Protocol of the Session on February 25, 2010

mit den Grundsätzen der Rüffert-Entscheidung nicht, jedenfalls nicht rechtssicher vereinbar.

Aus denselben Gründen ist § 1 Abs. 4 – Mindestlohn –, diese vorgesehene Verpflichtung, ebenfalls nicht mit der Rüffert-Entscheidung vereinbar und jedenfalls nicht rechtssicher. Zusammenfassend ist gemäß diesem Gutachten daher festzustellen – ich zitiere weiter –,

dass sowohl die Tariftreueregelung im Bereich Verkehr als auch die im Vergabegesetz enthaltene Verpflichtung zur Zahlung eines dort vorgegebenen Mindestlohns im Lichte des Rüffert-Urteils europarechtlich angreifbar und insoweit mit einem nicht unerheblichen Risiko ausgestattet ist.

Ihnen wird ein weiteres Mal deutlich in das Stammbuch geschrieben: Dieses Vergabegesetz droht weiterhin nicht rechtssicher zu sein. Sie gehen sehenden Auges wiederum in einen Rechtsstreit, den der Senat verlieren kann.

Wir sind im Ergebnis nicht weiter als vor zwei Jahren, wo wir übrigens am 25. Februar im Wirtschaftsausschuss dieses Gesetz diskutiert haben. Das Vergabegesetz hat weiterhin eine falsche Fokussierung, und es ist nicht rechtssicher. Deswegen haben wir in den anstehenden Beratungen und in den Anhörungen im Ausschuss noch viel zu tun.

Herr Abgeordneter Melzer! Sie haben zwar Geburtstag, aber Sie müssen bitte trotzdem zum Ende kommen.

So, wie es momentan ausgestaltet ist, kann das Vergabegesetz zumindest nicht bleiben. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU – Beifall von Volker Thiel (FDP)]

Wunderbar! Herzlichen Dank! – Das Wort hat nun der Abgeordnete Jahnke. – Bitte!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Aktuellen Stunde haben wir schon ausführlich über das Thema Vergabe geredet, und ich hatte die Hoffnung, dass vielleicht jetzt bei der Beratung dieses Gesetzes genauso viel Einigkeit über alle Fraktionen hinweg

herrschen würde, dass es wichtig ist, bestimmte Pflöcke zu setzen, die bei der Vergabe eine Rolle spielen sollen. Dies ist aber anscheinend nicht der Fall.

Ich habe vorhin aufgenommen, dass beispielsweise durchaus die Auffassung herrschte, dass die HOAI eine wichtige Grundlage ist, um ruinösen Wettbewerb im Bereich von Architekten und Ingenieuren zu vermeiden. Komischerweise scheint es aber manche nicht zu stören, wenn es einen ruinösen Wettbewerb auf Kosten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gibt und wenn dabei Erwerbseinkommen entstehen, die nicht zum Existenzminimum führen.

Die Vereinigung der Unternehmensverbände in Berlin und Brandenburg – das hat Herr Melzer auch schon erwähnt – hat heute pünktlich mit einer Presseerklärung zum neuen Vergabegesetz Stellung genommen. Sie sieht eine Beeinträchtigung des Prinzips der effizienten Verwendung von Steuermitteln zugunsten anderer politischer Ziele wie der Schaffung von Ausbildungsplätzen, der Frauenförderung und weitreichenden ökologischen Kriterien. Herr Melzer! Sie sehen also, nicht einmal der Unternehmerverband ist der Ansicht, wir führten hier eine reine Mindestlohndebatte, wie Sie es in Ihrer fulminanten Geburtstagsrede darstellten. Natürlich kritisiert der Unternehmerverband auch die Zahlung des Mindestlohnes. So würden vergabefremde Aspekte den Gesetzentwurf des Senats dominieren.

„Vergabefremde Kriterien“ – was soll das sein? Hierin steckt eine Verengung des Vergabebegriffs auf eine bloße Preisorientierung. Alles andere ist in dieser Sichtweise vergabefremd. Wie sieht aber die Rechtslage aus? – Vergabe ist in Deutschland primär im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkung – GWB – geregelt. Demzufolge soll das wirtschaftlichste Angebot – was nicht das billigste sein muss – zum Zuge kommen. In § 97 Abs. 4 GWB ist ausdrücklich geregelt, dass über die Kriterien der Leistungsfähigkeit, Fachkunde, Zuverlässigkeit und Gesetzestreue hinaus weitere Anforderungen an den Bewerber gestellt werden können, sofern dies durch Bundes- oder Landesgesetz geregelt ist.

