Protocol of the Session on December 11, 2008

[Beifall bei der Linksfraktion]

Nach den umstrittenen EuGH-Urteilen zu Viking, Laval und Rüffert ist dringender Handlungsbedarf gegeben, um den Sozialschutz von Beschäftigten als Primärrecht zu stärken. Deshalb ist nach unserer Auffassung eine klarstellende Revision der Entsenderichtlinie unverzichtbar.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Zweitens: Bei den Sozialleistungen von allgemeinem Interesse muss das Arbeitspapier der EU-Kommission um die Feststellung ergänzt werden, dass Sozialdienste keine unternehmerischen Tätigkeiten im Sinne des EUWettbewerbsrechts, sondern Ausdruck der Gemeinwohlverpflichtung des Staates sind.

Drittens: Wir kritisieren im vorgelegten Sozialpaket die Einschränkung der Tariftreue, die Beschränkung des Streikrechts und den Versuch des Abbaus von Mitbestimmung. Es ist für uns nicht hinnehmbar, dass die EU permanent Druck auf die sozialen Standards in den Mitgliedsländern ausübt.

[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Die europäische Betriebsräterichtlinie ist so zu verändern, dass die Gründung europäischer Betriebsräte nicht erschwert, sondern gefördert wird. Das wäre ein wichtiger Schritt zur Verbesserung europäischer Mitbestimmungsrechte.

[Beifall bei der Linksfraktion – Beifall von Frank Zimmermann (SPD)]

Ich könnte die Reihe von Vorschlägen fortsetzen. Als Fazit bleibt: Mit diesem Sozialpaket wird der Prozess des Sozialabbaus in Europa nicht gestoppt. Wir fordern deshalb eine dringende grundlegende Überarbeitung.

Dass die FDP kein soziales Europa anstrebt und die CDU das gar nicht erst verstehen will, das hat die Ausschussdiskussion gezeigt. Es ist nachlesbar, und – ehrlich gesagt – es verwundert auch nicht. Ich freue mich, dass sich die Grünen unserem Antrag anschließen und im Ausschuss sogar noch Ergänzungen eingebracht haben. Wir jedenfalls werden nicht müde, uns in die europäische Debatte einzumischen, vor allem, wenn es um mehr soziale Gerechtigkeit in der EU geht. Das ist der Weg, auf dem Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den europäischen Integrationsprozess wiedergewonnen erden kann. w Dieser Antrag wiederlegt zugleich die Mär von der angeblich antieuropäischen Haltung von Rot-Rot.

[Zuruf von der FDP: Ihr macht es euch sehr einfach!]

Ja, wir wollen Europa verändern! Europa ist veränderbar. In welche Richtung es gehen sollte und welche ersten Schritte dazu notwendig sind, das beschreibt unser Antrag.

[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD – Mirco Dragowski (FDP): Lissabon!]

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Michels! – Für die CDUFraktion hat jetzt der Abgeordnete Scholz das Wort. – Bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Europaausschuss haben wir uns ausführlich mit dem vorliegenden Antrag auseinandergesetzt. Deshalb gestatten Sie mir, einige Anmerkungen zum EU-Sozialpaket und zum Antrag zu machen.

Erstens beschränkt sich soziales Handeln nicht auf Sozialdienste, Betriebsräterichtlinie und Patientenrechte. Deshalb ist der Antrag der rot-roten Koalition mehr als dürftig. Die Sozialagenda aus Brüssel und Straßburg gibt wesentlich mehr her. Gut, ich räume ein, dass kein Programm so perfekt ist, dass es nicht noch verbessert werden kann.

[Uwe Doering (Linksfraktion): Na, sehen Sie!]

Aber, Herr Doering, im Brüsseler Paket sind Themen und Maßnahmen enthalten, die weit über das hinausgehen, was Sie, was rot-rote Genossen unter sozial verstehen.

[Uwe Doering (Linksfraktion): Aha!]

