Protocol of the Session on June 21, 2007

[Christian Gaebler (SPD): Er ist wortgleich!]

Ja, Herr Gaebler, so kann man mit der Geschäftsordnung sicherlich korrekt umgehen. Aber ich frage mich schon, warum Sie so eine Eile und Hektik haben. – Es wurde schon darauf hingewiesen: Der Koalitionsausschuss im Bundestag hat mit den Stimmen der SPD beschlossen, keinen Mindestlohn einzuführen. Nach durcharbeiteter Nacht hat man am Morgen der Presse mitgeteilt, man habe sich auf diese und jene Punkte geeinigt, aber einen Mindestlohn wird es nicht geben. Ich will Ihnen darlegen, warum wir grundsätzliche Bedenken gegen die Einführung eines Mindestlohns haben. Alle Vergleiche, die angeführt wurden, stimmen nicht, auch bei dem von Ihnen, Frau Grosse, angeführten Vergleich mit England. Mindestlohn ist im Sinne der westdeutschen und der seit 1989 gemeinsam bestehenden Systeme aus zwei Gründen systemfremd: Wir haben die Tarifautonomie als ein Gut, das wir alle verteidigen, und wir haben – anders als andere europäische Länder – sehr ausgeprägte und ausformulierte Sozialgesetze. Wenn wir England als Vergleich nehmen, dann müssen wir konsequenterweise sagen, lasst uns auch bitte die englischen Arbeitsbedingungen transferieren.

[Beifall bei der FDP]

Wenn wir England als vergleichbar annehmen, dann muss man auch Folgendes in Betracht ziehen: Wenn wir einen Mindestlohn von 7,50 € einführen würden, dann würden über Nacht in Deutschland 14,6 % der Beschäftigten davon betroffen sein. In England sind von dem Mindestlohn, der deutlich höher als 7,50 € liegt, insgesamt 1,4 % der Beschäftigten betroffen, also nicht einmal ein Zehntel. Was folgt daraus? – Zunächst die Unvernunft, dass wir in die Tarifautonomie eingreifen und meinen, dies politisch steuern zu können, zum anderen die große Gefahr, dass ein Mindestlohn Arbeitsplätze gefährden kann.

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Aber ja!

Bitte sehr, Frau Breitenbach!

Herr Thiel! Als echter Verfechter der Tarifautonomie – dafür ist die FDP ja auch bekannt – reden Sie von eben dieser Tarifautonomie.

Sie müssten bitte eine Frage stellen!

Ja, ich frage. – Warum glauben Sie, dass die Tarifautonomie durch einen gesetzlichen Mindestlohn ausgehebelt wird?

Präzise Frage! Ich glaube, sie wird eingeschränkt. Ich vertraue dem Gesetz der Tarifautonomie, dass sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer über das verständigen können, was sie als Mindestlohn bzw. als Lohngruppen haben wollen. Das haben Sie bislang auch erfolgreich getan.

Wenn sich die Politik da einmischt, habe ich große Sorge, dass das – wie in anderen Bereichen – zum Politikum in jedem Wahlkampf wird: Wer bietet 50 Cent mehr? – Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Sie werden immer – in jedem Wahlkampf – von der Linken getoppt werden. Die werden mehr bieten.

Herr Kollege! Da ist noch ein Wunsch nach einer Zwischenfrage von der Kollegin Grosse.

Wenn Sie noch einmal die Uhr anhalten! – Bitte sehr, Frau Grosse!

Herr Thiel! Wie kommt es dann, dass die Arbeitgeberverbände und die Gewerkschaften nach dem Kompromiss, der auf Bundesebene geschlossen wurde, ihre Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn wieder verlauten lassen?

Ich weiß es nicht, warum sie es tun. Ich kann es mir nur vorstellen. Die Arbeitgeberverbände sind genauso Kar

tellvertreter wie die Gewerkschaften. Darin unterscheiden sie sich nicht.

[Beifall bei der FDP]

Aber ich will Ihnen drei Bereiche nennen, die eine reale Gefahr darstellen. Ich bezeichne sie als die drei V. Das ist die Verdrängung. Das heißt, es wird rationalisiert. Arbeitsplätze fallen weg. Es ist die Verdichtung. Das heißt, wenn jemand drei oder vier Beschäftigte hat, überlegt er sich: Kann ich mich von einem trennen? – Es wird die Arbeitsintensität erhöht. Oder es ist die Verlagerung. Sprich: Ein Betrieb schließt seine Pforten.

Wir wollen keinen Mindestlohn, sondern ein Mindesteinkommen sichern. Das ist unser Ziel. Wir wollen Mindesteinkommenssicherungen vor allem durch Abgabensenkungen und nicht -erhöhungen, wie in diesem Hause beschlossen, durch Bündelung der sozialen Leistungen in einer Hand und ein Modell der Steuergutschriften. Wir glauben, es ist fairer den Menschen gegenüber, die gerade auch noch für 3,50 € oder 4 € zur Arbeit gehen und stolz darauf sind zu arbeiten, das zu goutieren, indem man ihnen etwas von denjenigen, die Steuern zahlen, zurückgibt, damit sie ein Mindesteinkommen haben.

