Protocol of the Session on November 9, 2006

[Beifall bei der SPD und der FDP]

Vielen Dank Herr Jahnke! – Als nächster hat für die Fraktion der CDU Herr Dr. Pflüger das Wort – bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die große Mehrheit der CDUFraktion stimmt dem Gesetz zu, weil wir damit eine alte Forderung der Unionsparteien verwirklicht sehen, mehr Liberalisierung, mehr Freiheit zu schaffen. Das ist gut – gerade für eine Stadt wie Berlin.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Wir haben den vorliegenden Gesetzentwurf in der Fraktion ausführlich diskutiert. Es gab dabei kontroverse Auffassungen. Wir finden, dass uns in der Tat manche Äußerungen von Gewerkschaften, von engagierten Bürgern und nicht zuletzt aus dem Bereich der Kirchen aufhorchen lassen sollten. Besonders ein Brief von Kardinal Sterzinsky und Bischof Huber hat uns berührt. Ich möchte mich vor allen Dingen mit deren Argumenten zum Thema Adventssonntage auseinandersetzen. Ist es nicht tatsächlich traurig, dass Advent und Weihnachten immer mehr ihre eigentliche Bedeutung verlieren? Dass immer mehr Menschen die eigentliche Weihnachtsbotschaft gar nicht mehr kennen, geschweige denn für ihr eigenes Leben ernst nehmen?

[Zuruf von der SPD: Amen!]

Ist es nicht schade, dass Innehalten, Besinnung, Gespräch in der Familie, gemeinsamer Kirchgang, Singen von Weihnachtsliedern, Basteln, Kuchenbacken im Familienkreis immer mehr zurückgedrängt werden

[Gelächter bei den Grünen]

was z. B. meine Kindheit und, ich nehme an, die von vielen Kolleginnen und Kollegen noch geprägt hat – und dass Weihnachten heute viel mehr Kommerz geworden ist? Jagd nach Geschenken, Kauflust! Ist nicht unser Dezember viel mehr von materiellen Überlegungen geprägt und weniger von Besinnung und Innehalten, die wir uns in der Weihnachtszeit wünschten?

[Beifall bei der CDU – Ramona Pop (Grüne): Dann lehnen Sie das Gesetz doch ab!]

Diese Fragen der Kirchen sind berechtigt. Sie sollten ernst genommen und nicht mit Häme bedacht werden.

[Beifall bei der CDU]

Aber wir sollten die Kirchen umgekehrt auch fragen, ob sie wirklich glauben, wir könnten solche gesellschaftlichen Entwicklungen durch ein Ladenschlussgesetz rückgängig machen oder aufhalten, denn alle beklagenswerten Entwicklungen – diese Ökonomisierung der Weihnacht – gibt es bereits seit vielen Jahren. Offenbar sind sie durch den bisherigen Schutz der Adventssonntage nicht verhindert worden. Wir haben am letzten Wochenende gesehen, wie der verkaufsoffene Sonntag Hunderttausende von Berlinern und unzählige Touristen angezogen hat. Das Verhalten der Menschen, ihr Umgang mit Sonntagen unterliegt einem gesellschaftlichen Wandel. In Wahrheit vollziehen wir heute mit unserem Gesetz doch nur, was vorher bereits an gesellschaftlichem Wandel stattgefunden hat.

Aber muss die Politik dem Wertewandel nicht durch ihre Rechtsetzung entgegentreten, anstatt dem Zeitgeist nachzugeben?

[Alice Ströver (Grüne): Müsste sie!]

Auch diese Frage ist sehr berechtigt. Ich glaube aber, dass sich die Politik damit überschätzte. Politik muss Visionen

und Ziele bieten, nicht nur das tägliche Taktieren. Sie muss Linie haben, darf nicht hin und her pendeln und sich sofort an jeden Zeitgeist heranwerfen. Grundwerte in der Politik sind deshalb wichtig. Aber diese Grundwerte können durch Politik und Staat nicht erzwungen werden. Die entscheidende Aufgabe der Politik im freiheitlichen Verfassungsstaat ist der Schutz von Grundrechten des Einzelnen, nicht die verbindliche Durchsetzung von Grundwerten.

[Zuruf von der SPD: Was?]

