Protocol of the Session on September 25, 2008

Das stimmt nicht. Durch die Fonds werden derzeit keine Leistungen gestrichen und auch keine Zuzahlungen erhöht. Es handelt sich ausschließlich um eine Finanzierungsreform. Der Fonds ist ein Instrument, um den Kassenwettbewerb transparenter zu machen. Das Geld wird besser verteilt und höchstwahrscheinlich auch noch zielgenauer.

[Ramona Pop (Grüne): Jetzt lesen Sie auch Ihr Parteiprogramm vor!]

Zum Zweiten behaupten Sie, dass es weniger Leistungen geben wird. Auch das ist nicht richtig. Im Gegenteil, es gibt sogar mehr Leistungen, in der Schmerztherapie, in der Palliativmedizin – Herr Kollege Gersch, Sie müssen jetzt zuhören, Sie haben diese Priorität eingereicht, damit ist das Ihr Problem! – Niemand bleibt ohne Versicherungsschutz, es gibt mehr Wahlrechte bei den Versorgungsformen – welche Reha-Einrichtung man besuchen möchte und so –, eine Reform der ärztlichen Vergütung und eine Verbesserung der Honorarsituation. Durch die Prämienzahlung an die Versicherten oder die Erhebung von Zusatzbeiträgen können die Kassenmitglieder drittens besser erkennen, welche Kasse sich im Wettbewerb wie positioniert und wie sie wirtschaftet. Viertens gibt es keinen Wettbewerb mehr nur um die gutverdienenden Versicherten, sondern es wird auch Wettbewerb darum geben, wer die Diabetespatienten besser behandelt oder diese oder jene chronisch Erkrankten besser versichert.

Sie behaupten darüber hinaus, es wird ein bürokratisches Monster werden.

[Heidi Kosche (Grüne): Stimmt ja auch!]

Gut, Sie sagen das nicht, Sie haben es abgeschrieben. Aber so steht es in Ihrem Antrag. Es gibt ausschließlich eine Veränderung des Risikostrukturausgleichs, die Grundstruktur des Fonds ist schon vorhanden, sie wird nur noch leicht verändert. Das Bundesversicherungsamt, das bereits heute den Risikostrukturausgleich verwaltet, benötigt dafür 20 weitere Mitarbeiter. Wer bei 20 Mitarbeitern eine monströse Bürokratie sieht, den verstehe ich nicht ganz.

[Christoph Meyer (FDP): Ja, Sie verstehen es nicht!]

Es wird als Einziges eine leistungsfähige EDV-Anlage installiert – und das ist auch richtig so. Aber eines ist klar, Herr Kollege Gersch! Wer eine gute medizinische Versorgung auf dem heutigen Niveau erhalten will und im Rahmen des Notwendigen allen Versicherten und Patienten den medizinischen Fortschritt zukommen lassen möchte, der hier immer angesprochen wird, muss am Ende sagen, dass Gesundheit nicht zum Nulltarif zu haben ist. Er muss auch deutlich machen, wie die Gesundheitssysteme in Zukunft finanziert werden sollen. Wenn Sie also, Herr Kollege Gersch, die Beitragsentwicklung kritisieren, müssen Sie beispielsweise den Ärzten, die heute in Berlin demonstriert haben, und den Krankenhäusern ehrlich sagen, dass Sie gegen eine Erhöhung der Honorare sind, oder Sie rücken Ihre Beispiele und Vorschläge heraus, um die Kostenlawine im Gesundheitswesen zu stoppen. Dann bin ich gern bereit, Ihnen hingebungsvoll zu lauschen, aber nicht, wenn Sie Anträge nur abschreiben. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Czaja! – Das Wort zu einer Kurzintervention hat jetzt der Herr Abgeordnete Gersch – bitte!

Herr Czaja! Zum Thema Abschreiben: Weisheit ist nicht änderbar, deshalb übernehmen wir gern diese wunderbare Vorlage.

[Beifall bei der FDP – Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Weisheit ist in der FDP-Bundestagsfraktion selten zu finden!]

Herr Albers, aus Ihrer Fraktion wollen wir keine Vergleiche heranziehen! – Sie werfen uns vor, die FDP habe kein Konzept. Ich verstehe, dass Sie intern zu viele Probleme in der CDU haben, um sich mit dem Wettbewerb auseinanderzusetzen. Wir haben ein sehr deutliches Konzept, Sie hätten es sich einmal ansehen sollen. Bei uns gilt der Grundsatz: Pflicht zur Versicherung statt Versicherungspflicht. Wir wollen für alle mehr oder weniger eine Privatversicherung, das ist unser Ziel. Wir wollen Kapitaldeckung haben statt der Umlagefinanzierung, denn nur so, das werden viele Experten bestätigen, werden wir unser System überhaupt rhalten können. e Frau Winde! Wer hier den Geist von Großbritannien und das dortige System als wunderbar und schön preist, sollte sich dort behandeln lassen und sehen, was ein einheitliches System mit angestellten Ärzten bedeutet. Sie würden dort nicht glücklich werden. – Danke!

