Protocol of the Session on July 10, 2008

Die Organisationsrichtlinien für das neue Schuljahr sehen eine Klassenfrequenz von 28 Schülerinnen und Schüler in der Schulanfangsphase vor. Dass da noch qualitativ gute Bildung möglich ist, wage ich zu bezweifeln. Zugleich werden die bisherigen kleinen Klassenfrequenzen an Schulen mit hohem Migrantenanteil von 20 Schülerinnen und Schülern pro Klasse klammheimlich auf bis zu 26 Schülerinnen und Schüler erhöht. Das ist ein Todesstoß für diese Schulen in den benachteiligten Gebieten!

[Beifall bei den Grünen]

Weniger Personal zuzüglich der in der Zwischenzeit bis zur Unkenntlichkeit zusammengestrichenen Deutschförderung und fehlende Personalressourcen für den gemeinsamen Unterricht führen insbesondere in sozial benachteiligten Stadtteilen zum Absturz der Schulen, und das können wir und das sollte auch die Koalition nicht gutheißen.

[Beifall bei den Grünen]

Wir können auch nicht nachvollziehen, was Herr Bildungssenator Zöllner mit seinem neuen Dispositionspool bezwecken will. Völlig ohne Transparenz und Rechenschaftspflicht soll dieser Dispositionspool nach Gutdünken der Schulräte zulasten der Schulen und Schüler verbraten werden – das darf nicht sein. Herr Senator! Ziehen Sie diese Lehrerzumessung zurück, sie schadet nur!

Rechnerisch haben wir laut Schulsenat genug Lehrerinnen und Lehrer an den Schulen. Tatsächlich fehlen an etlichen Schulen zahlreiche Lehrkräfte. Das bestätigte mir der Schulsenator auf eine Anfrage. In der Kleinen Anfrage 16/11818 antwortet der Senat auf meine Frage:

Wie viele (...) Schulen sind aktuell tatsächlich mit einer 100-prozentigen Lehrerversorgung ausgestattet?

Zum Stichtag 15. Mai 2008 hatten 369 öffentliche allgemeinbildende Schulen eine Ausstattung von 100 Prozent oder mehr.

369 – das betrifft weit weniger als die Hälfte der Berliner Schulen. So viel zur Personalpolitik von Rot-Rot!

[Beifall bei den Grünen]

Rechnerisch gibt es genug Vertretungskräfte. Tatsächlich finden die Schulen vor Ort keine Vertretungskräfte, weil die besten Kräfte wegen der Personalpolitik dieses Senats längst über alle Berge sind. Rechnerisch müssten alle Schulen genügend Erzieherinnen und Erzieher haben. Tatsächlich fehlen zum neuen Schuljahr etwa 400 Erzieherinnen und Erzieher für die Schulanfangsphase, in Neukölln 78, in Mitte 60, in Friedrichshain 56, genau in den Bezirken, die diese Unterstützung am nötigsten haben. Das ist ein Armutszeugnis. Deshalb ist genug Grund, darüber zu reden.

[Beifall bei den Grünen]

Es muss sichergestellt werden, dass an allen Berliner Schulen eine Personalausstattung zur Verfügung steht, die einen guten Unterricht ermöglicht. Das sind wir nicht nur der Zukunft dieser Stadt schuldig, sondern vor allem den Schülerinnen und Schülern. Deshalb sagen wir erneut: Springen Sie über Ihren Schatten, reden Sie über diese Bildungsmisere, die Sie mit verursacht haben, und suchen Sie mit uns gemeinsam nach Lösungen! Das sind wir den Schülerinnen und Schülern schuldig.

[Beifall bei den Grünen]

Danke schön, Herr Kollege Mutlu! – Für die Fraktion der FDP hat nunmehr zur Begründung der Aktualität Herr Dr. Lindner, der Vorsitzende, das Wort. – Bitte schön, Herr Dr. Lindner!

