorbene Mitarbeiter – der Berliner Verwaltung auf die Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit hin überprüft werden sollen. Auch wenn Sie von einem Forschungsprojekt und einer wissenschaftlichen Untersuchung sprechen, so läuft das, was Sie hier beantragt haben, auf eine nachträgliche und umfassende Überprüfung aller Beschäftigten hinaus. Wir finden, eine verdachtsunabhängige Kontrolle mit 20-jähriger Verspätung ist unverhältnismäßig und stellt einen Aufwand dar, den niemand vertreten kann. Übrigens wurden in der Vergangenheit sehr wohl auch Beamte und Mitarbeiter in Schlüsselpositionen in ehemaligen Westberliner Behörden überprüft, so z. B. auch im Polizeidienst. Darüber hinaus arbeitet die Birthler-Behörde weiterhin daran, StasiVerstrickungen aufzuklären, und wenn es Fälle gibt, die noch nicht publik wurden, so können diese Personen noch heute nicht sicher sein, dass sie nicht doch noch enttarnt werden. Aus diesen genannten Gründen lehnen wir Ihren Antrag ab.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Otto! Auch uns ist das Anliegen, die Verdienste der Bürgerrechtsbewegung des Herbstes 1989 zu würdigen, ans Herz gewachsen und wichtig. All jenen Menschen, die Sie beschrieben haben, die Mut und persönlichen Einsatz aufbrachten, um die friedliche Revolution in der DDR voranzubringen und herbeizuführen, gebührt unser und Ihr Dank und unsere Hochachtung. Sich gegen Willkür und Diktatur aufzulehnen, war – daran haben Sie erinnert, daran erinnere ich noch mal – mit Gefahren und Nachteilen verbunden. Wenn dennoch immer mehr Menschen Mut fassten und die undemokratischen Verhältnisse nicht mehr hinnehmen wollten, so ist das auch dem Neuen Forum zu verdanken. Aber, sehr geehrter Herr Otto, die Bürgerrechtsbewegung der DDR bestand nicht allein aus dem Neuen Forum.
Die DDR-Bürgerrechtsbewegung hatte eine sehr viel breitere Basis.
Hören Sie erst mal zu! – Im Monat September haben sich neben dem Neuen Forum in wenigen Tagen mehrere Gruppierungen gegründet, sodass man gar nicht mal sagen kann, hier gibt es eine zeitliche Vorrangstellung. Das Neue Forum ist gar nicht denkbar ohne die anderen. Aber lassen Sie mich bitte fortfahren.
Ich möchte daran erinnern, dass sich schon im August 1989 eine Initiative zur Gründung einer sozialdemokratischen Partei formiert hatte.
Am 12. September, nur zwei Tage nach dem Tag, an dem das Neue Forum in die Öffentlichkeit trat – –
Ich sage das nur deswegen, weil es deutlich macht, dass in diesen Zeiten so viele Aktivitäten entstanden, dass das Neue Forum eben nicht einmal primus inter pares war, sondern Gleiche unter Gleichen. – Zwei Tage später bereits datiert der Aufruf zur Gründung einer sozialdemokratischen Partei. Ebenfalls am 12. September 1989, auch nur zwei Tage nach der Bekanntgabe des Aufrufs des Neuen Forums, tritt die Bürgerrechtsbewegung Demokratie Jetzt mit ihrem Aufruf in die Öffentlichkeit. Hier sei noch einmal daran erinnert: Wichtige Repräsentanten waren Wolfgang Ullmann und Ulrike Poppe. Auch der Demokratische Aufbruch, der sich später mit der CDU zusammenschloss, meldete sich wenige Tage danach ebenfalls mit einem programmatischen Aufruf zu Wort. Ein führender Vertreter dieser Gruppierung war Rainer Eppelmann, der spätere Abrüstungsminister. Nicht zu vergessen ist in dem ganzen Kontext das Engagement der Evangelischen Kirche, die der Opposition Raum und Podium, aber auch Schutz bot.
Der Erfolg der friedlichen Revolution, der zur Überwindung der DDR und zur deutschen Einheit führte, ist das Ergebnis des Zusammenwirkens aller dieser Gruppen.
Ich finde, dass es diesem Parlament überhaupt nicht gut zu Gesicht steht, wenn es uns nicht gelingt, parteiübergreifend die Initiativen zu würdigen und wir eine allein herausgreifen.
