Protocol of the Session on November 11, 2010

[Jutta Matuschek (Linksfraktion): Eine Lebenslüge!]

Von den Sicherheitsrisiken ganz zu schweigen! Und ich unterstelle, auch der Senat von Berlin. Nicht anders ist seine Begründung der amtlichen Information zum Volksentscheid „Tempelhof bleibt Verkehrsflughafen“ am 27. April 2007, dort übrigens Seite 11, zu verstehen – dort heißt es wörtlich: Die Wahl des stadtnahen Standorts Schönefeld für den zukünftigen Flughafen BBI nur wenige Kilometer südlich von Tempelhof rechtfertigt sich auch juristisch erst durch die Entlastung der innerstädtischen Bevölkerung von Lärm und Umweltbelastungen und Sicherheitsrisiken, wie sie durch die Schließung der Flughäfen Tempelhof und Tegel erreicht werden.

[Dr. Fritz Felgentreu (SPD): Völlig korrekt!]

Viertens: Darauf haben sich die Bürger in Berlin verlassen. In der Ursprungsplanung, die auch an die Menschen in der Region verteilt wurde, war von gleichzeitigen Starts auf beiden Bahnen mit abknickenden Routen nicht die Rede. Auch wenn die geradeaus führenden Abflugrouten nach Westen damals nicht formal im Plan festgestellt worden sind, wurden sie von der Flughafengesellschaft immer so kommuniziert. Bis vor wenigen Wochen hat man diese Routen noch an die Bürger verteilt. Auch der Flugsimulator am BBI basiert auf den ursprünglichen Geradeausflugrouten. Selbst das Lärmschutzprogramm ist auf dieser Grundlage konzipiert und gestartet worden. Man darf sich also nicht wundern, wenn die Berliner damals und auch heute auf diese Flugrouten vertraut haben.

Fünftens: Ich kenne viele in der Region – und nicht nur in Berlin –, die im Vertrauen auf diese Flugroutenplanung persönliche Lebensentscheidungen getroffen haben. Viele haben sich vor dem Erwerb von Grundstücken, Eigentumswohnungen oder vor dem Anmieten von Wohnungen persönlich über die Flugroutenplanung informiert, beim Fluglärmsimulator am BBI oder durch Auskünfte bei den Gemeinden. Viele Bürger haben es sich z. T. schriftlich geben lassen, dass die Gemeinden nicht überflogen werden. Andere, z. B. in Mahlow und Blankenfelde, haben Lärmschutzmaßnahmen finanziert bekommen, und zwar in einer Größenordnung von 140 Millionen Euro.

Sechstens: Verkehrsminister Ramsauer hatte recht, wenn er Verlässlichkeit politischer Entscheidungen fordert. Wie anders sollte Vertrauen in die Politik hergestellt werden?

Siebtens: Ich habe selbst eine Kundgebung gemeinsam mit den Bürgerinitiativen auf dem Hermann-Ehlers-Platz in Steglitz organisiert. Ich war auf vielen Kundgebungen. Ich habe festgestellt, dass die Vertreter der Bürgerinitiativen nicht nur gut informiert waren, manchmal besser als die Vertreter der Deutschen Flugsicherung oder der Fluglärmkommission, sondern dass sie vor allen Dingen rational und überzeugend argumentierten. Ich habe aber auch feststellen müssen, dass das Vertrauen in Politik und v. a. in die handelnden Politiker gering ist. Oft musste nur irgendein Politikername fallen, schon gab es gellende Pfiffe. Das betrifft uns alle, ob Rot, Schwarz, Gelb, Grün. Da wird nicht differenziert in Regierung und Opposition.

Da wird erwartet, dass alle gemeinsam für die Bürger die beste Lösung erzielen.

Achtens: Eine alte ostasiatische Weisheit besagt, dass man kein Vertrauen erhält, wenn man kein Vertrauen gibt. Im nächsten Jahr werden wir in Berlin wählen. Schon bei der letzten Wahl hatten wir eine sehr geringe Wahlbeteiligung von nur 59 Prozent. Die Stadt hat große, auch einschneidende Entscheidungen zu treffen. Ohne die Unterstützung der Bürger, ohne ihr Mitmachen und ohne ihre Akzeptanz werden wir die Probleme der Stadt nicht lösen können. Deshalb will die CDU die Bürger mehr in politische Entscheidungen einbeziehen, ihr Engagement für die Stadt nutzen und mit ihnen um die jeweils beste Lösung ringen.