Zwar ist richtig, dass die Grundrechte ihrerseits auf Werten beruhen. Es ist auch richtig, dass der Staat mehr ist als die wertneutrale Vollzugsinstanz eines sich ständig wandelnden sittlichen Bewusstseins in der Gesellschaft. Der Verfassungs- und Rechtsordnung in Deutschland liegt ein seit Jahrhunderten gewachsener Wertekonsens zugrunde, der nicht zuletzt durch das Christentum geprägt worden ist. Auf der anderen Seite ist der Staat bei wertebezogenen Entscheidungen auf genau diesen Grundkonsens in der Gesellschaft angewiesen. Man kann Wertebewusstsein nicht erzwingen. Es wäre eine Illusion zu glauben, die Politik, zumal eine Landesregierung, könne mit einem Ladenschlussgesetz eine normative Kraft entfalten, die auch nur annähernd in der Lage wäre, den Wertewandel der letzten Jahrzehnte rückgängig zu machen oder auch nur aufzuhalten.

Was aber die Politik konkret absehen kann, was wir messen können, ist, dass das vorliegende Gesetz eine Öffnung bedeutet, die vielen Menschen in Berlin die Chance auf einen Arbeitsplatz gibt. Das Weihnachtsgeschäft in der Stadt wird angekurbelt. Einzelhandel, Hotel- und Gaststättengewerbe, Taxifahrer, viele andere – sie werden davon profitieren. Menschen im Umland werden sich entschließen, ein Adventswochenende in Berlin zu verbringen, um die Chancen des Sonntags zu nutzen. Das steigert die Ertragskraft unserer Stadt. Wir sollten diese Chancen nutzen. Wenn wir nach Irland, nach Polen und in die USA blicken, also in Länder, in denen das Christentum eine größere Bedeutung hat als bei uns, werden wir sehen, dass der Ladenschluss dort noch weiter liberalisiert ist als bei uns. Wir haben mit der jetzigen Regelung immerhin den Sonntagvormittag – auch im Advent – geschützt. Generell bleiben die Sonntage geschützt, auch durch das jetzt vorliegende Gesetz.

Vor diesem Hintergrund und angesichts dieser Debatten ist die große Mehrheit meiner Fraktion letztlich in der Abwägung zu dem Ergebnis gekommen, dass wir dem Gesetzentwurf zustimmen wollen. Berlin hat die Chance, seine Attraktivität bei Touristen, Messe- und Kongressbesuchern mit einem modernen Ladenöffnungsgesetz nachhaltig zu stärken. Die Berliner Wirtschaft braucht gute Rahmen- und Standortbedingungen. Liberale Öffnungszeiten gehören dazu. Vielleicht wird das Gesetz sogar positive Auswirkungen auch auf die Lebenswelten und Familien haben.

[Zuruf von den Grünen: Welche?]

Wir appellieren an die Geschäftsleute, so weit wie möglich Rücksicht auf ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ihre Familiensituation zu nehmen. Sie sind nach dem Gesetz sowieso nur verpflichtet, an zwei von vier Adventssonntagen zu arbeiten. Ich wünsche mir in der Adventszeit Ruhe, Stärkung der Familie, Zuwendung zu Mitmenschen. Aber das alles muss aus der Gesellschaft wachsen. Das können wir nicht per Gesetz verordnen und einfordern. Die Menschen sind frei, sich zu entscheiden, jedenfalls die vielen Kunden im Weihnachtsgeschäft. Bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist es nicht ganz so. Aber die meisten Menschen sind frei zu entscheiden, wie sie ihren Adventssonntag verbringen wollen. Diese Freiheit ist im Kern gut. Wir hoffen und glauben, dass sie in unserer Stadt verantwortungsbewusst genutzt werden wird. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU und der FDP – Beifall von Marion Seelig (Linksfraktion)]

Vielen Dank, Herr Dr. Pflüger! – Das war eine punktgenaue Landung. Genau acht Minuten! Als Nächster hat Herr Liebich von der Linksfraktion das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In diesen Wochen findet ein langer Kampf in der Bundesrepublik Deutschland sein Ende. Das Ladenschlussgesetz, das Symbol für die Reformunfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland für die einen und für den rheinischen Kapitalismus für die anderen,

[Gelächter bei den Grünen]

für manche sogar als Symbol, dass der Mensch nicht gänzlich hinter Konsuminteressen zurückzustehen hat, wird in den Bundesländern diskutiert und in den meisten – ich vermute, letztlich in allen Bundesländern – grundsätzlich verändert werden, auch wenn die CSU in Bayern noch darüber diskutiert. Ich glaube, liebe Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, dass Sie von solchen Entscheidungen nicht verschont geblieben wären, wenn Sie noch in irgendeinem Bundesland mitregierten.