Dann würden wir hinter den Ansatz jener Menschen zurückfallen, die gemeinschaftlich diesen SED-Staat zum Teufel gejagt haben.
Ich wiederhole noch mal: Träger des revolutionären Umbruchs waren nicht das Neue Forum allein, nicht die SDP allein, auch nicht der Demokratische Aufbruch allein, auch nicht Demokratie Jetzt allein und auch die Kirche nicht allein. Es waren alle gemeinsam. Und nicht zu vergessen die vielen Menschen, die damals auf die Straße gegangen sind. Es ist mir sehr wichtig, auch darauf noch einmal hinzuweisen.
Die von Ihnen vorgelegte Entschließung ist daher zu eng gefasst. Wir können Ihrem Antrag daher in dieser Form nicht zustimmen, denn wir halten eine Gesamtwürdigung aller Oppositionsgruppen durch das Abgeordnetenhaus in einer von allen Parteien getragenen gemeinsamen Entschließung für anstrebenswert.
Ich erlaube mir in diesem Zusammenhang, an die gemeinsame Erklärung der Oppositionsgruppen vom 4. Oktober 1989 zu erinnern. Herr Otto, ich würde Sie bitten, lesen Sie sich einmal durch, was diese Gruppen am 4. Oktober geschrieben haben. Diese Gruppen bestanden aus Demokratie Jetzt, Demokratischer Aufbruch, Gruppe Demokratischer Sozialistinnen, Initiative Friede und Menschenrechte, Sozialdemokratische Partei der DDR, Neues Forum und Friedenskreis. Alle haben sich gemeinsam an die Öffentlichkeit gewandt in dem Wissen, dass sie nur gemeinsam dieses Regime in die Vergangenheit befördern können. Hinter dieses Bewusstsein sollten wir nicht zurückfallen. Wir, dieses Haus, sollten gemeinsam all jene würdigen, die sich dafür eingesetzt haben, dass wir heute in einer Demokratie leben können.
Ich will das Neue Forum gar nicht kleinreden. Ich glaube, das wir im Ausschuss uns einvernehmlich auf ein Papier verständigen können. Mir widerstrebt diese Partikularisierung mitzumachen, die allzu durchsichtig ist.
Sehr geehrte Frau Ströver! Wenn es Ihnen um einen Konsens gegangen wäre, hätten Sie das erstens nicht als dringlichen Antrag eingebracht, denn es steht seit 20 Jahren fest, dass sich dieses Thema heute jährt
beziehungsweise vor wenigen Tagen gejährt hat. Zweitens hätten Sie sehr viel besser alle Fraktionen einbinden können
wir machen ja etwas –, und drittens sage ich Ihnen noch etwas, Frau Ströver: Ich will die Leistungen des Neuen Forums überhaupt nicht kleinreden. Überhaupt nicht. Aber ich persönlich und wir Sozialdemokraten möchten uns nicht auf eine Schiene setzen lassen, die partikular die Bewegungen des Herbstes 1989 zerlegt und sich das herausgreift, was gerade gefällt. Stellen Sie sich vor, wir kämen mit einem Antrag zur Würdigung der Gründung der Sozialdemokratischen Partei,
oder die CDU mit einem Antrag zur Würdigung der Fusion von Demokratischem Aufbau und CDU. So kommt jeder, und wer gerade niemand im Parlament sitzen hat, geht leer aus. Das ist unhistorisch und ungeschichtlich. Das machen wir nicht mit.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der aktuelle Fall des Karl-Heinz Kurras hat einen Tatbestand in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt, dem lange nicht konsequent genug nachgegangen wurde. Das sehe ich, Herr Jotzo, genauso. Da haben Sie recht.
Das Kapitel der deutschen Geschichte, inwieweit die Staatssicherheitsbehörden Institute und Parlamente der Bundesrepublik unterwandert bzw. beeinflusst haben, ist bis auf sporadische Erkenntnisse weitgehend unerforscht. Eine systematische Beschäftigung mit diesem Teil der Geschichte finde ich jedoch spätestens 20 Jahre nach dem Mauerfall längst überfällig. Ich möchte in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt lassen, dass ich es mir gewünscht hätte, wenn der Einfluss der Staatssicherheit auf den öffentlichen Dienst, Behörden und Parlament des Westteils der Stadt zu einem Zeitpunkt untersucht worden wäre, als die Regelanfrage im Osten der Stadt Voraussetzung dafür war, dass man im öffentlichen Dienst weiterbeschäftigt wurde.
