Protocol of the Session on February 28, 2008

Antrag der CDU Drs 16/1226

sowie

Dringlicher Entschließungsantrag

Nein zum Flugbetrieb in Tempelhof

Antrag der SPD, der Linksfraktion und der Grünen Drs 16/1228

Der Dringlichkeit der letzten beiden Anträge wird offensichtlich nicht widersprochen.

Ich eröffne auch die I. Lesung in Bezug auf die Änderung des Berliner Straßengesetzes.

Für die gemeinsame Besprechung bzw. Beratung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu 15 Minuten zur Verfügung, die auf zwei Redner aufgeteilt werden kann. Dies ist zumindest der Vorschlag des Ältestenrats – zu dem ich keinen Widerspruch höre. Es beginnt die Fraktion der SPD in Person des Fraktionsvorsitzenden Müller. – Bitte schön, Herr Müller! Sie haben das Wort!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sprechen heute wieder über Tempelhof – zum wievielten Male eigentlich? Ich glaube, es gibt inzwischen auch viele Zuschauer, die sagen, es gebe auch andere wichtige Themen in unserer Stadt. – Keine Frage!

[Zurufe von der CDU]

Tempelhof ist aber ein aktuelles Thema, und wir sprechen heute auch über einen verantwortungsvollen Umgang mit Volksbegehren und Volksentscheiden.

[Zuruf von der FDP]

2006 haben wir die Möglichkeiten direkter Demokratie in Berlin deutlich verbessert, im Übrigen gegen den erbitterten Widerstand der CDU. Wir sind heute mit diesen bürgerfreundlichen Instrumenten bundesweit an der Spitze. Und ich sage nach wie vor, es ist ein gutes Instrument der Bürgerbeteiligung, aber ich sage genauso klar: Volksbegehren und Volksentscheide können und sollen eine Ergänzung zur parlamentarischen Demokratie sein, sie sollen die parlamentarische Demokratie nicht außer Kraft setzen.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Alle, die hier im Plenum sitzen, haben einen Wählerauftrag bekommen und einen Auftrag, diesen auch parlamentarisch umzusetzen. Dieser parlamentarische Schlagabtausch kann auch eine harte Auseinandersetzung sein, so wie auch die Auseinandersetzung im Rahmen eines Volksbegehrens hart sein kann.

Zwei Dinge sind aus meiner Sicht jedoch zu beachten und sollten nicht passieren: Erstens sollte einer Regierung nicht der Vorwurf gemacht werden, sie handele undemokratisch, arrogant und willkürlich, wenn sie sich nicht sofort den Zielen eines laufenden Volksbegehrens unterwirft. Auch ein Senat muss die Chance haben, seine Position offensiv zu vertreten.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Auch sollte man nicht den Vorwurf der Wahlmanipulation und der Wahlbehinderung bis hin zu einer absurden Forderung nach OSZE-Beobachtern am Abstimmungstag

erheben – wovon Sie sich im Übrigen immer noch nicht distanziert haben, Herr Pflüger! –, nur weil es am Abstimmungstag zur Zusammenlegung von einigen Stimmbezirken in Wahllokalen kommen soll. Das sind unhaltbare Vorwürfe. Das kann auch zu einer Schwächung des gesamten demokratischen Systems führen. Davor sollte man sich hüten.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Volksbegehren und Volksentscheide sind nicht dazu da, dass sie dauerhaft ein Instrument eines einfallslosen Oppositionsführers sind, der die Bürgerinteressen parteipolitisch nutzt.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Wer mangels eigener Ideen damit die Legislaturperiode bestreiten will, instrumentalisiert den Bürgerwillen. Nichts anders findet hier gerade statt.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Ehrlichkeit und Offenheit sind in dieser Auseinandersetzung mit Sicherheit angebracht. Der Verfassungsexperte und Staatsrechtler Pestalozza hat Ihnen, meine Damen und Herren von der FDP und CDU, Augenwischerei vorgeworfen. Er sagt, jeder könne und müsse wissen, dass selbst ein positiver Volksentscheid nicht bindend für Abgeordnetenhaus und Senat ist. Sie wissen es auch ganz genau. Sie wissen ganz genau, dass die Aufgabe des Flugbetriebes und die Entwidmung des Fluggeländes inzwischen ein unumkehrbarer Verwaltungsakt, ein unumkehrbares Verwaltungshandeln, ist.

