Protocol of the Session on April 2, 2009

lfd. Nr. 4 b:

Dringliche Beschlussempfehlung

Berliner Aktionsplan gegen Homophobie

Beschlussempfehlung IntArbBSoz Drs 16/2291 Antrag der Grünen Drs 16/1966

Senatorin Dr. Heidi Knake-Werner

Das ist die Priorität der Fraktion Die Linke. Der Dringlichkeit wird nicht widersprochen.

Für die Beratung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt die Fraktion Die Linke. Das Wort hat der Abgeordnete Lederer.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem Berlin mit der rechtlichen Gleichstellung von Ehe und Lebenspartnerschaft im Landesrecht bereits eine bundesweite Vorreiterrolle eingenommen hat, steht mit der heutigen Beschlussfassung über die Initiative für Selbstbestimmung und Akzeptanz sexueller Vielfalt ein neuer wichtiger Schritt für die Akzeptanz sexueller Vielfalt in Berlin an.

Tatsächliche Gleichstellung ist sehr, sehr viel schwerer umzusetzen als die rechtliche. Hier reicht nämlich keine Parlamentsmehrheit; hier muss eine breite Mehrheit der Berlinerinnen und Berliner hinter uns stehen, und das ist eine große Herausforderung.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Unsere Initiative entstand auf der Grundlage der Vorarbeiten mehrerer Jahre. Ein Antrag von Bündnis 90/Die Grünen, der sich demselben Thema gewidmet hat, war uns Anlass, einen Antrag vorzulegen, der dann in den Ausschüssen eine breite Mehrheit gefunden hat. Gemeinsam mit Initiativen, Projekten und Vereinen aus der Community wurde unsere Initiative entwickelt und soll sie verwirklicht werden.

Nach der Simon-Studie haben viele Berliner Jugendliche nach wie vor homophobe Einstellungen. Homophob sind vor allem männliche Jugendliche, die in traditionellen Geschlechterrollen und Gesellschaftsbildern sozialisiert worden sind. Der Schwerpunkt unseres Antrags liegt folgerichtig auf der Bildung. Eine Strafrechtsverschärfung lehnt die Koalition genauso ab wie etwa den Versuch des Kollegen Steuer von der CDU, die Förderung der Akzeptanz sexueller Vielfalt auf dem Rücken anderer marginalisierter oder strukturell diskriminierter Communitys auszutragen. Akzeptanz sexueller Vielfalt ist – anders als Steuer suggeriert – leider noch lange nicht Konsens in der Mehrheitsgesellschaft.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Ja, es gibt Homophobie unter jungen Berlinern mit Migrationshintergrund. Wir wollen, dass sich die Bildungsinstitutionen Berlins hiermit zielgruppenspezifisch auseinandersetzen. Es hilft überhaupt nichts, die Fakten zu leugnen, aber es ist auch nicht hilfreich, sich primär darauf zu konzentrieren. Ich kenne Lesben, Schwule und Transmenschen mit Migrationshintergrund, aber ich kenne keinen Fußballbundesligaspieler, der sich als homo- oder bisexuell geoutet hat. Warum ist das wohl so?

Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass Homophobie ein zutiefst europäisches Phänomen ist, keine Importware. Es waren deutsche Behörden, die Menschen nach § 175 StGB früherer Fassung verfolgten. Und es waren und sind vorzugsweise die klerikalen und konservativen Kreise in unserem Land, die homophobe Strukturen in der Gesellschaft verteidigt haben und verteidigen. Es war und ist vor allem die Union, die die rechtliche Gleichstellung auf Bundesebene verschleppt hat und verschleppt.

Es gibt auch heute noch Vorzeigekonservative wie Udo Di Fabio, der als Verfassungsrichter Eheabstandgebote und Ähnliches erfindet, um Menschen das ihnen zustehende Europarecht vorzuenthalten. Es war Erzbischof Dyba, der Homosexualität als „entehrende Leidenschaft und widernatürliche Verirrung“ bezeichnet hat. Es war Kardinal Meisner, der betont hat, sie sei Sünde. Ein deutscher Papst meinte jüngst, Kondome schadeten der HIVPrävention. Es waren CDU-Bildungssenatoren, die in den 1990er-Jahren verhindert haben, dass Homosexualität als Thema an die Schulen kam. Sie sei eine „nicht erstrebenswerte Erziehungsform“.

Gut, dass wir das jetzt ändern. Gut, dass die Union das jetzt auch für wichtig hält, nachdem sie vor nicht einmal einem Jahr der rechtlichen Gleichstellung mehrheitlich nicht zugestimmt hat. Schade wiederum, dass die CDU heute nicht die Gelegenheit nutzt, das hier im Plenum auch zu dokumentieren. Wir hätten ihr mit einer namentlichen Abstimmung gern die Chance gegeben.