Dies ist nicht geschehen. Eine solche Regelanfrage heute nachträglich für alle Ehemaligen und derzeit Beschäftigten einzuleiten, halte ich allerdings nicht unbedingt für sehr sinnvoll.
Ebenso meine ich, die Erforschung der Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit sollte sich nicht allein auf die Berliner Polizei fokussieren. Den Vorschlag, die Formen der Unterwanderung aller Westberliner Einrichtungen und Behörden durch die Stasi mittels einer wissenschaftlichen Untersuchung zu erforschen, halte ich für ein
Björn Jotzo
wünschenswertes und notwendiges Unterfangen. Da folge ich Ihnen, Herr Jotzo – ich hätte es einfach zu Protokoll geben können. Ich habe da sehr viel Übereinstimmung mit dem, was Sie gesagt haben.
Ebenso bin ich sehr froh über die Position des Berliner Senats und begrüße sie ausdrücklich. Ich darf hier Senator Körting zitieren:
Der Fall Kurras zeige aber, dass es Defizite bei den historisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen gebe, inwieweit die Stasi damals versucht habe, Einfluss auf Westberlin und die gesamte Bundesrepublik zu nehmen. Er
Herr Senator Körting –
habe deshalb beim Berliner Stasi-Beauftragten Martin Gutzeit angeregt, ob diese Frage Gegenstand wissenschaftlicher Erforschungen sein könnte. Das koste sicherlich Geld,
so weiter der Herr Senator –
aber daran werde das Projekt nicht scheitern.
Diese Position teile ich uneingeschränkt.
Ich bin übrigens überzeugt, dass die Staatssicherheit der DDR wohl sehr effektiv Mitarbeiter und Spitzel anwerben und im Westteil der Stadt platzieren konnte. Aber von einzelnen, sehr tragischen Schicksalen, die die Staatssicherheit verantworten muss, abgesehen, konnte sie den demokratischen Alltag westdeutscher und Westberliner Strukturen nicht nachhaltig stören. Das sei auch einmal festgehalten. Sie wusste zwar viel, aber es hat ihr manchmal gar nichts genutzt.
Unabhängig davon stehen wir aber moralisch in der Pflicht, allen Anhaltspunkten einer Zusammenarbeit von Menschen nachzugehen, die mit der Staatssicherheit zusammengearbeitet haben, denn sie haben Vertrauen und Verantwortung missbraucht, haben Menschen geschadet und sich durch Geheimnisverrat bereichert. Es sei in diesem Zusammenhang auch daran erinnert, dass im Ostteil der Stadt selbst Putzfrauen entlassen wurden, wenn sie im öffentlichen Dienst arbeiteten und ihnen nachgewiesen werden konnte, dass sie für die Staatssicherheit gearbeitet haben. In einer Stadt mit einer langen gemeinsamen Geschichte und mit einer gemeinsamen Zukunft kann es nicht sein, dass ein und der gleiche Tatbestand eine unterschiedlich intensive Aufklärung erfährt.
Eine Korrektur dieser Praxis ist geschichtlich geboten, erst recht bei der Annahme, dass die Unterwanderung großer Teile der Westberliner Verwaltung durch die Staatssicherheit kein Einzelfall zu sein scheint. Ich glaube übrigens nicht, dass die Berliner Behörden aus Angst vor Enthüllungen oder Angst vor Selbstbeschmutzung eine systematische Aufarbeitung dieses Themas unterlassen haben. Ich glaube, hier muss man auch die Kirche im
Dorf lassen. Ich denke eher, es war so etwas wie partielle Geschichtsverlorenheit und die Überzeugung, dass dies eigentlich ein Problem der untergegangenen DDR gewesen sei.
