Verheerend dann das Echo, insbesondere die 50prozentige Verlosung wird scharf kritisiert, und zwar unisono von allen Experten, vor allem aber von denjenigen, die vor Ort Verantwortung tragen. Bemerkenswert weiterhin die Koalition aus Eltern, Lehrern und Schülern, die auf einer Pressekonferenz am letzten Montag ihre Kritik am Schülerlotto sehr deutlich geäußert und zähneknirschend einen Quotenkompromiss von 25 Prozent vorgeschlagen haben. Bemerkenswert natürlich auch, dass die Opposition unisono zum Bildungschaos in der Aktuellen Stunde reden soll. Schließlich nicht zu vergessen, verehrte Kollegen von Rot-Rot: Dieser flugs eingebrachte Antrag der Koalition ist lächerlich, eine bemerkenswerte Frechheit, und dringlich kann man das Ganze wahrlich nicht nennen.
[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU – Christian Gaebler (SPD): Warum nicht? Sie haben doch selbst gesagt, wir sollen den einbringen! Sie müssen sich einmal entscheiden!]
Beachtlich dann, Herr Gaebler, die Entscheidung der SPD-Fraktion am letzten Dienstag in einer Sondersitzung. Der Fraktionsvorsitzende konnte sich knapp durchsetzen, nur noch 25 Prozent der Plätze sollen per Klassenlotterie vergeben werden. Dem Votum des Vorsitzenden stand das Votum der sogenannten Bildungsfachleute in der SPD allerdings entgegen, die wollten nach wie vor 50 Prozent. Zunächst schien es, Herr Müller, Sie hätten sich mit dem Problem ernsthaft auseinandergesetzt, Sie hätten auch etwas begriffen. Es schien weiter, Sie hätten begriffen, dass mit dieser Strukturreform die Politik völlig an den Menschen in dieser Stadt vorbeigeht. Weit gefehlt, Sie
haben nichts begriffen! Gestern trafen Sie sich mit der erzürnten Kollegin Bluhm, das Ergebnis kennen Sie alle. Dies noch einmal Revue passieren zu lassen, lohnt sich, denn es zeigt die Ignoranz, Arroganz der Macht
Senator Zöllner ist mit seiner Hinterzimmerpolitik gescheitert. Sein Umgang mit den parlamentarischen Gepflogenheiten bestätigt in besonderer Weise Ignoranz und Überheblichkeit. Es ist heute das erste Mal, dass wir über die so genannte Strukturreform im Plenum reden. Das Konjunkturpaket hat in der Grundstruktur jedoch längst die Reform vorbereitet. Heute bringen Sie Ihren Antrag ein, das ist die Arroganz der Macht. Herr Senator! Das ist eine Missbilligung des Parlaments, die ihresgleichen sucht!
Zweitens ist zu konstatieren: Der Fraktionsvorsitzende der SPD, Michael Müller, ist schwach. Obwohl ihm klar ist, dass die jetzige Lösung ein schlechter und fauler Kompromiss ist, macht er einen Kotau vor der Linken. Der Fraktionsvorsitzende agiert wieder einmal an den Menschen vorbei. Das, verehrter Herr Kollege Müller – schade, dass Sie nicht da sind, zumindest sehe ich Sie nicht –,
das vergessen Ihnen die Menschen nicht. Denken Sie am 27. September an meine goldenen Worte, da erhalten Sie nämlich die Quittung, selbst dann, wenn es sich „nur“ um Bildungspolitik handelt.
Linke Politik ignoriert alle Ratschläge der Experten vor Ort, selbst die derjenigen mit einem SPD-Parteibuch. Damit setzt sich in der Regierung wieder einmal Ideologie durch, die Vernunft bleibt außen vor.
