Protocol of the Session on June 11, 2009

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie haben sehr ausführlich und schriftlich die Antworten zu Ihren Fragen erhalten. Da es um eine Debatte hier im Haus geht, lassen Sie mich dennoch einige Punkte hervorheben.

Wir haben in den letzten Monaten viel über die Zukunft der Opern diskutiert, über das Humboldt-Forum und das Konzept zum Mauergedenken. Ich bin froh, dass wir heute Gelegenheit haben, ein anderes wichtiges kulturpolitisches Thema zu debattieren, die Literatur. Wo steht Berlin zwanzig Jahre nach der friedlichen Revolution und dem Fall der Mauer? Welchen Stellenwert hat die Literatur für Berlin als Metropole in der Mitte Europas?

Berlin übt eine enorme Anziehungskraft auf deutsche und internationale Autoren aus. Berlin ist inzwischen auch Deutschlands Hauptstadt der Autorinnen und Autoren und Zentrum der literarischen Agenturen. Berlin ist überdies eine ausgesprochene Verlagsstadt. 186 Buchverlage erwirtschaften einen Umsatz von über 1 Milliarde Euro und bieten über 3 000 versicherungspflichtige Arbeitsplätze. Die Branchenzeitschrift „Buchreport“ zählt sieben Berliner Verlage bzw. Verlagsgruppen zu den hundert umsatzstärksten in Deutschland. Berlin bietet für nahezu jeden Verlagstyp ideale Standortbedingungen. Dieser Trend hält, wie wir sehen, auch im Jahr 2009 mit dem Umzugsbeschluss des Suhrkamp Verlages an. Wir freuen uns, dass diese wichtige Entscheidung für Berlin getroffen worden ist und heißen Suhrkamp in Berlin herzlich willkommen!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Warum sind wir so attraktiv? – Das liegt zuerst einmal an der Stadt selbst. Berlin bietet eine Menge Stoff und Geschichten für Literatur. Die Stadt reizt zur Auseinandersetzung – nicht nur im Parlament. Sie hat Geschichte, sie ist in Bewegung. Sie ist eine Hochburg für alles, was mit Kommunikation zu tun hat. Berlin ist Treffpunkt für Menschen aus aller Welt, es herrscht ein weltoffenes und kreatives Klima. Die Wege vom Manuskript zu den Literaturagenten und den Verlagen oder auch vom Drehbuch zum Filmemacher oder auf die Theaterbühnen der Stadt sind kurz. Nur wenige andere Städte bieten so viele Gelegenheiten und Orte, wo man sich trifft, wo Lesungen stattfinden und wo Autoren auf ein lesefreudiges Publikum treffen. Nicht zu vergessen: In Berlin sind die Lebenshaltungskosten im Vergleich zu anderen Metropolen gering. Das ist besonders wichtig, weil ermittelt worden ist, dass das durchschnittliche Jahreseinkommen der Autoren im Schnitt bei ungefähr 15 500 Euro liegt. Ich bin der Auffassung, dass bei diesen geringen Einkünften deutlich wird, dass die in Berlin deutlich geringeren Lebenshaltungskosten mit ein Argument und ein Grund dafür sind, warum sich viele für Berlin entscheiden.