Der Fall Kurras, aber auch die inzwischen vielen weiteren Beispiele, die in den vergangenen 20 Jahren zutage getreten sind, gebieten eine aktivere Form der Aufarbeitung und vor allem der wissenschaftlichen Erforschung, welchen Umfang die Unterwanderung der Staatssicherheit in die Westberliner Verwaltung hatte und welche Personen für die Staatssicherheit tätig gewesen waren. Der vorliegende, von Ihnen, Herr Jotzo, eingebrachte Antrag erscheint mir ein guter Ausgangspunkt zu sein, sich diesem Thema weiter zu nähern und eventuell zu gemeinsamen Ergebnissen zu kommen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Otto! Wir haben diese Entschließung im Ausschuss beraten und darüber eine gute Diskussion geführt. Es gab eine sehr große Einigkeit über zwei Dinge. Erstens, dass Ihr Anliegen, dies noch einmal in das Bewusstsein der Öffentlichkeit zu tragen, ein sehr gutes ist, gerade um der Geschichtslosigkeit der Zeit zu wehren. Junge Leute wissen heute überhaupt nicht, mit welchen Konsequenzen es in der DDR verbunden war, nicht zu wählen. Ich bringe ein paar Beispiele – Sie haben auch welche gebracht. Das hat uns geeint.
Es gab marginale Unterschiede, und die will ich auch ganz kurz diesem Haus erklären. Die Überweisung in die Ausschüsse haben wir insofern gefordert, weil wir der Meinung waren, dass Ihre Ableitung dieser Entschließung eine Geschichtssicht und Betrachtung war, die einer gründlichen Reflexion unterzogen werden muss. Sie ist in Gänze auch in Ordnung gewesen, so wie sie war. Wir haben nur ganz geringfügige Dinge geändert, zum Beispiel, dass wir gesagt haben, dass das Todesurteil in eine fünfzehnjährige Haft umgewandelt wurde – was auch furchtbar ist. Aber es gehört zur historischen Gerechtigkeit, dass man genau bleibt. Das haben wir gewürdigt.
Wir können im Parlament aber keine Geschichtssicht verabschieden – wir können uns nicht hinstellen und sagen: Wir beschließen jetzt die Sicht auf die Wahlfälschung von 1989. Sie ist in dieser Begründung festgelegt und ablesbar. – Aus dem Grund haben wir Ihre Ableitung zur Begründung gemacht – eine logische Folge. Das mindert Ihr Anliegen überhaupt nicht. – Frau Ströver! Sie haben auch gefochten, und ich, wie auch die gesamte SPD-Fraktion, habe Ihnen gesagt, wie sympathisch uns Ihr Anliegen ist.
Wer sich mit dieser Entschließung befasst, wird nachlesen wollen, was es für Gründe gab, weswegen wir in diesem Haus uns auf diese Position verständigt haben. Deswegen brauchen Sie keine Sorge zu haben: Die historischen Fakten gehen nicht verloren – im Gegenteil! Es wird eher angeregt, sich damit zu befassen.
Es ist in der Tat so – das können sich vielleicht wenige Menschen vorstellen –, dass das DDR-Regime sich nicht nur mit einem Ergebnis abgefunden hat, was jenseits jeder realistischen Höhe war, sondern es wollte auch Menschen entmündigen und beschämen. Ein Teil dieser persönli
chen Beschämung war, dass man extremen Zwang auf Menschen ausgeübt hat, wählen zu gehen. Das hat Angst erzeugt. Wer auch immer sich der Wahl entzogen hat, wurde vorgeladen, bekam Nachteile, wurde malträtiert, wurde zu Hause besucht.
Ich habe in meiner Stasi-Akte drei Dinge zu den Wahlen gefunden. Die erste Notiz 1974, in welcher man meinem Betrieb mitteilt, dass ich erst einmal zum Wählen aufgefordert werden musste. Ich war damals 19 Jahre alt und bin dann doch noch gegangen. Später berichtet ein gewisser IM Kramer der Staatssicherheit in Zittau, dass ich die Agitatoren nicht in meine Wohnung lasse. Aus dem Jahr 1986 finde ich einen Hinweis von einem IM Ulli in meiner Akte. Dieser war eine Urlaubsbekanntschaft, und ich hatte ihm erzählt, dass ich nicht wählen gehe. Dies hat er der Bezirksdienststelle Cottbus berichtet, und die hat dann entsprechende Maßnahmen in Gang gesetzt.
