Protocol of the Session on January 15, 2009

Bitte sehr!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Ich frage den Senat:

1. Welche Maßnahmen beabsichtigt die Senatsverwaltung für Justiz zu ergreifen, um auf die weiterhin steigende Belastung des Sozialgerichts durch Alg-II-Verfahren zu reagieren?

2. Wird dabei der volle Zugang zum Rechtsweg für Alg-II-Empfänger gewährleistet bleiben?

Dann ist der Kollege Lehmann von der FDP-Fraktion mit der Frage Nr. 5 zum Thema

Kommen die sozialpolitischen Initiativen jetzt aus dem Justizressort?

an der Reihe. – Bitte Herr Lehmann, Sie haben das Wort!

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Ich frage den Senat: Die Justizsenatorin hat im „Tagesspiegel“ vom 12. Januar 2009 angekündigt, in der nächsten Sitzung der Justizminister im Januar Verbesserungen in der Hartz-IVGesetzgebung zu erarbeiten. An welche konkreten Maßnahmen denkt die Senatorin dabei, und sollte aus ihrer Sicht die Angemessenheit des Wohnraums bundesweit geregelt werden, damit es auch in Berlin endlich eine gesetzeskonforme Regelung dazu gibt?

Danke schön, Herr Kollege Lehmann! – Für den Senat antwortet die Frau Justizsenatorin. – Bitte schön, Frau von der Aue, Sie haben das Wort!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Abgeordneter Dr. Felgentreu! Ich beantworte Ihre Fragen wie folgt: Die Justizverwaltung wird auf die weiter steigende Klageflut beim Sozialgericht dadurch reagieren, dass zunächst mehr Personal zugewiesen werden wird. Im Haushalt für die Jahre

2008/2009 sind für das Sozialgericht 77,5 Stellen ausgewiesen. Wir haben bereits im vergangenen Jahr wegen der starken Arbeitsbelastung beim Sozialgericht frei werdende Stellen aus anderen Justizbereichen dazu genutzt, weitere Proberichterinnen- und Proberichterstellen für das Sozialgericht zu finanzieren. Wir werden auch in diesem Jahr so verfahren und frei werdende Stellen anderer Justizbereiche für die Finanzierung weiterer Proberichter für das Sozialgericht nutzen. Darüber hinaus strebe ich für den Haushalt 2010/2011 an, den Haushalt des Sozialgerichts um 40 weitere Richterstellen zu verstärken, sowie weitere Stellen im nicht richterlichen Bereich im mindestens selben Umfang zu beantragen.

Ich bin aber der Auffassung, dass die Antwort auf die bundesweit gestiegene Klageflut nicht allein in der immer stärkeren Zuweisung von Personal für die Sozialgerichte gefunden werden kann. Es geht darum, den Missstand bei der Wurzel zu packen und bei den Ursachen für die Verfahrensflut bei den Sozialgerichten anzusetzen. Dazu gehört, zunächst die Defizite im Vollzug des Sozialrechts zu bekämpfen, die insbesondere dadurch belegt werden, dass es eine Erfolgsquote von bundesweit rund 38 Prozent gibt. Im Vergleich dazu liegt die Erfolgsquote in der Verwaltungsgerichtsbarkeit bei rund 10 Prozent, in der Finanzgerichtsbarkeit sind es rund 4 Prozent. Nimmt man in Berlin die Fälle hinzu, die im Weg des Vergleichs beendet werden, kommen wir zumindest bei Teilerfolgen zu einer Quote von rund 50 Prozent.

Die Ursachen der Verfahrensflut zu bekämpfen bedeutet aber auch, bei den gesetzlichen Grundlagen anzusetzen, die erfahrungsgemäß häufig unklar und schwer handhabbar sind. Deshalb habe ich in der Herbstkonferenz der Justizministerinnen und -minister des Bundes und der Länder im vergangenen Jahr die Initiative ergriffen. Im Ergebnis haben die Justizministerinnen und -minister beschlossen, unter der Federführung meines Hauses eine Arbeitsgruppe zu dem Thema „Maßnahmen zur Verminderung der Belastung und zur Effizienzsteigerung der Sozialgerichte“ einzurichten. Diese Arbeitsgruppe wird in diesem Monat ihre Arbeit beginnen. Ihre Aufgabe wird es vor allem sein, Empfehlungen zur Änderung des Prozessrechts, des materiellen Rechts, insbesondere des prozessträchtigen SGB II, und zu den Verfahrensweisen der Sozialleistungsträger zu entwickeln, um dann gemeinsam mit den Arbeits- und Sozialministern Gesetzesinitiativen vorzubereiten.

