Protocol of the Session on February 28, 2008

Sie sprechen die Situation beim Staatsbesuch zweier Staatsgäste an. In Ihrer Darstellung verkennen Sie offenbar, wie wir das Konzept der Einsatzhundertschaften bundesweit und länderübergreifend aufgebaut haben. Das Konzept dieser Einsatzhundertschaften beruht gerade darauf, dass nicht in jedem Land Einsatzkräfte für die Spitzen der Belastung vorgehalten werden müssen. Es beruht darauf, dass in besonderen Belastungssituationen länderübergreifend ein Ausgleich herbeigeführt wird. So ist es übrigens nicht zum ersten Mal, sondern schon gelegentlich bei solchen Staatsbesuchen – auch bei diesem Staatsbesuch – gewesen. Der Polizeipräsident hat insbesondere im Hinblick auf die Situation, dass nicht absehbar war, wie lange sich der Warnstreik der Polizeigewerkschaften hinzieht, vorsorglich diese Kräfte angefordert. Ich sehe nicht, warum man das beanstanden sollte.

Danke schön, Herr Staatssekretär! – Jetzt geht es weiter mit einer Nachfrage des Kollegen Henkel, wenn er möchte. – Bitte schön!

[Christian Gaebler (SPD): Noch eine Nachfrage?]

Herr Staatssekretär! Stimmen Sie mit mir wenigstens darin überein, dass es ein personelles Alarmsignal ist, wenn Wachpolizisten durch Vollzugsbeamte ersetzt werden müssen, die dann natürlich an anderer Stelle, bei ihren eigentlichen Aufgaben fehlen, und dass das nicht im Interesse der Sicherheit der Berlinerinnen und Berliner sein kann?

Herr Staatssekretär Freise!

Es ist nicht nur im Interesse der Sicherheit der Berliner, Herr Abgeordneter Henkel, sondern auch im Sinne der Einhaltung internationaler Verpflichtungen, dass dann, wenn nicht ausreichend Kräfte des Objektschutzes zur Verfügung stehen, weil etwa ein Warnstreik durchgeführt wird, und ergänzender Bedarf vom Polizeipräsidenten erkannt wird, dort Schutzpolizei aufzieht.

Danke schön, Herr Staatssekretär!

Jetzt ist Frau Dr. Hiller von der Linksfraktion mit der Mündlichen Anfrage Nr. 8 zum Thema

Steuerbetrug auch in Berlin?

an der Reihe. – Bitte schön!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Da ich ahne, dass Herr Sarrazin antwortet, fürchte ich mich ein bisschen vor der Antwort, aber ich frage trotzdem den Senat:

1. Wie ist der aktuelle Stand der Ermittlungen wegen Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit dem „Zumwinkel-Skandal" im Land Berlin?

2. Welche Möglichkeiten sieht der Senat, die gesetzlichen Mittel zur Verhinderung von Steuerbetrug stärker auszuschöpfen, und welche Gründe gibt es ggf., dass dies bisher nicht geschah?

Frau Dr. Hiller! Niemand braucht hier Angst vor dem Senat zu haben. – Bitte schön, Herr Senator Dr. Sarrazin!

[Dr. Martin Lindner (FDP): Ihr habt doch selbst Millionen hinterzogen, die SED! Ihr seid doch selbst eine Betrügerpartei! – Zurufe von der Linksfraktion]

Jetzt hat Herr Senator Dr. Sarrazin das Wort und sonst niemand!

Frau Abgeordnete Hiller! Ich weiß nicht, weshalb Sie sich fürchten. Vor Tatsachen muss keiner Angst haben.

[Dr. Martin Lindner (FDP): Doch, die Linke schon!]

Bundesweit ist derzeit für alle Verfahren in diesem Zusammenhang die Staatsanwaltschaft Bochum zuständig. Nur sie kann und darf Angaben zum Stand der Verfahren machen. Die Berliner Steuerfahndung ist daran beteiligt. Ihre Prüfer werden als weisungsgebundene Ermittlungs

personen von der Staatsanwaltschaft Bochum im Einzelfall eingesetzt. Ich kann Ihnen zu unseren Fallzahlen nur sagen, dass die Liste der mutmaßlichen Hinterzieher in Berlin etwa 20 Berliner Bürger umfasst. Diese sind mittlerweile alle bei unserem Finanzamt für Fahndung und Strafsachen anhängig.

Zur Frage 2: Wie viele Steuern insgesamt in Deutschland hinterzogen werden, lässt sich nicht so einfach abschätzen. Es wird davon ausgegangen, dass etwa 5 Prozent der Steuern hinterzogen werden, unabhängig von der Art der Steuern. Auch bei der Umsatzsteuer gibt es erhebliche Steuerhinterziehungen. Insgesamt sind dies Ausfälle von 25 Milliarden € pro Jahr.