[Beifall bei der FDP]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Gersch! – Ich weise noch einmal darauf hin: Die Kurzinterventionen haben sich immer auf den Vorredner zu beziehen – für das nächste Mal. Sie haben sich auch, aber nicht nur auf den Vorredner bezogen. – Jetzt hat Herr Czaja die Gelegenheit zu antworten. – Bitte sehr!

[Kai Gersch (FDP): Wir können das beim Kaffee klären!]

Herr Gersch, wir können das beim Kaffee klären, aber Sie haben damit angefangen, dass wir das diskutieren. Also diskutieren wir das auch hier. – Ich weiß nicht, ob Sie in der vergangenen Woche an dem Praktikum von Verdi in einem der Berliner Krankenhäuser teilgenommen haben. Wenn Sie das getan hätten oder ein Vertreter der FDP in Berlin,

[Dr. Martin Lindner (FDP): Landesvorsitzender!]

wüsste er, dass die von Ihnen beschriebene Situation mit der Realität in der Stadt überhaupt nichts zu tun hat. Die

Debatte um den Gesundheitsfonds ist eine richtige Debatte, die im Deutschen Bundestag zu führen ist.

[Björn Jotzo (FDP): Zur Sache!]

Die Auswirkungen auf Berlin sind vom Gesundheitsfonds mitnichten schlechter. Das wissen Sie sehr viel besser als Sie hier den Anschein geben. Deswegen halte ich es für zu kompliziert und schwierig, dass Sie diesen Antrag einbringen, anstatt die wahren Probleme des Berliner Gesundheitssystems, die Veränderung in der Krankenhausversorgung zwischen Vivantes und der Charité, die Notwendigkeit der Verbesserung der Qualität beim Entlassungsmanagement von Patienten, die Verbesserung der ambulanten Versorgung, den Umgang mit den chronisch Erkrankten, zu deren Hauptstadt wir nun einmal gehören – 20 Prozent aller chronisch Erkrankten leben in Berlin – zu besprechen. Wir sollten uns nicht über einen Antrag unterhalten, den Sie aus der Bundestagsfraktion kopieren und hier einreichen. Das tut der Sache nicht gut. Hier scheue ich den Wettbewerb mit der FDP nicht, wie Sie gern meinen Bruder in allen anderen Fragen in Ihrer Fraktion fragen können. Den Wettbewerb mit der FDP scheuen wir in dieser Frage überhaupt nicht. Wir sind guter Dinge, dass unsere Konzepte am Ende von Ihnen auch mangels eigener Masse mitgetragen werden müssen.

[Beifall bei der CDU]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Czaja! – Für die Linksfraktion hat jetzt das Wort der Abgeordnete Dr. Albers. – Bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Czaja! Fairerweise muss man sagen, dass es nicht nur die Berliner waren, die abgeschrieben haben. In Hessen, Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz hat die FDP-Fraktion genau das gleiche getan. In Berlin waren Sie wenigstens so schöpferisch, noch manches umzustellen. So leicht kann man es machen, Herr Gersch. Das ist prima. Savoirvivre, das ist eine Art, parlamentarisch zu leben. Das kann ich mir gut vorstellen.

[Kai Gersch (FDP): Von Ihrer Bundestagsfraktion gibt es keine Vorlage!]

Es gibt uns aber wenigstens die Gelegenheit, einmal ein paar klare Worte dazu zu sagen. Die Linksfraktion hat aus Ihrer Ablehnung des sogenannten GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes nie einen Hehl gemacht. Auch dem Gesundheitsfonds, dieser Gestalt gewordenen Inkonsequenz als Kompromiss aus den beiden eigentlich unvereinbaren Positionen Kopfpauschale und Bürgerversicherung, können wir entsprechend wenig abgewinnen. Dennoch wird es Sie nicht wundern, wenn wir Ihrem Antrag nicht zustimmen. Das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz ist für uns der Beginn des Ausstiegs aus unserem solidarischen Versicherungssystem. Keines der eigentlichen Probleme der GKV wird durch dieses Gesetz gelöst, aber der Weg

der Entsolidarisierung und Privatisierung im Gesundheitswesen wird konsequent fortgesetzt.