Neuntens: Was ist zu tun? – Verkehrsminister Ramsauer hat sich geäußert. Damit hat sich der Bund festgelegt, einer der drei Gesellschafter. Herr Wowereit hat auf der Kundgebung letzten Montag in Lichtenrade deutlich gemacht, dass auch er den Lärmschutz für wichtiger hält als die Wirtschaftlichkeit. Er hat weiter erklärt, dass es von der Nordbahn keine abknickenden Flugrouten geben soll. Wir finden das richtig. Wir fordern jetzt allerdings von ihm Handeln. Ich fordere Herrn Wowereit auf, seine Aufgabe als Gesellschafter der Flughafengesellschaft wahrzunehmen, als Vorsitzender des Aufsichtsrats eine Sitzung einzuberufen und gemeinsam mit dem Bund dafür zu stimmen, dass es bei den alten Flugrouten bleibt. Ich weiß von der Deutschen Flugsicherung, dass sich diese einem solchen Wunsch der Flughafengesellschaft nicht verweigern wird. Wenn die Flughafengesellschaft die alten Flugrouten bei der Flugsicherung bestellt, bekommt sie sie auch. Herr Wowereit, der jetzt leider nicht mehr da ist, der Ball ist in Ihrem Feld, Sie können jetzt handeln, und wir messen Sie daran!

Abschließend erlauben Sie mir noch eine persönliche Bemerkung: Ich freue mich ausdrücklich über das Engagement der Bürger. Viele von ihnen sind jetzt politisch infiziert worden. Ich wünsche mir, dass sich viele von ihnen auch nach einer Rückkehr zu den alten Flugrouten weiter politisch engagieren, gleich in welcher Partei, am liebsten natürlich in der CDU.

[Lars Oberg (SPD): Um Gottes willen!]

Ich habe in der ganzen Kampagne viele kluge und politisch begabte Bürger kennengelernt. Es muss unser aller Aufgabe sein, sie für unser Gemeinwesen als politisch Aktive zu gewinnen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der CDU]

Die Große Anfrage ist damit begründet, beantwortet und besprochen.

[Zurufe]

Was, Frau Matuschek, Sie wollen auch noch? – Ach, das ist hier falsch gestrichen. Ich dachte, es sei schon so schön.

[Zuruf von Jutta Matuschek (Linksfraktion)]

Nein, wir wollen Sie aber hören! Sie haben das Wort, Frau Matuschek!

[Zuruf von der CDU]

Vielleicht wollen nicht alle Frau Matuschek hören, das stimmt, aber die Mehrheit ja und ich auch. – Deshalb, bitte, Frau Matuschek!

[Beifall bei der Linksfraktion]

Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine Damen und Herren! Herr Braun! Niemand außer Ihnen hat offensichtlich unterstellt, dass der neue Flughafen nur mit Senkrechtstartern zu betreiben ist.

[Andreas Gram (CDU): Die Idee ist nicht schlecht!]

Denn das unterstellen Sie, wenn Sie meinen, dass man zu dem neuen Flughafen am Rande der Stadt praktisch nur im Senkrechtflug hin- und wegkommen könnte.

[Andreas Gram (CDU): Der Herr Präsident hört nicht zu!]

Und im Übrigen, um in Ihrem Bild zu bleiben, der Ball liegt bei der Flugsicherung und beim Bundesminister für Verkehr, Herrn Ramsauer.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Ich erlaube mir, in meiner spätabendlichen Rede sieben Bemerkungen vorzunehmen. Das Erste: Ja, man muss noch einmal über den Standort reden. Die Standortfestlegung durch den sogenannten Konsensbeschluss war eine rein politische Machtdemonstration der CDU. Das muss man immer wieder sagen.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Es war keine Entscheidung für den Standort auf der Grundlage einer abgewogenen Planung. Der Konsensbeschluss war weit vor einem Planfeststellungsbeschluss, und es war übrigens ein Beschluss, bei dem ausschließlich der Grundsatz galt: Wirtschaftlichkeit oder Versprechen auf wirtschaftlichen Erfolg vor Lärmschutz. Denn es ging damals darum, einen Standort zu finden, der attraktiv genug für private Investoren ist, denn die sollten das Ding bauen. Es ging darum, ein Versprechen für privat zu erzielende Renditen als obersten Grundsatz durchzusetzen. Es ging dann erst darum, tatsächlich Lärmentlastungen für die Berlinerinnen und Berliner hinzubekommen. Das war der Grundsatz dieses Konsensbeschlusses. Da beißt die Maus keinen Faden ab. Das ist der Grundfehler dieser Standortsuche gewesen.

