Protocol of the Session on June 21, 2007

Vielen Dank, Frau Kollegin, dass ich Sie fragen darf! – Ich möchte wissen, an welche Summe Sie denken, wenn Sie über Mindestlohn sprechen. Sie haben ausgeführt, dass der Lohn vieler unter der Pfändungsgrenze liege. Haben Sie eine konkrete Zahlenvorstellung?

Ich persönlich denke an 8 €, Verdi denkt an 7,50 €. Herr Thiel, meine Meinung ist: Wenn wir einen Einstieg in einen Mindestlohn finden würden, würde ich mich auch mit einer niedrigeren Summe abfinden. Aber wir benötigen einen Mindestlohn, den wir auch regelmäßig anheben können.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Ich würde mich über die Höhe nicht streiten wollen.

Jetzt läuft die Zeit weiter. – Berlin steht nicht mehr allein mit der Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn. Zusammen mit Bremen und eventuell auch RheinlandPfalz können wir nun im Bundesrat Druck machen. Wenn die Bundesregierung sich nicht bewegt, weil die CDU in ihrer neoliberalen Verblendung verharrt und nicht begreift, was die Mehrheit der Bevölkerung längst fordert, dann müssen wir den Druck über die Länder organisieren. Deswegen möchten wir, dass der Senat eine entsprechende Bundesratsinitiative überprüft. Stimmen Sie dem Antrag von SPD, Linke und Grünen zu! – Vielen Dank!

[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Danke schön! – Das Wort für die Fraktion der CDU hat nun Frau Abgeordnete Kroll. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dank der erfolgreichen Politik der durch die CDU geführten Bundesregierung boomt die Wirtschaft in Deutschland wieder.

[Beifall bei der CDU – Ha, ha! bei der SPD und der Linksfraktion]

Vor allem auf dem Arbeitsmarkt sind die Auswirkungen für viele Menschen bereits unmittelbar spürbar. In den letzten Monaten und Wochen erleben wir, dass in Sachen Mindestlohn zurzeit ein Überbietungswettbewerb von Parteien und Gewerkschaften stattfindet.

[Zuruf von Elke Breitenbach (Linksfraktion)]

Die Diskussion um einen möglichen Mindestlohn spaltet Deutschland. Schafft er Arbeitsplätze, oder vernichtet er Jobs?

[Zuruf von Elke Breitenbach (Linksfraktion)]

Sie hatten Zeit zu sprechen, Frau Breitenbach, jetzt lassen Sie mich auch reden!

[Beifall bei der CDU]

Arbeit ist für die CDU mehr als nur Existenzsicherung. Für uns ist Arbeit auch die Teilhabe an der Gesellschaft, deswegen bleibt Arbeit für alle Menschen unser oberstes Ziel. Ich möchte nicht falsch verstanden werden, die Berliner CDU-Fraktion akzeptiert keine Dumpinglöhne und keine sittenwidrigen Löhne. Dagegen muss etwas unternommen werden.

[Beifall bei der CDU]

Eine scheinheilige, aber populäre Diskussion um Hungerlöhne, um Mindestlöhne, führt uns zwangsläufig in eine Sackgasse.

[Zurufe von der Linksfraktion]

Wir sind der Überzeugung, dass der Staat nicht geeignet ist, bessere Lohnfindungen als die Tarifparteien vorzunehmen. Wir haben die Tarifautonomie in diesem Land eingeführt, wir stehen auch heute noch dazu.

[Elke Breitenbach (Linksfraktion) meldet sich zu einer Zwischenfrage.]

Basis unserer Überlegungen muss sein: Wer ausgebildet ist und Vollzeit arbeitet, muss sich und seine Familie von dem Lohn für seine Arbeit auch ernähren können, notfalls ergänzt durch staatliche Transferleistungen. Wir sind der Auffassung, dass ein Kombilohnmodell im Vergleich zum Mindestlohn eine deutlich bessere Variante wäre. Nach einer Studie der IWH wären bei einem per Gesetz verordneten Stundenlohn in Höhe von 7,50 € – Frau Breitenbach! – in ganz Deutschland über 620 000 Arbeitsplätze gefährdet. Betroffen wären davon vor allem ostdeutsche und Berliner Beschäftigte und insbesondere die eigentliche Problemgruppe auf dem Arbeitsmarkt, die Langzeitarbeitslosen und die Menschen mit geringer Qualifikation.

[Beifall von Kurt Wansner (CDU)]

Frau Breitenbach von der Linksfraktion möchte eine Zwischenfrage stellen. Gestatten Sie es?

Nein, bitte nicht! Das können wir auch im Ausschuss besprechen. – Wir halten daher die geplante Einführung eines Mindestlohns für eine ganze Reihe von Menschen für nicht nur nicht förderlich, sondern für zutiefst unsozial.

[Beifall von Kurt Wansner (CDU) und Gregor Hoffmann (CDU)]

Würde man diesen Mindestlohn umsetzen, hätten auf einen Schlag 4,6 Millionen Arbeitnehmer Anspruch auf Lohnerhöhungen. Das würde die Wirtschaft mit 12 Milliarden € belasten. Die Folge wäre eine Zunahme der Schwarzarbeit und die Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland.

Deshalb bin ich wie viele meiner Freunde in der CDU der Meinung, dass die Einführung eines solchen flächendeckenden Mindestlohns keinen einzigen Arbeitsplatz schaffen, sondern im Gegenteil mehr Arbeitslosigkeit im Niedriglohnbereich bringen würde.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Bei einigen Arbeitnehmern würde dann zwar der Mindestlohn zu einer Einkommenserhöhung führen, die diese jedoch mit dem Arbeitsplatzverlust anderer, gering verdienender Arbeitnehmer teuer erkauft hätten.

Es ist richtig, dass 20 der 27 EU-Staaten bereits Mindestlöhne eingeführt haben.

[Zuruf von Ramona Pop (Grüne)]

Jedoch muss sowohl der Grund für die Einführung als auch das starke Gefälle innerhalb der EU beachtet werden. Mindestlöhne sind kein Mittel gegen Armut. Nur 4 Prozent dieser Kleinverdiener leben in einem Haushalt, der über keine weiteren Erwerbseinkommen verfügt oder über staatliche Zuschüsse. Arm trotz Arbeit kommt eher in der Regel als in der Ausnahme vor. Hören wir deshalb auf, die Debatte um Mindestlöhne rein ideologisch zu führen, Frau Pop, und alles über einen Einheitskamm zu scheren.

Anfang der Woche hat sich die große Koalition auf einen Kompromiss zu Lohnuntergrenzen geeinigt, indem sich beide Seiten darauf verständigt haben, dass die Zahl der Branchen im Arbeitnehmer-Gesetz auszuweiten ist. Deswegen sagen wir: Auch da, wo eine Ausweitung des Arbeitnehmerentsende-Gesetzes am Ende nicht zustande kommt, sind wir selbstverständlich als CDU dafür, dass keine sittenwidrigen Löhne gezahlt werden. In der Debatte um den Mindestlohn muss es Ziel sein, Augenmaß zu halten, denn Mindestlohn ist nicht die Lösung aller Probleme. Es sind die Belange der Arbeitnehmer und die Belange der Wirtschaft zu berücksichtigen.

[Beifall bei der CDU]

Vielen Dank, Frau Kollegin! – Das Wort für die SPDFraktion hat die Kollegin Grosse.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute sind die Sätze gefallen: „Wir wollen dafür Sorge tragen, dass alle Menschen an dem Aufschwung teilhaben können.“ Und Herr Pflüger hat gesagt: „Wir wollen ein Berlin, wo alle ihre Chancen haben.“

[Beifall von Kurt Wansner (CDU)]

Und das Schicksal der Menschen liegt ihm am Herzen. Wenn das so ist und nicht nur eine Floskel, die Sie hier hingesprochen haben, dann müssten Sie unserem Antrag auf Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns zustimmen, Herr Pflüger!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Es ist ein Skandal, dass immer mehr Menschen, die 40 Stunden und mehr arbeiten, auf ergänzendes Arbeitslosengeld II angewiesen sind. Frau Kroll! Sie können doch nicht ernsthaft meinen, dass Ihnen das egal ist, dass Menschen 40 Stunden arbeiten und einen Lohn dafür bekommen, von dem sie nicht leben können, sodass sie auf ergänzendes Sozialgeld angewiesen sind! Das kann doch nicht Ihre Position sein!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Wissen Sie eigentlich, dass 80 000 Menschen in Berlin auf zusätzliche Leistungen zum geringen Lohn angewiesen sind, da sie sonst nicht das Existenzminimum erreichen? Weshalb ist der gesetzliche Mindestlohn jetzt erforderlich? Weshalb – ich frage noch einmal? In der Vergangenheit konnten über die hohe Tarifbindung in Deutschland auf Branchenebene Mindeststandards gesichert werden. Deshalb war die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns kein Thema in Deutschland. Auch zahlreiche, nicht tarifgebundene Unternehmen hatten sich immer noch an den Löhnen orientiert. Löhne waren somit in Deutschland weitgehend aus dem Wettbewerb herausgenommen. Wie Sie alle wissen, ist das Schnee von gestern. In den letzten zwei Jahren seit Inkrafttreten von Hartz IV ist die Zahl der Erwerbstätigen in Deutschland, deren Einkommen aufgestockt sind, um das Doppelte angestiegen: 1,1 Millionen Menschen erhalten bundesweit zu ihrem Verdienst aufstockendes Arbeitslosengeld II. Mit Stundenlöhnen von 3,50 € kann kein Mensch leben – das sind Armutslöhne, und das ist menschenunwürdig!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Ich sage ganz deutlich und für jeden unmissverständlich: Diese Löhne gehören abgeschafft, und zwar so schnell wie möglich!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Für uns ist die Einführung eines Mindestlohns eine grundlegende Frage der sozialen Gerechtigkeit, und wir werden nicht locker lassen, ja, wir werden dafür mit den Gewerkschaften kämpfen, Herr Pflüger, da sind die Gewerkschaften nämlich auf unserer Seite, dass eine gesetzliche Grundlage für einen Mindestlohn geschaffen wird.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Gerade Frauen sind in hohem Maße von Niedriglöhnen betroffen. Ein gesetzlicher Mindestlohn wird dazu beitragen, der Einkommensdiskriminierung von Frauen entgegenzuwirken. Deutschland gehört in der Europäischen Union – das haben Sie auch gesagt, Frau Kroll – inzwischen zu einer Minderheit von Ländern, die keinen gesetzlichen Mindestlohn haben, aber das scheint Sie irgendwie nicht zu berühren.

Ein Argument, das auch Sie, meine Damen und Herren der CDU und der FDP, immer wieder vorbringen, ist der von Ihnen vermutete negative Effekt auf die Beschäftigungsentwicklung.