Das ist nicht weiter dramatisch, fast lächerlich. Aber allein die Tatsache, sich diesem System zu entziehen, hat die DDR erregt und erschüttert. Umso höher ist es zu bewerten, dass Menschen 1989 den Mut gefunden haben, diese Fälschungen nachzuweisen, zusammenzukommen und selbst Anklagen zu formulieren. Es ist wichtig, dass man daran erinnert.
Zweitens ist in Ihrem Anliegen auch wichtig – mir ebenso –, dass man den Prozess der Revolution und der Wende darstellt. Sie haben ganz richtig darauf verwiesen, dass 1989 eine Vorgeschichte hat. Ich sage nur: 1981 – Schwerter zu Pflugscharen. Da gab es die ersten Verhaftungen in der DDR, die Friedensbewegung in der DDR, von den christlichen Kirchen getragen, dann die ersten Umweltproteste, auch mit Verhaftungen in Bitterfeld, Leipzig und anderen Gegenden. Zum Schluss gab es dann den Widerstand gegen die Wahlfälschungen.
Wir werden der Entschließung zustimmen und damit auch dem Geist Ihres Ansatzes. Ich finde, die Resolution hat nicht gelitten – im Gegenteil. Sie weckt eher Interesse, bei all jenen, die wissen wollen, weshalb wir so etwas beschließen. Da gibt es viel zu entdecken, besonders wenn man sich mit Zeitzeugen zusammentut. – Vielen Dank!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Braun! Ich verstehe nicht, wie Sie in Anbetracht dessen, dass wir jetzt nach 15 Jahren Verhandlungen und Rechtsstreitigkeiten nun in den Besitz des Geldes kommen, welches aus dem Vermögen der ehemaligen SED stammt und welches wir mit Sicherheit – darin besteht vermutlich parteiübergreifende Einigkeit – einem guten Zweck zuführen, darüber streiten können. Natürlich haben Sie Recht, den Opfern des Regimes der DDR und den noch heute lebenden und betroffenen Menschen unsere besondere Zuwendung zukommen zu lassen. Aber das ist doch der Fall. Ich verstehe nicht, warum Sie bei jeder passenden oder unpassenden Gelegenheit versuchen, aus diesen Schicksalen politisch Kalkül zu ziehen.
Dieser Antrag, den Sie vorlegen, hat eine Geschichte. Diese Geschichte beginnt im Februar 2005. Ich will noch einmal – damit Sie das ein wenig nachvollziehen können
kurz rekapitulieren. Im Februar 2005 haben Sie, die CDU-Fraktion, den Antrag eingebracht, mit dem versucht wird, den Senat festzulegen, wofür das Geld verwendet wird. Diesem Antrag ist auch gefolgt worden. Ich lese noch einmal die Beschlusslage vor:
Der Senat wird aufgefordert, unmittelbar nach deren haushaltsmäßiger Wertstellung darüber zu berichten – also über die Verwendung –, in welche Maßnahmen und Projekte der festgelegte Anteil für die Verbesserung der wirtschaftlichen Infrastruktur sowie der festgelegte Anteil für Sozialprodukte fließen soll.
Dieser eine Satz war der Kernsatz Ihres Antrages. Der Senat soll berichten, in welche Projekte. Sie fassen das ganz weit. Sie fassen es so weit, dass Sie sagen, es können soziale, kulturelle Projekte sein oder solche, die der wirtschaftlichen Infrastruktur gelten. Ich finde, dass dies so richtig ist. Man kann das Geld gut für vielerlei Arten verwenden. Heute haben Sie es noch einmal auf die Zuwendung für Menschen, die von der SED-Diktatur verfolgt wurden, eingegrenzt. Es ist naheliegend. Das kann man so sehen. Wir sollten das in die Erörterung einbringen und hören, was andere Beteiligte sagen und welche Vorstellungen es darüber hinaus gibt. 4,5 Millionen Euro sind zwar nicht wenig, aber auch nicht so viel, dass alle Wünsche reifen könnten, alle Projekte, die zuwendungsfähig und förderungsfähig sind, damit verstärkt werden können.