Der Senat misst der Förderung der Literatur eine hohe kulturelle Bedeutung bei. Autoren, Schriftsteller, Literaten prägen Berlin ganz wesentlich als Metropole der Kreativen. Es geht aber beim Thema Literatur nicht allein um die Produzenten von Literatur. Zum Thema Literatur gehören immer auch die Leserinnen und Leser. Literatur zu fördern ist deshalb immer auch kulturelle Bildung.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Glücklicherweise gibt es in unserer Stadt eine Menge Menschen, die sich dafür einsetzen, dass Kinder und Jugendliche früh an das Lesen herangeführt werden: Lesepaten, Lesehelfer, Stiftungen. Sie alle setzen sich mit hohem Engagement für eine Kultur des Lesens ein. Sie unterstützen Schulen in der Leseförderung, und sie machen Kinder und Jugendliche neugierig auf ein Kulturgut, das heute leider in vielen Kinderzimmern und Elternhäusern fehlt. Lesen gehört zu einem erfüllten Leben. Ich danke an dieser Stelle allen, die sich in Schulen und Familien dafür engagieren! Gott sei Dank sind es viele! Wir können stolz darauf sein, dass das nicht vernachlässigt wird – auch im Bereich der neuen Medien –, sondern dass das Lesen von Büchern einen wesentlichen Stellenwert einnimmt.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Wenn über 7,6 Millionen Berlinerinnen und Berliner im Jahr 2007 eine der bezirklichen Stadtbibliotheken besuchten und dabei mehr als 18,2 Millionen Bücher, CDs, Filme oder Zeitschriften entliehen haben, zeigt das, dass die Berlinerinnen und Berliner die Angebote der öffentlichen Bibliotheken annehmen. Unsere öffentlichen Bibliotheken gehören zu den meistbesuchten Kultureinrichtungen der Stadt. Für die Berliner Bevölkerung schaffen sie einen breiten Zugang zu Information, Unterhaltung und Wissen. Sie betreiben Leseförderung im besten Sinn des Wortes.

Gleichzeitig bieten sie mit ihrem umfangreichen Medienangebot, der Präsentation von Verlagen und Autoren, in Veranstaltungen und Ausstellungen eine gute Plattform für diesen Sektor.

Genau aus diesen Gründen habe ich den Vorschlag gemacht, der Zentralen Landesbibliothek mit einem Neubau auf dem Areal des Tempelhofer Feldes eine neue Perspektive zu geben.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Alice Ströver (Grüne): Was sagt der Finanzsenator dazu?]

Der Finanzsenator sagt wie zu allen neuen Projekten: Sehen wir mal, wie wir das finanzieren können! – Die Auseinandersetzung müssen wir führen. Ich bin der Auffassung, dass diese 270 Millionen Euro richtig investierte Millionen sind, nämlich in die Zukunft der Kinder und Jugendlichen. Es wäre doch fatal, wenn wir dieses Asset verschenken würden!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Es ist doch bemerkenswert, dass Kinder und Jugendliche förmlich in die Bibliotheken stürmen und allen Unkenrufen zum Trotz das Angebot wahrnehmen. Sie zeigen, dass der Computer nicht alles ist und sie Interesse daran haben, ein reales Buch in die Hand zu nehmen.

Deshalb setzen wir uns dafür ein, denn es ist kulturelle Bildung im feinsten Sinne des Wortes.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Wolfgang Brauer (Linksfraktion): Genau!]

Es geht dabei nicht nur um eine verbesserte räumliche Situation für die ZLB. Die hat schwierige Bedingungen und macht trotzdem eine hervorragende Arbeit. Es geht darüber hinaus auch um einen wesentlichen Teil des Kulturlebens in unserer Stadt, und dieser Teil des Kulturlebens wird nicht nur durch die Einrichtungen der Hochkultur getragen, sondern u. a. eben auch durch die Bibliotheken und durch die Zentrale Landesbibliothek.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Dr. Gabriele Hiller (Linksfraktion): Richtig!]

Hoffentlich bleibt der Beifall auch dann, wenn es um die Konkretisierung geht.

[Alice Ströver (Grüne): Besonders in den eigenen Reihen!]

Ja, aber ich nehme auch Ihre Unterstützung an, Frau Ströver! Ich glaube, da haben wir einen breiten Konsens. Und das noch in Tempelhof. Das ist besonders schön, da kann eigentlich die CDU auch noch mitmachen. –

[Alice Ströver (Grüne): Das ist gut! – Carola Bluhm (Linksfraktion): Es fehlt nur noch Herr Nußbaum!]

Literatur bedarf der Vermittlung, und diese braucht besondere Orte. Das Land Berlin fördert fünf Literatureinrichtungen, die diesem Ziel dienen. Das Literarische Colloquium, das Literaturhaus Berlin, die Literaturwerkstatt

Berlin, das Literaturforum im Brecht-Haus sowie LesArt, das Berliner Zentrum für Kinder- und Jugendliteratur.

