Protocol of the Session on January 29, 2009

aber wenn Sie gänzlich unbewaffnet sind, dann hat das keinen Sinn, und deshalb lassen wir das.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Das alles ist nichts gegen Ihre sture Weigerung, den Volksentscheid auf den Tag der Europawahl zu legen. Das politische Kalkül dabei ist doch klar: Sie wollen eine möglichst niedrige Wahlbeteiligung, weil Sie die Meinung des Volkes fürchten und eine Heidenangst davor haben, eine Niederlage einzufahren. Da ist es Ihnen völlig egal, dass Sie den Steuerzahlern 1,4 Millionen Euro völlig unnötiger Kosten aufbürden. Sie mögen ja vielleicht der Meinung sein, dass es bei knapp einer Milliarde Euro neuer Schulden auf diese Summe nicht mehr ankommt, aber die Bürger haben auch einen Anspruch darauf, dass Sie verantwortlich mit ihren Steuergeldern umgehen.

[Zurufe von der Linksfraktion]

Das entspricht auch dem Geist der Berliner Verfassung.

Herr Müller! Ich habe mir auch noch einmal die Begründung zum Verfassungsänderungsantrag aus dem Jahr 2006 angesehen – übrigens einem Antrag aller fünf im Abgeordnetenhaus vertretenen Fraktionen. In der Begründung zum Artikel 62 Abs. 4 heißt es zu der Frage, warum ein Volksentscheid möglichst mit anderen Wahlterminen zusammenfallen sollte – ich zitiere –:

Das entspricht dem gewünschten Aspekt der Bürgerfreundlichkeit und auch der Notwendigkeit, kostenschonend zu verfahren.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Meine Damen und Herren von SPD und Linkspartei! Das haben Sie mitbeschlossen. Über diesem Antrag stehen die Namen Ihrer Fraktionen, aber jetzt ist Ihnen offenbar kein fadenscheiniges Argument zu schade, um aus dieser Sache herauszukommen. Herr Müller hat am Wochenende noch dem Regierenden Bürgermeister sekundiert und erklärt, es handle sich um eine herausragende Entscheidung, die für sich stehe.

[Martina Michels (Linksfraktion): Richtig!]

Sie haben das heute noch einmal wiederholt. – Aber dann, Herr Müller, dann frage ich Sie, um ein Stück weit

in Ihrer anmaßenden Diktion zu bleiben: Welches Volksbegehren wäre denn so unwichtig, dass man es mit der Europawahl zusammenlegen könnte? Das ist doch lächerlich, was Sie hier abliefern!

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Wir als Union sprechen uns klar für den 7. Juni 2009 aus. Es gehört zur gewünschten demokratischen Kultur, dass eine Entscheidung breit legitimiert ist und möglichst viele Befürworter, aber auch die Gegner zu Wort kommen. Wenn Sie einen Termin suchen, an dem die Beteiligung möglichst niedrig ist, die Kosten möglichst hoch und die Organisation besonders hektisch und chaotisch ist, dann haben Sie den Sinn eines Volksbegehrens offenbar nicht verstanden. Dann frage ich mich auch, Herr Regierender Bürgermeister, Herr Müller und meine Damen und Herren von der Koalition: Was ist das für ein trauriges Demokratieverständnis, das Sie hier an den Tag legen?

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Ich sage auch: Es ist schlimm genug, dass Sie beim Wahltermin tricksen wollen, aber dass Sie es auf einen Kirchenkampf anlegen, auf eine verbale Eskalation mit den Kirchen, das ist für uns unerträglich.

[Beifall bei der CDU – Michael Müller (SPD): Wo?]

Herr Müller! Wenn die linke Politikerin Pau das Volksbegehren als nostalgische Lobbyveranstaltung verunglimpft und damit die Gefühle von religiösen Menschen, von Christen, Juden und Muslimen verletzt, dann sage ich, dass von den Linken nichts anderes zu erwarten war. Religion ist im Osten der Stadt bis zum Fall der Mauer lange genug unterdrückt worden. Aber dass der Regierende Bürgermeister die Kirchen unter den Manipulationsverdacht stellt, weil sie sich für eine Zusammenlegung mit der Europawahl einsetzen, das ist der Gipfel der Frechheit.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Sie führen sich hier auf wie ein absolutistischer Herrscher.

