Protocol of the Session on December 14, 2006

[Christoph Meyer (FDP): Das ist Gesetz!]

Die meisten Kugeln verfehlen allerdings ihr Ziel. Ihr Vorwurf zum Beispiel, prognostizierte Mehreinnahmen aus dem Steueraufkommen verpflichteten, einen Nachtrag aufzustellen, wurde Ihnen gestern vom Wissenschaftlichen Parlamentsdienst abschlägig beschieden. Ebenso ins Leere läuft – das hätten Sie auch noch einmal sagen müssen, Herr Esser – Ihr Vorwurf, die beabsichtigte Änderung der Hebesätze sei nur über Nachtragshaushalt möglich – eine Behauptung, der Sie praktisch bis vor drei Tagen nachgegangen sind.

[Zuruf von den Grünen]

Der Wissenschaftliche Parlamentsdienst gibt Ihnen allerdings darin Recht, dass § 87 Absatz 2 Satz 2 der Verfassung von Berlin verlangt, die Kreditermächtigung des Haushaltsentwurfs müsse reduziert werden.

Nun liegt das Initiativrecht für den Haushalt beim Senat. Es ist also nicht völlig abwegig – ich glaube, dem müssen Sie zustimmen –, dass man den Senat fragt, wie er die Situation einschätzt. Thilo Sarrazin hat gestern im Ausschuss deutlich gemacht, dass seines Erachtens Artikel 87 Abs. 2 Satz 1 VvB im Vollzug den verfassungskonformen Haushalt gewährleistet. Ich wiederhole: im Vollzug den verfassungskonformen Haushalt gewährleistet. Die sich aus Satz 1 ergebende Logik ermögliche eine Kreditaufnahme eben nur – hier zitiere ich die Verfassung, lieber Herr Esser – „als letztes Mittel, wenn andere Mittel zur Deckung nicht vorhanden sind“. Eine Ermächtigung ist eben noch keine Einnahme. Das müssen Sie bei Ihrer Argumentation auch berücksichtigen.

Ich finde, dass diese unterschiedlichen Auffassungen, zum einen das WPD-Gutachten, das besagt, dass Artikel 87 Abs. 2 Satz 2 VvB ausschlaggebend sei, und zum anderen der Senat – dessen schriftliche Stellungnahme wir neugierig erwarten –, der sagt, Artikel 87 Abs. 2 Satz 1 VvB sei ausschlaggebend, durchaus spannend sind. Die Frage, ob wir uns einem Nachtragshaushalt stellen oder nicht, ist eine, die eine genauere Erörterung verdient. Wie können – darüber gibt es keinen Zweifel, hierin stimme ich Ihnen zu – diesen Nachtragshaushalt fordern. Die Frage ist aber: Wollen wir es? – Lassen Sie uns diese Frage in Ruhe zu Beginn des Jahres besprechen und gemeinsam als Haushaltssouverän entscheiden.

Ich komme zum Schluss. – Es sollte keine Angelegenheit zwischen Koalition und Opposition sein, sondern es handelt sich um eine Angelegenheit zwischen Legislative und Exekutive, hier stimme ich Ihnen zu. Allerdings nur nach vorheriger Prüfung. Deshalb haben wir Ihren Antrag gestern nicht behandelt und vom Senat zunächst eine schriftliche Stellungnahme erbeten. Das ist keine Verweigerungshaltung, keine Verzögerungstaktik, kein Hinhalten, das ist ordentlicher parlamentarischer Brauch. Lassen Sie uns diesen Moment des Innehaltens. Er dient zur Klärung eines weitaus komplexeren Sachverhaltes als Sie versucht haben, uns hier weiszumachen. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Danke schön, Herr Kollege Zackenfels! – Für die Fraktion der CDU hat nunmehr der Kollege Goetze das Wort. – Bitte schön, Herr Goetze!

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verehrte Kollege Zackenfels! Die Fragen, die sich nach Ihrem Vortrag stellen, lauten: Wovor haben Sie und die Koalitionsfraktionen Angst, dass Sie nicht in der Lage und Willens sind, einen Nachtragshaushalt vorzulegen? Was kann dabei schiefgehen? Wo sehen Sie das Risiko? Man muss beinahe den Eindruck gewinnen, dass derjenige, der von SPD- oder Linksparteiseite den Begriff „Nachtragshaushalt“ in den Mund nimmt, vom Kollegen Sarrazin im Geldspeicher eingesperrt wird und sämtliche Taler polieren muss.