Die Berliner Steuerverwaltung unternimmt wie andere Länderverwaltungen alles, um die gesetzlichen Mittel gegen Betrug auszuschöpfen. Ich will einige Zahlen nennen, die für Sie vielleicht interessant sind: Wir haben 130 Steuerfahnder und stehen damit bundesweit recht gut da. Noch im Jahr 1999 waren es 106. Die Steuerfahnder werden durch 30 Steuerfahndungshelfer unterstützt. Diese haben im letzten Jahr in Berlin 1 700 Fahndungen abgeschlossen. Außerdem wurden sie 1 000 Mal in Amts- und Rechtshilfe für andere Verwaltungen tätig. Es gab knapp 400 Durchsuchungen, und es konnten 30 Millionen € zusätzliche Steuern bestandskräftig festgesetzt werden.

Daneben ist noch die Stelle für Bußgeld- und Strafsachen tätig. Sie hat im letzten Jahr 3 205 Steuerstrafverfahren abgeschlossen. Es gab 503 Abgaben an die Staatsanwaltschaft. Beide Bereiche zusammen mit den Zahlungen für Verfahrenseinstellungen haben über Bußgeld Einnahmen von insgesamt 5 Millionen € erzielt. Die Haftstrafen, welche für Steuerhinterziehungen im letzten Jahr in Berlin verhängt wurden, haben sich auf 228 Jahre addiert. Auch dies ist ein deutlicher Anstieg. Es waren noch im Jahr 2005 153 Jahre und 6 Monate Haftstrafen. Diese Zahlen sind für sich genommen zwar relativ wenig aussagefähig, sie zeigen jedoch, dass wir in Berlin das Unsere tun.

Im Übrigen ist die Qualität der ganz normalen Steuerprüfung entscheidend, ob Hinterziehung auffällt. Es gibt keine Detektive, die hinter den Hinterziehern herschleichen, sondern es muss im Rahmen des normalen Steuerverfahrens auffallen, dass Angaben unvollständig, unschlüssig oder falsch sind. Dann wird von den Finanzämtern nach weiteren Prüfungen regelmäßig die Fahndung eingeschaltet. Nur das, was im Vorfeld auffällig ist, kann man letztlich durch die Steuerfahndung weiterverfolgen. Man kann nicht durch mehr Fahndungsmitarbeiter oder -helfer die Dinge beschleunigen. Man kann dies nur im Gesamtzusammenhang tun. – Vielen Dank!

Danke schön! – Eine Nachfrage des Kollegen Buchholz – bitte schön, Herr Buchholz!

[Zuruf: Erst die Fragestellerin!]

Vielen Dank, Herr Präsident! – Herr Senator! Sie haben die 5 Prozent als Schätzwert angesprochen. Was macht dies für Berlin für ein Volumen aus, und haben Sie einen Schätzwert, welcher Anteil der begangenen Steuerhinterziehungen in Berlin durch die Steuerfahnder oder andere Behörden aufgedeckt wird?

Entschuldigung, Frau Dr. Hiller! – Ich habe übersehen, dass Sie an der Reihe gewesen wären. Sie sind dann gleich im Anschluss an der Reihe. – Jetzt hat Herr Dr. Sarrazin das Wort. – Bitte schön!

Diese Schätzungen sind bundesweite Schätzungen, die regelmäßig stattfinden und sich auf Annahmen und nicht auf konkrete Fälle beziehen. Sie beziehen sich auf bestimmte Verhaltensmuster, auf Einschätzungen, was bei Bauherrenmodellen falsch angegeben wird, was bei Schwarzarbeit hinterzogen wird, was im Umsatzsteuerbetrug läuft. Die 5 Prozent sind eine im Zeitablauf stabile Größenordnung. Wir regen uns im Augenblick zu Recht besonders auf, aber wenn wir es gewusst hätten, hätten wir vor 10 oder 30 Jahren genauso viel Anlass gehabt, uns aufzuregen. Wir haben es nur nicht gewusst.

Die Frage, wie man abschätzt, was wäre, ist eine theoretische und kann deshalb schlecht beantwortet werden. Was bei der Prüfung von Steuererklärungen bei den Finanzämtern unbeanstandet durchgeht, ist tatsächlich zu einem Teil beanstandungserheblich. Da es aber unbeanstandet durchgeht, ist es ein Ratespiel, sich zu überlegen, was hätte beanstandet werden müssen. Deshalb kann man es auch schlecht berechnen. Wenn ich jetzt davon ausgehe, dass unsere Steuereinnahmen zusammen mit dem Länderfinanzausgleich pro Jahr 13,5 Milliarden € ausmachen, dann sind davon 5 Prozent etwa 700 Millionen €. Sie können also hinzurechnen: Von dem gesamten Steuerausfall in Deutschland, der durch derartige Sachen stattfindet, fallen etwa 700 Millionen € auf Berlin.

Dabei muss man wissen: Wenn die Fahnder in Bayern Erfolg haben, wird dadurch das ganze Steueraufkommen erhöht, auch das in Berlin. Umgekehrt haben an unseren Fahndungserfolgen auch die Anderen einen Anteil. Man kann also nicht zwischen den eigenen Steuereinnahmen und den eigenen Fahndungen einen Zusammenhang herstellen.

Danke schön, Herr Senator! – Nun sind Sie an der Reihe, Frau Dr. Hiller! Ich bitte noch einmal um Entschuldigung.

