Protocol of the Session on January 29, 2009

[Carl Wechselberg (Linksfraktion): Wir gewinnen den Konflikt!]

Ja, das ist genau der Punkt, Herr Wechselberg! Es geht hier nicht um gewinnen und verlieren.

[Carl Wechselberg (Linksfraktion): In dieser Frage: Ja!]

Es geht darum, in dieser Stadt, in der es seit Jahrzehnten eine Auseinandersetzung gibt – ich habe gerade versucht, es darzustellen –, die jeden von uns bis ins Tiefste berührt, von den politisch Verantwortlichen eine Form zu finden, vielleicht auch in Abgrenzung – was Sie, Herr Müller kritisiert haben, was auch ich kritisiert habe –, wie von anderer Seite damit umgegangen wird, eine Form zu finden, diesen Konflikt zu moderieren und zu sagen: Jetzt muss Berlin als Stadt, als Gesellschaft, darüber entscheiden, wie sie es mit der Frage, die ihr vorgelegt wird, hält. Es wäre leicht, einen anderen Umgang zu pflegen. Sie lassen Ihren Innen- und Ihren Bildungssenator die Kampfansage verkünden,

[Martina Michels (Linksfraktion): Was?]

anstatt mäßigend in die Diskussion einzugreifen. Sie verkünden über die Zeitung, dass Sie den Wahltag nicht wollen, statt ein Gesprächsangebot über die Terminfindung zu unterbreiten. Sie weisen Kompromissangebote mit dem Bemerken zurück, die Zeit der Gespräche sei vorbei, anstatt zunächst einmal zu reden.

[Carl Wechselberg (Linksfraktion): Erläutern Sie uns doch mal, was der Kompromiss ist!]

Noch einmal: Es geht darum, eine Geste zu machen und eine politische Auseinandersetzung zu moderieren. Sie scheinen das wirklich nicht zu verstehen,

[Martina Michels (Linksfraktion): Ist auch nicht zu verstehen!]

weil Sie glauben, Sie könnten diese Auseinandersetzung führen wie jede andere x-beliebige politische Auseinandersetzung auch. Es ist aber etwas mehr daran, weil auch wir und insbesondere der Senat –

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, keine Zwischenfrage! – mit seiner Haltung natürlich eine bestimmte Wertehaltung in die Bevölkerung hinein vermittelt. Wir produzieren Bilder mit dem, was wir machen. Auch wir müssen uns der Frage stellen, was wir in die Stadt vermitteln. Wir halten es für richtig, um das

abschließend zu sagen, dass wir die Abstimmung am 7. Juni, dem Tag der Europawahl durchführen.

[Beifall von Andreas Gram (CDU)]

Wir haben es extra in die Verfassung hineingeschrieben, dass wir die Frist verlängern können –

[Andreas Gram (CDU): Genau so ist es!]

Herr Kollege!

Ich komme zum Schluss! –, und wir haben alle beklagt, dass die am Wahltag sich so eklatant manifestierende Politikverdrossenheit immer wieder zutage tritt. Die Politik lebt von Überzeugungen, und dafür müssen wir eintreten. Herr Müller, in diesem Punkt stimme ich Ihnen nicht zu –

Sehr langer Schlusssatz, Herr Kollege!

Jetzt kommt er.

[Heiterkeit]

Frau Bluhm, auch Ihnen stimme ich nicht zu, dass dieses Thema nichts mit Europa zu tun hat.

[Lars Oberg (SPD): Jetzt bin ich gespannt!]

Die Diskussion über die Kirche ist eine europäische.

[Martina Michels (Linksfraktion): Stimmt nicht!]

Herr Kollege Ratzmann! Bei aller Wertschätzung!

Wie stimmen wir ab über direkte Demokratie? Sollen wir über den Lissabon-Vertrag abstimmen oder nicht? Wer meint, das habe nichts mit Europa zu tun, der irrt sich.

[Zurufe von Martina Michels (Linksfraktion) und Lars Oberg (SPD)]

Deshalb sage ich: Stimmen Sie unserem Antrag zu, dann gewinnt die Demokratie und die ist immer ein guter Sieger! – Vielen Dank!

[Beifall bei den Grünen – Beifall von Marion Kroll (CDU)]

Nach diesem ellenlangen Schlusssatz hat der Kollege Dr. Lindner das Wort für die FDP-Fraktion. – Bitte!