[Christoph Meyer (FDP): Da ist doch nichts drin!]

So ist Ihre Sichtweise, wenn Sie sich dem Thema Nachtragshaushalt stellen sollen.

Wir haben soeben von Ihnen gehört, dass wir als Haushaltsgesetzgeber den Senator bitten sollen, in eine Betrachtung darüber einzutreten, ob wir den Nachtragshaushalt brauchen oder nicht. Das WPD-Gutachten ist sehr eindeutig. Es zeigt auf, weshalb er aus Sicht der hier im Haus tätigen Wissenschaftler zwingend notwendig ist. Die Reaktion der Koalition besteht darin, den Senator zu befragen. Wir können demnach festhalten, dass Sie keine eigene Meinung dazu haben – vielleicht noch nicht. Sie geben damit Ihr Recht als Legislative aus der Hand, hier einen solchen Nachtragshaushalt politisch einzufordern.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Das ist eine zutiefst defensive Auffassung, die in keiner Weise von der Verfassung geteilt wird.

Sie haben eben versucht uns klarzumachen, dass der verfassungsgemäße Haushaltsabschluss ausreicht. Das steht so nicht in der Verfassung. Sie beugen hier den Geist und die Buchstaben der Berliner Verfassung, indem Sie suggerieren, der verfassungsgemäße Abschluss – von dem heute niemand weiß, ob er kommen wird – würde ausreichen. Das ist aber nicht der Fall, das steht nirgendwo. Sie interpretieren völlig falsch, weil Sie vielleicht vom Finanzsenator zum Talerpolieren in seinen Keller gesperrt werden. Dabei wollen wir nicht mitmachen.

Wir haben die Situation, dass wir rund 1 Milliarde € Mehreinnahmen haben werden. Wir haben mindestens 300 Millionen € Ausgaben, die im Haushaltsplan 2007 nicht berücksichtigt sind. Das sind große Differenzen, über die dieses Parlament, der Haushaltssouverän, befinden sollte. Sie jedoch beginnen eine feingeistige Diskussion, ob nicht der verfassungsgemäße Haushaltsabschluss reicht. Das ist aus Sicht der Abgeordneten eine ganz miese Haltung, die von der Mehrheit des Hauses eingenommen wird, und es ist eine Haltung, die den Aufgaben des

Parlaments nicht gerecht wird. Haushaltskontrolle, Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit, das sind drei Grundsätze, die Sie offenbar ablehnen. Das haben Sie bereits im Hauptausschuss deutlich gemacht.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Sie haben das im Hauptausschuss auch deshalb deutlich gemacht, weil Sie die Möglichkeit, das WPD-Gutachten zu beauftragen, um die Frage zu klären, ob wir einen Nachtragshaushalt brauchen, nicht ergriffen haben. Sie haben sich dem verweigert. Sie haben argumentiert: Wir brauchen keine Untersuchung, für uns ist das völlig klar. Wir brauchen keinen Nachtragshaushalt, deshalb brauchen wir auch keine rechtliche Würdigung. Drei Wochen später stehen Sie hier vor dem Scherbenhaufen dieser Haltung. Es ist Ihnen bescheinigt worden, dass Sie falsch gelegen haben. Sie lernen aber nicht daraus und ziehen keine Konsequenzen.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Das ist ein ganz schlechter Beginn Ihrer Haushaltspolitik in dieser Legislaturperiode.

[Frank Henkel (CDU) meldet sich zu einer Zwischenfrage.]

Ein schlechter Beginn, der wirklich Übles befürchten lässt, wenn man sich Ihre Koalitionsvereinbarung anschaut, und der das, was wir uns gestern im Hauptausschuss an einzelnen Sachverhalten haben anhören müssen, die unter Ihrer Verantwortung in den letzten Jahren geschehen sind, in einem üblen Licht erscheinen lässt.

Bitte erklären Sie in den noch folgenden Redebeiträgen, dass Sie gewillt sind, diese akademische Diskussion über den Nachtragshaushalt aufzugeben. Kümmern Sie sich um das für einen Parlamentarier wirklich wichtige Thema und stimmen Sie den von uns vorgelegten Anträgen zu!