Das Literarische Colloquium ist eine in Deutschland einmalige Institution. Es ist Veranstaltungsforum und Gästehaus, Arbeitsstätte und Talentschmiede für Autoren und Übersetzer in einem. Ein besonderes Augenmerk gilt der internationalen Begegnung.

Das Literaturhaus Berlin hat sich einen Namen als Stätte vielfältiger öffentlicher literarischer Veranstaltungen gemacht. Die thematischen Ausstellungen sind im gesamten deutschsprachigen Raum bekannt und geachtet. Das LHB ist damit der bedeutendste Ort für Literaturausstellungen neben dem Deutschen Literaturarchiv in Marbach.

In der Literaturwerkstatt Berlin haben sich verschiedenste Formen der Literaturvermittlung bewährt. Neben der klassischen Lesung gibt es Literaturprojekte im Internet, Ausstellungen zu digitalen Formen der Literatur, Literatur im Film, Poesie in Verbindung mit anderen Künsten wie Tanz, Theater, Musik oder Performance, große Events wie das Poesiefestival Berlin und interaktive Projekte mit Kindern.

Neben der klassischen Form der Lesung finden im Literaturforum im Brecht-Haus vor allem die interdisziplinären Veranstaltungen großen Zuspruch. Auch LesArt, das Berliner Zentrum für Kinder und Jugendliteratur, verfolgt einen interdisziplinären Ansatz und ermöglicht Kindern und Jugendlichen eine spielerische Annäherung an zeitgenössische Belletristik und andere Textarten.

All diese Einrichtungen engagieren sich in unterschiedlicher Form in der kulturellen Bildung und bereichern das interkulturelle Leben unserer Stadt. Eine immer größere Rolle spielen aber auch Festivals wie die Berliner Märchentage, das Internationale Literaturfestival Berlin oder das Poesiefestival Berlin. Sie vermitteln in unterschiedlichsten Formaten Literaturen aus aller Welt, und sie haben eine ausgezeichnete, überregionale Ausstrahlung und tragen zum Glanz der Literaturstadt Berlin bei. Besonders das Internationale Literaturfestival Berlin zeichnet sich zudem durch ein hervorragendes Literaturvermittlungsprogramm in Zusammenarbeit mit zahlreichen Berliner Schulen aus.

Der Kulturverwaltung steht ein geringer Etat zur Projektförderung für ausgewählte Vermittlungsangebote zur Verfügung. Das sind rund 60 000 Euro, die über eine jährlich neu besetzte, unabhängige Jury nach Antragslage vergeben werden. Mit sehr viel mehr Mitteln fördert der Hauptstadtkulturfonds Projekte in Berlin. Der Bund leistet viel für die Kultur in Berlin. Auch das sollten wir an dieser Stelle gemeinsam anerkennen.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Beifall von Alice Ströver (Grüne) und Volker Thiel (FDP)]

Die entscheidende Basis der Literaturvermittlung aber wird in den Bezirken gelegt, in den Kitas, Schulen und

vor allem in den öffentlichen Bibliotheken. Man muss das dezentrale System der bezirklichen Verantwortung für die Berliner Bibliotheken nicht für der Weisheit letzter Schluss halten, aber solange wir eine solche Struktur haben, tragen die Bezirke hier eine besondere Verantwortung.

Für die Vermittlung von Literatur kommt es ganz entscheidend darauf an, die Vielfalt in unserer Einwanderungsstadt stärker zu berücksichtigen und die Institutionen interkulturell zu fördern. So haben die Berliner öffentlichen Bibliotheken in den letzten Jahren begonnen, sich stärker mit den unterschiedlichen Herkunftsländern ihrer Nutzerinnen und Nutzer auseinanderzusetzen und entsprechende Medien in den Bestand aufzunehmen. „Neues aus Babylon. Wege durch das Neuköllner Sprachengewirr“ hieß ein Projekt in der Neuköllner Stadtbibliothek, das wichtige Anstöße gegeben hat. Viele andere Projekte könnten an dieser Stelle ebenfalls genannt werden. Die Projektgruppe „Interkulturelle Bildungsarbeit“ der öffentlichen Bibliotheken wird den Austausch zwischen den Bibliotheken weiter fördern und der interkulturellen Öffnung der Bibliotheken weitere Impulse geben.