Zu Ihrer Frage 2: Nichts liegt mir ferner, als Menschen, die Arbeitslosengeld II beziehen, den Zugang zu den Gerichten zu erschweren. Es dürfte aber doch wohl im Interesse aller Empfängerinnen und Empfänger von Arbeitslosengeld II sein, wenn die gesetzlichen Grundlagen so gestaltet sind, dass die Hilfeempfänger auch ohne gerichtliches Verfahren zu ihrem guten Recht kommen.

Herr Abgeordneter Lehmann! Ich komme zur Beantwortung Ihrer Frage. Ich bin der Auffassung, dass ich als Justizministerin auch verpflichtet bin, auf Unzulänglich

keiten in den Gesetzen hinzuweisen und dafür zu sorgen, dass sie praxistauglich werden. Ich habe mich, anders als Ihre Frage nahelegt, nicht damit befasst, ob jemand einen bestimmten Anspruch haben soll oder nicht, sondern damit, wie die gewährten Ansprüche gesetzlich und verwaltungsorganisatorisch gefasst sind, damit nicht die Gerichte mit vermeidbaren Streitfragen befasst werden. Ich weise im Übrigen auch darauf hin, dass es nicht zutrifft, dass die Justizministerinnen und -minister sich im Januar treffen, um Verbesserungsvorschläge für die Hartz-Gesetzgebung zu erarbeiten, sondern, wie ich eben ausgeführt habe, eine Länderarbeitsgruppe diese Aufgabe bewältigen wird.

Bezüglich Ihrer Frage nach konkreten Maßnahmen bezüglich der Angemessenheit von Wohnraum bitte ich Sie, die Ergebnisse der Arbeitsgruppe abzuwarten. Gerade die Hartz-IV-Gesetzgebung hat gezeigt, dass übereiltes Handeln mehr Probleme schafft als löst. Aber sicher werden die Fragen, die Sie zum Thema angemessener Wohnraum gestellt haben, eine wichtige Rolle in der Diskussion spielen. – Vielen Dank!

Danke schön, Frau Senatorin! – Jetzt ist zunächst Herr Kollege Dr. Felgentreu mit einer Nachfrage an der Reihe. – Bitte schön, Herr Dr. Felgentreu!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Hält der Senat es über die von Ihnen angekündigten Maßnahmen hinaus für sinnvoll, die Qualität der Bescheide zu verbessern durch möglicherweise zusätzliche qualifikations- und motivationsfördernde Maßnahmen im Bereich der Jobcenter, um auf diese Weise eine geringere Anfechtungsquote vor Gericht zu erreichen?

Frau Senatorin von der Aue antwortet. – Bitte schön!

Herr Abgeordneter Dr. Felgentreu! Die Qualität der Arbeit in den Jobcentern ist natürlich immer wieder Gegenstand von Erörterungen zwischen dem Sozialgericht Berlin und der Senatsjustizverwaltung. Deshalb ist es Aufgabe der gerade eingesetzten Arbeitsgruppe zu untersuchen, welche Fehler in den Jobcentern gemacht werden und wie ihnen begegnet werden kann. Ich bitte auch in diesem Fall, auf die Ergebnisse der Arbeitsgruppe zu warten. Wir haben vor, bis zur Herbstkonferenz der Justizministerinnen und -minister voraussichtlich im November dieses Jahres erste Ergebnisse vorzulegen.

Jetzt ist der Kollege Lehmann mit einer Nachfrage an der Reihe. – Bitte schön, Herr Lehmann!

