Protocol of the Session on May 10, 2007

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Geiz ist geil!“ oder „20 Prozent auf alles – außer Tiernahrung!“ – Die Werbung gaukelt uns regelmäßig vor: Hauptsache billig, alles andere ist egal! – Diese Slogans hört man umgewandelt gelegentlich auch bei Diskussionen über die ÖPNV-Fahrpreise. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wird nicht müde, zu sagen: „Hauptsache 30 Prozent Rabatt für alle, dann wird alles besser!“ – Das ist nicht unsere Auffassung, denn billig ist nicht automatisch gut, und billig ist auch nicht automatisch gerecht oder sozial.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD – Elisabeth Paus (Grüne): Jetzt bin ich aber gespannt!]

Deshalb trägt unser heutiger Antrag die Überschrift „Fahrpreise im Nahverkehr weiterhin sozial gerecht entwickeln“. Der öffentliche Personennahverkehr ist ein Teil der Daseinsvorsorge. Wir wollen gute Angebote für alle, wir wollen soziale Fahrpreise, und das muss von den Verkehrsunternehmen nach den Vorgaben des Landes Berlin umgesetzt werden.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Dabei haben wir gute Angebote, die es zu erhalten gilt. Wir haben ein spezielles Ticket für Schüler und Schülerinnen und für Geschwister mit einer deutlichen Rabattierung. Damit stützen wir die Mobilität von Familien. Gerade für kinderreiche Familien bedeutet das eine deutliche Entlastung ihrer Familienkasse.

Wir haben Rabatte für Stammkunden. Der Preis der Jahreskarte ist rd. 20 Prozent billiger als der Preis von 12 Monatstickets. Für die Leute, die ein Bekenntnis und einen regelmäßigen Beitrag zum ÖPNV leisten, soll es auch diese Rabatte geben. Damit binden wir Leute dauerhaft, und damit sichern wir auch eine gute Umwelt und eine gute Verkehrsleistung hier in Berlin.

Zudem haben wir als einzige Stadt in Deutschland ein Sozialticket in dieser Form, wo Menschen mit geringem Einkommen nur die Hälfte des Preises für ein normales Monatsticket bezahlen müssen. Auch dieses wollen wir erhalten und sichern.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Wir werden auch prüfen, ob eine Ergänzung durch ermäßigte Einzelfahrscheine möglich ist.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Selbstverständlich ist nichts so gut, dass man es nicht auch noch verbessern könnte. Hierzu zwei Beispiele: Für Gelegenheitskunden gibt es derzeit zu wenig Angebote. Wir wollen Gelegenheitskunden Anreize bieten, sich stärker auf den ÖPNV festzulegen und auch stärker zur regelmäßigen Finanzierung beizutragen. Dafür brauchen wir eine Mehrfahrtenkarte. Die Abschaffung der Sammelkarte war aus unserer Sicht ein Fehler. Wir wollen eine Mehrfahrtenkarte nach Pariser Vorbild: 10 Fahrscheine zum Preis von acht Fahrscheinen. – Das ist ein realistisches Angebot, das Leute animiert, sich den Fahrschein vorher zu besorgen, ihn ständig zur Verfügung zu haben und dadurch öfter den ÖPNV zu nutzen.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der Linksfraktion]

Wir wollen auch ein Firmenticket. Das Firmenticket ist von den Verkehrsunternehmen quasi in die Bedeutungslosigkeit geschickt worden – mit einem Rabatt von lediglich 5 Prozent. Dabei ist gerade dieses Firmenticket eine Möglichkeit, auch die Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen mit in die Verantwortung für den ÖPNV und dessen Finanzierung zu nehmen. Sie machen dabei gleichzeitig für ihre Mitarbeiter ein zusätzliches Angebot mit einer finanziellen Entlastung. Hierbei können Firmen sozial und umweltgerecht handeln, und deshalb wollen wir dafür größere Anreize schaffen und das Ganze auch besser bewerben. Die Verkehrsunternehmen müssen endlich begreifen, dass es nicht darum geht, möglichst viel Gewinn aus einzelnen Bereichen herauszuziehen, sondern darum, ein Preisangebot zu machen, wo man viel Umsatz machen und einen vernünftigen Erlös erzielen kann.