[Dr. Martin Lindner (FDP): Quatsch!]

Ich zitiere dazu die Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig. Dort steht:

Das Bundesverwaltungsgericht hat die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts bestätigt. Die Schließungsverfügung ist damit unanfechtbar. Grünes Licht für die Schließung des Flughafens Tempelhof!

Das ist die Pressemittelung des Bundesverwaltungsgerichts.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Zuruf von Dr. Martin Lindner (FDP)]

Sie wissen es, Herr Kollege Pflüger! Und Sie wissen, alles, was Sie als vermeintlich einfache Lösung vorschlagen – neues Planfeststellungsverfahren, neue Betriebsgenehmigung, neuer Landesentwicklungsplan –, sind Verfahren, die jahrelange juristische Folgen nach sich ziehen. Sie wissen das, aber Sie verschweigen es bewusst wegen parteipolitischer Spielchen. Das ist eine Verhöhnung der Menschen, die abgestimmt haben. – Das findet hier gerade statt.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Man muss die Meinung der Menschen, die abgestimmt haben, erst nehmen, auch die Emotionalität, die sie einbringen, aber man muss Fakten darlegen, einen ernsthaf

ten Abwägungsprozess vornehmen, Entscheidungen treffen und dann auch Verantwortung übernehmen. Es ist so: Tempelhof ist für viele ein Ort mit großer Geschichte, ein Symbol für den Freiheitswillen der Berlinerinnen und Berliner, ein Ort voller Emotionalität. Aber diese Emotionen dürfen nicht einer rationalen Abwägung im Wege stehen, sie dürfen nicht Grundlage für unsere Entscheidung sein. Die Entscheidung ist mit einem wichtigen Zukunftsprojekt verbunden, das die nächsten 50 Jahre in unserer Stadt und Region bestimmen wird. Solch eine Entscheidung kann man nicht auf einer emotionalen Grundlage treffen.

Es geht um wichtige Zukunftsfragen. Wie positioniert sich Berlin in der Umweltpolitik? Wie werden neue Stadtteile auf dem Gelände des Flughafens Tempelhof und des Flughafens Tegel aussehen? Wie geht es weiter mit der wirtschaftlichen Entwicklung in der Region? Wir sprechen über zehntausende Arbeitsplätze, die am Flughafen BBI hängen. Darum geht es, und das berücksichtigen wir im Interesse aller Berlinerinnen und Berliner. Das ist Verantwortungsbewusstsein und der Gegensatz von Arroganz und Willkür, meine Damen und Herren von der Opposition!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Wie verhalten sich an dieser Stelle CDU und FDP? – Herr Pflüger sagt 2006 noch: Selbstverständlich soll Tempelhof als Verkehrsflughafen für Linienmaschinen geschlossen werden! Zwei Monate später ist dann ein völlig neues Konzept der CDU im Umlauf. Da wird nicht nur Tempelhof offen gehalten, sondern Tegel soll auch gleich noch mit offen gehalten werden.

[Unerhört! von der SPD]

Einige Zeit später sprechen Sie von einem Sonderflughafen Tempelhof für Privatmaschinen. Dann, im Wahlkampf, treten Sie mit der Bundeskanzlerin auf und sagen, es wäre doch auch ein schöner Regierungsflughafen Tempelhof. Dann soll Tempelhof nur bis zur Eröffnung von BBI offen bleiben. Jetzt sprechen Sie darüber, dass der Flughafen mit neuen Planungsverfahren und Landesentwicklungsplanungen auch über 2011 hinaus offen bleiben kann.

