Protocol of the Session on November 9, 2006

Ich erinnere in diesem Zusammenhang auch daran, wer die Tür für diese Minijobs wieder aufgemacht hat: Das war die rot-grüne Bundesregierung. Die Grünen waren in dieser Regierung mit dabei.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Die Minijobs haben mit dazu beigetragen, dass massiv sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse durch diese nicht existenzsichernden Beschäftigungsverhältnisse reduziert worden sind. Mit der Zuverdienstregelung bei Hartz IV ist obendrein noch ein massiver Anreiz zur Ausweitung dieser Minijobs geschaffen worden. Hartz IV mit der Zuverdienstregelung ist ein Förderprogramm für diese Minijobs geworden. Damit sind viele Menschen in prekäre, nicht existenzsichernde Beschäftigungsverhältnisse gekommen.

[Dr. Sibyll-Anka Klotz (Grüne) meldet sich zu einer Zwischenfrage.

Herr Wolf, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Dr. Klotz?

Selbstverständlich!

Herr Wolf! Sind Sie sich hinsichtlich der Sozialversicherungspflicht sicher? Es gibt 180 000 Minijobs in Berlin, von denen ohnehin 120 000 nicht als Zuverdienst zu einer – in Anführungszeichen – normal versicherungspflichtigen Beschäftigung zählen. Ich frage das auch vor dem Hintergrund, dass die Regionaldirektion BerlinBrandenburg auf eine Nachfrage von mir – ich wollte es nämlich auch nicht glauben – erklärt hat, dass sie sehr wohl unter die sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse gerechnet werden, weil sie sozusagen Beiträge generieren.

Es wird die Pauschale abgeführt, aber in der Statistik ist festzustellen, dass wir auf der einen Seite – und zwar zeitlich im gleichen Verlauf – eine Erhöhung der Minijobs und gleichzeitig ein Absinken der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungen haben. Da gibt es eine unmittelbare Korrelation, Frau Klotz!

Zum anderen haben wir mit der Einführung der Minijobs die Situation, dass ungesicherte Beschäftigung – weil es eben kein Beschäftigungsverhältnis, sondern ein Sozialverhältnis ist, wo die Rechte, die in einem Beschäfti

gungsverhältnisse gelten, nicht gegeben sind – und Prekarität ausgedehnt werden. Damit wird auch der Druck auf die Menschen, Jobs um jeden Preis anzunehmen, weiter ausgedehnt. Das ist nicht nur in Berlin, sondern bundesweit so, und ich finde, dem muss man ein Stoppschild gegenüberstellen.

[Beifall bei der Linksfraktion – Beifall von Iris Spranger (SPD)]

Wir haben in Berlin seit langen Jahren wieder ein Wachstum, und zwar in Höhe von 1 %. Dieses Wachstum liegt allerdings nach wie vor hinter dem bundesweiten Wachstum von – jetzt prognostiziert – 2,4 oder 2,5 % zurück. Das heißt, das Bruttoinlandsprodukt in Berlin bleibt auch weiterhin hinter dem Bundesdurchschnitt zurück. Der Abstand zwischen dem Bundesdurchschnitt und Berlin wird nicht geringer, sondern er bleibt nach wie vor größer – trotz Wachstum. Auch das gehört zur Wahrheit.

Deshalb ist es notwendig – und das haben wir in der Koalition verabredet –, dass wir uns auch weiterhin in unserer wirtschaftspolitischen Strategie darauf konzentrieren, wo die Stärken Berlins sind und wo heute überdurchschnittliches Wachstum existiert. Frau Klotz! Das sind nicht nur zwei Bereiche, sondern das betrifft zum einen die Gesundheitswirtschaft und zum anderen nicht nur die Kulturwirtschaft, sondern den gesamten Bereich Medien, Kommunikation und Kultur. Und zudem ist der Bereich Verkehr und Mobilität zu nennen. Das sind die drei Bereiche, auf die wir uns in unserer Wirtschaftspolitik konzentrieren, und das sind die Bereiche, in denen Berlin bereits heute überdurchschnittliche Wachstumsraten hat.

Deshalb wird das das Thema sein, auf das wir uns auch in der nächsten Legislaturperiode im Rahmen unserer Innovationsstrategie und Innovationspolitik konzentrieren. Wir werden die Vernetzung mit Wissenschaft weiter voranbringen. Deshalb ist es auch richtig, dass diese Koalition beschlossen hat, dass sie nicht den Empfehlungen aus Karlsruhe, die Hochschulen weiter herunterzufahren und auf das Durchschnittsniveau des Bundes zu nivellieren, folgen wird, sondern wir wollen diese Zukunftspotenziale, diese Potenziale in Wissenschaft und Forschung nutzen, um daraus neue Arbeit und neue Beschäftigung zu schaffen.

