Protocol of the Session on May 20, 2010

Das sind doch keine Kinder! Das sind Jugendliche, zum Teil Erwachsene! Die sind über 18! Jetzt frage ich Sie: Wenn dieser Kontakt zu Bundeswehroffizieren scheinbar so problematisch ist, warum gehen dann immer noch große Teile der jungen Männer zum Zivildienst und lassen sich offensichtlich gar nicht beeinflussen? – Die sind in der Lage, sich eine eigene Meinung zu bilden – stellen Sie sich das vor!

[Beifall bei der SPD]

Frau Harant! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mutlu!

Frau Kollegin! Ich glaube, so einen großen Dissens haben wir gar nicht.

[Renate Harant (SPD): Eben!]

Deswegen frage ich erstens: Haben Sie den Antrag überhaupt gelesen? Zweitens: Von welchem Rundschreiben reden Sie, aufgrund dessen Schulleitungen zum Beispiel derartige Veranstaltungen der Jugendoffiziere regeln können? Von welchen Verordnungen, von welchen Rundschreiben oder Schulgesetzparagrafen reden Sie gerade?

Ich rede davon, dass sich die Schulen selbstverständlich nach außen öffnen sollen.

[Özcan Mutlu (Grüne): Das ist was ganz anderes!]

Wir wollen, dass die Schulen auch von außen Leute einladen. Das dürfen sie. Das werden sie abstimmen. Das kann die Schulkonferenz auch entscheiden. Damit ist das

Problem eigentlich gar kein Problem. Es gibt doch eine Lösung. Sie haben es doch selber zitiert, dass die Schulleitungen darüber entscheiden können.

[Beifall bei der SPD]

Im Übrigen bringen Sie hier alles durcheinander, Herr Mutlu: Jugendoffiziere ist das eine, Wehrdienstberater sind das andere. Wir wissen: Auch die Bundeswehr informiert über Berufsangebote im Rahmen von Berufsorientierung, genauso wie andere Unternehmen auch.

[Özcan Mutlu (Grüne): An Schießsimulatoren! Propaganda ist das! Das ist falsch!]

Warum ist das falsch? Das ist eine absolut legitime Form der Berufsausübung. Unsere Soldaten tun nichts Böses, Herr Mutlu!

[Beifall bei der SPD, der CDU und der FDP]

Ich habe den Eindruck, Sie verdrängen, dass die Bundeswehr ein durch das Grundgesetz eingerichtetes Staatsorgan der Bundesrepublik ist.

[Beifall bei der SPD, der CDU und der FDP]

Herr Mutlu! Die Wehrpflicht gilt für alle über 18-jährigen jungen Männer. Und es gibt in Deutschland die Möglichkeit der Wehrdienstverweigerung. Das ist eine große Errungenschaft. Ich bin stolz darauf, dass wir das haben, dass die Verweigerung möglich ist. Aber grundsätzlich gilt erst einmal die Wehrpflicht.

Unabhängig davon: Die Bundeswehr ist ein Teil dieser Gesellschaft und dieses Staates Übrigens entscheidet der Bundestag über die Bundeswehreinsätze. Wir haben hier das Primat der Politik über das Militär. Das ist die Grundlage, von der aus wir diskutieren.

Nun zu Ihrem Antrag: Sie wollen den Schulen alles vorschreiben, verbindlich regeln. Hier werden auch ganz falsche Parallelen gezogen – im Gegensatz zum Wehrdienst kann über den Zivildienst informiert werden. Gar keine Frage! Aber Sie wollen gleichberechtigte Meinungen dadurch sichern, dass immer ein Vertreter pro und ein Vertreter contra da sein muss. – Herr Mutlu! Die Konsequenz wäre: Wenn „Pro Familia“ in die Schulen kommt, dann müssen Sie gleichzeitig die katholische Kirche einladen.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Es geht nicht, dass man nur bei diesem einen Thema so agiert.

Letzter Punkt – da finde ich, gehe Sie wirklich zu weit: Sie wollen den Schülern erlauben, dass sie die Teilnahme am Unterricht verweigern können, wenn Gäste in die Schule kommen, die ihnen nicht angenehm sind – in diesem Fall also die Bundeswehroffiziere. Das heißt: Wenn ein Jugendoffizier kommt, bleibt ein Teil der Klasse weg. Und wenn der Friedensforscher kommt? – Dann kann womöglich der andere Teil wegbleiben. Ist das wirklich Ihre Auffassung von Erziehung, von Auseinandersetzung in einer pluralistischen Gesellschaft?