Darüber hinaus sollten wir Verständnis dafür haben, dass der Senat um diese Fristverlängerung gebeten hat. Wir haben so lange gewartet, dass nun ein halbes Jahr auch hinzunehmen ist. Ferner möchte ich vorschlagen, den Fraktionen, die darüber zu beraten haben, es mit den Beratungen in den Ausschüssen zu verbinden, wenn der Bericht aus dem Senat vorliegt. Dann kennen wir auch die Vorstellungen des Senats. Wir können dann unsere Vorschläge einbringen. Sie, Herr Braun, können Ihren Vorschlag einbringen. Andere Fraktionen haben möglicherweise ähnliche Vorschläge. Wir schauen dann einmal, wie wir das Bestmöglichste aus diesen 4,5 Millionen Euro machen können, die uns zufließen und die wir außerplanmäßig einsetzen können. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Herr Jotzo! Ich bin sicher nicht dafür bekannt, dass ich jede Gelegenheit nutze, um ans Mikrofon zu gehen. Aber was Sie hier abgeliefert haben, war unerträglich. Sie haben es fast so dargestellt, als wenn der Senat nichts gemacht hätte und es jetzt erstmals die Chance gäbe, mit 4,5 Millionen Euro die Opferbetreuung zu fördern, den Opfern dieses Geld zuzuwenden oder Unrecht zu lindern. Das ist Unsinn!
Wir haben kontinuierlich seit 20 Jahren Aufarbeitung befördert, und ich empfehle Ihnen, wirklich einmal einen Blick in den 16. Bericht zur Aufarbeitung der SEDDiktatur zu werfen. Ich sage Ihnen die Nummer dazu, damit Sie ihn besser finden: Es ist die Drucksache 16/2052. Da können Sie herauslesen, dass das für uns ein kontinuierliches und wichtiges Politikfeld ist und der Eindruck eben nicht stimmt, den Sie hier erwecken wollten.
Ich sage abschließend noch etwas: Wenn es nur um diese 4,5 Millionen Euro ginge, die wir zur Verfügung hätten, um diese Arbeit zu befördern, dann wären die Opfer sehr schlecht dran. Das ist eine geringe Größe gegenüber dem, was wir bisher geleistet und eingebracht haben. Ich bitte Sie, dass Sie das im Interesse der historischen Wahrheit anerkennen!
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Gutzeit! Es ist nunmehr der 14. Tätigkeitsbericht des Berliner Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, der dem Berliner Parlament zur Kenntnis gegeben wird und uns heute zur Beratung und Aussprache vorliegt. Wir alle sind – so meine Einschätzung – fraktionsübergreifend mit der Arbeit von Herrn Gutzeit und seiner Behörde zufrieden und wissen das Engagement außerordentlich zu schätzen.
Wenn das so ist, läge es nahe, den Bericht über die Arbeit der Landesbehörde ohne Aussprache zur Kenntnis zu nehmen. Sicher würde Herr Gutzeit daraus nicht ableiten, dass uns seine Arbeit und die seiner Behörde nicht wichtig ist. Wenn wir dennoch im Parlament über den Bericht reden, dann tun wir das, weil aus dieser Tatsache ein wichtiges Signal in die Gesellschaft geht: Auch 19 Jahre nach dem Untergang der DDR gehört den Opfern des kommunistischen Unterdrückungssystems unser Mitgefühl. Das Bestreben, Unrecht aufzuklären und zu heilen, ist uns heute so wichtig wie vor 19 Jahren.
Noch etwas verleiht der Diskussion über die Arbeit der Berliner Behörde eine besondere Aktualität. Zunehmend ist wahrzunehmen, dass die Geschichte der DDR in gro
ßen Teilen unserer Gesellschaft einer einseitigen und reduzierten Interpretation unterzogen wird. Unter jungen Menschen entsteht verbreitet das Bild, als sei der Alltag in der DDR eine unpolitische Nische gewesen, in der man, wenn auch bescheiden, so doch ohne existenzielle Sorgen gut leben konnte. Die politischen Repressionen werden dabei ausgeblendet, oder deren Existenz ist unbekannt. Dabei war es gerade der Alltag, in dem die Repressionen ihre Macht entfalteten. Die Unkenntnis, das Vergessen und das Nicht-vermittelt-Bekommen bilden die eine Seite, die die Arbeit des Landesbeauftragten notwendiger denn je macht.