Das ist ihre Aufgabe, dafür erhalten sie auch öffentliche Zuschüsse.

Den Umgang mit den Kombitickets müssen wir klären. Es ist eine gute Sache, dass bei Veranstaltungen der ÖPNVFahrpreis inbegriffen ist. Das sorgt natürlich dafür, dass mehr Menschen bei diesen Veranstaltungen den ÖPNV nutzen. Das muss mehr beworben und stärker umgesetzt werden. Dabei sind die Verkehrsunternehmen gefordert.

Alles in allem: Die ÖPNV-Preise sind der moderne Brotpreis. Früher fanden Revolutionen wegen der Erhöhung der Brotpreise statt. Heutzutage ist der ÖPNV-Tarif ein heftiges Diskussionsthema, zum Glück bis jetzt ohne Revolution. Wir müssen sozial ausgewogene Angebote machen. ÖPNV kann nicht kostendeckend arbeiten, wenn er ein gutes und bezahlbares Angebot machen soll. Aber er kann sozial ausgewogene Tarife und Angebote für alle in der Stadt anbieten, um Anreize zu bieten. Das sollen die Verkehrsunternehmen umsetzen. Wir wollen einen guten ÖPNV mit sozialen Tarifen. Daran arbeiten wir weiter. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Für die Fraktion der CDU hat jetzt Herr Ueckert das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Gaebler! Da haben Sie sich ja wieder einmal so einen richtigen Schaufensterantrag zusammengebastelt. Wenn das Ihre Priorität und das Wichtigste in dieser Stadt ist, dann, muss ich sagen, sind Sie entweder ungeheuer selbstgefällig oder auf beiden Augen blind für die wahren Probleme in der Stadt oder für das, was die Menschen in Berlin wirklich bewegt.

[Christian Gaebler (SPD): Tempelhof, oder?]

Es gibt viele Themen, Herr Gaebler. Sie sehen, Sie kommen auf ein paar von ihnen ganz allein! – Vieles von dem, was Sie vorgetragen haben, ist nur die Beschreibung der momentanen Lage im Tarifsystem. Und mit der sind Sie offensichtlich ebenso zufrieden, wie ich es mehr oder weniger bin. Die Überschrift „Fahrpreise im Nahverkehr weiterhin sozial gerecht entwickeln“ kann ich nur unterstützen, unterstellt sie doch, dass bereits bisher so verfahren wurde. Sie haben das ja gerade noch einmal bestätigt.

Oder liegt der Schwerpunkt des Antrags in der Aufforderung an den Senat, nun doch bitte mit VBB und der BVG – und da vermisse ich die S-Bahn – eine mittelfristige Strategie zu entwickeln? – Dann frage ich mich allerdings, warum Sie das nicht früher getan haben. Warum setzen Sie dem Senat dazu keine Frist? – Also, doch nicht so wichtig. – Einige Fragen und Anmerkungen sind deshalb erlaubt.

Natürlich ist es richtig, dem Stammkunden und dem Vielfahrer seine Treue durch rechnerisch spürbare Rabatte zu belohnen. Ebenso richtig ist es auch, dass der Fahrscheinvertrieb z. B. mit Sammelkartenverkauf, den Sie genannt haben, aber auch durch E-Ticketing oder HandyTicketing attraktiver und kostengünstiger gestaltet werden kann. Es ist auch richtig, die Touristen für die Nutzung eines der weltweit führenden öffentlichen Nahverkehrsnetze mit den Vollkosten zu beteiligen. Die Touristenkarte zu einem Preis von 6,10 € ist auch heute noch nicht kostendeckend und wird deshalb vom Berliner Steuerzahler subventioniert. Ist das sozial gerecht? Oder ist es sozial gerecht, wenn Studenten mit erstem Wohnsitz in Berlin, die, aus welchen Gründen auch immer, nicht an einer Berliner oder Brandenburger Universität, sondern anderswo in der Bundesrepublik Deutschland studieren müssen und einen deutschen Studentenausweis besitzen, bei BVG und S-Bahn keine Monatskarten oder 7-TageKarten für Auszubildende erwerben können?

