Es gibt keine Zweifel daran, dass Rot-Rot Straftaten bekämpft, egal woher sie kommen. Nicht geschenkt ist die Analogie zum Runden Tisch gegen Rechtsextremismus. Es war ein hohes Gut, das die im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien – übrigens selbstorganisiert, nicht
beschlossen durch das Abgeordnetenhaus und nicht angesiedelt bei einer Senatsverwaltung – einen Runden Tisch gegen Rechtsextremismus eingerichtet hatten. Er sollte unter anderem verdeutlichen, dass die hier vertretenen demokratischen Parteien keinerlei Relativierungen nazistischer und rechtsextremer Verbrechen durch NPD und Kameradschaften zulassen wollen. Mit der von Ihnen gewählten Analogie zwischen Links- und Rechtsextremismus, zwischen Leuten, die schwere Straftaten begehen, indem sie Autos anzünden oder Steine werfen, und Leuten, die die industrielle Massenvernichtung von Juden rechtfertigen, die Asylbewerberheime und Wohnhäuser türkischstämmiger Mitbürger angezündet haben, öffnen Sie der Relativierung nazistischer Verbrechen Tür und Tor.
Entschuldigung, Herr Abgeordneter Wolf! Ihre Redezeit ist bereits abgelaufen. Würden Sie bitte zum Schluss kommen?
Mein letzter Satz: Sie begehen da – ich drücke mich vorsichtig aus – einen politisch sehr gefährlichen Weg. Es wäre schön, wenn Sie wenigstens in dieser Frage auf den Teppich kommen würden!
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Wolf! – Für die FDPFraktion hat jetzt der Abgeordnete Dr. Lindner das Wort.
Frau Präsidentin! Verehrten Damen! Meine Herren! Wir erleben in Berlin seit Jahren eine Erosion des Rechtsstaates.
Der normale Bürger, der morgens aufsteht und Steuern zahlt, sich im Wesentlichen rechtstreu verhält, bei dem zeigt sich bereits bei kleinen Rechtsüberschreitungen die Staatsmacht.
Fünf Minuten Falschparken, ein Heizpilz vor einer Gaststätte: Das Ordnungsamt ist zur Stelle. Drei Tage zu spät seine Steuervorauszahlungen abgeliefert: Das Finanzamt kommt mit Säumniszuschlag. Das Bauamt und Denkmalamt prüfen die pixelgenaue Darstellung der Fassadenfarbe und die Breite der Kellertür. Das Grünflächenamt kommt sofort, wenn ein etwas dickerer Ast ohne Genehmigung abgeschnitten wird. Polizei und irgendein Amt sind immer zur Stelle.
Wer sich in der Stadt allerdings nur asozial und kriminell genug verhält, dem schlägt Milde entgegen, dem passiert oftmals gar nichts.
Heute steht in der Zeitung: Berlin zieht Sprayer aus ganz Europa an. Warum wohl? Weil wir hier so konsequent gegen diese Schmierereien vorgehen? Oder weil dies hier ein Eldorado für Graffity-Schmierereien ist?
In dieser Stadt wird es monate- und jahrelang hingenommen, dass fast täglich Busfahrer zusammengeprügelt werden, obwohl es technische Möglichkeiten gibt, die Menschen zu schützen. Ich sage hingenommen, nicht gewollt an dieser Stelle. Aber bei vielen hat sich der Eindruck verfestigt, der Senat, Linke und SPD stehen eher aufseiten Kleinkrimineller als aufseiten von Normalbürgern.
Dieser Eindruck entsteht bei einer solchen inkonsequenten Verhaltensweise. Und bei linker Gewalt kommt bei Teilen der Koalition noch klammheimliche Freude und teilweise Billigung dazu.
