Deswegen kann ich den Erfolg der rot-roten Koalition bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit nicht erkennen. Es gibt ihn nicht.
Ich hätte gedacht, dass Sie als Gewerkschaftlerin in der Lage sind, Frau Grosse, die Lage nicht schönzureden, wenn man sich die Zahlen anguckt. Wenn man sieht, was für sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse zugenommen haben, dann sind es die Minijobs, die in Berlin nach oben gegangen sind. Es ist die Leiharbeit. Es ist die Zeitarbeit, die richtig nach oben gegangen ist und die deutlich zugenommen hat. Wir haben 50 000 Personen im öffentlich geförderten Bereich, davon 40 000 MAE-Maßnahmen, also die sogenannten Ein-Euro-Jobs. Damit ist Berlin die Hauptstadt der Ein-Euro-Jobs. Das ist genau das Instrument, das die PDS politisch so hart bekämpft. Und wir haben es in Berlin mit immer mehr Menschen zu tun, die trotz Arbeit Arbeitslosengeld II bekommen, die also trotz Arbeit arm sind. Das gehört auch zur Wahrheit und muss ausgesprochen werden.
Frau Klotz! Sie wollen hier die Wahrheit sagen, wie Sie gerade dargestellt haben. Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass vor fünf Jahren in den Arbeits – –
Frau Klotz! Ist Ihnen bewusst, dass die Arbeitslosenzahlen vor fünf Jahren ganz anders berechnet wurden, weil die Hartz-IV-Empfänger noch nicht enthalten waren?
Das ist mir bewusst, Frau Grosse, und deswegen habe ich mich an die Regionaldirektion Berlin-Brandenburg gewendet – das können Sie auch tun –, und dort kann man eine Statistik erhalten, die unter Berücksichtigung der neuen, sozusagen veränderten Gesetzeslage die Arbeitslosenquoten von 2001 und 2006 miteinander vergleicht. Und was ist das Ergebnis, Frau Grosse? Die Arbeitslosenquote ist heute genauso hoch wie 2001. Also, das ist mir sehr wohl bewusst.
Der allergrößte Skandal in diesem Zusammenhang – den finde ich wirklich empörend und will ihn hier deutlich nennen – ist die Arbeitsmarktsituation von jungen Erwachsenen unter 25 Jahren, von denen dauerhaft zwischen 30 000 und 35 000 erwerbslos sind. Dazu kommt nach Schätzungen von Insidern noch einmal eine fast genauso hohe Zahl von Jugendlichen, die in Warteschleifen sitzen, die auf Ausbildungsverträge warten. Das heißt, wir haben zwischen 50 000 und 60 000 junge Leute in der Stadt, die für sich keine Perspektive auf dem Arbeitsmarkt sehen. Dieses Problem ist Ihnen nicht nur heute in der Aktuellen Stunde kein Wort wert, sondern es ist Ihnen in Ihrem Koalitionsvertrag auch kein Wort wert. Das ist ein absoluter Skandal.
Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass eine rot-rote Koalition, die sich die soziale Gerechtigkeit auf die Fahnen geschrieben hat, dazu nichts sagt. Frau Susanne KahlPassoth hat recht mit dem, was sie heute in der „taz“ sagt. Frau Michels! Ich kann sehr gut lesen und habe festgestellt, dass das Problem der Unter-25-Jährigen, der jungen Erwerbslosen bei Ihnen eine halbe Seite einnimmt. Und es geht noch weiter. Sie haben das Thema „berufliche Bildung“ bei der Benennung der Ausschüsse im Haus vergessen. Sie haben es schlicht vergessen. Es kam nicht vor. Und wo landet das Ressort „Berufliche Bildung“? Landet es im Zukunftsressort Bildung und Wissenschaft? – Nein, da landet es nicht! Es landet bei der Arbeitsmarktpolitik, die wahrscheinlich nicht einmal mehr eine eigene Staatssekretärin oder einen eigenen Staatssekretär mit dem Namen haben wird.
Wie Sie dieses Problem behandeln, finde ich unterirdisch. Es ist nicht angemessen. Sie haben offensichtlich überhaupt noch nicht begriffen, was die wirklichen Probleme in der Stadt sind.
Teilen Sie meine Einschätzung, dass die Zeit der Vollbeschäftigung vorbei ist? – Und wenn wir gerade dabei sind: Erinnern Sie sich noch daran, wer es erfunden hat, den Druck auf die Schwächsten in dieser Gesellschaft, nämlich die Arbeitslosen, zu erhöhen?