Der eigentliche Skandal aber ist, dass die Koalition wieder einmal zu einem Mittel gegriffen hat, dass die Menschen eigentlich nicht mehr ertragen können. Ein Mittel, das sie geradezu politikverdrossen macht: Es wird geschachert. Es wird geschachert wie auf einem Basar. 50 zu 50, 75 zu 25, 60 zu 30 zu 10 oder vielleicht doch 60 zu 40 durch die Hintertür? Keiner weiß es so genau. Herr Müller! Frau Bluhm! Schachern Sie auf dem Basar, oder spielen Sie Lotto am Kiosk um die Ecke. Hier geht es um die Bildung und die Zukunft unserer Kinder. Lassen Sie die Klassenlotterie gefälligst aus dem Spiel!
Eines möchte ich doch noch zu den Übergangsregelungen erwähnen und das durchaus positiv aus liberaler Sicht: Die FDP-Fraktion freut sich, dass endlich unsere Forderungen mit aufgenommen worden sind. Das Wohnortprinzip fällt weg, endlich.
Was haben wir für diese Forderung von Ihnen für Prügel erhalten! Was sind wir gescholten worden! Künftig dürfen sich Schulen nach diskriminierungsfreien Kriterien wenigstens einen Teil ihrer Schüler selbst aussuchen. Für diese Forderung sind wir hier im Parlament fast gesteinigt worden, als ich dies in einem Antrag einmal formuliert habe. Schön, dass Sie wenigstens etwas dazugelernt haben.
Nun will die Strukturreform insbesondere eines: Bildungsgerechtigkeit schaffen. Da setzen Rote, Linke und Grüne gleichermaßen darauf, dass Bildungsgerechtigkeit mit dem Besuch eines Gymnasiums gleichgesetzt wird. Das nenne ich zynisch. Wenn Sie schon die Leistungsgerechtigkeit vernachlässigen und ausschließlich auf Bildungsgerechtigkeit setzen, machen Sie dieses wenigstens systematisch – und zwar in den Kitas und in den Grundschulen. Fangen Sie dort damit an. Hier versagen Sie nach wie vor kläglich.
Haben Sie eigentlich, Herr Senator Zöllner, liebe Kollegen, das Ergebnis der IGLU-Studie aus dem Dezember 2008 schon vergessen? Ein bisschen Nachhilfe kann nicht schaden. In Rumänien und Berlin gleichermaßen ist die Koppelung von Elternhaus und Bildungserfolg besonders negativ ausgeprägt. Alle anderen OECD-Staaten sind besser.
Kollegen von Rot-Rot! Sämtliche Reformen, sämtliche Bemühungen in den letzten Jahren sind für die Katz – ein bildungspolitisches Armutszeugnis! Welch verquaste Bildungspolitik, welch unsoziale Bildungspolitik: Sie wollen eine Sozialquote per Lotterie durchsetzen! Machen Sie Ihre Arbeit! Setzen Sie da an, wo es richtig ist, nämlich in Kitas und Grundschulen!
Bildungsungerechtigkeit haben Sie selbst zu verantworten. Diese soll nun mit den neuen Übergangsregelungen kaschiert werden. Die Jugendlichen sollen eine Chance erhalten: Die Probezeit wird auf ein ganzes Jahr verlängert. Das finden wir richtig. Wir sind die Einzigen, die das richtig finden.
Richtig ist diese einjährige Probezeit aber nur dann, Kollege Mutlu, wenn die Gymnasien, gerade in der siebenten Klasse, auch personell richtig ausgestattet werden. So und nur so können sie den Anforderungen nach mehr individueller Förderung nachkommen. Ohne diese Förderung können die Gymnasien nämlich zum Beispiel auf den Gedanken kommen, ihre Schüler möglichst schnell wieder loszuwerden. Das wäre vielleicht in diesem Fall sogar verständlich, aber das wollen wir doch eigentlich nicht – oder?
Zweitens – und das ist das Entscheidende – kann das Gymnasium nicht das schaffen, was es schaffen muss, nämlich die Schülerinnen und Schüler bereits nach zwölf Jahren zu einem bundesweit qualifizierten Abschluss zu führen, der sie befähigt, ein akademisches Studium aufzunehmen und abzuschließen. Denken Sie auch daran! Hören Sie endlich auf mit dem Gesäusel, wir hätten zwei gleichartige Schultypen! Das sind sie gerade nicht. Sie sind gleichwertig bezogen auf den Abschluss, da das Abitur auf beiden Schulen möglich ist. Die Wege sind völlig unterschiedlich.