Das Land Berlin macht von dieser Möglichkeit Gebrauch, indem es – wie andere Bundesländer auch – ein eigenes Ausschreibungs- und Vergabegesetz verabschiedet. Der öffentliche Auftraggeber hat also durchaus das Recht, darüber zu befinden, zu welchen sozialen und ökologischen Bedingungen die Güter und Dienstleistungen erstellt werden, die für die öffentliche Hand eingekauft werden. Dies sind somit keineswegs vergabefremde Kriterien, sondern im deutschen Vergaberecht legitime Anforderungen an einen potenziellen Auftragnehmer.

[Vereinzelter, dann stärker werdender Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Das ist ein kräftiger Applaus. – Es geht uns etwas an, ob die vom Land Berlin beschafften Güter und Dienstleistungen unter umweltverträglichen Bedingungen erzeugt werden, ob die ILO-Kernarbeitsnormen beachtet werden,

ob Frauenförderung stattfindet oder ob ausgebildet wird. Und es ist legitim, dafür Sorge zu tragen, dass durch Berliner Aufträge keine Arbeitsplätze entstehen, die mit Hungerlöhnen bezahlt werden.

[Beifall bei der SPD, den Grünen und der Linksfraktion]

Ja, es ist wahr! Die politischen Mehrheitsverhältnisse auf Bundesebene lassen es derzeit nicht zu, landesweite Mindestlöhne durchzusetzen, wie sie in mehr als 20 EUStaaten problemlos funktionieren, ohne Arbeitsplätze zu vernichten, ohne die Tarifautonomie auszuhebeln und was sonst alles unterstellt wird. Aber wir können bei den Aufträgen des Landes Berlin schon durchsetzen, dass zumindest ein Lohn von 7,50 Euro gezahlt wird und nicht menschenunwürdige Hungerlöhne. Wir werden hierzu im Wirtschaftsausschuss ein Anhörung durchführen. Wir wollen die Meinungen von Expertinnen und Experten in das Gesetzgebungsverfahren einbringen. Ich freue mich auf diese Diskussionen und danke Ihnen jetzt erst einmal für die zahlreiche Aufmerksamkeit. – Danke!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Jetzt hat Herr Abgeordneter Ratzmann das Wort. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich kann meinem Vorredner in einem Punkt einfach nur zustimmen: Es ist die legitime Aufgabe eines öffentlichen Auftraggebers und damit unsere Aufgabe, sich Kriterien zu geben, nach denen milliardenschwere Aufträge in diesem Land vergeben werden. Das ist nicht nur eine Notwendigkeit, sondern auch eine Herausforderung, der wir uns in der heutigen gesellschaftlichen Entwicklung zu stellen haben.

[Beifall bei den Grünen]

Ich glaube, der Wirtschaftssenat hat in dem Gesetzentwurf völlig richtig als Problemaufriss dargestellt, dass wir beobachten können, dass sich in fast allen wirtschaftlichen Sektoren der zunehmende Einsatz von Kräften aus dem Niedriglohnsektor breitmacht. Ich füge hinzu: Wir haben in der Vergangenheit auch gesehen, dass selbst der Senat von Berlin nicht davor gefeit ist. Ich erinnere nur an die muntere Debatte über den Einsatz von Sicherheitskräften, die im Einsatz für das Land Berlin weit unter dem Mindestlohn entlohnt werden. Auch aus diesem Grund ist es richtig, sich diesem Problem zu stellen und im Vergabegesetz Regelungen dazu aufzunehmen.

[Beifall bei den Grünen]

Wir wissen, wir können diese Debatte – Herr Melzer, da muss ich leider Ihnen und auch Herrn Amsinck widersprechen – nicht einfach nur darauf verkürzen, dass wir sagen: Wir müssen dafür sorgen, dass immer das billigste Angebot den Zuschlag erhält. – Das billigste Angebot ist

in der Tat nicht immer das wirtschaftlichste, und wir wissen, dass wir als öffentliche Hand gerade in der jetzigen Situation als Vorbild, als wirtschaftlicher Motor eine Aufgabe zu erfüllen haben, und die müssen wir transparent, nachvollziehbar und diskriminierungsfrei lösen. Dazu gibt es das Vergabegesetz, und deshalb werden wir in das Vergabegesetz die notwendigen Kriterien aufzunehmen haben.