Geradezu politisch unverzichtbar ist die öffentliche Diskussion jedoch im Hinblick auf ein anderes Phänomen, nämlich dem des bewussten Verharmlosens der SEDDiktatur durch die ehemaligen Funktionsträger des kommunistischen Repressionssystems. Diese Tendenz verstärkt sich in dem Maße, wie die Stasi-Offiziere und die herausgehobenen SED-Funktionäre sicher sein können, keine Strafe für ihr vergangenes Tun befürchten zu müssen. Auf diese Erscheinung reagiert die Berliner Behörde mit verstärktem Engagement im Bereich der politischen Bildung und Öffentlichkeitsarbeit. Sie folgt gleichsam einer neuen Aufgabe, die aus der langen Distanz erwächst. 19 Jahre sind vergangen. Die großen Fälle sind abgearbeitet, aber die politische Bildung und Öffentlichkeitsarbeit sind wichtiger denn je. Die historische Reflektion der jungen Menschen gegenüber den Tätern von gestern zeigt uns das ganz aktuell.
In diesem Zusammenhang möchte ich auf eine Schriftenreihe verweisen, die in loser Folge vom Landesbeauftragten herausgegeben wird. Ganz besonders möchte ich auf die Ausgabe Nr. 23 mit dem Titel „Hingerichtet in Moskau“ hinweisen. Der Band widmet sich dem Schicksal von 241 Berlinerinnen und Berlinern, die zwischen April 1950 und 1953 Opfer des stalinistischen Terrors wurden. Sie wurden nach Moskau gebracht und dort hingerichtet. Es ist ein erschütterndes Dokument. Ich glaube, wenn man junge Leute damit konfrontierte, hielten sie es für unwahrscheinlich, dass so etwas in der DDR und im Stalinismus möglich war.
Neben der politischen Bildung und der Öffentlichkeitsarbeit bildet nach wie vor die Beratung und Betreuung von Opfern der SED-Diktatur den Kern der Aufgaben des Landesbeauftragten. Auch hier darf ich – wie in den Jahren zuvor – Herrn Gutzeit stellvertretend für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die engagierte Arbeit im Namen der SPD-Fraktion danken.
Wenn wir im vorliegenden Tätigkeitsbericht lesen, dass im Jahr 2007 wieder mehr als 100 000 Menschen Anträge auf Akteneinsicht gestellt haben, können wir daraus ableiten, dass 19 Jahre nach der friedlichen Revolution das Thema DDR-Unrechtsstaat und Staatssicherheit noch
immer sehr viele Menschen sehr persönlich bewegt. Die Arbeit des Landesbeauftragten wird allein aus diesem Grund sicher noch einige Jahre unverzichtbar bleiben. – Ich wünsche Ihnen, Herr Gutzeit, und uns noch viele Jahre engagierter Arbeit! – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Gutzeit! Ich bin froh, dass wir diesen Tagesordnungspunkt heute auch mit einer Besprechung versehen. Die volle Tagesordnung und die seit Jahren zuverlässige Arbeit der Behörde unter Ihnen, Herr Gutzeit, hätte es auch vorstellbar gemacht, den Bericht ohne Aussprache zur Kenntnis zu nehmen. So zu verfahren, wäre jedoch kein gutes Signal in unserer Zeit gewesen, in der viele Menschen erst jetzt den Mut finden, über Verfolgung und Benachteiligung während der SED-Diktatur zu reden und Nachforschungen anzustellen.
Zum anderen müssen wir beobachten, dass jene Kräfte, die das Unrechtsregime der DDR verharmlosen und schönreden, mit provozierender Geschichtsverfälschung auftreten und auch nicht davor zurückschrecken, die Opfer der Staatssicherheit zu verhöhnen. Hier sei nur das Auftreten der ehemaligen Generäle, Offiziere und sonstiger Angehöriger des Staatssicherheitsdienstes erinnert, die am 14. März 2006 eine Diskussionsveranstaltung im Stadtbezirk Lichtenberg nutzten, um massiv zu stören. Sie gingen sogar so weit zu fordern, die Gedenkstätte der frü
heren MfS-Haftanstalt in Hohenschönhausen zu schließen.
