Protocol of the Session on September 27, 2007

Berlin nicht die Probleme, die Bremen mit dem Modellprojekt hat, nämlich eine fehlende Vernetzung mit den bestehenden Projekten und eine diffuse Zielvorstellung eines Familienhebammenmodells.

[Emine Demirbüken-Wegner (CDU): Sprechen Sie mit Ihrer eigenen Fraktion!]

Frau Demirbüken-Wegner, Sie sind ja wieder da! – Was hilft es, wenn die Betreuung mit dem Familienhebammenmodell auf ein Jahr ausgedehnt wird? Was hilft es, wenn die Vernetzung nicht sichergestellt ist? Wie ist den Problemfamilien geholfen, wenn die Hebammen nach einem Jahr keine Hilfe mehr leisten?

Herr Kollege! Auch Ihre Redezeit ist leider abgelaufen. Kommen Sie zum Schluss!

Wir sind in Berlin viel weiter. Wir werden nicht mit dem Familienhebammenmodell an den Kindern experimentieren.

[Elfi Jantzen (Grüne): So ein Blödsinn!]

Vielen Dank! – Das Wort für die Fraktion der Grünen hat Frau Jantzen. – Bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Momentan herrscht hier in diesem Haus kein angemessener Umgang mit dem Thema Kinderschutz. Weder der Antrag der CDU noch die Rede von Herrn Kohlmeier sind angemessen. Das, was Sie gesagt haben, war schnöselhaft und „von oben herab“. Die Koalition kann sich derzeit noch nicht rühmen, das Konzept „Netzwerk Kinderschutz“ – das sehr gut ist – in die Realität umgesetzt zu haben. Das zu behaupten, ist eine Unverschämtheit, zu der ich nur den Kopf schütteln kann.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der CDU und der FDP]

Im Februar wurde ein Konzept für ein Netzwerk Kinderschutz vorgelegt. Es wurde vollmundig angekündigt:

Im Gesundheitssystem wird ein Netzwerk zur Früherkennung und frühen Förderung aufgebaut, und für besondere Problemfälle sollen bestehende Angebote mit dem Projekt aufsuchende Elternhilfe ergänzt werden.

Wir sind gut über das Projekt „aufsuchende Elternhilfe“ aufgeklärt worden, das mit 300 000 € pro Jahr ausgestattet wird. Vier Träger werden beauftragt. Es gibt eine Leistungsbeschreibung. Insofern kann ich die Kritik von Herrn Kohlmeier teilen, Frau Demirbüken-Wegner. Da

mit hätten Sie sich schon einmal befassen können. Das bedeutet aber nicht, dass damit die Welt in Ordnung ist.

Die Hauptarbeit beim Kinderschutz und den frühen Hilfen muss nämlich in den Bezirken geleistet werden, und zwar vom Kinder- und Jugendgesundheitsdienst. Es wurde angekündigt, dass die Erstbesuche bei Neugeborenen jetzt flächendeckend gemacht werden sollen. Wo sind aber die Kinderkrankschwestern, die Ärzte und die Sozialarbeiter, die das tatsächlich machen können? Wo sind die Leute, die hinterher die Betreffenden aufsuchen, wenn sich herausstellt, dass es Risiken gibt und dass Kinder und Familien betreut werden müssen, damit Vernachlässigung erst gar nicht entsteht? Da reichen diese vier Projekte mit aufsuchender Elternhilfe nicht, die übrigens auch mit Modellprojektmitteln aus dem Bund finanziert werden. Sie sind genauso eine zusätzliche Sache wie das Hebammenprojekt modellhaft, wo man in dem Sinne experimentiert. Herr Kohlmeier, das können Sie nicht hinten herunterfallen lassen.

Wir haben von Anfang an gefordert, mit den Hebammen, mit den Kinderärzten, mit den Frauenärzten in diesem Frühe-Hilfe-Projekt zusammenzuarbeiten. Wo sind aber nun diese Netzwerke in den Bezirken entstanden? Wo sind die Kooperationsvereinbarungen? Wo funktioniert die Zusammenarbeit konkret? – Das hat Rot-Rot bis jetzt noch nicht einleuchtend darlegen können.

[Beifall bei den Grünen]

Auf diese Fragen, die wir immer wieder gestellt haben, ist bis jetzt nicht geantwortet worden. Ich werde dazu nicht mehr viel weiter ausführen. Rühmlich ist die Umsetzung des Konzepts nicht.

Ich kann es mir nicht verkneifen, an dieser Stelle noch ein paar Worte zu den Äußerungen von Herrn Wowereit zu verlieren, die über die illustrierten Zeitungen durch die Welt gelaufen sind. Wir wissen sehr genau, dass Armut einer der Risikofaktoren dafür ist, dass Kinder vernachlässigt werden und dass es zu Gewalt in den Familien kommt. Das ist auch erklärlich, denn Menschen, die sich ständig darum kümmern müssen, woher sie das Geld für den nächsten Tag bekommen, haben Probleme, und in einer solchen Situation können Konflikte mit Kindern leicht eskalieren. Ich kann mich Herrn Wowereit anschließen, wenn man sagt, eine Erhöhung der Transferleistungen hilft da allein nicht, denn diese Familien brauchen auch andere Hilfen.

Ich sage an dieser Stelle noch einmal deutlich für meine Fraktion: Die Kinderregelsätze sind nicht ausreichend, um Kinder gesund zu ernähren, um ihnen die Schulsachen zu kaufen und sie gut zu kleiden. Ich nenne als Beispiel nur einmal einen Betrag: 9,01 € für Spielzeug im ganzen Jahr! – Für andere Kinder werden laut einer Umfrage im Jahr 830 € im Durchschnitt ausgegeben. Daran können Sie erkennen, welche Chancen auf eine lernanregende Umgebung in der Familie arme Kinder dann haben. Das ist ein eklatantes Missverhältnis.

[Beifall bei den Grünen]

Deshalb klar und eindeutig: Wir brauchen eine bedarfsgerechte Ausstattung der Kinderregelsätze – das zumindest sehr dringlich –, und wir brauchen parallel dazu – weitaus mehr, als das bisher im Haushalt sichtbar ist – aufsuchende und unterstützende Hilfen für Familien und ihre Kinder. Wir brauchen bessere Kindertagesstätten. Wir brauchen Familienbildungsangebote. Wir brauchen vor allem auch einen Einstellungskorridor im Jugendamt und in den Kinder- und Jugendgesundheitsdiensten für den Nachbesetzungsbedarf, und zwar dringend – auch für Beschäftigte mit Migrationshintergrund, weil es in Nord-Neukölln wenig nutzt, dass wir z. B. aus dem JHW Sozialarbeiter haben, die sich mit den betreffenden Menschen nicht richtig unterhalten können. Wichtig ist die interkulturelle Öffnung auch in diesem Bereich. Damit hat Rot-Rot noch eine ganze Menge zu tun.

[Beifall bei den Grünen]

Das Wort für die Linksfraktion hat nun Frau Abgeordnete Dr. Barth. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ja, Frau Jantzen! Rot-Rot hat noch viel zu tun, das ist wohl wahr. Ich möchte jetzt zu den Reden der vorangegangenen Kollegen keine Zensuren verteilen.

[Dr. Martin Lindner (FDP): Eigentlich schon! – Wolfgang Brauer (Linksfraktion): Das hat Frau Jantzen schon gemacht!]

Ich komme dann später zu dem konkreten Antrag.

[Zuruf]

Nein, bei diesem Thema „Kinderschutz konkret“ – ich denke, das eint uns – sagen sicherlich alle: Kinderschutz ist ein bedeutsames, wichtiges Thema.

Schaut man sich aber den Antrag an, dann ist das schon interessant. Frau Demirbüken! Sehr geehrte Kollegen der CDU-Fraktion! Sie fordern in Ihrem Antrag den Senat auf, umgehend für das Programm „Aufsuchende Elternhilfe“ ein detailliertes Konzept und einen Maßnahmeplan in Zusammenarbeit mit den dafür in Frage kommenden Partnern vorzulegen. Diesen Antrag verstehe, wer will, ich leider nicht. Bis Dienstag habe ich noch gehofft, Sie würden Ihren Redebeitrag, den Sie angemeldet haben, zurückziehen. Aber dann habe ich gestern zur Kenntnis genommen – nach der Ältestenratssitzung –, dass dieser Antrag in die Priorität eingeordnet wird. Da bin ich schon ein wenig entsetzt. Wenn man diesen Antrag als Rundumschlag nimmt, dann kann man das verstehen. Aber befassen wir uns einmal mit dem Antrag selbst! Dazu möchte ich sechs Bemerkungen machen.

Erstens: In dem Konzept für ein „Netzwerk Kinderschutz“ wird im Rahmen des Punktes 3.2 im Zusammen

hang mit der Frühförderung ausführlich dargelegt, dass in Berlin das Projekt „Aufsuchende Elternhilfe“ umgesetzt werden soll. Dabei sind die bereits vorhandenen Erfahrungen aus dem Projekt, das 2005 in Lichtenberg gestartet ist – allerdings auch ein Modellprojekt –, zu nutzen.

Zweitens: Im Landesjugendhilfeausschuss und im Unterausschuss „Erzieherische Hilfen“ ist über den Stand der Umsetzung dieses Projektes berichtet worden. Dabei habe ich zur Kenntnis genommen, dass sich die „Aufsuchende Elternhilfe“ als ein präventives Hilfeangebot an der Schnittstelle zwischen Jugendhilfe und Gesundheit im Rahmen des Netzwerkes versteht.

Drittens: Das Konzept dieses Projektes, das Sie fordern, ist längst fertig. Ich weiß gar nicht, was Sie wollen. Es liegt eine detaillierte Leistungsbeschreibung über die Erbringung aufsuchender Elternhilfe in der Modellphase nach § 16 SGB VIII vor.

[Mario Czaja (CDU): Bienen werden nicht nach Flugkilometern bezahlt!]

Hier sind Zielstellung, Zielgruppe, Leistung und anderes mehr erfasst, Herr Czaja, und das seit März 2007. Wir haben jetzt September, aber das schon seit März 2007! Das ist schon erstaunlich.

Viertens: Inzwischen – das hat Herr Kohlmeier auch gesagt – hat bereits das Interessenbekundungsverfahren stattgefunden, und vier Träger sind ausgewählt worden.

[Elfi Jantzen (Grüne): Die stehen auch in der Auflistung!]

Seit dem 1. September arbeitet dieses Projekt. Also ist nicht richtig nachvollziehbar, was Sie mit diesem Antrag wollen.

Fünftens: Das Projekt verfolgt das Ziel, differenzierte Kenntnisse über die Zielgruppe und den Umfang des Hilfebedarfs zu ermitteln. Dabei gehen wir davon aus, dass es unbedingt notwendig ist, von Anfang an eine fortlaufende Evaluierung des Projektes zu ermöglichen. Dazu ist ebenfalls bereits ein Dokumentationsbogen erarbeitet und auf den Weg gebracht.

Sechstens, meine Damen und Herren von der CDUFraktion: Meine Kenntnisse habe ich über meine Teilnahme an den Gremien bekommen. Eigentlich müssten sie bei Ihnen genauso vorhanden sein. Deswegen kann ich Ihnen nur sagen: Ziehen Sie diesen Antrag zurück! Das Ziel ist verfehlt, und es ist peinlich, dass dieser Antrag sogar zur Priorität gemacht wurde.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD – Mario Czaja (CDU): Bienen werden nicht nach Flugkilometern bezahlt, sondern nach dem Honig, den sie nach Hause bringen.]

Das Wort für die FDP-Fraktion hat Kollege Dragowski. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es freut mich, dass wir heute den Kinderschutz an der Stelle diskutieren, die ihm zukommt: Hier im Plenum als Priorität! – So weit gut gemacht, CDU!

Die CDU-Fraktion thematisiert im Rahmen des Kinderschutzes heute die aufsuchende Elternhilfe. Das ist richtig, denn gerade während der Schwangerschaft und im ersten Lebensjahr des Kindes benötigen Mütter Rat und Unterstützung. Auch muss es selbstverständlich sein, dass wichtige Verbände wie z. B. hier bei der aufsuchenden Elternhilfe der Hebammenverband mit einbezogen werden, denn dieses Expertenwissen fördert eine fachgerechte Programm- und Konzepterstellung zugunsten des Kinderschutzes.

Auch wir wollen – wie die CDU –, dass der Senat sein Konzept für die aufsuchende Elternhilfe nochmals vorlegt und dass wir mit ihm fachlich diskutieren, ob und wie der Berliner Hebammenverband einbezogen werden kann. Insoweit möchte ich auch noch auf Kollegin Barth eingehen: Wir hätten auch gern im Landesjugendhilfeausschuss mitdiskutiert oder uns informiert, aber leider wollte RotRot die FDP nicht im Landesjugendhilfeausschuss sehen. Das bedauern wir immer noch sehr.

[Zurufe von der Linksfraktion]

Wenn wir über die aufsuchende Elternhilfe sprechen, sollten wir auch über ehrenamtliches Engagement sprechen. Ein gutes Beispiel dafür ist das Projekt „Welcome“. Das Nachbarschaftsheim Schöneberg arbeitet mit diesem Projekt im Bereich der Familienpflege. Wer keine Hilfe hat, den Babystress zu bewältigen, bekommt Hilfe von „Welcome“.

Ehrenamtliche Mitarbeiter kommen ins Haus, wachen über den Schlaf des Babys, während sich die Mutter ausruht, begleiten beim Gang zum Kinderarzt, spielen mit dem Geschwisterkind, machen Einkäufe und hören zu. Alle Tätigkeiten führen zu einer spürbaren Entlastung in der familiären Übergangssituation. Daher sollten wir auch prüfen, wie wir das Projekt wellcome noch stärker in Berlin verankern.

Neben dem wichtigen Punkt der aufsuchenden Elternhilfe sind weitere Maßnahmen notwendig, um den Kinderschutz in Berlin effektiv zu fördern und zu verbessern. Wir von der FDP fordern konkret ein Aktionsprogramm Kinderschutz, das aus drei wesentlichen Teilen besteht: Wir wollen Qualifizierungsmaßnahmen intensivieren. Wir wollen spezielle Aus- und Fortbildungsmaßnahmen für Fachkräfte im Kinderschutz. Die Beschäftigten in der Tagesbetreuung sowie die Beschäftigten bei den Trägern der Jugendhilfe brauchen diese Fortbildung. Gerade sie müs

sen über professionelle Handlungsstrategien und Fachkompetenz verfügen, wenn Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung vorliegen. Wir wollen präventive Modellprojekte in den Bezirken. Jeder Berliner Bezirk sollte für den präventiven Kinderschutz ein Modellprojekt mit dem Ziel durchführen, besonders benachteiligte Familien bei der Wahrnehmung ihrer elterlichen Sorge derart zu unterstützen, dass sie einerseits Beratung, andererseits Begleitung und darüber hinaus Unterstützung bei der Suche nach Arbeit und Bildung erhalten.