[Heiterkeit bei der SPD]

Ich will mich – so komisch das klingt – in vielen Punkten an Herrn Pflüger anschließen,

[Klatschen bei den Grünen]

denn auch wir hatten dazu kontroverse Debatten. Das Schöne ist, dass die Grünen in dieser Frage wie eine Eins stehen und alle Bündnisgrünen in der Bundesrepublik Deutschland die gleiche Position vertreten. Deswegen können Sie jetzt auch von Ihrem hohen Ross herab über andere Fraktionen lachen, die dazu Kontroversen führen. Die Grünen sind sich in dieser Frage wie in nahezu allen Fragen komplett einig. Das ist schön. Das nehmen wir zur Kenntnis.

In unserer Fraktion gab es dazu Kontroversen. In unserer Partei gab es dazu Kontroversen, auch wenn die Kritik, die wir berücksichtigen, wenig überraschend, eher die Kritik ist, die aus den Gewerkschaften kommt. Wir beraten heute über ein Ladenöffnungsgesetz, das das alte Ladenschlussgesetz ablöst, das die Öffnungszeiten in der Woche weitestgehend freigibt und nur noch den Sonntag reguliert. Ich finde wie Herr Pflüger, dass das gegenwärtig diskutierte Gesetz inklusive der Änderungsanträge, die wir im Hauptausschuss beschlossen haben, dem Zeitgeist entspricht, auch wenn mir dieser Zeitgeist nicht passt. Ich glaube, das Argument, das Frau Paus vorbrachte, dass im „Tagesspiegel“ bei einer TED-Umfrage 83 % der Anruferinnen und Anrufer dagegen waren, den Ladenschluss freizugeben, wird sehr schnell durch die Realität widerlegt werden, wenn Sie mit den Leuten reden.

[Zuruf von Elfi Jantzen (Grüne)]

Mit gefällt dieser Zeitgeist nicht. Trotzdem glaube ich, dass wir ihn in unseren Debatten zu berücksichtigen haben. Deshalb versuchen wir im Moment eines, nämlich den Arbeitsschutz der im Handel Beschäftigten zu regeln. Diese Beschäftigten sind zum überwiegenden Teil Frauen. Jeder von Ihnen, der Freunde oder Verwandte hat, die als Marktleiterin im Extra-Markt arbeiten, die bei Schlecker an der Kasse sitzen oder bei Kaufhof Verkäuferin sind, jeder von Ihnen weiß, mit wie viel Zorn die Debatten, die wir hier führen, von den Kolleginnen begleitet wird.

[Zuruf von den Grünen: Zu Recht!]

Trotzdem, fürchte ich, ist diese Debatte unausweichlich. Der Kampf gegen das Ladenschlussgesetz ist verloren, und das seit vielen Jahren. Das sei auch den Kolleginnen und Kollegen von den Gewerkschaften gesagt: In einer Stadt, in der zu einer Demonstration gegen Sozialabbau nur halb so viele Menschen gehen wie zur langen Nacht des Shoppings, in so einer Stadt kann man nicht von einer rot-roten Regierung erwarten, dass wir alle Dämme halten.

[Gelächter bei den Grünen]

Wie die Stimmung ist, liebe Kollegen von den Grünen, hat man an der Debatte gesehen, die von den Medien entfacht wurde – Sie haben darauf Bezug genommen. Die erste Gesetzgebungskompetenz, die wir als Bundesland nach der Föderalismusreform bekommen, sollte plötzlich gar nicht ausgeübt werden. Jedes normale parlamentarische Verfahren wurde als Verzögerungstaktik denunziert und ein möglichst einstimmiges Durchpeitschen gefordert. Und, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben uns dem nicht gebeugt, auch wenn Frau Paus dies hier behauptet hat.

Die erste ordentliche Anhörung, die es im Hauptausschuss jemals gegeben hat, ist zu diesem Gesetz durchgeführt worden. Leider konnte Frau Paus bei dieser Anhörung nicht anwesend sein.

[Och-Rufe]

Die Anhörung war sehr ausführlich, und sie ist nicht ohne Ergebnis geblieben. Wir haben die Anregungen einiger Angehörter gegriffen. Deswegen wird heute nicht der Senatsentwurf, sondern eine geänderte Fassung abgestimmt. Dafür bitte ich um Ihre Zustimmung.