Die Standortsuche wurde anschließend, nach Abspecken dieses Projekts, durch ein rechtsstaatliches Plan

feststellungsverfahren untermauert, und in diesem rechtsstaatliches Planfeststellungsverfahren gab es 135 000 Einwendungen. Das ist ein Zeichen dafür, dass auch die Anwohnerinnen und Anwohner sehr wohl begriffen haben, dass sie die Belastungen abkriegen werden, die mit Entlastungen von Tegel und Tempelhof verbunden sind. Das ist auch Wahrheit. Aber das Ergebnis des Planfeststellungsbeschlusses ist eben auch: Im Saldo werden 200 000 Berlinerinnen und Berliner, Brandenburgerinnen und Brandenburger durch diesen neuen Standort vom Fluglärm entlastet. Hinter dieses Ergebnis des Planfeststellungsbeschlusses darf auch keine Flugroutenfestlegung zurückfallen. Das ist Grundsatz, und der muss auch bestehen bleiben.

[Beifall bei der Linksfraktion – Beifall von Christian Gaebler (SPD) und Dilek Kolat (SPD)]

Zweitens: Wir haben seit dem 20. Oktober 2009 ein ergänzendes Planfeststellungsverfahren zu Ende geführt mit einem ergänzenden Planfeststellungsbeschluss. Der wurde notwendig, weil die Lärmbetroffenheiten in dem ursprünglichen Planfeststellungsverfahren nicht zufriedenstellend geregelt werden konnten. Dann kam noch die Nachtflugregelung dazu. Dieser ergänzende Planfeststellungsbeschluss sieht vor, dass zwischen 0.00 Uhr und 5.00 Uhr ein absolutes Nachtflugverbot herrscht und weiter herrschen muss und dass die Lärmschutzzonen ausgedehnt werden mussten und nunmehr für 26 000 Haushalte Lärmschutzmaßnahmen anzuordnen und in einem Gesamtvolumen von 140 Millionen Euro zu finanzieren sind. Dieses Ergebnis darf auch nicht konterkariert werden, sondern es muss noch mal anhand der tatsächlichen Flugrouten, die dann durch das Bundesamt festzulegen sind, überprüft werden.

Dritte Bemerkung: Fluglärmgesetz. Wir haben leider erlebt, dass auch zu Zeiten rot-grüner Regierung im Bund das Fluglärmgesetz, das nach wie vor Grundlage all dieser Festlegungen ist, nicht reformiert wurde, obwohl es damals zu rot-grünen Zeiten ein Schwerpunktthema der Regierungstätigkeit auf Bundesebene war. Es ist nicht reformiert worden, und deswegen ist es nach unserem Empfinden nach wie vor unzureichend, um tatsächlich Lärmschutz zu gewähren und nicht den Schutz des Lärmemittenten vor die berechtigten Anwohnerinteressen, die die Belastungen tragen, zu stellen. Das ist ein Manko. Ich sage das nur der Ehrlichkeit halber. Ich werfe es euch nicht vor, liebe Freunde von den Grünen, wenn man nicht durchsetzen konnte, was man wollte.

Aber, was erleben wir jetzt auf der Bundesebene? Was finden wir in der jetzigen Koalitionsvereinbarung? – Da finden wir ein Aufweichen dieses unzureichenden Fluglärmgesetzes, mit der Absicht, das Nachtflugverbot noch weiter zu verwässern. Das, meine Herren von der CDU und der FDP, ist auch Ihre ganz persönliche Schuld. Warum gehen Sie nicht zu Ihren Kollegen auf Bundesebene und sagen ihnen: Könntet ihr mal bitte aufhören mit diesem Unsinn, dieses unzureichende Fluglärmschutzgesetz auch noch zu verwässern? Könntet ihr es nicht bitte mal

ein bisschen verschärfen zum Schutz der Anwohnerinnen und Anwohner?

[Beifall bei der Linksfraktion – Björn Jotzo (FDP): Ist schon längst vom Tisch!]