Und die FDP setzt noch eins oben drauf – das liegt uns heute auch als Antrag vor: Sie wollen einen Vertrag aushandeln und den Flughafen Tempelhof damit für alle Zeiten als Geschäftsflughafen erhalten. – Das ist ein Stück aus dem Tollhaus, und es ist das Gegenteil von seriöser Politik!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Denn all diese Ideen, die Sie öffentlich diskutieren, zeigen sich vor dem Hintergrund, dass Sie ein Volksbegehren mit dem Titel: „Tempelhof bleibt Verkehrsflughafen!“ unterstützen. Wie passt denn das zu all dem, was Sie zu Sonder- und Geschäftsflughafen sagen? Auch Sie von der FDP haben die ICAT vehement für einen Verkehrsflugha

fen unterstützt – und legen heute einen Antrag für einen Geschäftsflughafen vor. Also wollen Sie doch offensichtlich im Grunde genommen einen Verkehrsflughafen. Die ICAT hat Ihnen ohnehin schon vorgerechnet, dass ein Privat- und Geschäftsflughafen betriebswirtschaftlicher Unsinn ist. – All dieses Hin und Her macht deutlich: Sie haben kein Konzept, Sie haben keine Ahnung. Sie verfolgen ausschließlich parteipolitische Ziele. Hier findet ein Missbrauch des Volksbegehrens statt.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei den Grünen – Bravo! von der SPD]

Ich frage Sie – nur so, vielleicht interessiert es auch den einen oder anderen Berliner –: Was ist eigentlich mit der Realisierung von BBI? Sie scheint Ihnen völlig egal zu sein. Es sind alles Lippenbekenntnisse, die man hört. Mit diesem Vorgehen, dass Sie immer wieder an den Planungsgrundlagen, an den rechtlichen Grundlagen dieses Flughafenkonzepts rütteln, gefährden Sie das größte und wichtigste Infrastrukturprojekt der Region. Es ist so wichtig, gerade für Berlin, für seine wirtschaftliche Entwicklung, dass wir hervorragende Verkehrsanbindungen haben, dass wir mit dem Flughafen Ansiedelungserfolge erzielen können. Alles das riskieren Sie! Ihre Politik ist das! Damit vergreifen Sie sich an der Zukunft unserer Stadt!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei den Grünen – Jawohl! von der SPD]

Am Volksbegehren beteiligen sich im Wesentlichen die Unterstützer des Anliegens, über das abgestimmt wird. Wir treten jetzt allerdings in eine neue Phase ein. Rund 200 000 Menschen – Berlinerinnen und Berliner – haben bisher für die Offenhaltung des Flughafens abgestimmt. Das sind viele, gar keine Frage. Es sind aber nicht die Berlinerinnen und Berliner, und es ist auch nicht die Mehrheit der Bevölkerung, so wie Sie es immer darstellen. Es haben sich sehr viele Menschen dort engagiert – überhaupt keine Frage –, aber es gibt auch andere, die in den nächsten Wochen und Monaten ihre Position deutlich machen werden, die sich bisher nicht artikuliert haben, und auch die haben einen Anspruch darauf, dass ihre Interessen bei der Abwägung zum Flughafenkonzept berücksichtigt werden. Es kommt darauf an, dass die Interessen aller in der Stadt berücksichtigt werden. Genau deswegen hat sich ein Bürgerbündnis gegründet,

[Gelächter bei der CDU]

das jetzt für die Schließung des Flughafens Tempelhof eintritt. Das besteht aus Parteien, Verbänden, Bürgerinitiativen, aus sozialen und Umweltorganisationen. – Ob Sie lachen oder nicht – es ist vielleicht schade, dass das nicht alles SPD-Organisationen sind. – Die Grünen protestieren schon! Es ist eben, was sich da gegründet hat, nicht parteipolitisch gesteuert,

[Gelächter bei der CDU]