Protocol of the Session on September 13, 2007

[Beifall bei der CDU und der FDP – Dr. Peter-Rudolf Zotl (Linksfraktion): Mathe lernen!]

Lieber Herr Regierender Bürgermeister! Ich bin der Meinung, dass man zumindest in einer solchen Debatte zuhören sollte.

[Stefan Liebich (Linksfraktion): Die ganze CDU hat gefehlt!]

Sie haben nicht nur nach unserer Auffassung, sondern auch nach Meinung der Unternehmerverbände Berlin und Brandenburg einen großen Fehler gemacht, indem Sie sich aus der gemeinsamen Wirtschaftsförderung mit Brandenburg zurückgezogen haben.

[Michael Müller (SPD): Es gibt keinen Rückzug!]

Es ist ein großer Fehler, dass wir nicht als Wirtschaftsregion Berlin-Brandenburg mit Helsinki und London konkurrieren, sondern uns einen Kleinkrieg mit Brandenburg erlauben. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik. Sie haben es nicht hinbekommen, mit Ihren brandenburgischen SPDParteifreunden einen Weg zu finden, endlich diese Großregion Berlin-Brandenburg zu schaffen und damit konkurrenzfähig zu Hamburg, Frankfurt und anderen Metropolen zu werden.

[Beifall bei der CDU – Uwe Doering (Linksfraktion): Was ist mit Schönbohm in Brandenburg?]

Schauen wir auf Berlin. Dort läuft Herr Wolf herum und sagt: „Toll. Wir haben 150 neue Arbeitsplätze in der Solarindustrie.“ Darüber freuen wir uns. Das ist keine Frage. Wir freuen uns, dass Sie langsam begreifen, dass die Umwelttechnologien ein Thema für unsere Industriepolitik sein könnten. Warum verschweigen Sie aber, dass Brandenburg in der gleichen Zeit 2 000 neue Arbeitsplätze auf diesem Gebiet gewonnen hat? Warum verschweigen Sie die großartigen Möglichkeiten, die wir in Berlin mit unseren Universitäten und wissenschaftlichen Institu

tionen, mit dem Hahn-Meitner-Institut und mit der Technologiestiftung haben? Das sind Chancen, über die wir gern etwas hören wollen, die Sie nach unserer Auffassung nicht nutzen und damit Berlin immer ärmer machen.

Ich komme zu meinem Ceterum censeo: Tempelhof!

[Zurufe von der SPD und von den Grünen]

Ja! Endlich! Herr Regierender Bürgermeister! Was die Mehrheit der Berliner sagt, interessiert Sie ja nicht. Es interessiert Sie auch nicht, was Helmut Schmidt, Weizsäcker, Kohl und alle möglichen Wissenschaftler und Experten aus der Wirtschaft dazu sagen. Der Chef von Berlin Partner, der Chef unserer Außenhandelswerbung, Herr Gurka, sagte in einem Interview des RBB vom 9. Juli 2007:

Die Entscheidung, Tempelhof zu schließen, ist ein Fehler. Tempelhof sollte zumindest solange offen bleiben, bis BBI an den Start geht. Die Investoren können das nicht nachvollziehen. Ich sage: Tempelhof soll bleiben. Wenn Sie einem internationalen Investor die Diskussionen aus Berlin erzählen, die zu Tempelhof geführt werden, dann versteht er sie nicht.

Das sagt der eigene Mann, der für Berlin um Investitionen werben soll. Wenn er Ihnen das sagt, sollten Sie endlich einmal darüber nachdenken. Wenn wir aus der Wirtschaft hören, dass Schönefeld BBI schon an dem Tag der Inbetriebnahme zu klein ist, sollten Sie sich überlegen, ob Sie sich diese Option ohne jede Not im nächsten Jahr aus der Hand schlagen lassen. Stoppen Sie endlich dieses unsägliche Entwidmungsverfahren und geben Sie dem Bürgerbegehren eine Chance! Wir werden mit aller Kraft dafür sorgen, dass die Bürger Tempelhof mit ihrem Votum ab dem 15. Oktober offen halten.

[Beifall bei der CDU]

Wenn Sie aber all diese Chancen verspielen – Tempelhof, Berlin-Brandenburg-Fusion, die Mittel- und Osteuropachance –, wird es weiter dazu führen, dass die Stadt ärmer wird und wir die Leistungen nicht mehr bezahlen können, die wir alle gern bezahlen würden.

Wir müssen sehen, warum es zu diesen furchtbaren Fällen von Kindervernachlässigung kommt. Sie haben 140 Jugendeinrichtungen seit 2001 geschlossen. Sie haben 160 Millionen € Erziehungshilfen gestrichen. Sie sagen, dass es den Bezirken so gut geht. Diese sind aber gar nicht mehr in der Lage, beispielsweise die Vorsorgeuntersuchungen der Vorschüler zu bezahlen. Sie können nicht mehr die Regeluntersuchungen wahrnehmen. Der letzte Kinderarzt im Gesundheitsdienst Neukölln ist gerade in Pension gegangen.

