Protocol of the Session on November 22, 2007

Keine Braunkohle ins Märkische Viertel

Antrag der SPD, der CDU, der Linksfraktion und der Grünen Drs 16/1022

Zur Begründung der Großen Anfrage erhält nun ein Mitglied der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort, und zwar die Fraktionsvorsitzende Frau Eichstädt-Bohlig. – Bitte schön, Frau Eichstädt-Bohlig, Sie haben das Wort!

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister!

[Unruhe]

Entschuldigung, Frau Eichstädt-Bohlig! – Können wir bitte einmal dafür sorgen, dass Ruhe im Plenum herrscht, wenn eine Dame spricht, und die ganzen Gespräche außerhalb geführt werden? Je länger wir warten, desto länger dauert die Sitzung.

Danke schön! Aber ich glaube nicht, dass das nur für Frauen gilt, sondern dass das generell zur parlamentarischen Gepflogenheit gehören sollte.

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP – Beifall von Brigitte Lange (SPD)]

Da haben Sie recht. Aber bei Damen tut man es besonders gern.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Senatorin Lompscher! Ich bedaure sehr, dass der Regierende Bürgermeister gerade bei diesem Thema den Saal verlässt. Denn eigentlich wäre es dringend nötig, dass er die erste Frage unserer Großen Anfrage hört, nämlich: Warum begreift der Regierende Bürgermeister den Klimaschutz nicht als zentrale Führungsaufgabe, die gerade für eine Großstadt wie Berlin eine wesentliche Herausforderung darstellt? Das ist unsere zentrale Frage.

[Beifall bei den Grünen]

Es ist ja nicht nur so, dass Angelika Merkel und Gordon Brown den Klimaschutz zur Chefsache erklärt haben, dass Hillary Clinton damit nicht nur die Wahl zur Präsidentin gewinnen will, sondern sogar die Ehre der USA wieder retten will. Ken Livingston in London hat das ehrgeizigste Metropolenklimaschutzprogramm mit dem Ziel aufgelegt, bis 2025 60 Prozent CO2 einzusparen. Das sollte sich Berlin endlich einmal angucken und sich zum Vorbild nehmen, was andere Städte hier leisten.

[Beifall bei den Grünen]

Ich kann noch folgende Beispiele erwähnen: Stockholm hat ein ehrgeiziges Programm, Wien, Zürich, Freiburg, Barcelona, Paris, München, Kopenhagen, Malmö – wir haben eine Reihe von europäischen Städten, die einen ganz klaren Klimaaktionsplan haben, wo sie sagen, mit welchen Maßnahmen, in welchen Fristen sie welche Ziele erreichen wollen.

Aber in Berlin gilt: Kein Anschluss unter dieser Nummer. Das ist eine ziemliche Schande.

[Beifall bei den Grünen]

Wir haben sogar das Problem, dass Berlin fast davor bewahrt werden muss, sich im Rückwärtsgang zu bewegen. Vor vier Wochen haben wir Grünen durch Zufall erfahren, dass Vattenfall nicht nur das 800-Megawatt-Kohlekraftwerk in Klingenberg bauen will, sondern dass es bis gestern noch den Plan gab, auch das Kraftwerk Märkisches Viertel mit Braunkohlestaub zu befeuern und von Gas auf Braunkohlestaub umzustellen.

[Zuruf von Jutta Matuschek (Linksfraktion)]

Es war nötig, dass wir Grünen seither nach Kräften öffentlich gegen diese Planung getrommelt haben. Leider hat Frau Lompscher von ihrem Haus noch nicht einmal die Information erhalten, dass bereits ein Vorbescheidantrag nach Bundesimmissionsschutzgesetz bei ihr im Haus gelegen hat. Wir haben getrommelt und sie geworben, und heute steht noch ein Antrag auf der Tagesordnung, den immerhin vier Fraktionen unterschrieben haben, mit dem wir dieses Braunkohlekraftwerk ablehnen. Ich freue mich umso mehr, dass diese Botschaft bei Vattenfall angekommen ist. Gestern hat Vattenfall die Konsequenzen gezogen und erklärt, dass es kein Braunkohlekraftwerk werden soll. Das ist der Öffentlichkeitsarbeit der Grünen zu verdanken.

