Protocol of the Session on May 29, 2008

Zum Antrag Drucksache 16/1415 empfiehlt der Ältestenrat die Überweisung federführend an den Ausschuss für Integration, Arbeit, Berufliche Bildung und Soziales und mitberatend an den Ausschuss für Wirtschaft, Technologie und Frauen, wozu ich keinen Widerspruch höre.

Ich rufe auf die Priorität der Fraktion der SPD

lfd. Nr. 4 e:

Antrag

Künftiger Umgang mit NS-Raubkunst

Antrag der SPD und der Linksfraktion Drs 16/1403

Das ist der ehemalige Punkt 21. – Zur Beratung stehen den Fraktionen auch hier wieder jeweils fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt die Fraktion der SPD. – Das Wort hat Kollegin Lange!

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Fakten sind klar: Das Kirchner-Bild wurde zu Recht zurückgegeben. Der Sonderausschuss hat fast ein Jahr lang angehört, recherchiert und diskutiert. Wir haben die Ergebnisse und Forderungen in unserem Antrag festgehalten. Sie bestehen im Wesentlichen aus drei Punkten.

1. Wir wollen, dass die Neufassung der Handreichung dem Abgeordnetenhaus zur Befassung vorgelegt wird. Die überarbeitete Handreichung wurde jetzt vom Staatsminister für Kultur vorgelegt und soll dazu beitragen, in der NS-Zeit entzogene Kulturgüter in deutschen Museen, Bibliotheken und Archiven ausfindig zu machen. Zugleich ist eine Summe von 1,2 Millionen € vom Bund bereitgestellt worden.

2. Wir wollen, dass der Senat auf der Grundlage der gemeinsamen Erklärung in künftigen Fällen entscheiden kann. Dies entspricht auch dem Verfahren des Bundes.

3. Wir wollen im Kulturausschuss in mindestens zweijährigen Abständen über den Stand der Herkunftsforschung in Berlin informiert werden.

Das sind die Konsequenzen aus dem Sonderausschuss. Das Thema Rückgabe des Kirchner-Bildes hat seine Erledigung gefunden. Deshalb wollen wir heute sofort über unseren Antrag abstimmen.

[Christoph Meyer (FDP): Wie peinlich!]

Wir wissen, die Rückgabe war schmerzlich, aber jeder, der die langen Diskussionen um dieses Bild verfolgt hat, muss anerkennen, dass es zu Recht zurückgegeben wurde.

[Alice Ströver (Grüne): Wo ist der Regierende Bürgermeister? – Dr. Gabriele Hiller (Linksfraktion): Wo ist Herr Lindner? Babysitten?]

Die Verwaltung hat zwei Jahre intensiv geprüft, der Sonderausschuss hat sich fast ein Jahr lang damit befasst. Die Argumente sind ausgetauscht. Wir sind unserer moralischen Verpflichtung nachgekommen, ein geraubtes Kunstwerk den rechtmäßigen Eigentümern wieder zurückzugeben.

Und – das sage ich ganz persönlich – ich möchte nicht noch einmal die zum Teil widerliche und abstoßende Diskussion um dieses Bild erleben.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Ich erinnere als Beispiel nur an den offenen Brief, den einige einer gewissen Partei nahestehenden älteren Herren Professoren in diskriminierender Absicht an die Chefin der Senatskanzlei geschickt haben. Es wurde sogar der Kunstsammler Herr Lauder unseriös zitiert, der sich aber schnellstens von diesen infamen und rufmordähnlichen Äußerungen distanziert hat und in einem Schreiben betont, dass er sich niemals zur moralisch wie rechtlich korrekten Entscheidung des Berliner Senats geäußert hat. Er

sagt, für diese Entscheidung gebühre den Verantwortlichen nichts als Lob.

Oder: „Man sagt Holocaust und meint Geld“, äußerte ein bekannter Berliner Auktionator, der sich übrigens zu einer Anhörung im Sonderausschuss stets entschuldigen ließ. Wie zu vernehmen ist, ist gerade dieses Auktionshaus immer wieder wegen Versteigerung von Kunstwerken unklarer Herkunft im Gespräch.

[Michael Braun (CDU): Eine Unverschämtheit!]

