Protocol of the Session on January 28, 2010

Es haben sich bis auf Bayern und Baden-Württemberg auch alle Sozialminister darauf geeinigt, aber es kam anders. Die Geschichte ist bekannt. Die CDUBundestagsfraktion stoppte den Kompromiss und die Grundgesetzänderung, die eine Weiterarbeit der Jobcenter ermöglicht hätte. Nach der Bundestagswahl haben sich CDU und FDP auf die getrennte Aufgabenwahrnehmung verständigt – auf die denkbar schlechteste aller Lösungen. Dann gab es ein kurzes Stocken in dem Verfahren, weil der neue Arbeitsminister Jung, der von der Materie keine Ahnung hatte, wegen der Kundus-Affäre alsbald zurücktrat. Nun kommt Super-Nanny von der Leyen mit einem neuen Gesetzentwurf, der auch dringend nötig ist, weil Ende des Jahres die Frist ausläuft.

Vier Lösungen hätte es gebeben: Zum einen den Weg, den wir vorgeschlagen haben – die Grundgesetzänderung, eine Absicherung der Jobcenter und die Möglichkeit, jetzt weiterzuarbeiten. Man hätte auch eine Kommunalisierung in Betracht ziehen können. Ich glaube, die Südländer sind große Fans dieser Idee. Als Berlinerinnen und Berliner, wo man nicht weiß, ob das Geld auch langfristig vom Bund zugesichert wird, würde ich das skeptisch sehen. Der Bund hätte die Aufgabe an sich ziehen können – die SPD war einmal ein Fan davon. Ich meine, dass die Kommune mit ihrer Sozialkompetenz durchaus bei der Förderung von Erwerbslosen dabei sein sollte.

Die letzte Möglichkeit ist die getrennte Aufgabenwahrnehmung. Der Bund ist zuständig für die Auszahlung der Hilfe zum Lebensunterhalt und für die Arbeitsmarktpolitik. Die Kommune zahlt die Wohnkosten aus. Für Letzteres hat man sich dann entschieden, wie ich finde aus ideologischen Gründen und weil es für die Bundesregierung der geringste Aufwand ist. Ich will auch erklären, warum es die reinste Ideologie ist, die bei der Bundesregierung hier durchkommt: weil eben keine saubere Trennung vollzogen wird. Denn es soll weiterhin die Zusammenarbeit zwischen Bundesagentur und Kommune geben. Diese soll es aber freiwillig geben, und sie soll auf lokaler Ebene vereinbart werden.

Wenn man die Zusammenarbeit aber wirklich sichern will, warum geht man dann nicht den sauberen Weg, den wir hier vorschlagen, nämlich das Grundgesetz zu ändern? – Weil man das ideologisch nicht will, und aus keinem anderen Grund!

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Statt mit einer rechtssicheren Lösung sollen alle Probleme mit freiwilligen Kooperationsvereinbarungen gelöst werden. Die offenen Fragen sind gewaltig. Zu ihrer Klärung hat die Bundesregierung bis heute nichts beigetragen.

Die Frage der gemeinsamen Liegenschaften: Wie regelt man das? Wird die Kommune Untermieter bei der Bun

desagentur? Geht man in getrennte Ämter, wo gerade in Neukölln ein riesiges neues Jobcenter angemietet worden ist? – Keine Antwort! Nutzt man die gleiche Software? Müssen wir als Kommune zukünftig Nutzungsgebühren zahlen, oder müssen wir uns eine andere Software anschaffen, die ähnlich schlecht ist wie A2LL? Hat man dann andere Ergebnisse, die hinterher nicht zusammenpassen? Wie sieht das aus? Was passiert mit dem Personal – immerhin arbeiten 1 700 kommunale Mitarbeiter in den kommunalen Jobcentern? Gibt es einen Betriebsübergang? Wollen diese Menschen das überhaupt? Kommen Sie alle zurück zu uns? – Das weiß kein Mensch. Die Motivation in den Jobcentern schwindet. Niemand weiß, wie es weitergehen soll. Ich glaube, dass das kein Zustand ist. Es gibt Chaos. Es gibt mehr Bürokratie. Es gibt noch mehr Fragen, die uns in den nächsten Monaten sicher alle beschäftigen werden.

Aber ich will noch eines sagen: Alles Jammern nützt irgendwann auch nicht mehr. Wenn dies Gesetz ist, muss man das umsetzen. Dann möchte ich nicht erleben, wie dies Anfang 2004 geschehen ist, als das SGB II eingeführt worden ist und die rot-rote Landesregierung sagte: Daran machen wir uns die Hände lieber nicht schmutzig! Das möchte ich diesmal nicht erleben, weil es darum geht, 570 000 Menschen ab dem 1. Januar zu garantieren, dass sie ihre Leistungen erhalten. Das ist man diesen Menschen auch schuldig. Da ist der Senat in der Pflicht – so schlimm die Rahmenbedingungen auch sind –, tatsächlich hinzubekommen, dass es ab dem 1. Januar vernünftig läuft und kein großes Chaos produziert wird. – Vielen Dank!