Herr Präsident! Verehrte Damen! Meine Herren! In der „Welt“ vom 8. Juli, also vor zwei Tagen,

[Heidi Kosche (Grüne): Welche Seite?]

haben wir gelesen: „Beck: Merkel kratzt uns noch die letzte Butter vom Brot“. – Im echten Leben gehören zum Butter-vom-Brot-Kratzen immer nur zwei: ein Bösewicht, der kratzt, und ein Würstchen, das sich die Butter vom Brot nehmen lässt.

[Heiterkeit bei der FDP und der CDU]

Das ist regelmäßig der Fall. Nicht so in der Berliner SPD, die kratzt sich die Butter selbst vom Brot und stellt diese Regel auf den Kopf, indem sie einem der wenigen aus Ihren Reihen – das müssen Sie doch sehen –, der etwas zu sagen hat und der wahrgenommen wird, hier einen Maulkorb verpassen, verehrte Kolleginnen und Kollegen der SPD.

Was Sie in Ihren Fraktionssitzungen machen, wird hier ganz sicher nicht Anlass für eine Aktuelle Stunde sein. Da halten Sie sich so uninformiert, wie Sie nur wollen, schließen Sie alle Experten aus und kochen im eigenen Saft! Das können Sie gerne so machen. – Das hält meine Fraktion anders. Wir laden zu den interessierenden Themen immer Experten ein und schauen dabei nicht aufs Parteibuch.

[Gelächter bei der Linksfraktion – Uwe Doering (Linksfraktion): Ach? – Zuruf von Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion)]

Wir haben gerade zu dem Thema innere Sicherheit am vergangenen Dienstag den Datenschutzbeauftragten Dr. Dix bei uns gehabt, die Verfassungsschutzbeauftragte Claudia Schmid vor wenigen Wochen. Da war es für uns selbstverständlich, dass wir auch einen Bezirksbürgermeister dieser Stadt, einen Erfahrungsbericht, der uns interessieren könnte, anhören. Nicht mehr und nicht weniger!

[Beifall bei der FDP]

Da geht es gar nicht um Parteipolitik oder irgendetwas anderes.

[Zurufe von der Linksfraktion: Nein! Ach was! – Stefan Liebich (Linksfraktion): Warum sind Sie eigentlich in einer Partei?]

Wir hatten übrigens von Ihnen Richard Schröder zum Religionsunterricht da, der war auch sehr interessant, kann ich Ihnen sagen. Da geht es nicht um Parteipolitik, sondern darum, sich in interessierenden Themen sachkundig zu machen.

[Martina Michels (Linksfraktion) und Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Nein!]

Es geht, weil das immer wieder angefragt wurde, gar nicht darum, Ihnen Herrn Buschkowsky abzuwerben. Ich glaube, Herr Buschkowsky weiß selbst genau, wohin er gehört, und vor allen Dingen, wohin er nicht gehört.

Ich finde es übrigens, Kollege Henkel, ganz merkwürdig, wenn Sie ihn auf der einen Seite hier im Innenausschuss anhören wollen, ihn dann als „Schaumschläger“ oder „selbstverliebten Dummschwätzer“ bezeichnen und dann wieder auf CDU-Kurs verorten.

[Beifall bei der FDP, der SPD und der Linksfraktion]

Da muss man sich einig werden, was man eigentlich will.

[Frank Henkel (CDU): Demaskieren!]

Ich glaube, der Bezirksbürgermeister Buschkowsky ist hier nicht der Innere-Sicherheits-Gott geworden, nur weil er in Rotterdam oder London war. Er ist aber auch nicht irgendein Dummschwätzer oder Schaumschläger,

[Zuruf von Udo Wolf (Linksfraktion)]

sondern jemand, der in der Stadt etwas zu sagen hat. Den hat man sich anzuhören.