[Beifall bei den Grünen – Beifall von Frank Jahnke (SPD)]

Nach unserem Dafürhalten sind in einigen Bereichen noch viel zu wenig klare Kriterien für diese Sektoren aufgenommen. Die Formulierung, die es in Beschaffungsmaßnahmen quasi den Auftraggebern anheimgibt, mal zu gucken, ob man nicht Umweltstandards zu berücksichtigen hat, ist uns noch viel zu lax. Unsere Bremer Freundinnen und Freunde haben eine viel striktere Regelung in das bremische Vergabegesetz aufgenommen. Ich glaube, wir werden im Ausschuss darüber streiten müssen, ob wir diese Kriterien und vor allen Dingen die Kontrolle und das Einhalten dieser Kriterien nicht viel strikter auch im Gesetz regeln müssen. Dafür jedenfalls werden wir eintreten.

[Beifall bei den Grünen]

Ich konstatiere dem Senat für seine Vorlage gern, dass die Rechtslage nach dem Rüffert-Urteil äußerst schwierig geworden ist. – Herr Melzer! Auch hier muss ich Ihnen sagen: Wer in dieser Situation vor den Herausforderungen, wie ich sie gerade geschildert habe, meint, man könne einen Gesetzentwurf vorlegen, der absolut rechtssicher ist, für den Sie den Garantiestempel geben können, dass er wirklich allen Anforderungen gerecht wird, der verspricht etwas, was er nicht halten kann. Wir werden anhand des Gutachtens des wissenschaftlichen Parlamentsdienstes, das Sie in Auftrag gegeben haben, sicherlich darüber zu diskutieren haben, inwieweit wir einzelne Formulierungen und Regelungen klarer fassen müssen. Aber ich sage Ihnen: Gerade die Frage der sozialen Standards ist alle Mühe und alle Versuche wert, hier klare Regelungen in die gesetzliche Lage einzuziehen. Wir sehen doch gerade die Debatte, die durch diese Republik geistert. Es ist doch geradezu unerträglich, wie ein Außenminister versucht, die Axt an den Sozialstaat zu legen. Deshalb müssen wir alles unternehmen, um dieser Debatte etwas entgegenzusetzen, und sei es, dass wir die Möglichkeiten auf Landesebene nutzen, einen Mindestlohn zumindest ansatzweise zu fixieren. Das ist den Schweiß der Edlen wert, und wir werden uns dieser Aufgabe nicht verweigern.

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der Linksfraktion]

Ich finde es unerträglich, wie ein FDP-Außenminister hier in die Fußstapfen von einem Haider und einem Pim Fortuyn tritt und versucht, eine populistische Debatte und einen Flächenbrand in der Republik anzuzünden. Dem müssen wir uns alle entgegenstellen, sonst wird der Sozialstaat in unserer Demokratie nicht mehr die Aufgabe als ausgleichende Funktion erfüllen können. Wir sind je

denfalls bereit, im Land Berlin alles dafür zu tun, was notwendig ist. – Vielen Dank!

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der Linksfraktion]

Danke schön, Herr Kollege Ratzmann! – Der Kollege Thiel hat nunmehr das Wort für die FDP-Fraktion. – Bitte schön, Herr Thiel!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Herr Ratzmann! Ich weiß nicht, was das Bashing von Herrn Außenminister Westerwelle mit dem Vergabegesetz und mit Ihren Ausführungen zu tun hat.

[Volker Ratzmann (Grüne): Ist er denn noch Außenminister? – Weitere Zurufe von den Grünen]

Ich werte das mal so, dass Ihre mangelnde Wirtschaftskompetenz Sie dazu verleitet hat, sich auf diesen Nebenkriegsschauplatz zu begeben, denn da sind Sie wahrscheinlich stärker als in der vernünftigen Argumentation wirtschaftspolitischer Themen.

[Beifall bei der FDP]

Man kann so etwas machen, dann muss man aber auch riskieren, dass man auch wieder was einstecken muss. So ist das nun mal.

Ob dieses Gesetz, das hier vorgelegt wird, wirklich gerichtsfest ist, kann ich nicht beurteilen. Aber ich kann zumindest die Frage stellen, wie weit nicht auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Hartz-IV-Gesetzen auch hier in irgendeiner Form eine Bedeutung haben könnte in der Art, dass nämlich vom Verfassungsgericht festgestellt worden ist, es müssen bei Hartz IV durchaus auch Einzelfallentscheidungen vorgenommen werden. Ich frage mich, ob die Forderung nach einem flächendeckenden Mindestlohn dann tatsächlich die letzte Erkenntnis ist oder ob man nicht dahin gehen müsste, sich zu überlegen: Wir brauchen, wenn wir über so etwas diskutieren, viel mehr Regionalisierungen, denn die Lebenshaltungskosten in bestimmten Gegenden unserer Republik sind nun mal unterschiedlich.