[Beifall bei den Grünen]

Daraus folgt eine unserer zentralen Fragen aus dieser Großen Anfrage: Warum schweigt der Regierende Bürgermeister zu den Vattenfall-Plänen zu Klingenberg. Auch das ist ein Verfahren, das seit einem dreiviertel Jahr intensiv in der Stadt diskutiert wird. Es gibt dazu bis heute keinen und erst recht keinen konstruktiven Satz im Sinne des Klimaschutzes vom Regierenden Bürgermeister. Deswegen lauten unsere Fragen: Ist der Senat damit einverstanden, dass Vattenfall mit diesem Werk die Berliner Klimaschutzziele ad absurdum führt? Will der Senat das

25-Prozent-CO2-Einsparziel bis 2010 überhaupt erreichen, will er danach überhaupt in Richtung 40 Prozent gehen oder soll das alles zurückgedreht werden? Diese Fragen würde ich gern nicht nur Frau Lompscher, sondern auch dem Regierenden Bürgermeister stellen.

[Beifall bei den Grünen – und von Henner Schmidt (FDP)]

Der nächste Punkt geht über das Thema Energieversorgung hinaus. Seit einem Jahr warten wir und mit uns die ganze Stadt darauf, dass der Senat den netten Vorschlägen, die Sie im Landesenergieprogramm gemacht haben, die jedoch unverbindlich sind, endlich praktische Taten folgen lässt, und uns die Umsetzung erklärt, einen Klimaaktionsplan vorlegt – möglichst noch ehrgeiziger als er in diesen vagen Sprüchen des Landesenergieprogramms zart angedeutet ist. Deshalb, Frau Lompscher – wenn es schon nicht Herr Wowereit machen will –: Wann kommen konkrete Maßnahmen, konkrete Fristen und konkrete Einsparziele? Ich glaube nicht, dass ein Klimabeirat ausreichend ist.

[Beifall bei den Grünen]

Wir haben den Antrag auf Einrichtung eines Klimafonds gestellt, damit endlich die öffentlichen Gebäude optimal saniert werden können. Was haben wir als Antwort erhalten? In der Stellungnahme des Senats heißt es dazu:

Der Senat ist sich des bestehenden Investitionsbedarfs zur Sanierung seiner Gebäude bewusst. (...)... sieht der Senat für die Errichtung eines solchen Sondervermögens sachlich keinen Anlass. (...) Die Erhöhung der Energieeffizienz verbunden mit konsequenter CO2-Reduzierung (...) bedingt die Gesamtbetrachtung des einzelnen Gebäudes mit einer effizienten Nutzung bestehender und künftiger Förderprogramme (...) kann dieses Ziel erreicht werden.

Kurzum: Wir sehen keine ehrgeizigen Klimaschutzziele bei diesem Senat. Wir wollen heute noch einmal darüber diskutieren, ob wir nicht auch Sie dazu treiben können, wie wir Vattenfall dazu getrieben haben, die Braunkohle in der Lausitz zu lassen – möglichst in der Erde.

[Beifall bei den Grünen]

Danke schön, Frau Kollegin! – Das Wort zur Beantwortung der Großen Anfrage hat nunmehr Frau Senatorin Lompscher. – Bitte schön, Frau Lompscher!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß, dass es Ihnen nicht gefällt, Frau Eichstädt-Bohlig und meine Damen und Herren von den Grünen, aber Berlin ist beim Klimaschutz aktuell in der Spitzengruppe in Deutschland.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Das ist beispielsweise das Ergebnis eines aktuellen Tests des Magazins „Geo“, das sicher nicht rot-rot-freundlich eingestellt ist. Die Frage lautete: Was leisten die 16 Bundesländer für den Klimaschutz? – Berlin hat Platz 2 belegt – nach Mecklenburg-Vorpommern, das auch ein sehr schönes Land ist.

[Joachim Esser (Grüne): Nachdem die ganze Industrie zusammengebrochen ist!]

Bewertet worden sind 20 Kategorien in den Bereichen Energie, Verkehr, Bau und politische Strategien. Berlin ist nach diesem Test vorbildlich unter anderem bei der Nahverkehrsnutzung, bei dem Einsatz von Kraft-WärmeKopplung,

[Joachim Esser (Grüne): Die gibt es seit 20 Jahren!]

bei der Energieerzeugung, das Energieeinspar-Contracting ist ausdrücklich gelobt worden. – Ich denke, Sie haben eine Frage gestellt und wollen hören, was ich dazu sage. – Ebenso wurde die energetische Gebäudesanierung hervorgehoben und die Qualität der politischen Strategien zum Klimaschutz. Aber das bedeutet natürlich nicht, dass man sich jetzt zurücklehnen kann,

[Franziska Eichstädt-Bohlig (Grüne): Genau!]