[Beifall bei der SPD, der CDU und der FDP]

Ich habe den Eindruck, auf der einen Seite plädieren Sie für eine Herabsetzung des Wahlalters, weil die Jugendlichen mündig sind und auch schon entscheiden können. Auf der anderen Seite haben Sie Angst, dass 17-, 18-Jährige sich so beeinflussen lassen, dass sie als politisch unreif gelten müssten. Das ist ein Widerspruch, Herr Mutlu!

[Vereinzelter Beifall bei der SPD und der FDP – Özcan Mutlu (Grüne): Lesen Sie den Antrag!]

Frau Harant! Sie haben bereits Ihre Redezeit überschritten!

Ich komme zum Schluss. – Die SPD lehnt den Antrag ab. Wir sehen eine Verrechtlichung – nichts anderes ist es – des Umgangs mit Vertretern der Bundeswehr oder anderer staatlicher und zivilgesellschaftlicher Gruppen als nicht nötig und als nicht sinnvoll an. Wir setzen auf die demokratische Kultur einer eigenverantwortlichen Schule.

[Beifall bei der SPD, der CDU und der FDP]

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Harant! – Für die CDUFraktion hat jetzt der Herr Abgeordnete Steuer das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe mich gerade gefragt, ob die Fraktion der Grünen im Abgeordnetenhaus eigentlich der gleichen Partei angehört wie die Fraktion der Grünen im Deutschen Bundestag.

[Beifall bei der CDU]

Wie Roman Herzog zutreffend feststellte, ist die Wehrpflicht ein so tiefer Eingriff in die individuelle Freiheit des jungen Bürgers, dass ihn der demokratische Rechtsstaat nur fordern darf, wenn es die äußere Sicherheit des Staates gebietet. Sie ist also kein allgemeingültiges ewiges Prinzip, sondern sie ist auch abhängig von der konkreten Sicherheitslage. Ihre Beibehaltung, Aussetzung oder Abschaffung und ebenso die Dauer des Grundwehrdienstes müssen sicherheitspolitisch begründet werden können. Die Wehrpflicht ist also eine grundgesetzlich fixierte Pflicht aller jungen Männer, aber es handelt sich nur um eine Kann-Vorschrift. Die Wehrpflicht kann deshalb jederzeit vom Deutschen Bundestag mit einfacher Mehrheit ausgesetzt werden, ohne dass dafür das Grundgesetz geändert werden müsste. Diese Definition obliegt dem Deutschen Bundestag. Wenn ich mich richtig erinnere, ist die Wehrpflicht auch unter Rot-Grün nicht ausgesetzt worden.

[Dr. Klaus Lederer (Linksfraktion): Im Gegenteil!]

Im Gegenteil: Rot-Grün und die Grünen haben in den letzte Jahren vielmals auch über Einsätze der Bundeswehr im Ausland mitabgestimmt und mitentschieden. An vielen Entscheidungen für Auslandseinsätze waren die Grünen also aktiv beteiligt.

[Dr. Klaus Lederer (Linksfraktion): Genau! Grün-grüne Bigotterie!]

So konnten sich die Soldaten der breiten Rückendeckung des Bundestages und damit der deutschen Politik sicher sein.

[Mieke Senftleben (FDP): Wo er recht hat, hat er recht!]

Und auf die Linkspartei kam es in dem Zusammenhang Gott sei Dank nicht an.

[Beifall bei der CDU]

Wer, meine Damen und Herren von den Grünen, den Einsatz der Bundeswehr will und beschließt, muss auch sagen, wer ihn führen soll. Denn trotz hochtechnologisierter Waffensysteme werden am Ende immer Menschen diese Waffen bedienen müssen, Menschen, die bereit sind, ihr Leben zu riskieren, Menschen, die dafür hoffentlich gut ausgebildet und motiviert sind.

[Zuruf von Felicitas Kubala (Grüne)]

Denn nur durch Motivation und gute Ausbildung können letztlich die Kameraden geschützt und Opfer vermieden werden. Deshalb ist es gut und richtig, dass dieser besondere Dienst für die Bundesrepublik Deutschland auch an den Schulen informieren und werben darf.

[Beifall bei der CDU]

Es geht doch nicht um Werbung für McDonalds oder ein Computerspiel an der Schule, die dort tatsächlich nichts zu suchen hat.

[Zuruf von Dr. Gabriele Hiller (Linksfraktion)]

Nein, solange wir die Wehrpflicht haben, geht es bei der Werbung an den Schulen im Interesse von uns allen darum, die Verteidigungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland zu erhalten.

[Beifall bei der CDU]