Sie hungern die Bezirke aus. Diese können ihre Aufgaben etwa auch bei der aufsuchenden Sozialarbeit überhaupt nicht mehr wahrnehmen. Die Betroffenen reden von einer kollabierenden Jugendarbeit in Berlin. Das ist ein Skandal. Und diesen Skandal, Herr Regierender Bürgermeister, hat nicht irgendein Senator zu verantworten, sondern

den haben Sie zu verantworten. Sie sollten sich nicht immer nur bei allen möglichen Glamour-Angelegenheiten in der Öffentlichkeit präsentieren, wenn das Blitzlichtgewitter losgeht, weil irgendein Star oder Sternchen nach Berlin kommt, sondern sollten dort vor Ort sein, wo die Probleme in dieser Stadt liegen. Da sind Sie aber nicht, Herr Regierender Bürgermeister.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Viele Kinder in dieser Stadt erhalten keine Zuwendung mehr und bekommen keine warme Mahlzeit am Tag. Wir sagen als Fraktion, dass das in Berlin nicht sein darf. Jedes Kind in Berlin soll mindestens eine warme Mahlzeit am Tag haben. Das sagt die CDU/CSU-Fraktion, die CDU-Fraktion zu diesem Haushalt. Das ist unsere Politik.

[Beifall bei der CDU]

Jedes Kind sollte eine warme Mahlzeit haben. – Herr Kollege, darüber sollten Sie nicht hämisch lachen. – Ich sage Ihnen auch: Lieber einmal einen Versprecher, als dauernd Versprechen zu brechen. Sie haben viele Versprechen gegenüber den Menschen in dieser Stadt gebrochen.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Jedem Dritten in Berlin droht Armut im Alter. Darüber lacht man nicht hämisch. Das ist ein schlimmes Faktum. Es gibt soziale Abstiegsängste. Das droht jedem Dritten. Wir hörten in den letzten Wochen kein Wort dazu. Sie machen dann aber eine sogenannte Demografietour. Dazu begleiten Sie Journalisten und machen schöne Fotos. Aber dann schreibt Herr Faruhn in „Berliner Morgenpost“:

Aber es gab keinerlei Festlegungen des Regierenden, wie Berlin – wie in der Rede angekündigt – modellhaft wirken will, welches Projekt der Senat nun wirklich konkret unterstützen möchte, ob er Geld für Alte oder für Kinder ausgeben oder eine altengerechte Stadt als Standortfaktor vermarkten will, all das blieb offen.

Da gibt es nichts Konkretes. Es gibt keine Bundesratsinitiative gegen Altersarmut. Gar nichts geschieht, Herr Regierender Bürgermeister. Das Einzige, was Sie den Berlinern gesagt haben, war, dass sie bis zum 67. Lebensjahr arbeiten sollen. Ich wäre dankbar, wenn alle Berliner, die arbeiten wollten, arbeiten könnten. Da muss man ihnen nicht noch mit Mehrarbeit drohen.

[Stefan Liebich (Linksfraktion): Ihr habt euch das doch ausgedacht!]

Sie müssen sich endlich diesem Thema der Altersarmut in Berlin zuwenden.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Schauen Sie auf die Schule! Auch hier ist ein Versprechen gebrochen worden. Herr Zöllner, Sie haben gesagt, dass es eine hundertprozentige Schulversorgung geben wird. Was sagen die verschiedenen Verbände jetzt, nachdem die Schule begonnen hat? Der Verband Bildung und Erziehung im Deutschen Beamtenbund wirft Zöllner Wortbruch vor. Sein Versprechen sei eine Luftnummer.

Die Vereinigung der Berliner Schulleiter sagt: „An ganz vielen Schulen gibt es keine ausreichende Lehrerversorgung.“ Sie sagen, es gebe nur zwölf Schulen, an denen es Probleme gibt. Nennen Sie doch einmal die zwölf Schulen, damit wir endlich die Möglichkeit haben, zu sehen, an welchen anderen Schulen es zusätzliche Probleme gibt!

Dann erfolgt wieder die schöne Ankündigung, es werde im nächsten Jahr alles anders. Das glaubt keiner. Hören Sie endlich mit diesem angesichts der Finanzlage irrsinnigen Modellprojekt Gemeinschaftsschule auf, wo Sie in wenige Projekte viel Geld investieren! Schaffen Sie endlich in ganz Berlin vernünftige Unterrichtsversorgung! Das ist unsere Forderung in dieser Haushaltsdebatte.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Dass auch Ihre Schulpolitik unsozial ist, will ich Ihnen an einem Beispiel belegen. Stefan Erlebach ist ein Bürger aus Lichterfelde. Er hat seinen 14-jährigen Sohn im WilliGraf-Gymnasium abgemeldet, um ihn wegen des Unterrichtsausfalls auf eine Privatschule zu schicken. Er sagt, dass er das seinem Sohn nicht zumuten kann. Er zahlt jetzt 2 100 € im Jahr Schulgeld. Er kann sich das vielleicht gerade leisten. Viele andere in dieser Stadt können es sich nicht leisten. Die schlechte Schulpolitik, die Sie über fast alle Perioden der Nachkriegsgeschichte in Berlin betrieben haben, wirkt sich jetzt aus. Sie führt dazu, dass Leute, die Geld haben, Kinder auf bessere Schulen schicken; die anderen können es nicht. Der Regierende Bürgermeister hat es Anfang des Jahres selbst zugegeben, als er sagte, er würde seine Kinder nicht auf Kreuzberger Schulen schicken. Das ist die Lage, die Sie zu verantworten haben. Man sehnt sich nach einer einzigen Schulsenatorin der CDU zurück, nach Hanna-Renate Laurien. Das war die beste Zeit der Berliner Schulen. Das ist die Lage.