Wir werden uns auch darauf konzentrieren, dass wir die Industrie in Berlin stabilisieren und ihre Standortbedingungen verbessern, und zwar im gemeinsamen Dialog mit den Belegschaften, mit den Betriebsräten, mit den Gewerkschaften und den Unternehmensleitungen, weil es für diese Stadt von zentraler Bedeutung ist, dass wir den industriellen Besatz stabilisieren und wieder industrielles Wachstum bekommen. Denn nur so wird auch die Dienstleistungswirtschaft wieder entsprechend ausgiebig Jobs schaffen können.

Weil es wichtig ist, dass wir Wachstum und Beschäftigung voranbringen, haben wir entschieden, der Empfehlung, die Gewerbesteuer zu erhöhen, nicht zu folgen. Denn das Land Berlin muss – gerade dann, wenn uns mit

dem Urteil aus Karlsruhe gesagt wird, wir ständen jetzt im Wettbewerbsföderalismus – seine Wettbewerbsvorteile nutzen und ausbauen. Deshalb war es eine richtige Entscheidung, die Gewerbesteuer nicht zu erhöhen, gerade vor dem Hintergrund, dass wir im Rahmen der europäischen Strukturfonds ab 2007 ein Fördergefälle gegenüber Ostdeutschland bekommen.

Es geht aber nicht nur darum, für Wachstum und Beschäftigung einzutreten, sondern es muss gleichzeitig die soziale Balance innerhalb dieser Stadt gewahrt werden. Deshalb ist es gut und vernünftig, dass wir den Einstieg in einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor beschlossen haben, indem eine Alternative zur prekären Beschäftigung mit Ein-Euro-Jobs geboten und eine an tariflichen Standards angelehnte sozialversicherungspflichtige Beschäftigung in einem gemeinnützigen Sektor geschaffen wird.

Es ist auch richtig, dass wir uns dafür entschieden haben, die Vergabe von öffentlichen Aufträgen stärker als bisher an die Tariftreue und die Schaffung von Ausbildungsplätzen zu knüpfen, weil das Land Berlin damit Einfluss auf die Standards und die Ausbildungsbereitschaft von Unternehmen nehmen kann.

Wir werden in den nächsten fünf Jahren eine Politik verfolgen, die auf Innovation setzt, die durch Innovation mehr Wachstum und Beschäftigung erreichen will und die dabei die soziale Gerechtigkeit nicht aus dem Auge verliert. Die soziale Gerechtigkeit und die Sicherung sozialer Standards gehören zu einem erfolgreichen Wirtschaftsstandort. Ich biete Ihnen an, gemeinsam daran zu arbeiten. Ich glaube, wir haben bezüglich der Identifikation der Wachstumspotentiale und der wichtigen Aufgaben eine breite Übereinstimmung. Wir sollten versuchen, diese im Interesse Berlins und der vielen Menschen, die ohne Arbeit sind und um ihre Perspektive fürchten, zu nutzen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Vielen Dank! – Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit hat die Aktuelle Stunde ihr Ende gefunden.

Ich komme damit zur Abstimmung über den Antrag der FDP-Fraktion – Beseitigung der Massenarbeitslosigkeit bleibt oberste Priorität der Politik im Land Berlin. Wer stimmt dem Antrag zu? – Die Gegenprobe! – Wer enthält sich? – Damit ist der Antrag abgelehnt.

Ich stelle fest, dass die Fraktion der SPD für die heutige Sitzung keine Priorität benannt hat. Der Tagesordnungspunkt 4 a entfällt somit.

Ich rufe auf als Priorität der CDU

lfd. Nr. 4 b:

Antrag auf Annahme einer Entschließung

Nach dem Urteil den Blick nach vorn richten

Antrag der CDU Drs 16/0037

Die Redezeit beträgt bis zu fünf Minuten pro Fraktion. Das Wort für die CDU hat Herr Goetze. – Bitte!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist der Haushalt 2006/2007 verfassungswidrig, weil die vorgesehene Verschuldung eindeutig die Investitionsausgaben übersteigt und der Ausnahmetatbestand der extremen Haushaltsnotlage, auf den sich der Senat bei seiner Klage in Karlsruhe berufen hat, weggefallen ist. Die Verfassung sieht in diesem Fall die vorläufige Haushaltswirtschaft vor, bei der lediglich die notwendigen Ausgaben geleistet werden dürfen. Daran haben wir aber alle kein Interesse. Angesichts der neuen Zahlen, die uns der Finanzsenator vorgelegt hat, ist es vielmehr notwendig, einen verfassungsgemäßen Haushalt vorzulegen.