Ich habe das nicht verstanden. Die Vollbeschäftigung ist vorbei. Ob ich das weiß – und was war der zweite Teil?
Wissen Sie noch, wer seinerzeit die Idee hatte, als Antwort darauf den Druck auf die Arbeitslosen in der Bundesrepublik Deutschland selbst zu erhöhen?
Das war in erster Linie Ihr Koalitionspartner in Berlin, nämlich die Sozialdemokratie, lieber Herr Lederer!
Ich finde, die Kritik an der Bundespolitik muss sein, und sie ist berechtigt. Ich habe Teile von Hartz IV immer kritisiert. Aber das ist kein Freifahrtschein für eine Landespolitik, die sich dezent zurücklehnt. Frau Breitenbach braucht nicht einmal 60 Sekunden, um die Verantwortung beim Bund zu suchen, anstatt zu gucken, was man hier vor Ort selbst machen kann, Herr Lederer! Das ist das Problem mit Ihnen.
Deswegen hat Frau Susanne Kahl-Passoth, Chefin der Diakonie in Berlin recht, wenn sie heute in der „taz“ sagt: Es gibt zum Thema Armut, es gibt zum Thema Beschäftigung insbesondere von jungen Erwachsenen in diesem
Koalitionsvertrag nichts Neues, und das findet sie enttäuschend, und da hat sie recht, Herr Lederer!
Dabei hätten Sie es in der Hand. Es gibt Möglichkeiten. Es ist nicht so, dass man nichts machen kann. Verdoppeln Sie doch beispielsweise die Zahl der Ausbildungsplätze in den öffentlichen Unternehmen!
Bei Vivantes! Bei der BVG! Bei den öffentlichen Unternehmen, die dem Land gehören! Schmieden Sie einen Pakt mit den großen Unternehmen dieser Stadt! Mit den Verlagen beispielsweise! Mit Unternehmerinnen und Unternehmern nichtdeutscher Herkunft, die auch allesamt eine Verantwortung für dieses Thema tragen! Da stimme ich denen zu, die das vor mir gesagt haben. Und sorgen Sie – last but not least – dafür, dass das Geld der Jobcenter nicht wie in der letzten Legislaturperiode in der Größenordnung von 300 Millionen € zurückgegeben wird, sondern sorgen Sie dafür, dass es für Bildung, Qualifizierung und Schulabschlüsse in dieser Stadt ausgegeben wird!
Da meine Redezeit gleich um ist, will ich noch etwas zu dem Ressortzuschnitt sagen, den Sie hier zu verantworten haben. Da teile ich die Einschätzung von Herrn Steffel nicht. Ich bin froh, dass Sie Arbeit und Soziales wieder zusammenlegen. Schön wäre gewesen, wenn Sie es 2001 gar nicht auseinandergelegt hätten. Dann hätten Sie es jetzt nicht wieder zusammenlegen müssen. Ich finde es richtig, dass die Umsetzung von Hartz IV und das SGB II auch ressortmäßig in einer Hand sind. Dass Sie allerdings das Schaffen existenzsichernder, sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplätze so ernst nehmen, dass Sie im Zuge dieser Zusammenlegung gleich noch ein Senatorenamt für die PDS schaffen müssen, das, meine Damen und Herren von der Linkspartei.PDS, wäre nicht nötig gewesen.
Das ist der Beweis, dass Ihnen die Postenschacherei im Land wichtiger ist als die Gestaltung einer wirklichen Sozial- und Arbeitsmarktpolitik.
Deswegen wünsche ich mir – anders als in den vergangenen fünf Jahren, wo immer nur nach dem Bund geguckt wurde, und wenn es der Bund nicht war, dann war die Globalisierung schuld –, dass Sie die Möglichkeiten, die es im Land gibt, die Einflussmöglichkeiten, die Sie haben, nutzen, zum Nutzen der Erwerbslosen in der Stadt, damit Sie 2011 nicht wieder mit so einer schlechten Arbeitsmarktzahl dastehen, wie Sie es heute tun.
[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der CDU und der FDP – Zurufe von der Linksfraktion]
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich wundere mich schon, dass die neue rot-rote Koalition gerade dieses Thema zu Ihrer ersten Aktuellen Stunde macht. Auf keinem anderen Themengebiet hat die Koalition so eklatant versagt wie auf dem Feld der Arbeitsmarktpolitik.