Frau Senatorin! Sie haben bereits darauf hingewiesen, dass die Hartz-IV-Gesetzgebung inhaltlich nicht in Ihr Ressort fällt. Aber kann ich dennoch davon ausgehen, dass Sie bereits mit Ihren Kolleginnen und Kollegen darüber gesprochen haben, inwieweit die AV Wohnen in Berlin gesetzeskonform ist oder nicht? Sollten Sie darüber noch nicht gesprochen haben, werden Sie das in der Arbeitsgruppe nachholen?

Frau Senatorin von der Aue – bitte!

Meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter Lehmann! Selbstverständlich werden wir alle erarbeiteten Ergebnisse und alle abgeleiteten Empfehlungen mit den zuständigen Sozial- und Arbeitsministerinnen und -ministern erörtern. Das ist ganz klar. Andererseits bitte ich Sie zu bedenken, dass wir es nicht einfach hinnehmen können, dass aus nachvollziehbaren Gründen die Klageeingänge immer weiter steigen und wir dadurch Personal binden, das wir auch an anderen Stellen dringend benötigen. Zu Ihrer konkreten Frage: Die AV Wohnen ist eine Verwaltungsvorschrift, die das Gericht nicht bindet. Es ist im Streit beziehungsweise es gibt unterschiedliche Auffassungen darüber, inwieweit der Bundesminister für Arbeit und Soziales seine Kompetenz zum Erlass einer Rechtsverordnung für diesen Bereich ausschöpfen sollte oder nicht. Auch dies wird Gegenstand der Praxisabfrage bei den Sozialgerichten und der Erörterung in der Arbeitsgruppe, schlussendlich auch der Justizministerinnen und -minister sein.

Jetzt geht es weiter mit einer Nachfrage des Kollegen Behrendt von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. – Bitte schön, Herr Behrendt!

Danke schön, Herr Präsident! – Frau Senatorin! Noch einmal zurück zur Ursache: Stimmen Sie mir zu, dass kein Gesetz der Welt und auch nicht die Gesetze zu Alg II den Jobcentern verbieten, bürgerfreundlich, zügig und vor allen Dingen rechtmäßig zu handeln, und dass deshalb eine wesentliche Ursache dieser Klageflut eher in der Praxis der Jobcenter liegt als in den Gesetzen?

[Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Bitte schön, Frau Senatorin von der Aue!

Meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter Behrendt! Ich vermag im Moment noch nicht zu beurteilen, welches das größere Problem ist: die Unklarheit oder die Abstraktion der gesetzlichen Vorgaben oder eine mangelhafte Praxis in den Jobcentern. Es ist klar, dass uns die Kollegen aus dem Sozialgericht gemeldet haben, dass es eine Vielzahl von Formfehlern gibt. Ich wiederhole, dass sich die Richterinnen und Richter in der Freizeit mit den Sachbearbeiterinnen und -bearbeitern zusammengesetzt und mit ihnen über die Unzulänglichkeiten gesprochen haben. Mir ist mitgeteilt worden, dass ein großer Teil der Formfehler nicht mehr passiert. Gleichwohl gibt es immer noch Mängel. Die gilt es zu erfassen und zu systematisieren, und es gilt, Vorschläge zu erarbeiten, wie man auch diese beseitigen kann.

Danke schön, Frau Senatorin! – Jetzt ist der Kollege Hoffmann von der CDU-Fraktion mit einer Nachfrage an der Reihe. – Bitte!

Wäre es, Frau Senatorin, gerade bei der AV Wohnen – auch wenn Sie sagen, das sei nicht ihr Hauptanliegen – nicht ein erster Schritt gewesen, innerhalb des Senats für eine Regelung zu sorgen? In Berlin führen doch offensichtlich auch aufgrund dieser Verwaltungsvorschrift viele Klagen zum Sozialgericht. Da es das zu vermeiden gilt und in der Tat auch viele Formschwächen aus der Verwaltungsbehandlung durch die Petenten beklagt werden, wäre es da nicht doch besser gewesen, Sie hätten erst einmal innerhalb des Senats eine Regelung gefunden, um zumindest einen Großteil der Problemlagen, die dann beim Sozialgericht landen, abzuschaffen, als eine so langfristige Initiative zu ergreifen?