Vielen Dank, Herr Präsident! – Herr Sarrazin, Dankeschön für die interessanten Zahlen! Ich konnte entnehmen, dass etwa 20 Berliner möglicherweise betroffen sind. Ich gehe davon aus, dass es sich um Steuerhinterziehungen im großen Stil handelt, das heißt auch die Summe recht groß ist. Von welcher Summe gehen Sie aus, und wäre es möglich gewesen, im Vorfeld dort aktiver zu werden beziehungsweise darauf aufmerksam zu werden?

Herr Senator Dr. Sarrazin – bitte schön!

Frau Dr. Hiller! Wir wissen nicht, welche Summe auf diese 20 Personen entfällt. Wir werden das sicher irgendwann einmal vermelden können. Die tatsächliche Steuerhinterziehung ist in dem Umfang wesentlich größer als das, was jetzt aufgedeckt wurde. Bei dem, was jetzt aufgedeckt wurde, sprach die Staatsanwaltschaft von einer Summe von 4 Milliarden € hinterzogener Steuern. Die Unterlagen decken aber einen Zeitraum von 10 Jahren ab. In 10 Jahren wiederum, wenn es jedes Jahr 25 Milliarden € sind, sind es bereits bundesweit 250 Milliarden €. Sie sehen, dass man bei derartigen Rechnungen auch immer nur die Spitze eines Eisberges sieht.

Das Thema der Hinterziehung ist größer. Es ist aber auch wesentlich kleinteiliger, als man dies glaubt. Der Arbeitnehmer, der bei der Entfernung zur Arbeit 3 bis 4 Kilometer mehr ansetzt oder der Selbstständige, der bei einer Abrechnung nicht genau unterscheidet, ob das Essen privat oder dienstlich war, dies sind alles Dinge, die sich am Ende addieren und zu der Gesamteinschätzung von 5 Prozent Steuerhinterziehung führen. Deshalb haben wir sehr viele Steuerhinterzieher. Wir haben auch die wenigen großen Hinterzieher. Wir müssen aber sehen, dass die Summe dadurch zustande kommt, dass der Versuch, Steuer zu hinterziehen, ein sehr weit verbreiteter Volkssport ist.

Danke schön, Herr Senator! – Jetzt hat die Fragestunde wegen des Zeitablaufs ihr Ende gefunden. Die nicht beantworteten Anfragen werden wieder mit einer von der Geschäftsordnung abweichenden Beantwortungsfrist von bis zu drei Wochen schriftlich beantwortet werden.

Wir kommen jetzt zu

lfd. Nr. 2:

Fragestunde – Spontane Fragestunde

Zuerst erfolgen die Wortmeldungen wie immer nach der Stärke der Fraktion mit je einem Mitglied. Es beginnt der

Kollege Kugler von der Fraktion der SPD. – Bitte schön, Herr Kugler, Sie haben das Wort!

Herr Dr. Körting! Ich frage Sie: Wie bewerten Sie die aktuelle Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Thema Online-Durchsuchungen?

Herr Senator Dr. Körting – bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Kugler! Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung zur nur teilweisen Zulässigkeit der OnlineUntersuchungen festgestellt, dass aus dem allgemeinen Persönlichkeitsfreiheitsrecht auch ein Recht auf Vertraulichkeit technischer Informationssysteme herzuleiten ist und dieses Recht nicht ohne Weiteres durchbrochen werden kann.

In Nordrhein-Westfalen hatte der dortige FDPInnenminister ein Gesetz vorgelegt, dass ohne Weiteres den Zugang zur Online-Untersuchung von Computern ermöglichen sollte. Diesem Ansinnen ist das Bundesverfassungsgericht energisch entgegengetreten und hat das Gesetz des Kollegen Wolf von der FDP für verfassungswidrig erklärt.

[Beifall bei der SPD, der Linksfraktion und den Grünen]

Im Ergebnis trifft das natürlich auch den Vorstoß, den Herr Schäuble auf Bundesebene gemacht hat, der auch eine weitgehende Öffnung des Computers online für den weiten Deliktbereich des § 129a StGB ermöglichen wollte. Das Bundesverfassungsgericht hat deutlich gesagt, dass man nur dann, wenn überragende Rechtsgüter gefährdet sind – wie Leib oder Leben und der Bestand des Staates als solcher –, darüber nachdenken kann, in Einzelfällen Online-Untersuchungen zu machen. Auch in solchen Fällen bedarf es einer richterlichen Anordnung. Im Grundsatz wurde gesagt: Im Einzelfall geht das, aber nicht in der Uferlosigkeit, die sich die CDU und die FDP in anderen Ländern wünschen.

Da es keine Nachfrage gibt, geht es mit dem Kollegen Hoffmann von der Fraktion der CDU weiter. – Bitte, Sie haben das Wort!

Danke, Herr Präsident! – Ich frage Senatorin KnakeWerner: Welche Schlussfolgerungen zieht der Senat aus den Rechtsprechungen von Landessozialgerichten – darunter auch das Landessozialgericht Berlin-Branden

burg –, wonach die Kosten für Klassenfahrten für Kinder von Alg-II-Empfängern in voller Höhe übernommen werden müssen?