Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch ich bedauere heute ausnahmsweise, dass die CDU-Fraktion nicht anwesend ist, insbesondere deshalb, weil ich gerade gehört habe, dass sich die Brandenburger CDU zur Unterstützung der Bundestagsfraktion CDU/CSU aufgeschwungen hat. Insofern hätte ich gern gehört, was die Berliner CDU heute nach dem Besuch von Frau Merkel zu diesem Sachverhalt zu sagen hat.
In diesem Haus haben wir schon sehr häufig über die Jobcenter in Berlin gestritten. Es hat eine Vielzahl von Anträgen gegeben, die sich damit beschäftigt haben, wie den Betroffenen am besten geholfen werden kann und wie selbstverständlich auch die Arbeit der Jobcenter verbessert werden kann.
Immer wieder sind wir dabei an Grenzen gestoßen, und zwar an Grenzen des lausigen Kompromisses, der 2004 ausgehandelt worden ist. In Richtung FDP sage ich mit aller Klarheit: Sie können sich gar nicht herausziehen, Herr Lehmann. Im Vermittlungsausschuss waren Sie voll dabei und haben das voll mitgetragen.
Entstanden ist das SGB II, ein Gesetz mit vielen Tücken und einer Organisationsreform, die uns bis heute große Probleme macht. Nun hat das Bundesverfassungsgericht im Dezember 2007 die gemeinsame Betreuung, der einzig richtige und wichtige Punkt, von Arbeitslosengeld-IIBerechtigten durch Bund und Kommunen für verfassungswidrig erklärt. Die Verfassungswidrigkeit wird damit begründet, dass gesagt wird, Bund und Kommunen
müssen eine eigenverantwortliche Wahrnehmung ihrer Aufgaben machen. Genau diesen Grundsatz erfüllen die Jobcenter nicht.
Deshalb gab es den Auftrag an die Politik, bis zum Ende des Jahres 2010 für die Betreuung und Vermittlung der Langzeitarbeitslosen eine verfassungskonforme Situation auf die Füße zu stellen. Die Länder sind gemeinsam mit dem Bund in einen Verhandlungsmarathon eingetreten. Für das Land Berlin war dabei das Wichtigste, die Betreuung und die Vermittlung der Langzeitarbeitslosen weiter aus einer Hand zu gewährleisten.
Ich will die verschiedenen Stufen und Modelle unserer Verhandlungen gar nicht aufzählen. Am Ende unzähliger Runden waren jeweils Beschlüsse zustande gekommen, an denen sich die Länder mit großer Mehrheit beteiligt haben. Umstritten blieb bis zum Schluss die Rolle der Optionskommunen. Das ist auch gut so, Herr Lehmann! Wer sich dafür einsetzt, dass wir dem verfassungsgemäßen Ziel der gleichen Lebensverhältnisse näher kommen, kann unmöglich die Arbeitsmarktpolitik vollständig kommunalisieren. Insofern habe ich immer gegen die Optionskommunen argumentiert und bin froh, dass es auch dabei geblieben ist.
Bei allen Schwierigkeiten und politischen Unterschieden haben aber die Landesminister offenbar nicht den Blick für die Auswirkung unserer Entscheidung auf Millionen Arbeitslose verloren, was man von der CDU/CSUBundestagsfraktion offenbar nicht sagen kann. Am Ende gab es einen einstimmigen Beschluss der Arbeits- und Sozialminister. Auf dieser Grundlage hat der zuständige Bundesarbeitsminister ein Gesetzespaket mit einer Grundgesetzänderung und einer neuen Organisationsstruktur eingebracht. Das ist aus meiner Sicht ein vernünftiger Kompromiss, ohne dass ich sagen könnte, dass mir daran alles gefällt. Wir hätten aber genügend Zeit gehabt, im Gesetzgebungsverfahren die strittigen Fragen noch miteinander zu klären. Letztlich hätte sicher auch das Land Berlin dem von Ministerpräsidenten Rüttgers, Beck und dem Bundesarbeitsminister Olaf Scholz ausgehandelten Vorschlag zugestimmt.