Frau Senatorin von der Aue!

Meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter Hoffmann! Ich hatte eben ausgeführt, dass die AV Wohnen, die im Übrigen gerade vom Senat aktualisiert wurde, eine reine Verwaltungsvorschrift ist. Das heißt, wenn ein Anspruchsberechtigter und sein Rechtsanwalt der Auffassung sind, dass diese Vorgaben nicht mit einem angemessenen Wohnraum übereinstimmen, steht ihnen der Klageweg offen. Die Gerichte sind an Verwaltungsvorschriften nicht gebunden.

[Zuruf von Gregor Hoffmann (CDU)]

Insoweit wird von unserem Sozialgericht durchaus die Forderung erhoben, dass der Bundesminister seine Ermächtigung zum Erlass einer Rechtsverordnung für diesen Bereich ausschöpfen sollte. Das wird in der Tat Gegenstand dieser Arbeitsgruppe sein, wie ich gerade ausgeführt habe. Dem kann man nicht durch den Erlass einer landeseigenen Verwaltungsvorschrift Genüge tun.

Danke schön, Frau Senatorin!

Bevor ich die Frage Nr. 2 von Frau Thamm aufrufe, habe ich noch eine Mitteilung zu machen. Die neue Staatssekretärin für die Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung, Frau Claudia Zinke, ist unter uns. – Herzlich willkommen, Frau Zinke!

[Allgemeiner Beifall]

Gute Zusammenarbeit und alles Gute in Ihrem neuen Amt!

Dann ist Frau Thamm von der CDU-Fraktion mit der Frage Nr. 2 an der Reihe. Diese hat das Thema

Wie werden die Kindertagespflegestellen gesichert und ausgebaut?

Bitte schön, Frau Thamm!

Danke schön! – Sehr geehrtes Präsidium! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich frage den Senat:

1. Wie sieht die haushalterische Absicherung der AV zur Finanzierung der Kindertagespflege für das Jahr 2009 aus, und in welchem Kapitel/Titel und in welcher Höhe wurden die Summen eingestellt?

2. Wie wird die Verteilung des Geldes an die Bezirke sichergestellt und dabei deren unterschiedliche Bedarfe – orientiert an der unterschiedlichen Anzahl und Größe der Pflegestellen – berücksichtigt?

Danke schön, Frau Thamm! – Für den Senat antwortet der Finanzsenator. – Herr Dr. Sarrazin, bitte schön!

Frau Abgeordnete Thamm! Die beiden Fragen stehen im Zusammenhang, werden darum auch beide zusammen beantwortet. – Der Bildungssenator hat Ende Dezember für die Finanzierung der Kindertagespflege Ausführungsvorschriften erlassen, um die Belastungen der Tagespflegepersonen, die ab dem 1. Januar 2009 aus steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Gründen entstehen, abzufangen. Dieses Abfangen erfolgt dadurch, dass nachgewiesene Aufwendungen für Kranken- und Pfle

geversicherung hälftig erstattet werden und der Beitrag leistungsgerecht ausgestaltet wird, der zur Anerkennung der Förderungsleistung gegeben wird. Dabei werden der zeitliche Umfang, die Anzahl und der Förderbedarf der Kinder berücksichtigt.

Damit wird der Änderung des SGB VIII Rechnung getragen. Man muss dabei sehen, dass damit nicht alle Härten im Einzelfall ausgeglichen werden können. Es kann sein, dass die eine oder andere Tagespflegeperson etwas weniger bekommt und die andere etwas mehr. – Es wird in der Summe zu Mehrausgaben in der Kindertagespflege führen. Diese Ausgaben sind in Kapitel 4020, Titel 671 51 veranschlagt. Dort waren bisher für das Haushaltsjahr 2009 27 Millionen Euro vorgesehen. Es wird jetzt mit Mehrausgaben von 8 Millionen Euro gerechnet. Sie werden im Rahmen der Basiskorrektur für das Jahr 2009 berücksichtigt. – Danke schön!

Danke schön! – Gibt es eine Nachfrage der Frau Kollegin Thamm? – Dann hat sie das Wort.