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Pop! – Für die FDPFraktion hat jetzt Herr Abgeordneter Lehmann das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Man muss sich mal genüsslich anschauen, was für ein Koalition sich da zusammengetan hat, um mit diesem Entschließungsantrag gemeinsam arbeitsmarktpolitische Inkompetenz und Ignoranz zu zeigen.

[Beifall bei der FDP]

Das sind auf der einen Seite diejenigen, die eine sinnvolle und für das Weiterbestehen unseres Sozialstaats dringend notwendige Reform so schlampig durchgeführt und in den Sand gesetzt haben. Diese Reform wurde zudem vom Bundesverfassungsgericht aufgrund der praktizierten Mischverwaltung für grundgesetzwidrig erklärt. Viele, nicht nur in meiner Partei, hatten auf eine mögliche Verfassungswidrigkeit hingewiesen, als sich die Reform noch im politischen Entscheidungsprozess befand. Es war schon ein starkes Stück, dass der rot-grüne Gesetzgeber

seinerzeit die vielen Warnungen ignoriert hatte, was dann auch noch unter Rot-Schwarz fortgesetzt wurde.

Auf der anderen Seite ist der hier vorliegende Antrag von der PDS/Linkspartei unterzeichnet – der Partei, die die Arbeitsmarktreform am stärksten bekämpft und in den letzten Jahren mit den Ängsten der betroffenen Menschen in unverantwortlicher Weise gespielt hat. Diese glorreichen Drei wollen uns jetzt erklären, wie die Jobcenter organisiert werden müssen und wie die Betreuung und Vermittlung von Langzeitarbeitslosen erfolgreich durchgeführt werden kann. Haha!

[Beifall bei der FDP]

Rot-Grün auf der Bundesebene und Rot-Rot in Berlin haben bei der Umsetzung der Reform kläglich versagt. Warum stellen Sie denn die gemeinsame, verfassungswidrige Aufgabenwahrnehmung durch Bundesagentur und Kommunen als einzig seligmachende Möglichkeit hin? Ich habe viele Ausschusssitzungen in Erinnerung, in denen wir uns einig waren, dass etwas mächtig schief läuft in dem Modell, dessen Erhalt Sie so vehement fordern. Was ist mit den vielen beim Sozialgericht anhängigen Klageverfahren und den überforderten und alleingelassenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Jobcenter, die zu wenig Zeit haben, sich um die Betreuung und Vermittlung zu kümmern? Ist Ihnen noch nie in den Sinn gekommen, dass viele dieser Missstände wegen der praktizierten Mischverwaltung entstanden sind? Es handelt sich um zwei Verwaltungskulturen und -strukturen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Viele der bei den Sozialgerichten anhängigen Verfahren beziehen sich auf die Kosten der Unterkunft. Ich bin mir sicher, dass sich das verbessern wird, wenn künftig ganz klar ist, dass dafür die Kommunen zuständig sind – egal, ob in getrennter Aufgabenwahrnehmung oder im Optionsmodell.

[Beifall bei der FDP]

Interessant sind auch die Logik und das Verfassungsverständnis, die die Koalition der Antragsteller hier an den Tag legen: Wenn mir das Verfassungsgericht eine Verfassungswidrigkeit nachweist, ändere ich nicht mein Verhalten, sondern passe das Regelwerk einfach meinem Verhalten an. – Was ist das für eine politische Kultur oder eher Unkultur?

[Beifall bei der FDP]

Das ist verfassungspolitisch äußerst bedenklich.

Sie jammern, es gäbe zukünftig keine Hilfe aus einer Hand mehr. Nur so könne eine bürgerfreundliche, leistungsfähige und möglichst unbürokratische Aufgabenwahrnehmung gewährleistet werden. – Da bin ich durchaus ein gutes Stück bei Ihnen. Nur zieht meine Partei daraus andere Konsequenzen als Sie von der rot-rotgrünen Koalition.

[Ramona Pop (Grüne): Aber auch dazu müsste man die Verfassung ändern, Herr Lehmann!]

Wir sind der festen Überzeugung, dass die Vermittlung und Betreuung von Langzeitarbeitslosen in die Hände der Kommunen gehört.

[Beifall bei der FDP]

Das würde die von Ihnen geforderte Hilfe aus einer Hand sicherstellen. Zudem sind die Kommunen viel eher geeignet, auf unterschiedliche regionale Arbeitsmärkte zu reagieren als eine große Behörde wie die Bundesagentur oder die Mischverwaltung der bisherigen Arbeitsgemeinschaften. Die Kommunen hätten es am ehesten in der Hand, durch Wettbewerb innovative Modelle der Arbeitsvermittlung zu entwickeln – vorausgesetzt, sie werden nicht von einer rot-roten Koalition regiert.

[Beifall bei der FDP]

Bereits jetzt beweisen 64 sogenannte Optionskommunen, dass sie sich erfolgreich um Langzeitarbeitslose kümmern können. Selbst eine so große Kommune wie Hamburg erwägt für sich das Optionsmodell. Zeigen auch Sie endlich Mut!