Wir haben in dieser Runde nur fünf Minuten Redezeit, da würde es den Rahmen sprengen, all diese Maßnahmen im Einzelnen zu nennen und zu erörtern. Deshalb im Telegrammstil nur die wichtigsten: Bekämpfung der Armut und der sozialen Ausgrenzung – wer kann wohl dagegen sein? –, mehr Mobilität für besonders Benachteiligte – Frau Michels, Sie haben sicher schon etwas vom europäischen Aktionsplan für Menschen mit Behinderung gehört, diese Liste ließe sich endlos fortsetzen –, die Förderung von Kindern und Jugendlichen, insbesondere im Bereich der Bildung – hier muss man nicht nach Europa schauen, hier kann man erst einmal vor der eigenen Haustür kehren –, in diesem speziellen Fall gibt es das Grünbuch für die Bildung von Kindern mit Migrationshintergrund. All dies sind soziale Maßnahmen, die in dem Gesamtpaket enthalten sind.

[Zuruf von Martina Michels (Linksfraktion)]

Vor dem Hintergrund dieser Maßnahmenpakete müssen Sie mir, müssen Sie den Kolleginnen und Kollegen im Saal erklären, was Sie eigentlich wollen!

[Vereinzelter Beifall bei der CDU – Zuruf von Martina Michels (Linksfraktion)]

Wollen Sie nun an den vier Einzelpunkten herumoperieren? Oder wollen Sie diese wegweisende europäische Initiative, wollen Sie das EU-Sozialpaket grundlegend – und das steht nun mal in der Überschrift Ihres Antrages – infrage stellen?

[Martina Michels (Linksfraktion): Ja, genau!]

Zweiter Punkt. Die Welt blickt mit Respekt und Anerkennung auf die europäische Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte. Die Welt sieht ein Europa gemeinsamer Standards, ein Europa, in dem soziale Fragen noch nie so weit oben auf der Agenda standen wie heute, ein Europa, in dem Konflikte am Verhandlungstisch und nicht mit Gewalt gelöst werden. Sie wissen, dass das nicht überall auf der Welt der Fall ist! Was tun Sie, was tun insbesondere die Linken? – Sie mäkeln an allem herum, was die europäischen Prozesse im Sinn der Menschen in Europa vorantreibt. Ausgerechnet die Partei, bei der der Begriff „Internationale Solidarität“ in den Siebziger- und Achtzigerjahren zum Standardvokabular gehörte, geht heute mit nationalen Reflexen auf Stimmenfang!

[Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Offenbar haben Sie von der Linksfraktion – damit schließe ich Ihre gesamte Partei ein – die Lust an internationaler Verständigung verloren, als vor zwanzig Jahren Ihr Feldzug zur weltweiten Verbreitung der Diktatur des Proletariats beendet war.

[Beifall bei der CDU]

Wo bleibt denn Ihr Engagement, wenn es um Werte wie Freiheit, Demokratie und Menschenrechte geht? Wo standen Sie, als die Zustimmung zum Lissabon-Vertrag auf der Tagesordnung war?

[Martina Michels (Linksfraktion): Gut gebrüllt, Löwe!]

Immerhin bildet dieser Reformvertrag den Rahmen auch für ein sozialeres Europa. Wer wie Sie – das ist mein letzter Satz, Frau Präsidentin! – nicht bereit ist, das Fundament mitzubauen, hat jeden Anspruch verwirkt, beim Innenausbau des Hauses mitzumachen! Meine Fraktion wird sich Ihrer europapolitischen Erbsenzählerei nicht anschließen, wir werden auch diesem Antrag nicht zustimmen. – Ich bedanke mich!

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Scholz! – Für die Fraktion der SPD hat jetzt der Abgeordnete Zimmermann das Wort. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das EUSozialpaket, das von der Kommission vorgelegt wurde, ist ein kleiner Trippelschritt hin zu einem sozialeren Europa.