Übrigens: In Bezug auf Kunstwerke, deren Provenienz zwischen 30. Januar 1933 und dem 8. Mai 1945 ungeklärt ist, haben sich die großen internationalen Auktionshäuser zu verpflichtenden Standards bereit erklärt. Kein einziges deutsches Auktionshaus hat sich bisher öffentlich zur Einhaltung dieser Standards bekannt. Ein Schelm, der Böses dabei denkt.

Durch diese Erfahrungen im Sonderausschuss ist klar geworden: Wir brauchen eine enge Zusammenarbeit von Kunstgeschichte und Zeitgeschichte, um die Provenienzforschung in den richtigen historischen Zusammenhang zu bringen

[Alice Ströver (Grüne): Wo ist die denn?]

genau, Frau Ströver –, und das wollen wir auch.

[Alice Ströver (Grüne): Sie tun ja nichts dafür! – Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Gerade die Debatte um das Kirchner-Bild zeigte, wie aktuell die Thematik ist. Es muss selbstverständlich werden, geraubte Kulturgüter den rechtmäßigen Eigentümern zurückzugeben. Schlimm genug, dass darüber 60 Jahre vergehen mussten! Aber was wir nicht brauchen, ist ein weiteres Forum für unappetitliche Diskussionen, wie bei der Kirchner-Rückgabe.

[Christoph Meyer (FDP): Dann machen Sie’s lieber im stillen Kämmerlein!]

Ich bitte Sie deshalb, heute unserem Antrag zuzustimmen.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Das Wort für die CDU-Fraktion hat Dr. Juhnke.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Arbeit des Sonderausschusses Restitution, dessen Abschlussbericht an dieser Stelle im Januar diskutiert wurde, hatte zwei Ziele: erstens Aufklärung der Umstände um die Rückgabe des Gemäldes „Berliner Straßenszene“ des Expressionisten Ernst Ludwig Kirchner sowie zweitens die Aufstellung von Empfehlungen für einen künftigen Umgang mit Restitutionsforderungen im Land Berlin.

Bereits zum ersten Punkt konnte keine ausreichende Sachaufklärung erreicht werden. Nachdem das ganze

Ausmaß des dilettantischen Vorgehens des Senats, insbesondere der Staatssekretärin Kisseler in der Senatsverwaltung von Herrn Flierl, bekannt wurde, nahm die Beratung zu diesem Punkt einen unerwartet breiten Raum ein. Und dass die Koalition bis heute nichts dazugelernt hat, hat die Rede von Frau Lange gerade bewiesen.

[Beifall bei der CDU, den Grünen und der FDP]

Um dieses für den rot-roten Senat niederschmetternde Ergebnis nicht noch weiter öffentlich werden zu lassen, drückte die Koalition aufs Tempo. Eine Verlängerung der Arbeitsdauer des Ausschusses wurde verhindert, wichtige Sachverständige konnten nicht mehr gehört werden.

[Uwe Doering (Linksfraktion): Quatsch! Wir haben doch länger gearbeitet!]

Als besonders verräterisch muss in diesem Zusammenhang die Weigerung der politisch Verantwortlichen betrachtet werden, im Ausschuss auszusagen. Weder die zuständige Staatssekretärin noch der Senator noch der insgesamt verantwortliche und nicht von einem Strafverfahren bedrohte Regierende Bürgermeister Wowereit waren bereit, zu diesem Vorfall Stellung zu nehmen.

[Reg. Bürgermeister Klaus Wowereit: Ich wäre bereit gewesen!]

Diese destruktive Haltung der Koalition vor Augen, hätte man aus heutiger Sicht zum Instrument des Untersuchungsausschusses greifen müssen. – Und wenn Herr Wowereit gerade sagt, er wäre bereit gewesen, dann haben die Gespräche, die wir mit den Vertretern Ihrer Parteien geführt haben, eine deutlich andere Meinung gezeigt.

[Reg. Bürgermeister Klaus Wowereit: Ich müsste dazu sagen, dass ich nichts hätte sagen können!]

Das spricht auch für sich, wenn Sie nichts hätten sagen können.