[Zurufe von Burgunde Grosse (SPD) und Wolfgang Brauer (Linksfraktion)]

Wir wollen die marktwirtschaftliche Freiheit haben und kein politisches Besserwissertum. Das ist die Gefahr. Dafür stehen wir Liberale. – Ich danke Ihnen!

[Beifall bei der FDP und der CDU]

Vielen Dank! – Kollege Doering hat eine Kurzintervention.

Herr Thiel! Zunächst zu Ihrer Anmerkung zum Umgang mit diesem Antrag: Ihnen dürfte nicht entgangen sein, dass der Antrag, der jetzt zur Abstimmung steht, wortgleich dem Antrag entspricht, über den wir im Wirtschaftsausschuss am Montag beraten haben. Insofern haben wir darüber diskutiert. Wir können heute zur Abstimmung kommen.

Zur Tarifautonomie: Es dürfte Ihnen nicht entgangen sein – darauf hat Frau Breitenbach in ihrem Debattenbeitrag schon hingewiesen –, dass ein Großteil der Unternehmen in Ostdeutschland und ein Teil der Unternehmen in Westdeutschland inzwischen gar nicht mehr tarifgebunden sind, also nicht mehr nach Tarifvertrag bezahlen. Für diesen Fall sind z. B. gesetzlich festgelegte Mindestlöhne schon einmal sinnvoll.

Wir nehmen die Tarifautonomie mit unserem Antrag nicht weg. Wir stellen nur fest, dass es inzwischen Tarifverträge in Branchen gibt, die weit unter dem liegen, was

wir als Mindestlohn verstehen, z. B. bei den Wachdiensten zwischen 3 und 5 € pro Stunde.

[Dr. Martin Lindner (FDP): Das haben doch die Gewerkschaften abgeschlossen!]

Herr Lindner! Ich frage Sie: Können Sie von 3 bis 5 € pro Stunde leben?

[Dr. Martin Lindner (FDP): Wer hat das abgeschlossen?]

Bei 7,50 €, eine 40-Stunden-Woche angesetzt, das heißt 160 Stunden im Monat, haben Sie einen Bruttolohn von 1 200 €. Jetzt ziehen Sie die Steuern, Abgaben und Mieten ab. Ich frage Sie: Kann man mit 500 € netto eine Familie ernähren, ja oder nein?

[Dr. Martin Lindner (FDP): Wer hat das denn abgeschlossen?]

Das ist der Zustand in der Bundesrepublik Deutschland. Deshalb reden wir über gesetzliche Mindestlöhne, um das zu umgehen.

Wenn jedes Unternehmen einen gesetzlichen Mindestlohn zahlen müsste, hätten alle Unternehmen eine gleiche Ausgangsbedingung, was den Wettbewerb betrifft. Das muss man einmal festhalten.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD – Zurufe von der FDP]

Was passiert zurzeit im Niedriglohnsektor? – Die Betriebe unterbieten sich gegenseitig beim Lohndumping. Dabei kommen dann solche Löhne von 3 bis 5 € heraus.

[Dr. Martin Lindner (FDP): Die haben doch nicht wir abgeschlossen!]

Das kann man vernünftigerweise nicht weiter nachvollziehen. Deshalb ist ein Mindestlohn an dieser Stelle notwendig. – Herr Lindner! Ich sage es noch einmal: Wir wissen schon längst, dass Sie der Neoliberale sind! Was Sie an Taschengeld an einem Tag haben, davon müssen Familien einen ganzen Monat leben. Deswegen brauchen wir den Mindestlohn.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Herr Thiel zur Erwiderung – bitte schön!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Herr Doering! Drei Anmerkungen zu Ihrer Erklärung: Die Tarifverträge, die Sie ansprechen, mit 3,50 bis 4 € sind von den Gewerkschaften vereinbart worden. Die habe ich zu respektieren.

[Beifall bei der FDP – Dr. Martin Lindner (FDP): Richtig!]

Ob sie mir reichen, das ist eine Geschmacksfrage und eine politische Einschätzung. Aber das ist genau im Sinne der Tarifautonomie.

[Martina Michels (Linksfraktion): Deswegen muss es aber nicht richtig sein!]

Sie wissen es anscheinend besser, Frau Michels! Ich respektiere, dass das vereinbart wurde. Wir haben nicht darüber zu beschließen.

Das Zweite ist: Wenn es keine Tarife gibt, dann herrscht dort der Markt, das heißt Angebot und Nachfrage. Wenn ich dort Arbeit für 4 € finde, wie das in vielen Bereichen so ist, dann habe ich zu entscheiden, ob ich dafür arbeiten will. Und das machen die Menschen.

[Zurufe von der Linksfraktion]

Sie wissen das immer besser, Herr Brauer! Das unterschiedet uns wirklich.

Drittens: Dieser dumme und fälschliche Begriff des Lohndumpings!