[Beifall bei der FDP]

Es gehört zu einer ernsthaften Befassung dazu. Und es ist ein ernstes Thema. Das interessiert die Menschen aktuell. Das brennt ihnen auf den Nägeln. Ich glaube, dass Berlin tatsächlich an einer Weiche steht. In die eine Richtung geht es nach London, das ist eine segregierte Gesellschaft, wo die Menschen in Stadtvierteln unterschiedlicher Art nebeneinander herleben. Das ist keine multikulturelle Gesellschaft. In die andere Richtung geht es nach Rotterdam, mit 55 Prozent Migrantenanteil, die haben dort – vielleicht wieder – eine multikulturelle Gesellschaft, in der sie den Anspruch formulieren, dass sich jeder, ganz unabhängig davon, woher er kommt und wann er zugereist ist oder ob er Nachfahre angestrandeter Wikinger ist, in jedem Fall zu jeder Tages- und Nachtzeit an jedem Ort aufhalten kann. Das ist interessant zu hören, wie sie das da machen. Das hat verschiedene Aspekte. Das hat Aspekte der Integration, der Schule, der Berufsbildung, des Arbeitsmarkts, aber auch icherheitsaspekte. S Sicherheitsaspekte stehen im Vordergrund oder sind zumindest ein wesentlicher Teil. Deswegen war es richtig, dass FDP gemeinsam mit CDU und Grünen im Innenausschuss den Antrag gestellt haben, den Bezirksbürgermeister von Neukölln zu hören.

[Uwe Doering (Linksfraktion): Wollten die doch gar nicht!]

Zu hören heißt nach unserem Verständnis nicht, alles zu übernehmen, was er sagt. Das wird die FDP auch nicht tun. Da gibt es verschiedene Aspekte, die für uns gar nicht in Betracht kommen. Aber man muss ihn sich doch wenigstens anhören.

[Beifall bei der FDP – Beifall von Benedikt Lux (Grüne) – Zuruf von Stefan Liebich (Linksfraktion)]

Sensationell peinlich und borniert ist es, den Mann, wenn er auf Einladung des Ausschussvorsitzenden schon im Zuschauerraum ist, quasi wieder hinauszuwerfen. Wie gehen Sie hier mit führenden Leuten aus den Bezirken der Stadt um? Es ist doch völlig unmöglich, wie Sie sich da benommen haben, und dann auf die volle Tagesordnung zu verweisen.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall von der CDU und den Grünen]

Leisten Sie einen Beitrag für die Außenwirkung dieses Parlaments und seiner Ausschüsse, dass sie als solche wahrgenommen werden, die sich aktuell mit den Themen beschäftigen und nicht erst Monate später, wenn es der Koalition in den Kram passt, weil damit ihre Zerstritten

heit, vor allem in den Reihen der SPD, nicht so zutage kommt! Diese ist ein aktuelles Thema. Wenn Sie es im Ausschuss nicht besprechen wollen, dann müssen wir es heute hier in der Aktuellen Stunde tun. Deswegen bitte ich Sie um Zustimmung zu unserem Antrag. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der FDP]

Danke schön, Herr Kollege Dr. Lindner! – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich lasse über das Thema der heutigen Aktuellen Stunde abstimmen, zuerst über das Thema der Koalitionsfraktionen. Wer diesem Thema die Zustimmung zu geben wünscht, den bitte ich um das Handzeichen! – Das sind die beiden Regierungsfraktionen. Die Gegenprobe! – Das sind die drei Oppositionsfraktionen. Ersteres war die Mehrheit. Damit ist das Thema beschlossen. Enthaltungen sehe ich nicht. Die anderen beantragten Themen haben damit ihre Erledigung gefunden.

Dann möchte ich Sie wieder auf die Ihnen vorliegende Konsensliste sowie auf das Verzeichnis der Dringlichkeiten hinweisen. Ich gehe davon aus, dass allen eingegangenen Vorgängen die dringliche Behandlung zugebilligt wird. Sollte dies im Einzelfall nicht Ihre Zustimmung finden, bitte ich um entsprechende Mitteilung

Dann rufe ich auf

lfd. Nr. 1:

Fragestunde – Mündliche Anfragen