[Beifall bei der Linksfraktion, der SPD und den Grünen – Beifall von Rainer-Michael Lehmann (FDP)]

Ihrer Verantwortung entledigt sich der konservative Flügel der Gesellschaft aber auch nicht, indem er auf andere zeigt, obwohl es stimmt, dass klerikalreaktionäre Sichten auch in anderen als in den christlichen Religionen sehr stark sind.

Ich glaube, wir beschließen heute ein richtig gutes, ein ehrgeiziges Programm. Lassen Sie uns gemeinsam mit den Initiativen der Zivilgesellschaft daran arbeiten, dass es in der gesellschaftlichen Realität unserer Stadt schnell wirksam wird! Berlin braucht die Akzeptanz sexueller Vielfalt.

[Beifall bei der Linksfraktion, der SPD und den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Schließlich will ich die Gelegenheit nutzen zu sagen: Wer diesem Antrag zustimmt und dem darin verankerten integrativen Bildungsansatz folgt, muss konsequenterweise auch für „Pro Ethik“ und kontra Wahlpflichtfach Ethik/Religion eintreten. – Vielen Dank!

[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD und den Grünen]

Vizepräsident Dr. Uwe Lehmann-Brauns

Vielen Dank! – Das Wort für die Fraktion der Grünen hat der Kollege Birk.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt Tage, da macht Politik auch bei ernsten Themen einfach richtig Spaß. Wir Bündnisgrünen haben es geschafft, Sie als rot-rote Koalition mit unserem Antrag für einen Berliner Aktionsplan gegen Homophobie dazu zu bewegen, einen Aufschlag für eine systematische Herangehensweise an das Thema vorzulegen. Das sollte eigentlich heute mit den Stimmen der CDU einstimmig beschlossen werden. Da sind sicher einige erleichtert, dass sie hier die Hand nicht heben müssen. „Man könnte meinen“, um Frau Radziwills Worte zu wählen, der ganze Konflikt vorhin sei nur inszeniert worden, damit die CDU hier nicht mitstimmen muss.

[Heiterkeit von Anja Kofbinger (Grüne)]

Dennoch ist es ein Riesenerfolg für Lesben, Schwule und Transgender in dieser Stadt. Das hat Vorbildcharakter, insbesondere für den Bund. Da kommt einfach Freude auf.

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der Linksfraktion]

Mit dem heutigen Beschluss bekundet das Parlament, dass die Akzeptanz sexueller Vielfalt ein überparteilich getragenes gesamtgesellschaftliches Ziel ist. Dieser Beschluss richtet sich daher auch ressortübergreifend an den gesamten Senat. Daran werden wir bei Gelegenheit deutlich erinnern.

[Beifall bei den Grünen]

Der Schwerpunkt der Beschlussempfehlung liegt im Bereich Bildung. Ich fasse das Auftragspaket an den nicht anwesenden Herrn Zöllner zusammen: Lehrkräfte und Pädagoginnen und Pädagogen sollen im Studium und in der Ausbildung im Umgang mit Diversity und sexueller Vielfalt befähigt werden. Der Senat stellt sicher, dass Lehrkräfte, Schulpsychologinnen und -psychologen, Sozialarbeiterinnen und -arbeiter, Erzieherinnen und Erzieher zu Diversity und sexueller Vielfalt verpflichtend weitergebildet werden. Bis Schuljahresende 2010 ist sicherzustellen, dass an jeder Schule eine Lehrkraft als Ansprechpartner oder Ansprechpartnerin für sexuelle Vielfalt mit entsprechender Qualifikation zur Verfügung steht usw.

Zu allen diesen Punkten in Sachen Bildung soll es bis Ende 2010 Berichte geben, insbesondere zur Analyse der Defizite, warum die Behandlung von sexueller Vielfalt in der Schule trotz entsprechender Rahmenrichtlinie bisher nicht klappt. Denn nur 0,6 Prozent der Schülerinnen und Schüler werden im Jahr durch Aufklärungsträger wie ABqueer erreicht. Damit das nicht so bleibt, muss die Bildungsverwaltung mit ihrer politischen Spitze endlich

aktiv werden, wozu wir Sie nachdrücklich auffordern, Herr Zöllner!

[Beifall bei den Grünen – [Beifall von Mirco Dragowski (FDP)]

Zwei weitere Senatorinnen und Senatoren sind gefordert, nämlich der Innensenator und die Justizsenatorin. Klar, Polizeipräsident Glietsch muss nicht mehr überzeugt werden, dass Homophobie bekämpft werden muss.

[Beifall von Marion Seelig (Linksfraktion)]

Aber die Botschaft muss auch bei den mittleren und unteren Führungsebenen ankommen. Wenn vermutlich 90 Prozent der homophoben Straftaten nicht zur Anzeige kommen, hat das auch mit Erfahrungen der Opfer mit der Polizei zu tun. Ein aktuelles Beispiel: Mein Mann, Mitbegründer des schwulen Überfalltelefons Maneo, ist gestern vor unserer Haustür im Schöneberger Homokiez sexuell bedrängt worden, wobei ihm aus der vorderen Jeanstasche das Handy geraubt wurde. Mit Gebrüll brachte er den Täter dazu, das alte Handy wieder herauszurücken. Er rief die 110, aber die Polizei war nicht bereit zu kommen, obwohl klar war, in welche Kneipe der Täter geflohen war. Auf die Frage meines Mannes, ob er denn als Alternative wegziehen solle, war die Antwort: Das müsse er dann wohl tun.

