Protocol of the Session on September 25, 2008

In der Praxis sind von Beginn an Kompromisse gemacht worden – manche nennen sie auch faule Kompromisse –, die dazu führten, dass von der ursprünglichen Idee – nämlich Transparenz und Wettbewerb zwischen den GKVen und finanzielle Entlastung der Versicherten zu schaffen – nicht mehr viel übrig blieb. Die dringend notwendige Umfinanzierung der Krankenversicherung wurde nicht geschafft.

Erforderlich wäre eine Finanzierung gewesen, bei der alle Versicherten – die gesetzlich und die privat Versicherten – in einen gemeinsamen Solidartopf einzahlen. Das wäre sozial gerecht gewesen, und das wäre auch der ursprüngliche Zweck des Gesundheitsfonds gewesen. Aus diesem Grund hätten dann die Kassen mit den höheren Anteilen von kranken und alten Mitgliedern ihr Geld bekommen, und die Beitragssätze wären stabil geblieben.

An dieser Stelle muss man ehrlich sagen: Das hat die Union erfolgreich verhindert, dass die privat Versicherten mit in diesen Fonds einzahlen. Sie hat sich damit zum

Stellvertreter des Lobbyismus gemacht und gegen eine progressive Gesundheitspolitik gestellt.

Für die SPD war immer klar: Die Bürgerversicherung ist das einzige zukunftsfähige Projekt, das den gesundheitspolitischen Veränderungen Rechnung trägt und das auch als einziges Modell gerecht ist, weil es alle Bürgerinnen und Bürger und deren jeweiliges Einkommen proportional einbezieht.

Das Gegenmodell der CDU, das Modell der Kopfpauschale, ist von diesem Gerechtigkeitsanspruch so weit entfernt, wie es nur geht, weil es nun einmal nicht gerecht ist, alle Menschen den gleichen Beitragssatz zahlen zu lassen, egal, welches Einkommen sie haben und ob sie Kinder sind. Das entlastet lediglich die Besserverdienenden und schafft Belastungen für Geringverdiener und Familien, weil bekanntlich hier ja auch die Familienversicherung wegfallen sollte.

Ich will hier einmal in Richtung FDP klarstellen: Ich kritisiere den Gesundheitsfonds auch – aber offensichtlich aus ganz anderen Überlegungen als Sie, lieber Herr Gersch. Im Gegensatz zu Ihnen bin ich nicht der Meinung, dass Wettbewerb im Gesundheitswesen und erst recht nicht eine Steigerung des ohnehin schon bestehenden Wettbewerbs hilfreich oder gar gut ist. Es gibt Bereiche, in denen eine Regulierung gut und notwendig ist, und dazu zählt entschieden der Gesundheitsbereich. Sonst würden große Teile unserer Bevölkerung vom medizinischen Fortschritt ausgeschlossen werden, und wir würden Zustände wie in Großbritannien bekommen.

Dort erhält nur derjenige schnelle medizinische Versorgung – und ich meine jetzt nicht die Notfallversorgung, sondern notwendige Operationen, Prothesen etc. –, der sich das auch leisten kann und viel Geld aus der eigenen Tasche zahlt.

Entschuldigung, Frau Winde! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Lindner?

Nein! Ich kann mir denken, worauf das hinausläuft.

[Dr. Martin Lindner (FDP): Das hatte ich befürchtet!]

Wer das nicht kann, schaut in die Röhre. Ich sage ganz ehrlich: Das kann nicht das sein, was wir wollen, herzlichen Dank!

Aber zurück zum Gesundheitsfonds: Die Krankenkassen befinden sich im Moment in einer prekären Lage. Ab 2009 gibt es für die Kassen erhebliche Ausgabenrisiken. Wie hoch diese sein werden, kann bislang niemand sagen. Die Ausgabenseite ist unkalkulierbar, die Einnahmeseite auch. Denn die staatlichen Zuwendungen werden tatsächlich wohl erst Ende 2008 bekannt werden. Hinzu kommt, dass die Wirkungen des neuen Risikostrukturausgleichs

völlig unklar sind und die Höhe der Schwankungsreserve, also der Geldtransfer zwischen den Kassen und dem Fonds, nur in etwa definiert werden kann.

Mit anderen Worten: Die Kassen planen ihren Haushalt für 2009 mit unbekannten Variablen ins Nebulöse hinein. Mit dem Systemwechsel der Finanzierung der GKV werden sich erste Konsequenzen aus den Änderungen demnach frühestens im Laufe des Jahres 2009 zeigen. Das ist meines Erachtens sehr gefährlich.

Es wäre sinnvoll, den Gesundheitsfonds, der schon jetzt auf wackeligen Beinen steht, zu stützen.

Frau Winde, bitte kommen Sie zum Schluss!

Ja, ich weiß! – Bei der Umstellung der Krankenhausvergütung hat sich eine längere Übergangsphase auch positiv bewährt. Das ist der Grund, warum sich die SPD-Fraktion für eine virtuelle Erprobung oder für eine Konvergenzphase bei der Bundestagsfraktion eingesetzt hat. Die derzeitigen Verhandlungen laufen noch.

Frau Winde! Sie müssen jetzt wirklich zum Schluss kommen!

Wir werden sehen, wie sie ausgehen. – Danke!

[Beifall bei der SPD]

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Winde! – Das Wort für eine kurze Intervention hat jetzt der Abgeordnete Dr. Lindner!

[Mario Czaja (CDU): Frau Winde! Sie dürfen gleich noch einmal! – Zurufe von der CDU: Sie wollen nur etwas trinken!]

