Protocol of the Session on April 24, 2008

Was ist das eigentlich für ein Demokratieverständnis, wenn Herr Wowereit sagt: Egal wie das Bürgerbegehren ausgeht, wir machen den Flughafen zu.

Ich finde, das ist eine sehr berechtigte Frage. Herr Wowereit hat am dritten Dezember das erste Mal erklärt:

Ich weiß, dass die Mehrheit der Berliner und Berlinerinnen für die Offenhaltung von Tempelhof sind, aber das kann die Entscheidung des Senats nicht beeinflussen.

Das hat mit Demokratie nichts zu tun, das ist Arroganz der Macht und nichts anderes!

[Beifall bei der CDU und der FDP – Unruhe]

Der Wowereit-Senat hat es doch wirklich geschafft, noch vor dem Volksbegehren eine offizielle Ausschreibung für einen Wettbewerb zur Flächennutzung des Tempelhofer Feldes nach der Stilllegung zu veröffentlichen und in Angriff zu nehmen. Seit gestern ist diese Ausschreibung draußen.

[Dr. Martin Lindner (FDP): Unerhört!]

Da wird nicht einmal mehr der Anschein gewahrt, dass man auf das Volk hören würde. Da hat man die Dreistigkeit zu sagen: Sonntag sollt ihr alle abstimmen, Tausende von Menschen gehen zur Wahl, Tausende von Menschen engagieren sich, Hunderte sitzen als freiwillige Wahlhelfer in den Wahllokalen, und die Frau Senatorin hat mit Zustimmung des Herrn Regierenden Bürgermeisters bereits vollendete Tatsachen geschaffen. Das dürfen sich die Berlinerinnen und Berliner nicht gefallen lassen!

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Wir alle in diesem Parlament haben direkte Demokratie gewollt und gesagt: Das bringen wir in unsere Verfassung hinein. Wir haben alle zusammen einen entsprechenden Beschluss gefasst. Der große Treiber aber, Herr Wowereit, das war die Koalition.

[Uwe Doering (Linksfraktion): Richtig!]

Sie haben gesagt: Wir wollen jetzt endlich das Volk teilhaben lassen, es soll mit entscheiden. Jetzt, wo Ihnen das Ergebnis nicht passt, ignorieren Sie das. Was hat das mit Demokratie zu tun? In der Verfassung heißt es nicht „Volksratschlag“, sondern Volksentscheid. Erklären Sie bitte heute, Fraktion für Fraktion, ob Sie bereit sind, das Votum der Berlinerinnen und Berliner am 27. April ernst zu nehmen, zu berücksichtigen und zu befolgen. Den Anspruch auf Auskunft haben wir alle!

[Beifall bei der CDU und der FDP – Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Sie nehmen doch das Votum nicht ernst! Sie wollen etwas ganz anderes!]

Gerade die Linksfraktion sollte hier ein wenig ruhiger sein: Herr Gysi hat erkannt, dass es ich um eine schwierige Gefechtslage handelt. Er hat gestern erklärt – Hut ab! –, der Senat solle das Votum der Bevölkerung respektieren. Dann hat Herr Gysi zwei Stunden später erklärt:

[Uwe Doering (Linksfraktion): Rund 10 Minuten!]

Ich habe noch einmal mit dem Senat telefoniert, mich sachkundig gemacht und erfahren, dass das gar nicht geht. – Herr Gysi hat kurz zuvor 300 000 Berlinerinnen und Berliner angeschrieben und für die Schließung von Tempelhof geworben. Was sollen denn diese Leute denken, wenn sie sehen, dass Herr Gysi gar nicht richtig informiert war. Sie müssen sich doch veräppelt fühlen, oder nicht?

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Herr Kollege Dr. Pflüger! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Albers?

Dann fahren Sie bitte fort!

Ich möchte jedoch Herrn Albers sagen, dass heute im Bundestag – viele wissen es wahrscheinlich noch gar nicht –

[Uwe Doering (Linksfraktion): Doch!]

Herr Bisky erklärt hat, Gysi I sei doch richtig gewesen: Eine Volksabstimmung über Tempelhof ist eine Volksabstimmung, und man hat sich daran zu halten.

[Uwe Doering (Linksfraktion): Er hat nichts über Tempelhof gesagt! Das stimmt nicht! – Unruhe]

Frau Bluhm! Sie müssen uns nachher noch erklären, was denn nun gilt: Gysi I, Gysi II, Bisky I oder Bluhm. Bitte beenden Sie das Chaos in Ihrer eigenen Fraktion, und sagen Sie endlich, ob Sie das Volk in Berlin ernst nehmen wollen oder nicht!