Herr Präsident! Verehrte Damen! Meine Herren! Lassen Sie mich zuerst der Initiative „Pro Reli!“ zu ihrem wirklich großartigem Erfolg gratulieren! Über 300 000 Stimmen sind ein ganz starkes Signal bürgerschaftlichen Engagements in dieser Stadt.

Ich sage Ihnen – ich habe das auch bereits in Interviews getan – mit dem Begriff „Pro Reli“ waren ich und die FDP nie ganz glücklich. Es geht hier nicht darum, in dieser Stadt eine Art Zwangschristianisierung durchzuführen, eine Missionierung, sondern es geht hier um die Freiheit.

[Beifall bei der FDP]

Es geht um die Wahlfreiheit. Ich mache keinen Hehl daraus, dass wir auch in der FDP kritische Stimmen zu dieser Initiative haben.

[Christian Gaebler (SPD): Ach! – Martina Michels (Linksfraktion): Die hört man gar nicht!]

Wir haben in der FDP Menschen, die für Ethikunterricht sind. Wissen Sie, Herr Gaebler, ich breche mir nichts dabei ab, das hier kundzutun,

[Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Was könnten Sie sich auch abbrechen!]

im Gegensatz zu Ihrem Fraktionsvorsitzenden, der hätte erwähnen können, dass namhafte SPD-Parteifreunde, wie Thierse und andere – –

[Christian Gaebler (SPD): Ist allgemein bekannt!]

Es ist einfach die Frage, ob man die Souveränität hat, das hier auszusprechen oder ob man kleinkariert die eigene Partei als Kampfverband führt. Das ist ein Unterschied.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Wir sind keiner, wir sind eine liberale Partei. Da gibt es auch Raum für Menschen, die dem kritisch gegenüberstehen. Die fragen: Berührt das nicht die grundsätzliche Trennung von Staat und Kirche. – Das ist ein sensibler Bereich. Aber: Wir befinden uns hier nicht in einem luftleeren Raum. Der Kollege Müller hat vorhin Grundwerte dargestellt, Grundrechte. Ich frage Sie: Woher kommen die? Was war 1945 nach dem militärischen, wirtschaftlichen, vor allem aber moralischem Zusammenbruch dieses Landes? Was war das Grundgerüst, das dann wiederum das Grundgerüst für das Grundgesetz gebildet hat? – Das sind natürlich Gedanken des Humanismus, der Aufklärung, aber natürlich auch der christlich-abendländischen Kultur. Wir können doch nicht 2 000 Jahre einfach geistig verschwinden lassen! Wir müssen uns damit auseinandersetzen, wir müssen damit leben. Deshalb ist das oft eine virtuelle Grenze. Wir fordern nicht die Abschaffung von christlichen Feiertagen wie Weihnachten oder Ostern, sondern wir leben damit. Vor allen Dingen aber, das führt mich zu dem Kern der Sache, geht es um die Frage, wie wir eine optimale Wertevermittlung in dieser Stadt gewährleisten.

Da schaue ich mir diese multikulturelle und diese multireligiöse Stadt an und sage: Na ja, gerade hier muss es uns doch angelegen sein, auch beispielsweise dem recht großen muslimischen Bevölkerungsanteil die Möglichkeit zu geben, im Zuge eines staatlich kontrollierten Unterrichts den muslimischen Kindern die Kompatibilität des Islam mit unseren Grundwerten beizubringen.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Das, glaube ich, gelingt wesentlich besser auf diese Weise als durch eine – ich sage einmal etwas überspitzt, nehmen Sie es mir nicht krumm – 40 Jahre alte, zwei Mal geschiedene Ethiklehrerin.

[Unruhe bei der SPD, der Linksfraktion und den Grünen – Martina Michels (Linksfraktion): Das ist schon langsam menschenverachtend, was Sie da machen!]

Die wird in wesentlich schwächerer Form ein muslimisches Kind in einen Zielkonflikt mit möglichen Hinterhofhetzern bringen.

[Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Das Niveau ist nicht mehr zu unterbieten!]

Erst dann kriegt dieses Kind ein Gefühl von Zielkonflikt, wenn es am Nachmittag Hinterhofhetzer bekommt und am Vormittag einen seiner Ethnie, seiner Herkunft entsprechenden Religionslehrer,