Wenn Ihnen die viel zitierte Hilfe aus einer Hand wirklich ernst ist, sollten Sie unserem Ersetzungsantrag zustimmen.

[Burgunde Grosse (SPD): Niemals!]

Das wäre im Interesse der arbeitslosen Menschen, der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den bisherigen Jobcentern und im Interesse eines funktionierenden Arbeitsmarktes, den diese Stadt so dringend braucht. – Vielen Dank!

[Beifall bei der FDP]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Lehmann! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die sofortige Abstimmung wurde beantragt. – Ich bitte die stehenden Damen und Herren, ihre Plätze einzunehmen! Das erleichtert uns hier oben die Arbeit.

Zuerst lassen ich über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU Drucksache 16/2930-1 abstimmen, der den Antrag Drucksache 16/2930 ersetzen soll. Wer diesem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die CDU-Fraktion. Die Gegenprobe! – Das sind die Koalitionsfraktionen und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Das ist die Mehrheit. Enthaltungen? – Das ist die FDP-Fraktion. Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt.

Dann stimmen wir über den Änderungsantrag der Fraktion der FDP ab. Das ist die Drucksache 16/2930-2, eine Änderung mit neuer Überschrift und neuer Textfassung. Wer diesem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die FDP-Fraktion. Die Gegenprobe! – Das sind alle anderen Fraktionen. Das ist die Mehrheit. Enthaltungen sehe ich nicht. Damit ist auch dieser Änderungsantrag abgelehnt.

Nun stimmen wir über den Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen und der Grünen Drucksache 16/2930 ab. Wer diesem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Koalitionsfraktionen und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Das ist die Mehrheit. Die Gegenprobe! – Das sind die Fraktionen der CDU und der FDP. Enthaltungen sehe ich nicht. Damit ist der Entschließungsantrag angenommen.

Ich rufe nun die Priorität der FDP auf, nämlich die

lfd. Nr. 4 b:

Der Charité eine Zukunft geben!

Antrag der FDP Drs 16/2895

Für die Beratung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt die antragstellende Fraktion der FDP. Der Abgeordnete Gersch hat das Wort. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir sollten uns in diesem Haus eigentlich über zwei Dinge einig sein, wenn es um die Charité geht: erstens über ihre herausragende Bedeutung für Berlin und zweitens über ihren kritischen Zustand. Wenn es um die Lösung geht, könnte es kontrovers werden. Bisher warten wir allerdings vergeblich auf Konzepte anderer, die wir hier diskutieren könnten.

[Beifall bei der FDP]

Die Charité leistet für die Krankenversorgung Berlins als Forschungs- und Ausbildungsstätte einen nicht zu unterschätzenden Beitrag. Sie ist außerdem ein Kristallisationskern des wichtigsten Standortfaktors Berlins, der Gesundheitswirtschaft. Umso unbegreiflicher sind Mut- und Ideenlosigkeit des rot-roten Senats im Umgang mit der Charité. Als Folge dieser Politik ist sie in einer existenziell bedrohlichen Lage. Die Charité ist am Ende der Sackgasse angekommen, in die sie 2003 von Rot-Rot hineingesteuert wurde.

[Beifall bei der FDP]

Das strukturell bedingte Defizit kann allerdings kurzfristig durch Raubbau an Forschung und Qualität kosmetisch geliftet werden. Tatsächlich kannibalisiert sich die Charité ausgerechnet dort, wo der Kern ihrer Daseinsberechtigung liegt, in der Forschung. Die Arbeitsbedingungen sind suboptimal. Die Lehrstühle können nicht adäquat ausgestattet werden und sind länger unbesetzt als an jeder anderen medizinischen Fakultät in Deutschland. Medizinische Geräte sind doppelt so alt wie im Bundesdurchschnitt. Der Investitionsstau ist Schwindel erregend und aus dem Berliner Haushalt nicht annähernd zu bestreiten. Infrastruktur- und Instandhaltungskosten liegen über allen Normen, und jeder Tag ohne Investitionen ist ein Raubbau an der personellen und infrastrukturellen Substanz.

[Beifall bei der FDP]

Mitarbeitern und Vorstand der Charité gebührt nach unserer Ansicht Respekt, und zwar dafür, dass sie bei schwierigen Bedingungen immer wieder versuchen, das Optimum zu leisten. Aber was tut der Senat? – Termine für das groß angekündigte Senatskonzept werden immer wieder verschoben, als hätte die Charité alle Zeit der Welt. Das Schwarze-Peter-Spiel zwischen Wissen schafts-, Finanz- und Gesundheitsverwaltung wird von Tag zu Tag absurder. Seit Jahren lässt der Senat die Mitarbeiter der Charité in Unsicherheit über ihre Zukunft. Die gerade für Forschung und klinische Investitionen nötige Planungssicherheit schwindet mehr und mehr. Das alles ist nicht länger zumutbar.

[Beifall bei der FDP]