Wenn nun schon die Aufklärung über den Sachverhalt der Rückgabe, die in der Fachwelt einhelliges Entsetzen hervorgerufen hat, nicht umfassend möglich war, gilt dies umso mehr für den zweiten Punkt, die Erarbeitung von Empfehlungen für den künftigen Umgang mit Restitutionsfällen in Berlin. Mit dem vorliegenden Antrag möchte die Koalition die Arbeit des Sonderausschusses hingegen per Handstreich beenden. Frau Lange hat von einem Schlussstrich gesprochen, das ist sehr bezeichnend. Es ist ihr nicht angenehm, weiter über die Berliner Restitutionspraxis zu debattieren. Vor dem Hintergrund des Senatsversagens habe ich für diese Position menschlich Verständnis, der Sachaufklärung dient sie jedoch nicht.

Was fordert der Antrag im Einzelnen? – Im ersten Punkt wird eine Selbstverständlichkeit formuliert, nämlich dass sich der Kulturausschuss mit der überarbeiteten Fassung der Handreichung beschäftigen soll. Was ist denn das für ein Mumpitz? – Selbstverständlich wird sich der Kulturausschuss mit diesem Thema beschäftigen. So steht es schon im Abschlussbericht des Sonderausschusses, und zwar in beiden Versionen, der Fassung, die von der Ver

Verwaltung vorgelegt und von den Oppositionsfraktionen einheitlich angenommen wurde und sogar in der von RotRot verfälschten und mit Mehrheit hier offiziell durchgeprügelten Version. Hier handelt es sich also um eine Selbstverständlichkeit, die man, würde sie nicht sowieso das Interesse des gesamten Ausschusses widerspiegeln, auch auf dem simplen Weg des Besprechungswunschs nach § 21 Absatz 3 der Geschäftsordnung hätte vorbringen können. Wenn Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, die völlig überzogene Form eines Antrags wählen, dann kann das aber auch heißen, dass Sie über das Versagen des Senats hinwegtäuschen wollen und Ihren Ruf als Restitutionsexperten nach dem Motto „Angriff ist die beste Verteidigung“ rehabilitieren wollen. Aber das wird Ihnen nun auch nichts mehr nützen, für die Fachwelt ist Ihr Zug abgefahren.

[Beifall bei der CDU und der FDP – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Vielleicht wollten Sie damit aber auch kaschieren, dass in Punkt zwei ein echter Knüller versteckt ist. Sie fordern, dass der Senat legitimiert wird, künftige Restitutionsentscheidungen eigenmächtig vorzunehmen. Sie legitimieren damit nachträglich jenes Vorgehen, das zum Verlust des Kulturguts „Berliner Straßenszene“ geführt hat. Im Weiteren negieren Sie damit eines der zentralen Ergebnisse des Sonderauschusses, nämlich dass Entscheidungen von solcher Tragweite nie mehr ohne das Parlament erfolgen dürfen.

[Beifall bei der CDU, den Grünen und der FDP]

Das hat selbst Staatssekretär Schmitz genauso eingeräumt. Und was machen Sie? – Sie bleiben noch hinter dieser Erkenntnis zurück. Da gesteht der Senat einen Fehler ein, und Sie geben ein Generalpardon nach dem Duktus „Ach, alles nicht so schlimm, wir Rot-Roten im Parlament wissen es ja auch nicht besser“. Ja, wie armselig ist das denn?

Aber beim dritten Punkt gibt Ihr Handeln Rätsel auf. Sie fordern den Senat auf, alle zwei Jahre einen Bericht über die Umsetzung der Provenienzforschung abzugeben. So weit, so gut. Dabei wissen Sie ganz genau, dass das ein frommer Wunsch ist. Alle Experten sagen, dass Provenienzforschung im jeweiligen Museum erfolgen sollte, weil dort die erforderliche Sachnähe gegeben ist. Gleichzeitig ist Ihnen die personelle und materielle Situation der Institutionen bekannt. Bedenkt man dabei, dass Sie den Antrag der Grünen, Forschungsmittel für Provenienzforschung in Höhe von 1,6 Millionen € überhaupt erst zur Verfügung stellen zu wollen, mit Ihrer Mehrheit abgelehnt haben, dann kann ich zum dritten Punkt nur noch sagen: Das ist nur großschnäuzige Ankündigungspolitik und Heuchelei.