Ich komme nun zu den materiellen Bedingungen literarischen Produktion. Literatur lebt in erster Linie vom Buchmarkt, aber es gibt auch sinnvolle staatliche Fördermöglichkeiten, von denen wir in Berlin Gebrauch machen. Dazu gehört die Vergabe von Arbeitsstipendien als wichtigste Maßnahme im Bereich der Autorenförderung, aber es gehören auch die vielen Preise dazu, die in Berlin im Bereich der Literatur vergeben werden.

Lassen Sie mich zum Schluss auf die Bedeutung der Literatur für die Kulturwirtschaft in Berlin eingehen! Literatur ist ein Motor der Kulturwirtschaft. Das zeigt schon ein Blick auf die wirtschaftliche Situation der Berliner Buchverlage. In den Jahren 2005 bzw. 2006 – für 2007 liegen uns die Zahlen noch nicht vor – hat sich die Lage spürbar verbessert. Wie sich die Krise auswirkt, werden wir sehen müssen. Davon wird selbstverständlich auch der Buchmarkt nicht verschont bleiben.

2005 konnte die Branche ein Umsatzplus von 2,3 Prozent und 2006 eines von 3,5 Prozent erwirtschaften – allerdings nach drei sehr mageren Jahren. Aber immerhin, es ist ein deutlicher Aufwärtstrend. Die Zahlen allein sagen noch nicht alles. Hinzu kommen Aufträge der Verlage, die sie in Berlin an Druckereien, an Buchbindereien, Speditionen und Kurierserviceunternehmen, Marketing- und PR-Agenturen und viele andere mehr vergeben. Dadurch entsteht in der Region Wertschöpfung, und Arbeitsplätze werden gesichert.

Zahlreiche literarische Großveranstaltungen in Berlin werden von der Kulturverwaltung, dem Hauptstadtkulturfonds, der Stiftung Klassenlotterie Berlin-Brandenburg oder aus Bezirks- und Sponsorenmitteln finanziert. Die Buchverlage und der Buchhandel nutzen diese Ereignisse als Foren für ihre Inhalte. Andere werden von ihnen initi

iert, unterstützt oder getragen wie z. B. das Berliner Bücherfest, das vom Berliner Landesverband des Börsenvereins organisiert wird.

Die Literatur hat aber auch aus einem anderen Grund eine ökonomische Bedeutung für Berlin. Sie prägt das Bild Berlins in der Welt als einer Stadt, in der es sich lohnt zu sein – oder wie wir in unserer Hauptstadtkampagne sagen: The place to be! – Arbeiten wir gemeinsam daran, dass Berlin auch in Zukunft der Literatur, den Autorinnen und Autoren und ihren Verlagen beste Arbeitsbedingungen bietet! Arbeiten wir daran, Berlin als kreative Metropole weiter zu profilieren! Fördern wir das Lesen und die kulturelle Bildung in Berlin! Beides gehört zusammen, und dies wird auch weiterhin ein Schwerpunkt der Kulturpolitik und Bildungspolitik in Berlin bleiben. – Schönen Dank!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Das Wort zu Aussprache – jeweils fünf Minuten pro Fraktion – hat zunächst die SPD-Fraktion mit Frau Lange. – Bitte!

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister! Das war ein klares Bekenntnis zur Berliner Literatur und auch zum neuen Standort der Landeszentralbibliothek. – Vielen Dank!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was würden Sie antworten, wenn Sie gefragt würden – –

[Alice Ströver (Grüne): Kein Beifall!]

Ja, Frau Ströver! Bei Ihnen klatscht auch nicht immer jeder. –

[Alice Ströver (Grüne): Es hat gar keiner geklatscht!]

Ja, ist halt ab und zu mal so!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]