Genau solche Reaktionen führen dazu, dass die Szene über Selbstbewaffnung diskutiert, statt Anzeigen zu erstatten. Wir brauchen mehr Fortbildungen bei der Polizei und gezielte Kriminalprävention unterstützt von fachkundigen Trägern. Hier sehe ich ganz klar, den Etat der Innenverwaltung gefordert.

[Beifall bei den Grünen und der FDP]

Die Justizsenatorin soll prüfen, wie das Sicherheitsgefühl und das Vertrauen der Opfer bei Strafverfolgung und verfahren erhöht werden kann. Meines Erachtens gilt auch hier: Umso mehr gewährleistet ist, dass Richterinnen und Richter, Staatsanwälte und Staatsanwältinnen das Thema ernst nehmen und Verfahren sich nicht über Jahre hinziehen, umso weniger wird die Forderung nach Verschärfung des geltenden Rechts durch die Betroffenen selbst erhoben werden, was wir genauso ablehnen wie die Koalition.

Wo wir beim Recht sind: Mit dem heutigen Beschluss fordern die anwesenden Fraktionen die völlige rechtliche Gleichstellung von Menschen unterschiedlicher sexueller Orientierung und Bundesratsinitiativen zur Wiedergutmachung von Verurteilungen wegen des § 175 und für die Rechte von Transgender und Transsexuellen. Ich bedauere außerordentlich, dass die CDU, die in den Ausschüssen zugestimmt hat, zu diesem Punkt fehlt.

Noch etwas anderes haben einige vielleicht übersehen, denn es sollen im Rahmen einer Diversity-Richtlinie, die es leider noch nicht gibt, alle Verwaltungen konkrete Maßnahmen vorlegen, die sie umsetzen sollen. Auf den versprochenen Bericht dazu bin ich ganz besonders gespannt.

Wo wir beim Geld sind, da fordern wir in dem gemeinsamen Beschluss so einiges: eine fortlaufende Studie über Diskriminierungserfahrungen von Schwulen, Lesben und Transgender und die Wirksamkeit von Gegenmaßnahmen, stärkere Unterstützung der Projektträger für Aufklärung, Beratung und Opferhilfe und eine breite Akzeptanzkampagne und vieles mehr. Wir unterstützen das ausdrücklich alles, aber die Mittel dazu können nicht nur aus dem kleinen 500 000-Euro-Topf der Projektförderung kommen.

Kommen Sie bitte jetzt zum Schluss!

Ich komme zum letzten Satz! – Spätestens bei den Haushaltsberatungen werden wir genau hinschauen, wie ernst dieser Antrag gemeint ist. – Vielen Dank!

[Beifall bei den Grünen – Dr. Klaus Lederer (Linksfraktion): Wir auch!]

Vielen Dank! – Das Wort für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Engert.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die mediale Debatte über Gewalt gegen Homosexuelle im letzten Jahr beschränkte sich darauf, Homophobie als Migrantenproblem abzutun. Angeheizt durch fahrlässige Äußerungen von Sascha Steuer, der uns zwar mit seiner Abwesenheit beehrt, den ich aber trotzdem zitieren möchte:

Homosexualität, aber auch Gleichberechtigung von Frauen und Männern sind in Berlin selbstverständlich; wenn ihr euch damit anfreundet, ist es gut – wenn nicht, solltet ihr euch entscheiden zu gehen.

Das sagte Sascha Steuer im „Tagesspiegel“, gemeint waren, glaube ich, Migranten. Ich frage mich, ob Herr Steuer einmal überlegt hat, wer dann alles gehen müsste. Wohin mit den fast 50 Prozent der in der Simon-Studie befragten männlichen deutschen Jugendlichen, die es abstoßend finden, wenn sich Männer auf der Straße küssen? Wohin sollen die Unternehmer gehen, die die Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen nicht akzeptieren und Frauen immer noch deutlich weniger Gehalt zahlen? Wohin mit den Schulleitern, die Aufklärungsprojekten die Arbeit an ihren Schulen nicht gestatten, und das mit dem Hinweis: Ihr wollt doch nur für Homosexualität werben! Oder wohin mit der älteren Dame, die mir ihre Sorge geschrieben hat, dass künftig die Kinder und Jugendlichen in Berlins Kindergärten und Schulen manipuliert werden und aus einer Minderheitsmeinung eine Mehrheitsmeinung gemacht werden soll? Wenn Herr Steuer alle ausweisen wollte, die sich nicht