[Beifall bei der CDU, den Grünen und der FDP]

Vielen Dank, Herr Goetze! – Ihnen folgt für die Linksfraktion Herr Wechselberg.

[Dr. Friedbert Pflüger (CDU): Wenn sich jemand zu einer Zwischenfrage meldet, muss das doch zumindest einer vom Präsidium sehen!]

Ja, das haben wir einen Moment zu spät gesehen. –

[Zurufe von der CDU]

Jetzt hat Herr Wechselberg das Wort!

Was möchten Sie denn wissen, Herr Pflüger? – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Verfassungsfragen, Herr Kollege Goetze, haben immer eine akademische Qualität, das ist ihnen zu eigen. Das Problem mit der Verfassung liegt unter anderem darin, dass man ihre abschließende Interpretation nur vor Gericht geklärt be

kommt. Alle Meinungen, die Sie, die wir, die der Wissenschaftliche Parlamentsdienst vertritt, sind solange rein akademischer Natur, bis ein Gericht abschließend über die Interpretation der Verfassung entschieden hat.

[Uwe Goetze (CDU): Aber nur, wenn es Streit gibt!]

Das ist eines der Probleme, das man hat, wenn man über Verfassungsprobleme spricht.

Wir haben hier schon einige Überraschungen erlebt – auch als Rot-Rot, das räume ich ein. Wir sind zum Beispiel seinerzeit davon ausgegangen, dass es selbstverständlich absolut zulässig ist, so zu verfahren, wie es beispielsweise auch das Land Niedersachsen macht, und sich auf die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu berufen, ohne dass es darüber hinaus einer erweiterten Begründungspflicht bedarf.

[Christoph Meyer (FDP): Das haben nur Sie gedacht!]

Dann hat das Berliner Landesverfassungsgericht zu unserer Überraschung festgestellt, dass entgegen dieser Rechtsnorm und der allgemeinen Auslegung eine sehr viel vertieftere Begründung erforderlich ist, wenn man sich auf diese Verfassungsnorm berufen will. Das Berliner Verfassungsgericht ist sogar so weit gegangen, eine neue Verfassungsnorm freihändig zu entwickeln, die es vorher gar nicht gegeben hat, nämlich, dass man sich bei der Überschreitung der Investitionsnorm auch auf den Tatbestand einer extremen Haushaltsnotlage berufen darf, einen Rechtszustand, den es zuvor gar nicht gegeben hat.

Die mittelfristige Finanzplanung hat uns offen gesagt auch überrascht. Ich gebe freimütig zu, da hatten Sie recht. Aber die bundesweite Praxis war bisher an dieser Stelle völlig anders. Dann nach Karlsruhe zurückgekehrt. Selbst das Berliner Landesverfassungsgericht ist in seiner damaligen Entscheidung davon ausgegangen, dass wir uns hier alle miteinander völlig zu Recht auf eine extreme Haushaltsnotlage berufen. Dass das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe umstandslos dazu übergeht, de facto die Haushaltsnotlage als solche komplett neu zu definieren, die eigene Rechtsprechung zum Saarland und Bremen einfach über den Haufen zu werfen und das Gegenteil zu erklären, habe ich – mit Verlaub – nicht erwartet.

In der Tat räume ich Ihnen ein: Durch die Tatsache, dass durch Karlsruhe die zentrale Begründung, auf die wir unseren Haushaltsentwurf 2006/2007 gestützt haben, nämlich, dass wir uns in einer extremen Haushaltsnotlage befinden, gekippt worden ist, entsteht eine Situation, die nicht nur verfassungsrechtliches Neuland impliziert – weil es diesen Zustand in der Bundesrepublik Deutschland ganz offenkundig bisher noch nicht gegeben hat –, sondern das hat auch eine intensivierte verfassungsrechtliche, rechtliche und politische Abwägungsnotwendigkeit entstehen lassen. Die liegt bei Ihnen, wenn Sie ehrlich sind. Ich sagen Ihnen ganz offen, die liegt auch bei uns.