Viertens: Die Flugsicherung handelt verantwortungslos – es ist schon gesagt worden – mit ihrer Erklärung Anfang September, danach das Abtauchen. Genauso verantwortungslos handelt übrigens auch ein Bundesverkehrsminister, der ankommt und Machtworte spricht und danach eigentlich auch gar nichts mehr macht. Die deutsche Flugsicherung tritt hier auf mit dem, was der Bürger Behördenwillkür nennt. Das muss ein Ende haben – ein Ende haben durch das tatsächliche Eingreifen des Bundesverkehrsministers.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Dann will ich etwas zu der Fluglärmkommission sagen. Die ist jetzt durch die von den geplanten neuen Flugrouten betroffenen Gemeinden aufgestockt worden. Das ist richtig. Aber was ist das für ein Bild, dass innerhalb der Fluglärmkommission einige Gemeinden gegen die Ausweitung klagen? Was ist das für ein Bild, wenn der Chef der Fluglärmkommission ganze Bevölkerungsteile von bestimmten Ortschaften regelrecht beschimpft? Was ist das für ein Bild von einer Fluglärmkommission, die die Interessen der Region gegenüber der Flugsicherung und dem Bundesamt für Flugwesen vertreten soll? Das kann so nicht weitergehen!

Was die Bürgerinnen und Bürger von der Fluglärmkommission erwarten, ist erstens, dass sie tatsächlich alle Vorschläge zur Optimierung von Flugrouten prüfen lässt, und dass sie zweitens gegenüber der Bundesebene und der Flugsicherung geschlossen auftritt und damit auch tatsächlich eine Entlastung für die Anwohnerinnen und Anwohner, so weit es irgendwie geht, durchsetzt und sich nicht zerfleischt. So würde man nicht weiterkommen. Das gehört dann auch zur Transparenz, die von den Bürgerinnen und Bürgern zu Recht eingefordert wird – Transparenz darüber, wie viele Menschen konkret von welcher Lärmbelastung, in Dezibel gemessen, in welcher Flughöhe betroffen sind.

Natürlich muss eine – Experten kennen das – 100:100Regelung bei der Berechnung der Lärmbetroffenheit unterstellt werden. Es muss auch ein Ausweis erfolgen, welcher Höchstpegel und welcher Dauerschallpegel der Lärmbetroffenheit zu erwarten sind. Auch das sind Spitzfindigkeiten für manche, aber das sind die tatsächlichen, konkreten Betroffenheiten. Darüber Transparenz, Offenheit und Ehrlichkeit zu erlangen, ist Aufgabe der Fluglärmkommission. Darum soll sie sich kümmern und nicht zwei Stunden über eine Tagesordnung reden und dann unverrichteter Dinge auseinandergehen.

Sechste Bemerkung: Der ergänzende Planfeststellungsbeschluss hat auch festgelegt, dass die Anträge auf Schallschutzmaßnahmen von den Anwohnerinnen und Anwohnern einzureichen sind, übrigens bis fünf Jahre nach Betriebsaufnahme des BBI. Das müssen die Bürgerinnen

und Bürger wissen, und sie müssen auch wissen, dass nicht nur diejenigen, die in der farblich gekennzeichneten Fluglärmschutzzone wohnen, solche Anträge stellen können und müssen – damit sie an das Geld herankommen –, sondern auch Bürgerinnen und Bürger, die außerhalb dieser Zone wohnen, können diese Anträge stellen. Dann können sie auch entsprechende Anträge auf Lärmschutzmaßnahmen in einem Verfahren über die konkrete Lärmbetroffenheit, die durch die Betreiber des Flughafens nachgewiesen werden muss, stellen. Das müssen die Bürgerinnen und Bürger wissen. Da sollte von der Fluglärmkommission auch mehr Aufklärung betrieben werden.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Ich komme damit zum Fazit: Wir brauchen also weiterhin Transparenz. Wir brauchen weiterhin auch Fairness gegenüber Anwohnerinnen und Anwohnern. Dazu gehört auch die Aussage: Die höchste Fluglärmbelastung ist nach wie vor in Bohnsdorf, in Müggelheim, in Eichwalde und in Blankenfelde-Mahlow, dann irgendwann kommt auch mal Wannsee dran. Aber die unmittelbar Betroffenen sind in diesen genannten Ortschaften.

Wenn Sie bitte zum Ende kommen würden!

Ich bin auch beim Letzten. – Wir brauchen Offenheit über die tatsächlichen Flugrouten. Wir brauchen eine Flexibilisierung der Flugroutenkonfiguration. Dazu müssen die entsprechenden Unterlagen erstellt und veröffentlicht werden. Und wir brauchen ein ganz konsequentes Nachtflugverbot, das dann auch durchgesetzt werden muss.

[Beifall bei der Linksfraktion]