[Dr. Martin Lindner (FDP): Das glaubt er selbst nicht!]

Sie hätten mit Herrn Lehmann zusammen auf die Station gehen sollen, Herr Lindner, dann hätten Sie möglicherweise eine andere Sicht auf die Welt.

[Beifall bei der Linksfraktion – Beifall des Abg. Czaja (CDU)]

Wir lehnen das Gesetz ab, weil es eine wesentliche Säule unseres Sozialstaates, die auf Solidarität beruhende Krankenversicherung durch Teilkasko, Wahl- und Sondertarife aufweicht, von denen nur junge Gesunde und Gutverdienende auf Kosten der Alten, Kranken und Geringverdienenden profitieren. Wir lehnen das Gesetz ab, weil es das individuelle Lebensrisiko Krankheit auch noch finanziell zum Risiko werden lässt.

Wir lehnen das Gesetz aber auch ab, weil wir die Gefahr sehen, dass durch die mögliche Transformation unserer öffentlichen gesetzlichen Krankenkassen zu Unternehmen, die dem Wettbewerbsrecht unterliegen, sie EUrechtlich bedingt unumkehrbar den Sonderstatus als Körperschaften öffentlichen Rechts verlieren könnten. Wir lehnen diesen Gesundheitsfonds ab, weil die privaten Krankenkassen ausgenommen bleiben und nichts einzahlen müssen. Wir lehnen ihn ab, weil eine heute schon absehbare Unterfinanzierung zwangsläufig zu steigenden Zusatzbeiträgen und zu weiteren Einschränkungen von Leistungen führen wird und weil er die paritätische Finanzierung unseres Gesundheitssystems weiter aushebelt, indem die Arbeitgeberbeiträge gesetzlich festgeschrieben werden und alle zukünftig ansteigenden Kosten von den abhängig Beschäftigten allein ufzubringen sind. a Der Antrag geht an all dem vorbei in eine ganz andere Richtung. Er hilft nicht einmal im Ansatz, die eigentlichen Probleme zu lösen. Durch Ihre Antragsbegründung – ganz der Lobbyist privater Kassen – stellen Sie das Prinzip der solidarischen Versicherung grundsätzlich infrage, wenn Sie gegen die Beschränkung der Zuzahlung auf 1 Prozent des Einkommens argumentieren: Wer 1 500 Euro verdient, muss maximal 15 Euro an Zusatzprämie bezahlen, kritisieren Sie, und wollen dann demjenigen, der 3 500 Euro verdient, nicht zumuten, 35 Euro zu zahlen. Sie wollen auch noch den Wettbewerb der Krankenkassen untereinander oder – klarer ausgedrückt – gegeneinander weiter forcieren. Sie sagen es ganz unverblümt. Es ist ein Wettbewerb um den günstigsten Preis.

Heute haben hier in Berlin mehr als 120 000 Menschen aus der ganzen Republik unter dem Motto „Der Deckel muss weg“ gegen Missstände im Gesundheitswesen demonstriert. Ich habe diese Entwicklung in unseren Krankenhäusern in den letzten Jahren unmittelbar und vor Ort miterlebt. Ich kann Ihnen sagen, die Demonstranten haben recht.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Aber all diese Missstände sind die Folge genau dieser Politik, die dazu führt, Krankenhäuser in den Wettbewerb um den günstigsten Preis durch Personalabbau und Arbeitsverdichtung mit den Folgen von Qualitätsverlust und Leistungseinschränkungen zu treiben und die Sie in Ihrer Begründung propagieren.

Noch eines möchte ich zur Ihrer Begründung vortragen. Heute ist viel Ideologie von Ihnen abgesondert worden. Da taucht wieder der Mythos von den Lohnzusatzkosten auf, die es zu senken gilt. Ganz unideologisch: Lohnzusatzkosten sind vorenthaltener Lohn. Das Statistische Bundesamt weist dementsprechend diese auch regelmäßig als Teil des Arbeitnehmerentgeltes aus. Über die Lohnzusatzkosten finanziert sich unser Sozialstaat. Die Lohnnebenkosten sind das Entgelt für die soziale Sicherheit. Wer sagt, er will Lohnnebenkosten senken, will Löhne, Renten, Krankengelder und Arbeitslosenunterstützungen senken. Das muss in der öffentlichen Diskussion auch entsprechend klargestellt werden.