[Beifall bei der CDU und der FDP – Uwe Doering (Linksfraktion): Zitieren Sie richtig!]

Dann kommt Herr Wowereit und sagt: Natürlich! Wir werden alles prüfen, und wir nehmen selbstverständlich das Volk ernst, aber rechtlich geht das alles nicht, und ich bin ja an das Recht gebunden. – Komischerweise heißt es in einer Stellungnahme der Senatsverwaltung für Inneres und Sport vom 3. Mai 2007 zur Frage der Zulassung des Volksentscheids:

Dem Volksbegehren steht keine rechtliche Unmöglichkeit der begehrten Entscheidung entgegen.

Mit anderen Worten: Das, was zur Debatte steht, ist aus Sicht der eigenen Senatsverwaltung rechtlich möglich. Die Frage kann man mit Ja oder Nein beantworten.

Herr Wowereit, Ihnen muss ich sagen: Wenn Sie wirklich der Auffassung sind, rechtlich sei nichts mehr zu machen, dann hätten Sie die Berlinerinnen und Berliner nie am 27. April 2008 zu den Urnen rufen dürfen. Sie machen nichts anderes als Volksveräppelung.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Es wird immer wieder behauptet – dieses Argument nehmen wir sehr ernst –, BBI werde gefährdet.

[Zuruf von Jutta Matuschek (Linksfraktion)]

Ich sage Ihnen zum wiederholten Mal: Es gibt kein einziges Mitglied meiner Fraktion, das nicht sagt, BBI müsse so schnell wie möglich fertiggestellt werden.

[Jutta Matuschek (Linksfraktion) meldet sich zu einer Zwischenfrage.]

Das ist ein Schlüsselprojekt für die Zukunft unserer Stadt. Niemand will BBI gefährden, aber in Wahrheit ist es umgekehrt: Wer BBI zum Erfolg bringen will, muss für die kleineren Flieger, für die Geschäftsflieger einen weiteren Flughafen offen halten. Nur dann kann BBI ein wirklicher Erfolg werden.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Herr Kollege Dr. Pflüger! Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Matuschek?

Nein, ich gestatte keine Zwischenfragen. – Es ist doch ganz eindeutig: Natürlich gibt es Gerichtsentscheide, die man ernst nehmen muss, aber Gerichtsentscheide beziehen sich auf Recht, das wir hier im Abgeordnetenhaus formuliert haben, auf Recht, das von Politikern geschaffen wurde und das Politiker wieder ändern können. Es steht nicht in den Zehn Geboten und nicht in den Ewigkeitsartikeln des Grundgesetzes, dass Tempelhof geschlossen wird. Wenn wir den politischen Willen haben, können wir Tempelhof offen halten. Niemand soll sich von törichten juristischen Argumenten, die keine sind, Bange machen lassen.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Herr Müller hat heute in den Nachrichten im „Spreeradio“ gesagt:

Bis zur BBI-Eröffnung gibt es kein rechtliches Risiko.

Das ist übrigens allgemeiner Konsens. Gehen Sie doch endlich auf das Angebot der Bundesregierung ein, und zwar nicht nur auf das von Frau Merkel, sondern auch auf das von SPD-Finanzminister Steinbrück! Beschreiten Sie diesen Weg! Lassen Sie Tempelhof erst einmal in den nächsten vier bis fünf Jahren offen, bis BBI endlich kommt! Der Bund zahlt uns Berlinern noch 10 Millionen € im Jahr für das Defizit in Tempelhof. Lassen Sie uns in Ruhe darüber reden, was mit Tempelhof

danach wird, wie wir das rechtlich absichern können! Da sind wir zu allen Gesprächen bereit. Nehmen Sie aber diesen unsinnigen und törichten Beschluss zurück, am 31. Oktober 2008 Tempelhof zu schließen, ohne ein vernünftiges Nachnutzungskonzept vorlegen zu können!

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Herr Wowereit! Das ist eine goldene Brücke, die Ihnen die Bundesregierung gebaut hat.

[Gelächter bei der SPD und der Linksfraktion]

Beschreiten Sie sie! Nehmen Sie diesen Kompromiss an! Das ist gut für uns alle und für Tempelhof. Wenn Sie das nicht tun, werden Sie in die Geschichte Berlins als der Schließer von Tempelhof eingehen.

[Gelächter bei der SPD und der Linksfraktion]

Dann werden die Leute sagen, Sie seien jetzt nicht mehr arm, aber sexy, sondern reichlich dumm. Man verschenkt eine solche Option nicht ohne Not.

[Beifall bei der CDU und der FDP]