Das Gymnasium wird anders arbeiten müssen und dürfen als die Sekundarschule. Und das ist richtig. Bekennen Sie sich endlich dazu! Machen Sie sich ehrlich!
Es liegt an Ihnen – hören Sie zu, Herr Oberg! –, genau dieses auch den Eltern klarzumachen. Lassen Sie die Gleichmacherei! Die Schulformen sind nicht gleich, sollen es auch nicht sein. Sie führen auf unterschiedlichem Weg zu einem gleichwertigen Abschluss.
Da bin ich bei meinem nächsten Punkt. Es stellt sich nämlich die Frage, lieber Herr Oberg, wie es mit Ihrem Vertrauen in die Sekundarschule steht. – Frau Bluhm! Ihr Ziel ist es, mehr Schüler zum Abitur zu bringen, koste es, was es wolle. Offensichtlich scheinen Sie davon überzeugt zu sein, dass ein Los am Gymnasium besser sei als der Besuch einer Sekundarschule, die doch so prachtvoll ausgestattet ist. Nach Ihren Aussagen wird doch die Sekundarschule so exzellent ausgestattet – das haben wir heute reichlich gehört: kleine Klassen, mehr Personal, individuelle Förderung, praxisorientierter Unterricht, Ganztagsbetrieb. Das muss doch eigentlich der Traum aller Eltern und Schüler sein, endlich auf diese schöne Schule gehen zu dürfen.
Offensichtlich fehlt Ihnen das Vertrauen. Da kann ich nur sagen – frei nach Bert Brecht: Stelle man sich vor, die Superschule Sekundarschule wird eingeführt, und keiner will hin. – Das ist der Supergau, den Sie dann auch zu verantworten haben.
Der letzte Satz: Sie sind mit Ihrer Strukturreform überhaupt noch nicht bei den Menschen angekommen. Sie haben es bisher noch nicht ansatzweise geschafft, die Menschen von Ihrer Schulreform zu überzeugen. Damit
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schulstrukturreform ist ein gutes Thema für eine Aktuelle Stunde. Ich glaube aber, der Titel wurde falsch gewählt. Ich meine, wir sollten dieses Thema vom Kopf auf feste Füße stellen. Wir sollten klarstellen, um was es wirklich geht, und die Prioritäten klar im Auge haben. Es geht nämlich darum, dass wir mit der Schulstrukturreform in Berlin, mit der integrierten Gesamtschule eine Schulform schaffen wollen, die in der individuellen Förderung von jungen Menschen und in der Realisierbarkeit von Chancengleichheit tatsächlich einen Qualitätssprung bedeutet.
Und es geht zweitens darum, dass wir dem Gymnasium auch eine Entwicklungsperspektive geben wollen und geben müssen. Nur innerhalb dieses großen Aufgabenfeldes geht es unter anderem darum, auch den Zugang zu den weiterführenden Schulen gerechter zu lösen. Wenn es in dieser Stadt und in diesem Parlament so ist, dass dieser letzte Punkt offensichtlich der zentrale Punkt der Diskussion und Auseinandersetzung ist,
habe ich den Eindruck, dass wir die eigentlichen großen Aufgaben, um die es geht, nämlich eine integrierte Sekundarschule in Berlin einzurichten, sehr gut gelöst haben.
Die große Aufgabe bessere individuelle Förderung, die große Aufgabe Chancengleichheit, die konkrete Herausforderung, mehr junge Menschen qualifiziert auszubilden – möglichst bis zum Abitur, die konkrete Herausforderung, die Perspektivlosigkeit der Hauptschule zu beenden, die konkrete Herausforderung – wie es richtig gesagt worden ist –, den Zusammenhang zwischen dem schulischen Lernerfolg und dem sozialen Hintergrund zu durchbrechen – –
Ich gestatte gern eine Zwischenfrage, auch wenn ich gerade so leidenschaftlich war, Herr Mutlu. Das wäre auch Ihnen gut bekommen!