Ich möchte Ihnen gern, weil es wohl das Zentralanliegen bei dieser Gesetzesvorlage war, einen Mindestlohn zumindest in der Vergabe und Ausschreibung festzuschreiben, drei Aspekte näherbringen, die ich im Hinblick auf einen Mindestlohn zumindest problematisch finde. Zum einen gibt es betriebswirtschaftliche Aspekte, die hier gar nicht beachtet werden. Lohn ist ein Kostenbestandteil. Wenn ich den Lohn erhöhe, dann werde ich natürlich versuchen, irgendwo diese Mehrkosten, die ich habe, zu kompensieren. Das kann ich auf dem Markt durch höhere Preise machen. Ich werde es nicht dadurch machen kön

nen, dass ich mein Angebot beliebig erhöhe, denn dann falle ich ja wahrscheinlich wieder heraus. Oder ich kann es so machen – das haben wir bei Tarifverträgen erlebt, die im Hinblick auf die Produktivität grenzwertig wa- ren –, dass es zu einer unerträglichen Arbeitsverdichtung kommt. Sie kriegten mehr Geld, und gleichzeitig kriegten sie massiv mehr Aufträge, die sie innerhalb einer bestimmten Zeit durchführen sollten. Altbekannt – auch davor ist niemand gefeit – würden höhere Lohnkosten u. U. dazu beitragen zu überlegen, menschliche Leistungen durch Maschinenleistungen zu ersetzen. Dann haben wir den Effekt der Rationalisierung. Oder aber – was keiner voraussehen kann – ich werde andere Kostenbestandteile meiner Kalkulation zur Prüfung freigeben, beispielsweise Kosten der Forschung und Entwicklung. Das kann es nicht sein, das wollen wir nicht.

Volkswirtschaftlich würde ein Mindestlohn von 7,50 Euro – wie Sie es jetzt gern hätten, oder aber, Herr Klemm, Sie sind ehrlich, Sie sagen, lieber 8,50 Euro – Auswirkungen haben. Das DIW hat 2008 festgestellt: 200 000 Arbeitsplätze im Niedriglohnbereich werden wegfallen. 17 Prozent aller Beschäftigten sind davon betroffen. – Heute können Sie in der „FAZ“ lesen, ein Mindestlohn von 8,50 Euro würde den Wegfall von 1,22 Millionen Arbeitsplätzen und jährliche Zusatzkosten von 6 Milliarden Euro bedeuten. Wenn Sie das wollen, dann müssen Sie auch sagen, wie Sie das finanzieren und vor allen Dingen, wie Sie mit dem endgültigen Verlust von Arbeitsplätzen im Niedriglohnbereich umgehen wollen.

[Beifall bei der FDP und der CDU]

Politisch – das hatte ich anderer Stelle schon mal intensiver ausgeführt – widerspricht ein Mindestlohn der Idee der sozialen Marktwirtschaft. Sie werden eines erreichen, auch wenn Sie es gar nicht wollen: In dem Moment, wo Sie einem Akteur, nämlich hier einseitig den Arbeitgebern, Sozialleistungen überstülpen, die bislang die Gemeinschaft getragen hat, tragen Sie dazu bei, dass wir die Diskussion über den Sozialstaat wieder führen, und zwar gerade deswegen. Es gibt keinen Sozialstaat in ganz Europa, der sich beides leistet, eine hohe Sozialverantwortlichkeit staatlicherseits und andererseits Mindestlöhne. Gucken Sie nach Großbritannien, gucken Sie nach Dänemark!

Wenn Sie wollen, dass es eine Arbeitsverpflichtung gibt, der Sie nachzukommen haben, dann sagen Sie das, dann diskutiere ich auch gerne mit Ihnen über die Einführung von Mindestlöhnen – ich will beides nicht.

[Beifall bei der FDP]

Es wurde schon darauf hingewiesen, die Erweiterung von Kriterien bei der Vergabe führt tendenziell dazu, dass kleinere Unternehmen Probleme haben werden, sich an Vergaben zu beteiligen. Auf jeden Fall führt es zu einem: Mehr Kriterien bedeuten mehr Kontrollpflichten, mehr Kontrollpflichten bedeuten automatisch mehr Bürokratie – auch das wollen wir nicht.