Hören Sie mit dieser Mär auf, Lohnnebenkosten seien schuld an Arbeitslosigkeit! Umgekehrt wird ein Schuh daraus.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Strukturelle Massenarbeitslosigkeit und die dadurch immer weiter sinkende Binnennachfrage tragen wesentlich Mitschuld an den steigenden Lohnnebenkosten, weil immer weniger immer mehr tragen müssen!

Entschuldigung, Herr Dr. Albers! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jotzo?

Nein! Vielen Dank! – Die Begründung Ihres Antrags lautet in der Quintessenz, jeder erhält nur das an Gesundheit, was er auch bezahlen kann. Das ist die reine Lehre der Lindner-FDP. Sie ist bar jeder sozialen Verantwortung. Das sind nicht Sie, Herr Lehmann. Die Linke setzt dagegen die Forderung nach einer solidarischen Bürgerversicherung, in die alle entsprechend ihres Einkommens aus Lohn und Gehalt, Freiberuflichkeit, Kapital- und Zinseinkommen einen einheitlichen Beitrag einzahlen. Dann funktioniert das. Wir lehnen Ihren Antrag ab. – Vielen Dank!

[Beifall bei der Linksfraktion]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Dr. Albers! – Für die Fraktion der Grünen hat jetzt Frau Abgeordnete Kosche das Wort. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Gersch, wir beide reden nachher noch miteinander. Das hat sich uns allen in der letzten Woche im Praktikum erschlossen. Unsere Fraktion war zu einem Drittel anwesend. Wir hätten heute besser auf der Demo sein sollen, als hier die Bundestagsdebatte zu führen.

[Beifall bei den Grünen]

Der Gesundheitsfonds löst keine Probleme der gesetzlichen Krankenversicherung, sondern er schafft viele neue. Fast alle wissen das, alle sagen das, im Bund, in den Ländern und auch heute hier. Als im Gesetzgebungsverfahren auf Bundesebene über den Gesundheitsfonds gestritten wurde, erschien der Fonds allen als eine überflüssige und unsinnige Konstruktion, die weder ein Finanzierungs- noch ein Gerechtigkeitsproblem löst. Dieser überflüssige Fonds wurde von einer Koalition beschlossen, die nicht in der Lage war und ist, mehr als Reformattrappen hinzubekommen.

[Beifall bei den Grünen]

Verehrte Kollegen von CDU und SPD hier im Berliner Abgeordnetenhaus! Inzwischen zeigt sich aber, dass der Gesundheitsfonds darüber hinaus eine ganze Reihe von Folgewirkungen hat, die nicht zu unterschätzen sind. Je tiefer wir in das verkorkste Räderwerk hineinschauen können, desto mehr Probleme werden deutlich. Ich möchte einige Beispiele nennen: Es gibt zum einen die Konvergenzklausel, die Landespolitiker, besonders uns in Berlin, interessieren dürfte. Diverse Sachverständige legten in Anhörungen und Stellungnahmen dar, dass sie nicht funktioniert. Wenn sie vom gröbsten Unfug befreit ist, müssten die Versicherten, die aktuell einen geringen Beitrag zahlen, beim Einheitsbeitragssatz trotzdem für das höhere Versorgungsniveau in Bayern und BadenWürttemberg zahlen. Großartig! Da wird Freude aufkommen, liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und CDU, das ist klar! Und ob die ursprüngliche Idee funktioniert, dass gerade die AOK Berlin von der Konvergenzklausel profitiert, weiß heute in diesem Haus noch niemand, oder?

Die zukünftigen einheitlichen Krankenkassenbeiträge werden über 16 Prozent liegen, so wird geschätzt. Sie sollen alle Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung abdecken. Aber 2010 soll der Gesundheitsfonds aus nur noch 95 Prozent der Ausgaben der Krankenkassen finanziert werden. Die restlichen fünf Prozent müssen die Kassen dann über Zusatzbeiträge von ihren Versicherten eintreiben. Es ist frühzeitig darauf hingewiesen worden, dass der Zusatzbeitrag die Versicherten einseitig belasten wird. Zunehmend wird auch deutlich, dass dadurch Kassen mit besonders vielen versorgungsintensiven, einkommensschwachen und kinderreichen Mitgliedern in besonderer Weise benachteiligt werden. Solche Kassen haben wir auch hier in Berlin, weil wir überdurchschnittlich viele Alte und Kranke in dieser Stadt haben. Wer gleicht den Zusatzbeitrag für die aus, die ihn nicht bezahen können? l

Wir Grünen werben dafür, den Gesundheitsfonds in seiner aktuellen Ausführung zum Jahresbeginn 2009 nicht wirksam werden zu lassen. Besser wäre es, stattdessen die grüne Bürgerversicherung einzuführen,