Der Rechtsextremismus wird in Berlin von allen entschlossen und konsequent bekämpft. Das ist richtig und gut so. Wir schulden es nicht nur unserer Geschichte, sondern allen Menschen in dieser Stadt, dass niemand zum Beispiel wegen seiner Hautfarbe, seiner Religion oder seiner sexuellen Orientierung angefeindet, angepöbelt, beleidigt, geprügelt oder sonst wie geschädigt wird. Wir schulden es aber auch allen Menschen in dieser Stadt, dass niemand wegen seiner Kleidung, Automarke oder seines Restaurantgeschmacks angefeindet, angepöbelt beleidigt, geprügelt oder sonst wie geschädigt wird,
oder nur, weil er nicht ins Bild eines politisch korrekten „Homo mons crucis“ – gemeinhin: der Kreuzberger – hineinpasst.
Ich nenne Ihnen Beispiele linker Gewalt, wie sie in einer besonderen Weise hier zu bemerken sind: Das geht mit der Beschädigung von Sachen los und geht weiter mit Buttersäureanschlägen auf Restaurants und Aktionen gegen eine McDonald’s-Filiale in Kreuzberg.
Lieber Kollege Ratzmann! Ich habe Ihr heutiges Interview mit großem Interesse gelesen. Ich glaube Ihnen persönlich durchaus, dass Sie ernsthaft gegen Aktionen gegen gute Restaurants, schöne Autos und Anzüge sind.
Ich glaube Ihnen auch, dass Sie gegen irgendeine Art von Bezirkstaliban sind. Aber wie sieht es mit dem Großajatollah Ströbele aus?
Ist der auch so tolerant? Der steht doch als Erster vor dem McDonald’s, so intolerant und unliberal wie er ist.
Man muss sich umgekehrte Beispiele bilden: Stellen Sie sich vor, es gäbe in irgendeinem Bezirk eine von einem bürgerlichen Bundestagsabgeordneten angeführte Demonstration gegen eine Dönerbude, weil man dort lieber nur Schwarzwaldlokale oder Pfälzer Weinstuben hätte.
Was glauben Sie, was in dieser Stadt los wäre? – Man hätte zu Recht Zweifel an der demokratischen Gesinnung dieses Kollegen.
Zu den Maidemonstrationen sage ich Ihnen ganz klar: Die FDP will keine repressive Staatsmacht bei Demonstrationen. Wir wollen ein liberales Versammlungs- und Demonstrationsrecht.
Wir wollen keine lummersche Innensenatorenpolitik. Es gibt aber eine Grenze. Das, was in den letzten Jahren geschehen ist, war schlicht Laxheit gegenüber kriminellem Pack und nichts anderes.
Das entscheide gar nicht ich, sondern der vernünftige Menschenverstand. Wenn jemand durch die Gegend zieht und Gegenstände auf Polizisten wirft, die den Tod herbeiführen können, dann ist das keine Frage meiner Prärogative, sondern nur eine des gesunden Menschenverstands, Frau Kollegin. Das sagt einfach nur die Mitmenschlichkeit und der gesunde Menschenverstand. Wenn das bei Ihnen nicht angekommen ist, ist das mehr Ihr Problem als meines.
Auch zu den Brandanschlägen auf Autos bilde ich ein Gegenbeispiel: Wenn ich höre, dass es aus dem Bereich des Polizeipräsidenten und von Ihnen gebilligt, Herr Senator, heißt: Na ja, wer mit einem größeren Auto einer bestimmten Marke in gewisse Viertel fährt, provoziert und sollte das lieber lassen. –, dann stellen Sie sich einmal vor, Herr Körting, ein ähnlicher Spruch käme gegenüber einem Homosexuellen: So provozierend, wie du hier herumläufst, solltest du dich nicht in bestimmten Gegenden aufhalten. – Das würde zu Recht einen Aufschrei der Empörung in dieser Stadt herbeiführen.
Die Staatsmacht hat sicherzustellen, dass sich jeder überall ungefährdet aufhalten kann – ob mit Punkfrisur oder Nadelstreifenanzug, ob mit Fahrrad oder Mercedes, ob im Sushilokal oder in der Dönerbude. Das haben Sie sicherzustellen, Herr Körting!
Ich bin übrigens auch dafür, dass sich der Innensenator überall aufhalten können sollte und nicht genötigt ist, die Flucht zu ergreifen.