Deshalb kann man das an dieser Stelle mit einer gewissen parlamentarischen Kultur verbinden. Die Frage, ob wir einen Nachtragshaushalt machen oder nicht, ist für uns

weitgehend offen. Das habe ich gestern schon so im Hauptausschuss erklärt. Es gibt Gründe, die dafür sprechen, es gibt Gründe, die dagegen sprechen.

Ich will Ihnen an einem Punkt ein bisschen Wasser in Ihren verfassungsrechtlichen Wein kippen. Die Frage der Einnahmen ist verfassungsrechtlich der Punkt, den ich für den schwächsten halte. Ich sage Ihnen auch warum. – Kein Haushaltsgesetzgeber kann sich bei der Verabschiedung eines Landeshaushalts sicher sein, ob die von ihm prognostizierten und dann etatisierten Einnahmen tatsächlich so eintreten, wie er das erwartet. Deshalb sieht die Verfassung selbst gar nicht vor, dass dieser Norm so zu entsprechen ist, dass die Kredite, die wir den Senat ermächtigen aufzunehmen am Ende in der Sache aufgenommen werden müssen. Es ist eine Kreditermächtigung, keine Kreditaufnahmeverpflichtung, genauso wenig wie ich verpflichtet bin, die Redezeit auszuschöpfen, die mir der Herr Präsident geneigterweise eingeräumt hat. Eine Verfassungsklage darauf zu stützen, dass eine höhere Kreditermächtigung etatisiert ist, als sie sich – hoffentlich – als erforderlich erweist, ist verfassungsrechtlich nicht plausibel.

Anders die Argumentation des Kollegen Esser. Das ist auch uns eine Prüfung wert. Wenn wir feststellen, dass der Handlungsbedarf auf der Ausgabenseite größer ist, als dies von uns selbst für zulässig erklärt worden ist, wenn wir feststellen, dass unvorhergesehene Tatbestände ausgabeseitig eintreten, die möglicherweise eine Veränderung erforderlich machen, dann allerdings bin auch ich an Ihrer Seite. Genau diesen Prüfungsprozess werden wir mit aller gebotenen Seriosität durchlaufen. Ich würde um Ihre geneigte Geduld bis zu diesem Zeitpunkt bitten. Dann, denke ich, können wir mit einer wohlabgewogenen gemeinsamen Position dem Senat als Parlament gegenübertreten. – Vielen Dank!

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD – Bravo! von der SPD]

Danke schön, Herr Wechselberg! – Für die Fraktion der FDP hat nun der Kollege Meyer das Wort. – Bitte schön, Herr Meyer!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich versuche das Ganze ein bisschen zu ordnen. Herr Wechselberg hatte zu Beginn seiner Rede recht, als er eigentlich schon die Begründung für unseren Antrag, einen Nachtragshaushalt vorzulegen, geliefert hat. Sie ist nämlich ganz einfach. Das geltende Haushaltsgesetz 2006/2007 und der daran geknüpfte Haushaltsplan fußen auf einer falschen Begründung. Das Bundesverfassungsgericht – und ich hoffe, dass alle im Saal das Bundesverfassungsgericht und seine Entscheidung in dieser Frage anerkennen – hat klar festgelegt, dass diese Begründung falsch ist. Die Frage ist, was die Schlussfolgerung daraus ist.

Wir haben hier von den verschiedenen Rednern – von Herrn Zackenfels, von Herrn Esser, von Ihnen, Herr Wechselberg – noch einmal verschiedene Gründe gehört, weswegen man einen Nachtragshaushalt verabschieden sollte: unerwartete Ausgaben, unerwartete Steuereinnahmen zum Beispiel. Das ist alles richtig. Das Problem ist nur, dass man darüber politisch argumentieren kann, ob das eine Notwendigkeit zu einem Nachtragshaushalt auslöst. Das, was aber zumindest die Verpflichtung zum Verabschieden eines Nachtragshaushalts auslöst, hat der Wissenschaftliche Parlamentsdienst gestern eindeutig bestätigt. Es ist eben die zu hohe Kreditermächtigung, es ist nämlich gerade die Verknüpfung der Kreditermächtigung in Kombination mit § 18 Abs. 3 Landeshaushaltsordnung, der die nicht ausgeschöpften Kreditermächtigungen in das nächste Jahr übertragbar macht.

[Beifall bei der FDP]

Herr Kollege Meyer! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Henkel?