[Beifall bei der CDU]

Wir brauchen 250 neue Lehrer. Wir brauchen Schulpsychologen. Diese werden wir einstellen. Das ist unsere Kraftanstrengung für diese Stadt. Sie sollten sich dem anschließen, mitmachen und gemeinsam nach Wegen suchen, wie wir dieses dramatische Problem an unseren Schulen endlich in den Griff bekommen.

Herr Wowereit! Wegtauchen tun Sie auch bei allen Fragen der inneren Sicherheit. Das betrifft Jugendbanden in Neukölln, das Abfackeln von Autos, Durchstechen von Reifen, Graffiti, U-Bahn-Kriminalität, die alltägliche Gewalt gegen BVG-Mitarbeiter, die alltägliche Gewalt in den Knästen. Zu all diesen Themen hören wir nichts vom Regierenden Bürgermeister. Wenn eine Nachricht kommt, dass es in sieben Monaten 10 000 neue Straftaten gegeben hat, muss man doch den Ernst der Lage erkennen.

Stattdessen sagt Herr Glietsch, das seien die ganz normalen Schwankungen, die gebe es immer in solchen Situationen. – Ein Lehrer wurde bei einem Schulfest mit Eisenstangen verprügelt. Er kam ins Krankenhaus. Wowereits Kommentar war, das könne in jeder Großstadt passieren. – Wenn wir die eskalierende Jugendgewalt so ver

harmlosen und weggucken, dann ist das Realitätsverweigerung.

Wir sagen, wir brauchen 500 neue Polizisten. – Herr Sarrazin! Die Zahl, die Sie eben genannt haben – das ist Volksverdummung. Sie sagen, Sie wollen 1 700 neue Leute einstellen. Dann sagen Sie den Leuten aber bitte auch, dass Sie in den nächsten Jahren jedes Jahr 450 Leute in den Ruhestand schicken werden! Das ist ein Nullsummenspiel – wenn Sie nicht sogar noch mehr Leute abbauen. – Wir dagegen sagen, wir brauchen mehr Polizei,

[Zurufe von der Linksfraktion]

und nicht deshalb, weil wir die Freiheit einschränken, eine weniger tolerante und offene Stadt haben wollen, sondern im Gegenteil, weil Freiheit und Toleranz nämlich Sicherheit und Recht voraussetzen. Wenn es keine Sicherheit gibt, wird das Recht des Stärkeren siegen. Das ist die Lehre der politischen Rechtsstaatentwicklung über Jahrhunderte. Der Rechtsstaat, das Gewaltmonopol des Staates allein, sichert, dass auch der Schwache Möglichkeiten hat. Die Wohlhabenden haben immer die Chance, Wachdienste anzustellen. Sie können das privat finanzieren. Oder sie fahren im Urlaub nach Mallorca. Aber die, die kein Geld haben, die sind z. B. auf eine sichere Hasenheide angewiesen. Sie brauchen die Unterstützung durch die Polizei. – Jetzt lachen Sie nicht, Herr Regierender Bürgermeister! Das sind Ihre Probleme, es ist die von Ihnen regierte Stadt, die solche Gewalt hervorbringt. Das ist kein Thema, über das man dämlich lacht.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der FDP – Zurufe von der SPD und der Linksfraktion]

Was für ein Skandal ist das eigentlich, dass ein sozialdemokratischer Bürgermeister, Herr Buschkowsky in Neukölln, jetzt private Wachdienste an den Schulen einführt?

[Stefan Liebich (Linksfraktion) meldet sich zu einer Zwischenfrage.]

Wir haben das unterstützt, weil wir sagen: Lieber private Wachdienste als überhaupt keine! – Aber dass es so weit kommen muss in einer Stadt, dass ein sozialdemokratischer Bürgermeister seinem sozialdemokratisch geführten Senat nicht mehr traut und sagt, ich muss jetzt privates Wachpersonal einführen, ist eine Bankrotterklärung der sozialdemokratischen Sicherheitspolitik in der Stadt. Machen Sie bitte nicht immer Herrn Körting dafür verantwortlich! Sie haben die Richtlinienkompetenz! Sie sind für diesen Skandal in dieser Stadt verantwortlich, Herr Wowereit, und niemand anderes!

Herr Dr. Pflüger! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Liebich?

Ich weiß nicht, wer er ist. – Nein, das will ich jetzt nicht.

[Heiterkeit bei der CDU]