Dafür wirbt die Entschließung, die wir Ihnen heute vorgelegt haben, nämlich für einen verfassungsgemäßen Haushalt auf der Basis eines Nachtragshaushaltsplanes, mit dem man Einnahmen und Ausgaben ins Lot bringen kann. Man kann auch einige Zahlenspielereien und Tricksereien beseitigen, z. B. die Tatsache, dass bisher der Zuschuss an die BVG als Investition verbucht wird. Das ist eine unmögliche Trickserei, die mit Billigung von SPD und Linksfraktion vonstattengegangen ist. Das hat mit Haushaltswahrheit und -klarheit nichts zu tun.

Es wird damit gerechnet, dass es im Haushalt 2007 Verschiebungen in Höhe von wenigstens einer Milliarde € bei den Einnahmen und mindestens 300 Millionen € bei den Ausgaben gibt. Das heißt, die Planungsgrundlagen für den Haushalt 2007 sind nicht mehr gegeben. Es ist nunmehr das Recht des Haushaltsgesetzgebers – das sind wie alle hier –, uns nicht entmündigen zu lassen und den Anspruch zu stellen, neue, klare, wahre Zahlen vorgelegt zu bekommen. Der Senat soll sagen, wo das Geld herkommt und hingeht, er muss das begründen und unterlegen. All das lehnt der Finanzsenator allerdings ab. Ich sehe ihn nicht auf der Regierungsbank.

[Frank Henkel (CDU): Zitiere ihn her!]

Herr Präsident! Ich bitte Sie zu veranlassen, dass der Finanzsenator an der Debatte teilnimmt.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Wer kann den Finanzsenator hereinbitten? Die Senatsbänke sind komplett leer. Das ist auch ein wunderbares Zeichen der Geschlossenheit.

[Frank Henkel (CDU): Der Senat ist zurückgetreten!]

Ich höre gerade, dass der Regierende Bürgermeister hier ist. – Bitte seien Sie so freundlich und fordern Sie den Finanzsenator auf, der Debatte beizuwohnen! – Vielen Dank! – Wir warten einen Moment.

Ebenso wie die Anwesenheit im Parlament hat Herr Sarrazin gestern die Haushaltshoheit des Parlaments im Hauptausschuss äußerst gering geschätzt. Der Kern seiner Aussage war, dass er dem Parlament keinen Nachtragshaushalt vorlegen wolle, weil er es nicht für nötig halte, die Verfassungsmäßigkeit des Haushalts herzustellen. Herr Sarrazin ist aber nicht der von dem einen oder anderen immer mal wieder erwähnte Sparkommissar des Bundes mit Sonderrechten, sondern er ist Senator im Land Berlin. Er steht unterhalb der Berliner Verfassung und muss sich dem Haushaltsrecht des Parlaments beugen. Insofern ist es ein Unding, dass wir die Aussage dieses Finanzsenators hinnehmen müssen, er lasse den Haushalt verfassungswidrig und werde daran nichts ändern.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Es ist auch aus einem anderen Grund ausgesprochen wichtig, Klarheit darüber zu erzielen, was die neu verabredeten Koalitionäre wollen. Wir haben gestern vom haushaltspolitischen Sprecher der Linksfraktion gehört, es gäbe keine zumutbare politische Strategie zur Haushaltskonsolidierung für das Land Berlin. Die Koalitionsvereinbarung ist noch nicht gebilligt, es gibt noch keinen gewählten Senat, und es wird bereits jetzt offenkundig, dass die nächsten fünf Jahre haushaltspolitisch verschenkt werden sollen. Das ist unzumutbar.

[Beifall von Franziska Eichstädt-Bohlig (Grüne) – Zuruf von der Linksfraktion]

Deshalb braucht dieses Parlament unbedingt eine Haushaltsdebatte und einen Nachtragshaushalt.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Bei den Einnahmen geht es – ich sagte es gerade – um rd. eine zusätzliche Milliarde €, die die verabredete Koalition zusätzlich einnehmen will. Berlin hat über 60 Milliarden € Schulden und zahlt dafür jedes Jahr 2,5 Milliarden € Zinsen. Das sind mehr als 10 % des Gesamthaushalts. Da muss man erwarten, dass dieses Parlament darüber beschließen kann, was mit solchen exorbitanten Beträgen passieren und welcher Strategie der Finanzsenator folgen soll.

Der Finanzsenator hat sich gerade dazu bereiterklärt, uns vielleicht eine mittelfristige Finanzplanung vorzulegen, aber auch das hat er erst wieder nach dem Urteil des Verfassungsgerichts getan.

[Frank Henkel (CDU): Sehr großzügig!]

Wir wollen dafür Sorge tragen, dass in diesem Parlament nicht immer das Spielchen stattfindet: einerseits die Weigerung des Finanzsenators und andererseits der Gang vors

Verfassungsgericht. Das kann so nicht sein. Der Senator hat sich der Verfassung zu unterwerfen, und das fordern wir ein.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei den Grünen und der FDP]