[Och! von der Linksfraktion]

Die Kritiker in den eigenen Reihen – ich denke da an Frau Hertel oder Herrn Felgentreu – murren nur noch hinter verschlossenen Türen, aber nach außen ist die Berliner SPD längst zu einer spirituellen Selbsterfahrungsgruppe geworden. Am Ende scharen Sie sich alle um Ihren Guru Wowereit und verlieren dabei völlig den Kontakt zur Außenwelt.

[Beifall bei der CDU und der FDP – Zuruf von Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion)]

Herr Wowereit! Ich gehe davon aus, dass Sie der Bürgerwille auch weiterhin nicht interessieren wird, dass Sie genauso stur bleiben werden, wie Sie es in der Vergangenheit waren, aber die Bevölkerung wird Ihnen diese Arroganz der Macht nicht ewig verzeihen, und sie wird die Arroganz der Macht nicht ewig hinnehmen. Für Ihr

Verhalten werden Sie die Quittung bekommen, das ist sicher!

[Beifall bei der CDU]

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, hat den Erfolg des Volksbegehrens mit den Worten kommentiert:

Es ist bewundernswert, was Bürgerinnen und Bürger durch ihre Überzeugungskraft, ihre Entschlossenheit und ihren Mut erreichen können.

Dem möchte ich hinzufügen: Die Berlinerinnen und Berliner sollten sich durch die Tricksereien dieses rot-roten Senats nicht entmutigen lassen. Die Menschen in unserer Stadt haben es auch weiterhin in der Hand. Sie haben uns dabei an ihrer Seite. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Vielen Dank, Herr Fraktionsvorsitzender Henkel! – Das Wort für die Linksfraktion hat die Frau Abgeordnete Bluhm. – Frau Bluhm, bevor ich Ihnen das Wort erteile, bitte ich um die Aufmerksamkeit aller Kolleginnen und Kollegen. Wir haben zehn Gäste zu begrüßen, und zwar zehn Abgeordnete der indonesischen DPR. – Seien Sie herzlich willkommen in Berlin! Ich wünsche Ihnen eine angenehme Zeit.

[Beifall]

Bitte sehr, Frau Bluhm!

Meine Damen und Herren! Berlin ist zu einer Modellstadt der direkten Demokratie geworden. Das haben wir so gewollt, und das begrüßen wir auch. Mit „Pro Reli“ steht uns erneut ein Volksentscheid bevor, und wenn auch das offizielle Endergebnis erst in ein paar Tagen vorliegen wird – etwa 300 000 Bürgerinnen und Bürger haben sich eingemischt. Das ist erst einmal ein gutes Zeichen für unsere Stadt.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Jetzt haben die Berlinerinnen und Berliner die Wahl. Sie können darüber entscheiden, welches Modell am besten zu Berlin passt. Sie werden darüber abstimmen, ob sie es besser finden, wenn es einen gemeinsamen Ethikunterricht für alle Schüler gibt und die Teilnahme am christlichen, islamischen, buddhistischen Religionsunterricht wie bisher zusätzlich und freiwillig bleibt, oder ob die Schüler künftig getrennt unterrichtet werden und sich entscheiden müssen, ob sie an einem christlichen, islamischen – wenn es dafür einen überhaupt gibt – oder einem anderen Religionsunterricht oder alternativ am Ethikunterricht teilhaben wollen. Vor die Wahl gestellt, haben bei Infratest dimap im Dezember übrigens 58 Prozent der Berlinerinnen und Berliner für das gemeinsame Fach und den weiterhin freiwilligen Religionsunterricht plädiert.

Als Regierungsfraktion teilen wir das Anliegen des Volksbegehrens und der Initiative „Pro Reli“ nicht, denn da geht es eben nicht um so wertvolle Dinge wie Wahl und Freiheit. Stattdessen richtet sich der Gesetzentwurf von „Pro Reli“ klar und deutlich gegen eine mir persönlich wichtige Entscheidung, die wir 2006 getroffen haben. Die Argumente dazu haben wir 2006 ausgetauscht, es sind die gleichen geblieben. Der freiwillige Religionsunterricht wird, wie bislang, unterstützt, und es ist durchaus auf der Tagesordnung, dass Ethiklehrerinnen und -lehrer auch Pfarrer oder Imame in ihren Unterricht einladen. Ich finde es bedauerlich, dass „Pro Reli“ all das bei ihrer Stimmensammlung ausgeblendet hat und man in letzter Zeit wieder öfter hören kann, Rot-Rot hätte den Religionsunterricht in Berlin abgeschafft. Genau deshalb will ich mich jetzt ausnahmsweise einmal mit den drei für mich schwierigsten Aspekten der Kampagne und wie sie geführt wurde auseinandersetzen.

Kommen wir zum Ersten, zum Sachlichsten in dieser Erörterung, kommen wir zu den Zahlen, zu den Teilnehmerzahlen am freiwilligen Religions- und Weltanschauungsunterricht und der Behauptung, durch die Einführung des Ethikunterrichts würden die Teilnehmerzahlen am freiwilligen Religionsunterricht um 50 Prozent sinken – so die Prognose 2006. In der Kampagne des Jahres 2008 hieß es dann, tatsächlich seien sie um 25 Prozent zurückgegangen.

Wie sehen die Zahlen tatsächlich aus? – Erstens ist der Zuschuss von knapp 48 Millionen Euro pro Jahr für den freiwilligen Religions- und Weltanschauungsunterricht in den vergangenen Jahren angestiegen. Zweitens ist die Gesamtschülerzahl in Berlin seit 2005 um 20 000 Schülerinnen und Schüler auf jetzt 223 000 Schülerinnen und Schüler zurückgegangen. Vor diesem Hintergrund ist der Rückgang der Teilnehmerinnen- und Teilnehmerzahlen am freiwilligen Religions- und Weltanschauungsunterricht um 6 300 auf jetzt 160 000 sogar unterproportional. Und es muss angefügt werden, dass in den Grundschulen die Teilnehmerinnen- und Teilnehmerzahlen sogar angestiegen sind, nämlich um 11 000 auf 127 000 Schülerinnen und Schüler. In den Grundschulen haben sich die Zahlen der Teilnehmer am evangelischen und katholischen Religionsunterricht explizit gesteigert, sind größer geworden.

Genau das war der Sinn unserer Regelung. Wir wollten ein gemeinsames Unterrichtsfach ab der siebten Klasse, weil wir wussten, dass das Gros des freiwilligen Unterrichts vorher, in der Grundschule, stattfindet. Wir wollten hier keine auch zeitliche Konkurrenz, sondern ein faires Neben- und Miteinander.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Warum also wird hier falsch Zeugnis abgelegt, gerade von der Initiative „Pro Reli“?

Kommen wir zum zweiten Punkt meines Unbehagens. Wie wurden die Unterschriften gesammelt? – In einer Schule in Zehlendorf, am Wannsee, ging das so: Der

sechsjährige Schulanfänger und Sohn eines Abgeordneten meiner Fraktion kam freudestrahlend und hochmotiviert aus der Schule und brachte eine Unterschriftenliste für „Pro Reli“ nach Hause. Er sollte und wollte möglichst viele Unterschriften von seinen Eltern, den Nachbarn, Bekannten und Verwandten seiner Eltern in die Schule zurückbringen.

[Mieke Senftleben (FDP): Gut so! – Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Ein Sechsjähriger!]

Sie sagen „Gut so!“ Ich finde: Das ist eine unmögliche, aber auch unlösbare Situation für die Eltern, insbesondere dann, wenn sie das Anliegen nicht teilen. Haben Sie sich vorher einmal Gedanken darüber gemacht, was das bei den Eltern und bei den Schülern anrichtet?

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Ich frage Sie: Was sollen die Eltern tun? Sollen sie die Motivation dieses kleinen Jungen irritieren? Sollen sie die Autorität der Schule untergraben, indem sie dieses Volksbegehren und dieses Ansinnen einfach ignorieren? So sammelt man keine Unterschriften, sage ich Ihnen, und so kommt man auch nicht zum Erfolg. Das ist auch keine fair geführte Debatte.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Das ist darüber hinaus keine Art, Unterschriften zu sammeln, die eine andere Meinung zulassen.