sondern es ist vielmehr Ansporn, weitere Potenziale zu erschließen und die ehrgeizigen Ziele, die wir uns bereits gesetzt haben, zu erfüllen. Natürlich gibt es auch noch Defizite, zum Beispiel bei den erneuerbaren Energien. Aber Berlin arbeitet an einer Verbesserung, es wird das erste Windrad geben. Wir werden im nächsten Jahr die industrielle Produktion für Dünnschichtmodule für Solarenergieanlagen aufnehmen. Hier hat der Berliner Senat mit entsprechender Förderung kräftig nachgeholfen. Die BSR schließlich bereitet den Bau von Bio-Vergärungsanlagen vor. Wir werden nach der Halbzeitevaluation unseres Landesenergieprogramms – das ist unser Klimaschutzprogramm – Ende 2008 weitere Projekte in Angriff nehmen und unsere Ziele noch höher stecken. Wir werden Sie auch höher stecken müssen, das ist völlig klar. [Beifall bei der Linksfraktion]

Nun zu Ihren Fragen im Einzelnen. Ich beruhige Sie, ich muss dieses Mal nicht so lange reden wie neulich, dann es sind nur 13 Fragen. Die erste Frage ist die nach der Rolle des Regierenden Bürgermeisters beim Klimaschutz. Hierzu nur eine kurze Antwort: Ich verstehe nicht, weshalb Sie den Klimaschutz beim Regierenden Bürgermeister ansiedeln wollen, wenn Sie ihn für gänzlich desinteressiert halten.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Um es klarzustellen: Der Regierende Bürgermeister hat sich persönlich des Klimaschutzes angenommen. Gerade heute – darüber habe ich mich sehr gefreut – ist medial mitgeteilt worden, dass Berlin an der Aktion „Licht aus! für unser Klima“ am 8. Dezember teilnehmen wird. Klaus Wowereit hat es zur Chefsache gemacht. Ich nenne ein weiteres Beispiel: Im Mai 2007 war er mit mir auf dem Klimagipfel der Metropolen in New York. Dort hat er vor Spitzenvertretern von mehr als 40 Millionenstädten, vor

internationalen Medien und Unternehmensvertretern für gemeinsame Aktionen geworben. Wir sind auf Bitten der Initiatoren, namentlich von London, Herrn Ken Livingston, weil Berlin im Klimaschutz beispielgebend ist, gebeten worden, im Steuerungskomitee dieses C-40-Networks mitzuwirken. Das C-40-Network arbeitet zusammen mit der Clinton Climate Initiative. Insofern sind wir im internationalen Konzert dabei.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Der Regierende Bürgermeister nimmt seinen Teil der Verantwortung genauso wahr wie alle anderen Senatsmitglieder, weil das Landesenergieprogramm für alle Ressorts gilt. Es geht beim Klimaschutz eben auch um Energiesparprogramme inzwischen an mehr als 130 Schulen im Bildungsressort, um die energetische Sanierung beispielsweise von Schwimmhallen im Ressort von Herrn Körting, um die Förderung der Solartechnik durch den Wirtschaftssenator, um die Zusammenarbeit mit dem Gebäudemanagement und dem Finanzsenator. Soviel zu Ihrer ersten Frage.

Sie fragen in Ihrer zweiten Frage, ob wir die 25 Prozent CO2-Reduktion bis 2010 schaffen werden und mit welchen Maßnahmen. Wir haben im Juli die Mitteilung erhalten, dass die CO2-Minderung im Jahr 2005 gegenüber 1990 20,4 Prozent betragen hat. Im Jahr 2003 waren es 16 Prozent. Das ist ein Erfolg der Arbeit des rot-roten Senats.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Wir werden das Einsparziel erreichen, dessen bin ich mir sicher, auch wenn die letzten Schritte die schwersten sein werden. Die weiteren Emissionsreduktionen werden vor allem durch die konsequente Umsetzung des Landesenergieprogramms und hier insbesondere durch Energieeinsparmaßnahmen und energetische Sanierungsmaßnahmen erreicht werden. Um gleich zu Ihrer nächsten Frage überzuleiten: Natürlich hat der Senat keinerlei Interesse daran, sich diese erfreuliche CO2-Bilanz durch ein Steinkohlekraftwerk konterkarieren zu lassen.

[Vereinzelter Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Sie fragen, wann wir eine einheitliche Meinung haben und ob wir das Thema aussitzen wollen. Natürlich sitzen wir das Thema nicht aus. Wir reden seit Monaten – auch ich, gemeinsam mit Herrn Senator Wolf – mit Vattenfall. In diesen Gesprächen geht es immer auch um die Frage, mit welchem Energieträger das geplante Kraftwerk gebaut werden soll, weil dieser Senat und ich als Umweltsenatorin von Beginn an deutlich gemacht haben, dass wir eine Entscheidung für den Energieträger Kohle falsch finden. Das sage ich hier noch einmal sehr deutlich.

[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD]