Protocol of the Session on May 24, 2007

den Einzugsbereich generell auflösen – Frau Senftleben nickt. Das ist typisch für die FDP, der Markt wird es schon richten! Aber was wird von diesem Markt geregelt? – Eine größere Trennung der Schülerinnen und Schüler, einhergehend mit einer noch früheren Selektion. Dann können wir gleich wieder Schulen für Akademikerkinder, für Beamtenkinder, für Arbeiterkinder einrichten – herzlichen Glückwunsch, liebe FDP-Fraktion!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Mieke Senftleben (FDP): Sie haben es nicht verstanden!]

Doch im Ernst: Die Möglichkeit, sich eine bestimmte Grundschule nach ihrem Profil auszusuchen, besteht bereits,

[Mieke Senftleben (FDP): Eben nicht!]

schauen Sie im Schulgesetz nach. Andererseits benötigen Kinder eine wohnortnahe Grundschule, da ihr Leben doch nicht nur aus Schule besteht – hier werden Sie mir sicherlich zustimmen. Kinder wollen in ihrer Freizeit auch mit den Kindern spielen, die mit ihnen gemeinsam die Schulbank drücken.

[Mieke Senftleben (FDP): Das muss ich doch den Eltern und Kindern selbst überlassen!]

Die Freigabe der Grundschule würde die soziale Entmischung an Grundschulen fördern und die Aufgabe der Schulen gefährden, Kinder verschiedener sozialer Schichten und kultureller Milieus gemeinsam lernen zu lassen.

Und außerdem – das hat auch Kollege Mutlu bereits gesagt – führt die freie Schulwahl zu Ungerechtigkeiten zwischen denjenigen, die die Wahlmöglichkeit nutzen können, und denjenigen, die das nicht können, weil sie weniger informiert oder weniger finanzstark sind.

[Mieke Senftleben (FDP): Das passiert genau jetzt, verehrte Frau Dr. Tesch!]

Diese Maßnahme würde zu einem flächendeckenden Segregationsprozess führen, der mit uns nicht zu machen ist. Da Sie aber von beiden Seiten so aufgeregt dazwischenrufen, bitte ich, obwohl wir diese beiden Anträge ablehnen, dennoch um eine Überweisung in den Schulausschuss, damit wir sie dort noch einmal eingehend beraten können. – Ich danke Ihnen!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Özcan Mutlu (Grüne): Hoffentlich kommen Sie dann mit eigenen Lösungen und schreiben nicht wieder ab!]

Für die CDU-Fraktion hat nunmehr Kollege Steuer das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Dr. Tesch! Mit Ihnen ist es leider immer das Gleiche: Sie wis

sen vor allem, was Sie nicht wollen, aber Sie sagen nicht, was Sie wollen.

[Beifall bei der CDU und den Grünen – Dr. Felicitas Tesch (SPD): Es geht um das Schulgesetz, Herr Steuer!]

Um es vorweg zu sagen: Die ursprüngliche Idee von Schuleinzugsbereichen ist vernünftig, nämlich zu sagen: Kinder, die in einer räumlichen Nähe, in der Nachbarschaft wohnen, sollen auf eine Schule gehen. Die Kinder sollen einen möglichst kurzen Schulweg haben. Es soll ein soziales Klima an einer Schule entstehen, das sich auch in den Nachmittag überträgt und das einen Sinn ergibt.

Aber wir müssen im Jahr 2007 zur Kenntnis nehmen, dass das nicht mehr der Realität entspricht. Was passiert stattdessen? – Eltern klagen, sodass ihr Kind auf eine Grundschule gehen kann, zu der es eigentlich nicht gehen dürfte, weil es nicht die nächstgelegene Grundschule ist. Eltern ziehen um. Ich berichte Ihnen, was in Nord-Neukölln passiert: Eltern, deren Kind das sechste Lebensjahr erreicht hat und schulpflichtig wird, ziehen von NordNeukölln in den Süden des Bezirks. Hier findet eine soziale Entmischung statt. Und dann gibt es die dritte Variante, die auch stattfindet und die anhand des Beispiels in Pankow nachzulesen ist: Eltern betrügen den Bezirk und melden ihr Kind bei den Großeltern, bei der Tante oder sonst wem an. Sie lassen sich nicht vorschreiben, auf welche Schule ihr Kind zu gehen hat.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Das ist die Realität, und da hilft es nicht, die Realität zu ignorieren und zu sagen, wie man die Welt gern hätte, wenn die Welt nun mal nicht so ist.

[Lars Oberg (SPD): Wie lösen Sie das Problem?]

Jetzt muss man sich entscheiden: Entweder will man die aktuelle Gesetzeslage durchsetzen. Dann brauchen die Bezirksämter Personal und müssen alle Eltern kontrollieren und nachweisen, wo die Eltern wohnen und wo das Kind wohnt, um die aktuelle Rechtslage durchzusetzen.

[Mieke Senftleben (FDP): Viel Bürokratie!]

Oder Sie entscheiden sich für die Variante B und sagen: Wir anerkennen die Realität, dass die Eltern frei wählen wollen, und wir geben ihnen das Recht, dies auch zu tun. – Sie passen also die Rechtslage der Realität an.

Ich tendiere zu der zweiten Variante, weil es die ehrliche Variante ist – um das klar zu sagen.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Eines geht aber nicht: Wir wollen nicht Chaos und Wildwest produzieren. Es kann nicht sein, dass Kinder dann in ihrem Umkreis keine Schule mehr besuchen können und durch die halbe Stadt fahren müssen, um auf eine andere Schule zu gehen. Die reine Losentscheidung ist also auch nicht vernünftig. Deshalb muss es eine Geschwisterregelung geben. Das ist das erste Kriterium. Das zweite Kriterium muss auch eine neue Form der räumlichen Nähe zu

einer Schule festlegen, sodass jedenfalls verhindert wird, dass ein Kind unnötige Fahrwege in Kauf nehmen muss oder weit entfernt von seiner Schule wohnt.

[Beifall von Özcan Mutlu (Grüne)]

Wir wollen also Chaos verhindern, und es muss weiterhin Kriterien geben – für Geschwister und für die Entfernung, die eine Rolle spielen muss. Auf dieser Grundlage wollen wir die aktuelle Rechtslage der Realität anpassen und den Eltern endlich die Wahlfreiheit geben, die sie sich jetzt schon nehmen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU]

Für die Linksfraktion hat nunmehr Kollege Zillich das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir diskutieren zwei Anträge zu einem Thema, nämlich zum Thema Einschulungsbereich, und diese Debatte ist nicht neu. Wir diskutieren dieses Thema gleichwohl vor einem aktuellen Hintergrund – –

[Özcan Mutlu (Grüne): Was haben Sie in den letzten fünf Jahren gemacht?]

Liebe Özcan! Du hast doch gerade auf eine aktuelle Debatte Bezug genommen, und dann darf ich das doch auch tun. Oder? – Wir diskutieren dieses Thema vor dem Hintergrund einer aktuellen Debatte in Pankow. Es ist allerdings sinnvoll, das nicht nur vor dem Hintergrund dieser Debatte zu diskutieren, sondern auch grundsätzlich etwas dazu zu sagen. Wir haben es hierbei mit der Kollision verschiedener Sichtweisen, mit unterschiedlichen Herangehensweisen zu tun. Es geht um die unterschiedliche Sichtweisen von Eltern und Kindern.

[Michael Schäfer (Grüne): Geschwisterkinder sollen demnach in unterschiedliche Schulen!]

Die Regelungen zum Einschulungsbereich sind vor allem aus der Sicht von Kindern formuliert. Für die Einschulungsbereiche müssen z. B. kurze Schulwege garantiert werden – kurze Wege für kurze Beine. Gerade für Grundschulkinder ist es wichtig, dass sie im schulischen und außerschulischen Lebensraum selbstständig agieren können. Das geht für kleine Kinder nur, wenn diese Bereiche wohnortnah und zu Fuß zu erreichen sind. Nur dann können sie dort eigenständig soziale Kontakte entwickeln. Kinder im Grundschulalter brauchen um ihrer Selbstständigkeit willen eine wohnortnahe Schule. Ihr schulischer und außerschulischer Lebensbereich muss deckungsgleich sein, damit sie selbstständig soziale Kontakte pflegen zu können, ohne auf die Transporthilfe Erwachsener angewiesen zu sein.

Die von der FDP erneut geforderte Aufhebung der Einschulungsbereiche für die Grundschule stellt ein durchaus vorhandenes Elterninteresse in den Vordergrund, das für

Kinder mit längeren Schulwegen und mit der Abhängigkeit, von den Eltern zur Schule gebracht werden zu müssen, verbunden sein kann. Wenn wir zu Recht beklagen und darüber reden, dass Kinder zu wenig Bewegung haben, wenn wir darüber klagen, dass Kinder übergewichtig sind, dann kann es doch nicht sein, dass wir gleichzeitig durch die Aufhebung der Einschulungsbereiche eine Situation befördern, in der immer mehr Kinder mit dem Auto zur Schule gebracht werden.

[Mieke Senftleben (FDP): Weltfremd!]

Deshalb wollen wir an den Einschulungsbereichen festhalten und werden den FDP-Antrag ablehnen.

Noch eine Anmerkung zur Argumentation des Kollegen Steuer: Es ist tatsächlich so, dass Eltern zum Teil versuchen, sich aus ihrem Interesse um die vorhandenen Bestimmungen herumzumogeln. Aber eine Regelung nur deshalb abzuschaffen, weil sich nicht alle an sie halten, ist ein merkwürdiges Verständnis staatlicher Regelungsmöglichkeiten. Das würde z. B. bedeuten, dass wir die Straßenverkehrsordnung infrage stellen müssten, weil wir nicht in der Lage sind, deren Durchsetzung generell zu überprüfen und Verstöße an jeder Stelle zu ahnden. Dieser Logik wird zumindest die CDU nicht unbedingt nahetreten wollen.

[Beifall bei der Linksfraktion – Sascha Steuer (CDU) meldet sich zu einer Zwischenfrage.]

Unterschiedlichen Profilen von Schule kann mit der Festlegung von gemeinsamen Einzugsbereichen verschiedener Grundschulen – sogenannten Schulsprengeln – Rechnung getragen werden. So kann einerseits die Flexibilität bei der Versorgung mit Grundschulplätzen erhöht werden, und andererseits kann man dem Wahlinteresse der Eltern innerhalb eines solchen Schulsprengels nachkommen. Diese Möglichkeit gibt es, und von dieser Möglichkeit könnte mehr Gebrauch gemacht werden.

Wichtig bleibt hierbei allerdings Folgendes: Auch bei unterschiedlichen Profilen von Grundschulen muss – ich zitiere –

die Gleichwertigkeit des schulischen Angebots in den Bereichen des Unterrichts, der Betreuung und der Erziehung gewährleistet bleiben, wie es § 8 des Schulgesetzes verlangt.

Profilierung ja!

Herr Kollege Zillich! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Steuer?

Ja, bitte!

Herr Steuer, Sie haben das Wort! – Bitte schön!

Herr Zillich! Würden Sie mir zustimmen, dass Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung Menschenleben gefährden können und deshalb eine andere Qualität haben als das freie Elternwahlrecht, selbst zu entscheiden, auf welche Schule sie ihr Kind schicken wollen?