„Eine arbeitsmarktpolitische Katastrophe“ nannte mein nordrhein-westfälischer Amtskollege von der CDU die Weigerung der CDU/CSU-Fraktion, diesem Gesetzespaket zuzustimmen. Ich kann meinem langjährigen Kollegen schon aus Bundestagszeiten Karl-Josef Laumann, endlich einmal aus vollstem Herzen zustimmen.
Was die Union gegenwärtig unwidersprochen vor den Augen der Kanzlerin in dieser Frage betreibt, ist wirklich verantwortungslos. Es ist aber nicht nur verantwortungslos, sondern eine bodenlose Ignoranz angesichts der vor uns stehenden weltweiten Wirtschaftskrise mit all den katastrophalen Folgen insbesondere für die Menschen, die noch Arbeit haben oder die schon arbeitslos sind und den vielen Problemen, mit denen wir fertig werden müssen.
Die Entwicklung der Arbeitslosenzahlen spricht eine deutliche Sprache: Kurzarbeit als Vorzeichen der Krise, Rückgang der offenen Stellen, Anwachsen der Zahl der Arbeitslosen als Ausdruck der wirtschaftlichen Talfahrt. In diesen Zeiten ist aktive Arbeitsmarktpolitik gefragt und nicht ein weiteres jahrelanges Gerangel um Organisationsfragen.
In den 12 Berliner Jobcentern werden 565 000 Menschen betreut. Es braucht überhaupt kein bisschen Phantasie, sich vorzustellen, was es bedeutet, die gesamte Organisationsstruktur wieder auseinander zu nehmen und neu zu sortieren, Fragen zum Personal, zur finanziellen Ausstattung, zu den Liegenschaften, der Verwendung einer eigenen Software, des Datenaustauschs zwischen Bund und Ländern und vieles andere mehr. All das würde auf der Tagesordnung stehen. Aber wer sich nicht auf die Niederungen dieser Fragen einlassen will, so, wie offensichtlich Bundestagsabgeordnete, der entscheidet so unvernünftig wie die CDU/CSU auf Bundesebene es getan hat.
Vor allen Dingen wird die Trennung der Aufgaben wieder Verschlechterungen bringen. Ein wenig anders als Frau Pop würde ich sagen, es passiert gerade zu einem Zeitpunkt, wo wir dabei sind, Fortschritte in der Zusammenarbeit bei den Vermittlungsaufgaben feststellen zu können. Deshalb finde ich das auch besonders problematisch.
Ich will noch einmal in Erinnerung rufen, mit welchen Kernpositionen der Senat in diese Verhandlungen gegangen ist. Wir wollten klare Zuständigkeitsregelungen. Das bedeutet auch einen einheitlichen Personalkörper in Personalverantwortung des jeweiligen Geschäftsführers oder der jeweiligen Geschäftsführerin, gleiche Tarifstrukturen und gleiche Entwicklungsbedingungen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Erster Punkt.
Zweiter Punkt. Wir wollten sicherstellen, dass das Land und die Kommunen einen stärkeren Einfluss auf die aktive regionale Arbeitsmarktpolitik bekommen. Auch das bleibt nach wie vor auf der Strecke.
Drittens wollten wir natürlich Leistungen aus einer Hand erhalten. Das bleibt auch unser Kernziel. Und schließlich wollten wir das finanzielle Risiko für Arbeitslosigkeit für Länder und Kommunen minimieren.
Die Weigerung der Bundestagsfraktion der CDU führt aus meiner Sicht nun zwangsläufig in Richtung der getrennten Aufgabenwahrnehmung. Wir werden gar nicht umhinkommen, dieses Modell umzusetzen, von dem alle der Auffassung sind und von dem alle wissen, dass es das denkbar schlechteste ist.
Was bedeutet die getrennte Aufgabenwahrnehmung? – Das wurde hier schon geschildert: keine Leistungen mehr aus einer Hand. Wir müssen Doppelstrukturen aufbauen: zwei Ämter, zwei Bescheide, zwei Widerspruchsstellen
und vieles andere mehr. Und wir verlieren darüber hinaus noch das bisschen Einfluss auf aktive Arbeitsmarktpolitik, das wir jetzt noch haben.
Das sind keine guten Aussichten für die Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt, vor allen Dingen nicht für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Verwaltung und die vielen, vielen Betroffenen, die auf die Förderung der Jobcenter dringend angewiesen sind. Ich hätte mir heute ein deutliches, einheitliches Signal des Berliner Abgeordnetenhauses an die Bundeskanzlerin gewünscht,
Weil wir gerade beim Thema Machtspielchen sind, will ich Ihnen gern eine Petitesse am Rande schildern. In den letzten Tagen erreichte die Arbeits- und Sozialminister der Länder ausgerechnet aus Bayern ein Vorschlag zu einer weiteren Sondersitzung. Die Kollegin Haderthauer wollte – ich zitiere – „eine andere vernünftige Umsetzungsform prüfen“. Das ist deshalb besonders pikant, weil es gerade das Land Bayern war, das mit eigenen Vorschlägen wochenlang vernünftige Ergebnisse blockiert hat. Wie meine Kolleginnen und Kollegen der A-Länder halte ich diesen Vorschlag aus Bayern für ein durchsichtiges Manöver. Profilieren kann man sich damit jetzt nicht.
Unsere Antwort ist deutlich. Wir haben Frau Haderthauer aufgefordert, bei der CDU/CSU-Fraktion dafür zu werben, den einstimmigen Vorschlag der Bundesländer mitzutragen. Auf eine Sondersitzung der ASMK haben wir gemeinsam verzichtet.
Frau Pop! Ein Wort zu Ihrem Antrag und zum Bundesrat: Ich habe die Befürchtung, dass wir zum jetzigen Zeitpunkt im Bundesrat keinen 16:0-Beschluss mehr hinbekommen. Dafür ist die Lage in der CDU/CSU inzwischen viel zu unübersichtlich, selbst wenn einige Ministerpräsidenten sich anders verhalten. Für mich ist das Verhalten der CDU in Brandenburg ein deutliches Signal. Das kommt doch nicht zufällig! Außerdem dürfen wir nicht vergessen, dass die FDP schon ihre Blockadehaltung für den Bundesrat angekündigt hat und einige Länder unter diesem Aspekt ausfallen werden. Ich habe im Moment große Zweifel, ob der Kompromiss im Bundesrat jetzt noch mehrheitsfähig ist.
Zum Schluss will ich noch einmal deutlich unterstreichen: Wenn ein schlechtes Gesetz nicht noch schlechter werden soll, dann müssen wir auf das Wissen, auf die Erfahrung, auf die Kompetenzen der Kolleginnen und Kollegen in den Jobcentern zurückgreifen, dann müssen wir das nutzen, und wir müssen weitere Perspektiven für sie entwickeln. Wenn wir in der Zeit der Krise, statt Arbeit zu fördern, Arbeitslosigkeit finanzieren wollen, sind wir schlecht beraten. Deshalb brauchen wir die gesicherte Zukunft der Jobcenter. Und wenn wir wollen, dass der
Einfluss der Kommunen und der Länder auf die Arbeitsmarktpolitik stärker wird, dann müssen wir jetzt den Weg des Kompromisses gehen, statt Wahlkampf auf dem Rücken der Betroffenen und der Beschäftigten zu machen. – Vielen Dank!
Vielen Dank! – Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen. Ich komme dann zur Abstimmung, zunächst zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 16/2280. Dazu hat die Fraktion der CDU einen Änderungsantrag eingebracht, über den ich jetzt abstimmen lasse. Wer dem Änderungsantrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist bei keinem der Fall. Wer ist dagegen? – Das sind die übrigen anwesenden Fraktionen. Wer enthält sich? – Niemand enthält sich. Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt.
Ich komme jetzt zur Drucksache 16/2280. Die antragstellende Fraktion der Grünen hat die sofortige Abstimmung beantragt. Wer dem Antrag seine Zustimmung zu geben wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer ist dagegen? – Das sind die übrigen Fraktionen. Wer enthält sich? – Dann ist auch dieser Antrag abgelehnt.
Ich komme jetzt zum Antrag der Koalitionsfraktionen Drucksache 16/2308. Auch hier soll eine sofortige Abstimmung stattfinden. Wer dem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Koalitionsfraktionen und die Fraktion der Grünen. Wer ist dagegen? – Dagegen ist die FDP-Fraktion. Damit ist so abgestimmt und erkannt.
Das ist die Priorität der CDU unter der lfd. Nr. 43. Aufgrund der Abwesenheit der CDU-Fraktion wird dieser Tagesordnungspunkt vertagt.