Ich prophezeie trotzdem, dass die Wünsche und Erwartungen hinsichtlich massenhafter Mehreinnahmen der Händler und mehr Arbeitsplätzen nicht in Erfüllung gehen werden. Allenfalls in der Innenstadt werden wir durch Touristen von außerhalb mehr Geld in unsere Stadt holen, und das ist auch nicht schlecht. Auch die Öffnungszeiten werden nicht uferlos ausgedehnt werden, weil es sich für viele Einzelhändler gar nicht rechnen wird. Ist das aber nun ein Grund, an den alten Regelungen festzuhalten? – Ich meine nein. Wir werden deshalb mit der Beschlussfassung heute, so weit es geht, die Beschäftigten schützen.

Mit der heutigen Entscheidung wird keine neue Konjunktur entfacht werden, aber auch nicht dem Neoliberalismus Tür und Tor geöffnet. Nur eine Regulierung, die das soziale Gesicht der alten Bundesrepublik über Jahrzehnte geprägt hat, wird aufgehoben werden. Ich finde nicht, dass das ein Anlass zum Jubeln ist, wie die FDP, die kurz vor Toresschluss noch einmal einen sehr eigenartigen Antrag hierzu vorgelegt hat, dies tut, aber ich finde auch nicht, dass es den Weltuntergang bedeutet. Deshalb bitte ich Sie um Zustimmung zum Ladenöffnungsgesetz in der vom Hauptausschuss geänderten Version. – Vielen Dank!

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Vielen Dank, Herr Liebich! – Das Wort hat jetzt Herr Thiel von der Fraktion der FDP.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Heute ist ein guter Tag – ein guter Tag für den Berliner Einzelhandel, für den Handel insgesamt, aber auch ein guter Tag für die Berlinerinnen und Berliner.

Warum? – 50 Jahre gesetzlich verordnete Einkaufszeiten haben Freiheiten auf allen Seiten beschnitten. Nach 50 Jahren können jetzt wir entscheiden, wann wir Handel treiben wollen oder wann wir einkaufen gehen wollen. Dazu brauchen wir den Gesetzgeber nicht. Deswegen finden wir das, was Sie hier als Gesetz vorgelegt haben, unterstützenswert.

1956, dies wurde schon erwähnt, wurde das damalige Ladenschlussgesetz als ein Schutzgesetz eingeführt. Wie sah dies in dieser alten, verkrusteten, konservativ geprägten Bundesrepublik bis dahin aus? – An den Adventssonntagen waren nach dem Kirchgang die Geschäfte geöffnet, mit dem sozialen Ziel, dass die Familie, nachdem sie vormittags in der Kirche war, anschließend gemeinsam durch die Geschäfte gehen konnte, um in aller Ruhe Weihnachtseinkäufe tätigen zu können – nicht zu müssen.

In der DDR war es bis 1989 so üblich. Herr Pflüger hat darauf hingewiesen, dass dies in Polen und Irland ohne Bruch bis heute so üblich ist. Wir meinen, dass das Gesetz, so wie es vorliegt, dem Rechnung trägt, dass mittlerweile 50 Jahre Erfahrung ins Land gegangen sind und die Gesellschaft sich verändert hat.

Wir haben einen kleinen Änderungsvorschlag, und ich bitte Sie, ihn wohlwollend zu prüfen. Wir stimmen zu, wenn in dem Gesetz gesagt wird, dass die Beschäftigten an maximal zwei Adventssonntagen arbeiten dürfen. In der Umkehrung heißt dies, dass die anderen zwei Adventssonntage frei sind. Das sehen wir genau so. Ist es jedoch nicht sinnvoll, wenn ein Beschäftigter auch an den beiden anderen Adventssonntagen arbeiten will, ihm die Möglichkeit hierfür zu eröffnen? – Niemand wird behaupten, dass die Beschäftigten im Einzelhandel zu den gut oder besser Verdienenden gehören. Wenn jemand die Chance wahrnehmen will, an dem dritten und vierten Adventssonntag mehr zu verdienen, um für sich wiederum mehr ausgeben zu können, ist dies seine freie Entscheidung. Wenn man schon in der Gesetzgebung bereits so großzügig ist – wir freuen uns, dass Sie unserer alten Forderung nach „Schluss mit Ladenschluss“ nachkommen –, dann bitte ich, auch dem Einzelnen die Entscheidung zu eröffnen, ob er zusätzlich arbeiten will oder nicht. Das sollte man nicht ausschließen.