[Mirco Dragowski (FDP): Kurt Beck!]

Ja, das stimmt, es sind einzelne Aspekte enthalten, die durchaus begrüßenswert sind! – Aber dieses Paket ist nicht annähernd hinreichend und geeignet, die Mindestanforderungen für ein sozialeres Europa zu erreichen.

[Martina Michels (Linksfraktion): Richtig!]

Es bleibt weit hinter den aktuellen Anforderungen, die wir angesichts weltweiter Entwicklungen haben, zurück. Deshalb ist es an mehreren Punkten grundlegend zu überarbeiten.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Frau Kollegin Michels hat im Einzelnen dargelegt, dass wir vier Punkte herausgegriffen haben, an denen wir noch erheblichen Verbesserungsbedarf sehen. Das bedeutet nicht, dass alles andere abgesegnet ist, das bedeutet aber vor allem nicht, Herr Scholz, dass wir uns für die besseren und umfassenderen Sozialpolitiker auf europäischer Ebene halten. Wir können jetzt nicht das gesamte EUSozialpaket im Abgeordnetenhaus von Berlin neu formulieren, sondern wir müssen die aus landespolitischer Sicht erforderlichen Veränderungen formulieren und einbringen. Das ist unsere Pflicht. Der verweigern Sie sich, Herr Scholz! Das ist leider Ihr Problem.

[Beifall von Martina Michels (Linksfraktion)]

Sie bleiben damit übrigens auch hinter den Positionen Ihrer Parteifreunde in den anderen Bundesländern zurück.

Dieser Antrag befasst sich mit der Frage, wie die entscheidenden sozialen Mindeststandards in den Mitgliedsländern in aktuellen Entscheidungen der Kommission und des Europäischen Gerichtshofs behandelt werden. Wir geben zu, es ist eine Reaktion auf verschiedene Urteile des EuGH, die mehrfach angesprochen wurden, in denen eindeutig soziale Rechte in der Bundesrepublik den Grundfreiheiten des EU-Vertrages angepasst werden. Wir lassen es nicht zu, dass soziale Standards den Grundfreiheiten des EU-Vertrages untergeordnet werden! Das ist der entscheidende Punkt.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Zuruf von Mirco Dragowski (FDP)]

Wir geben zu, dass wir, ausgehend von diesem Problem, gesagt haben, dass wir uns zum Sozialpaket äußern müssen.

Jetzt will ich Ihnen kurz zeigen, wie sich die Europaminister aller Länder am 6. November in Berlin geäußert haben. Das ist völlig konträr zu dem, was Sie, Herr Scholz, für die CDU heute formuliert haben. Deswegen ist nicht irgendjemand auf der Regierungsseite in der Isolation, sondern Sie sind, was die Europapolitik betrifft, in der Isolation! Die Berliner CDU ist in der Isolation!

[Vereinzelter Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Martina Michels (Linksfraktion): Ja!]

Ich nenne Ihnen zwei Sachverhalte: Die Europaminister und -senatoren der Bundesländer erkennen an, dass es Aufgabe der Mitgliedsstaaten und ihrer Untergliederung

ist, Art, Umfang und Qualität der Dienstleistung von allgemeinem Interesse festzulegen. Sie sagen weiter, dass das europäische Vergabe- und Beihilferecht zu einer erheblichen Verkomplizierung der Rechtslage bei den Dienstleistungen von allgemeinem Interesse beiträgt. Den Kommunen entstehen dadurch hohe Kosten. Die Europaminister haben genau das aufgegriffen, was auch wir mit unserem Antrag machen. Das ist der richtige Weg. Wir wollen diese Entwicklung, diese Diskussion auf Bundesebene unterstützen. Wir als Regierungsfraktionen tun das, Sie sind leider nicht dabei. Dabei behaupten Sie von sich, große Europäer zu sein. Ein kleiner Widerspruch, nicht ganz schlüssig, was Sie hier vortragen! – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]