Erst einmal für meine Gesundheit! – Frau Präsidentin! Liebe Frau Kollegin! Weil Sie – das gehört zum Repertoire Ihrer Partei – immer wieder auf die Privatversicherten schimpfen und die Unsolidarität des Systems beklagen und dieses verteufeln: Ich darf Sie darauf aufmerksam machen, dass die Privatversicherten gerade einmal 10 Prozent aller Versicherten ausmachen, aber bei den Krankenhäusern 25 bis 30 Prozent und vor allem bei den niedergelassenen Ärzten 40 bis 60 Prozent des Budgets bestreiten, das heißt, wenn es die Privatversicherten nicht gäbe und sie mit ihren Beiträgen nicht den gesamten ge

sundheitlichen Betrieb quersubventionierten, müssten die Kassenpatienten deutlich höhere Beiträge leisten.

[Heidi Kosche (Grüne): Anders herum wird ein Schuh daraus!]

Ich bedanke mich ausdrücklich bei den Privatversicherten für ihre großartigen Leistungen in dieses Gesundheitssystem. Ohne die privaten Krankenversicherungen wären viele Ärzte nicht in der Lage, die Leistungen auch für Kassenpatienten anzubieten. – Danke!

[Beifall bei der FDP – Lars Oberg (SPD): Das ist ja unglaublicher Blödsinn, was Sie erzählen!]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Dr. Lindner! – Jetzt hat noch einmal Frau Winde das Wort. – Bitte sehr, Frau Winde!

Das war klar, dass das kommt, Herr Lindner. Deshalb wollte ich meine Rede beenden, bevor ich Ihnen auf diese Frage antworte. Man kann es auch umgekehrt sehen. Wenn es die Privatversicherten gar nicht gäbe und alle von vornherein die gleiche Versicherung hätten und alle gemeinsam in ein System einzahlten,

[Beifall bei der SPD, der Linksfraktion und den Grünen]

dann gäbe es dieses Problem nicht. Dann hätten wir auch keine ungleiche Bezahlung – von der ich überhaupt nichts halte – für privat und gesetzlich Versicherte. Wir hätten auch überhaupt keine Hürden, um überhaupt in die gesetzliche Versicherung hineinzukommen.

[Kai Gersch (FDP): Frau Winde! Die Grundlagen sind das Problem und nicht die Privaten!]

Ich will hier einmal erwähnen: Ich bin zwangsweise privat versichert, weil ich nach einem längeren Aufenthalt im Ausland nicht mehr in die gesetzliche Versicherung hineinkam.

[Christoph Meyer (FDP): Wir schaffen die Gesetzlichen ab, was halten Sie davon?]

Das ist völlig absurd. Ich bin eine Befürworterin dieses Systems und wollte mich freiwillig gesetzlich versichern. Das sind Systeme gewesen – mittlerweile hat sich das etwas gelockert –, die völlig absurd sind. Die haben Entwicklungen nach sich gezogen, die für eine Gesellschaft und ein Gesundheitssystem nicht förderlich sind. Ihr Argument mit den Praxen und den Krankenhäusern ist mittlerweile so absurd, da das System demnächst ohnehin zusammenbricht, wenn wir es nicht ändern. – Danke!

[Beifall bei der SPD]

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Winde! – Für die CDUFraktion hat jetzt das Wort Herr Abgeordnete Czaja – bitte!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Kollege Lindner! Zwei Dinge wollte die FDP deutlich machen: Erstens hat Herr Lindner ein wenig Wasser gebraucht – deshalb musste er hier nach vorn kommen

[Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Es gibt keinen Wein mehr!]

Es gibt keinen Wein mehr bei der FDP, genau, nur noch Gel! –

[Christoph Meyer (FDP): Haben Sie eine Ahnung!]

und zweitens wollte er über den Antrag von Herrn Gersch hinwegtäuschen, der nur eines gemacht hat: den Antrag der Bundestagsfraktion eins zu eins abzuschreiben, inklusive Begründung. Daraus wird hier im Haus dann auch noch eine Priorität gemacht. Das ist erbärmliche Gesundheitspolitik der FDP-Fraktion.

[Beifall bei der CDU, der Linksfraktion und den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Natürlich kann man über all die Dinge diskutieren, Herr Lindner, die Sie angesprochen haben. Die Argumente von Frau Winde sind in diesem Zusammenhang ebenfalls nicht neu. Die Debatte wird im Deutschen Bundestag beständig geführt, es geht hin und her zwischen Gesundheitsprämie und Bürgergeld. Natürlich gebe ich all denen recht, die sagen, das, was jetzt bei der Gesundheitsreform gemacht wird, ist ein Kompromiss, der darüber hinwegtäuscht, dass es große Konflikte in der Gesundheitspolitik und deren weiterer Ausgestaltung zwischen den beiden großen Volksparteien gibt. Nur, ein Konzept der FDP gibt es in diesem Zusammenhang gar nicht.

[Kai Gersch (FDP): Aber hallo!]

Das gehört auch zur Wahrheit, Herr Kollege Gersch!

[Beifall bei der CDU und der Linksfraktion]

Sie wollen über den Gesundheitsfonds hier im Berliner Parlament sprechen. Gut, Herr Gersch, dann beschäftigen wir uns damit und gehen auf einige Dinge ein, die Sie in Ihrem Antrag nennen. Sie sagen einerseits, dass durch den Fonds Leistungen gestrichen werden.

[Heidi Kosche (Grüne): Können!]