Weil auf der einen Seite die Leugner des Unrechts immer selbstbewusster auftreten und auf der anderen Seite viele Menschen erst jetzt die nötige Kraft finden, sich den politischen Hintergründen eigener Schicksale zu stellen, ist es gut, dass wir uns auch in 13. Folge diesem Bericht des Landesbeauftragten öffentlich zuwenden. Wer einen Blick in den Bericht hineinwirft, wird auch in diesem Jahr wieder interessante Fakten herauslesen können. Ich empfehle es Ihnen sehr, dies einmal zu tun. Auch im Jahr 2006 wandten sich wiederum mehr Menschen an die Behörde als im Vorjahr. Allein im Jahr 2006 waren es 97 000 Menschen, die Einblick in ihre Unterlagen beantragten. Das sind 20 Prozent mehr als im Jahr zuvor.
Das Interesse am repressiven Wirken der Staatssicherheit und den möglichen Auswirkungen auf die eigene Person ist spürbar gestiegen. Zum Teil kann dieses gestiegene Interesse auf den Spielfilm „Das Leben der Anderen“ zurückgeführt werden, durch den bis dahin nicht betroffene Bevölkerungsschichten mit dieser Problematik sensibilisiert wurden. Zum anderen Teil ist das gestiegene Interesse der guten politischen Bildungsarbeit der Behörde selbst zu verdanken. Dies wird in dem 13. Tätigkeitsbericht ebenfalls deutlich und sehr gut dokumentiert.
Die Schwerpunkte der Arbeit der Behörde sind seit Jahren unverändert. Die Beratungstätigkeit, die politische Bildungsarbeit und die Förderung von Verfolgtenverbänden stellen nach wie vor ihre Haupttätigkeit dar. Die Inanspruchnahme dieser Leistungen und Hilfestellungen ist nach wie vor ngebrochen hoch. u Auf eine besondere Stärke des Tätigkeitsberichts der Landesbehörde für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes möchte ich hinweisen. Das vielfältige Unrecht, welches Menschen in der DDR erleiden mussten, wird jedes Jahr immer an konkreten ausgewählten Beispielen nachvollziehbar sichtbar gemacht und damit in einen emotionalen Lebensvollzug gestellt. So möchte ich nur ein Beispiel in diesem Bericht aufführen, das Beispiel eines 14-jährigen Mädchens, das zu Zeiten der DDR als Beste ihrer Klasse nicht auf die erweiterte Oberschule gehen durfte. Sie durfte nicht einmal die 10. Klasse absolvieren und musste mit besten Noten in der 8. Klasse die Schule verlassen. Soweit ging es damals. Auch Kinder mussten die volle Härte dieses DDR-Unrechtsstaates spüren.
Ich könnte jetzt aus meinem persönlichen Umfeld und meiner Kindheit noch einige Beispiele anfügen. Es war Usus: Wer keine Jugendweihe hatte, durfte kein Abitur machen und nicht studieren. Diese beruflichen Weichenstellungen, die durch diese Form der Repression, die zunächst nicht so schwerwiegend zu sein schienen, konnten oft ein ganzes Leben lang nicht mehr korrigiert werden. Wer in der DDR über die Eigenschaften Charakter, Aufrichtigkeit und Intelligenz verfügte und sich von diesen in
der politischen Auseinandersetzung leiten ließ, hatte es schwer und lebte häufig sehr gefährlich.
Nicht Gegenstand der Debatte ist der Antrag – das wurde bereits erwähnt. Er steht auf der Konsensliste. Ich finde es aber gut, dass dieser Antrag parteiübergreifend getragen wird und die Arbeit des Landesbeauftragten für die Staatssicherheitsunterlagen die nächsten Jahre bis zum Jahr 2012 zunächst sichert. Dieser Auftrag ist sehr wichtig. Warum ist er wichtig? – Er ist wichtig, weil wir erkennen müssen, dass eine Diktatur, die zwei Generationen währte, weit mehr als 10 oder 15 Jahre in die Zukunft hinein strahlt und ihre Auswirkungen zeigt. Deshalb bin ich froh, Herr Gutzeit, dass Sie die Arbeit wie bisher fortsetzen. Ich betone auch, dass ich es begrüße, dass Sie diese in unserer aller Sinn fortsetzen. Davon gehe ich aus. Ich danke Ihnen noch einmal für Ihre bisher geleistete Mühe. – Bei Ihnen, meine Damen und Herren, bedanke ich mich für Ihre Aufmerksamkeit.