[Christian Gaebler (SPD): Wenn die woanders studieren, warum sollen die das dann bekommen?]

Ja, das fragen Sie sich mal, ich werde Ihnen das nachher noch einmal erklären, Herr Gaebler! In einer Privataudienz!

[Och! von der SPD]

Es geht um die Studenten, die den ersten Wohnsitz in Berlin haben. Die werden sich sicher auch öfter hier aufhalten. Denken Sie mal in Ruhe nach!

Bei den Regelungen zum Sozialticket und Geschwisterticket, die Sie zu Recht unter die Lupe nehmen und ausbauen und beibehalten wollen, gehört meiner Ansicht nach die Gruppe der Studenten, die ich überwiegend zu den nichtreichen Einwohnern der Stadt zähle, unbedingt dazu.

Noch eine Bemerkung zur sozialen Gerechtigkeit und Ihrem zwiespältigen Umgang damit. Für wie sozial gerecht halten Sie es eigentlich, dass zum Beispiel eine alleinstehende Mutter mit einem kleinen Kind, die in der ab dem Jahr 2008 geltenden Umweltzone wohnt und sich aus sozialen Gründen kein neues, schadstoffarmes Auto leisten kann, es jedoch zur Bewältigung ihrer täglichen Tagesabläufe Kindergarten, Einkaufen, Arbeiten dringend benötigt, ab dem 1. Januar 2008 kalt enteignet wird und das Fahrzeug nicht mehr bewegen darf? – Darum kümmern wir uns, zum Beispiel in unserem Antrag zur Umweltzone.

[Zuruf von Christian Gaebler (SPD)]

Ich würde mich freuen, Herr Gaebler, wenn Sie nicht nur Zwischenbemerkungen machen würden, sondern wenn Sie bei der Behandlung unseres Antrags die gleichen Maßstäbe an soziale Gerechtigkeit stellen würden, wie Sie das ansonsten bei sich machen.

[Beifall bei der CDU]

Generell kommen wir nicht an der Erkenntnis vorbei, dass öffentliche Verkehrsunternehmen im Wesentlichen über die Fahrgeldeinnahmen die Wirtschaftlichkeit ihrer Unternehmen sichern müssen. Deshalb müssen verstärkte Anstrengungen unternommen werden, neue Kunden für den öffentlichen Nahverkehr zu erschließen.

Aus meiner Sicht könnten noch mehr Kraftfahrzeugnutzer zum Umsteigen in den ÖPNV gewonnen werden, wenn die Verknüpfungen der Verkehrsträger verbessert und die Umsteigemöglichkeiten kundenfreundlicher gestaltet würden. Bei den Verknüpfungen von Verkehrsverbindungen denke ich zum Beispiel an den Anschluss der U 3 an die S-Bahn am Mexiko-Platz, so wie wir das nach der Wende in Pankow mit der U 2 oder an der Warschauer Brücke mit der U 1 gemacht haben. Das hat Fahrgäste gebracht!

Weiter denke ich an eine erhebliche Vergrößerung des P+R-Platz Angebots. Solche Parkangebote müssen durch finanzielle Anreize wie Parkkostenerstattung oder andere Bonussysteme begleitet und damit attraktiv gestaltet werden.

Nicht zuletzt müssen Nutzer der Deutschen Bahn im Fernverkehr ohne zusätzliche Kosten ihr Fahrziel im gesamten Tarifgebiet AB erreichen können und nicht beim Aus- oder Umsteigen auf dem Bahnhof Spandau noch ein S-Bahn-Ticket für die Weiterfahrt kaufen müssen.

Wenn das alles zu einer weiteren Steigerung der Fahrgastzahlen führt, sind moderate und sozial verträgliche Fahrpreise machbar. Denn Fahrpreisfestsetzungen sind bei aller Wertschätzung von Sozial- und Verkehrspolitikern, von denen ich auch einer bin, in erster Linie eine wirtschaftliche Entscheidung der im Verkehrsverbund zusammengeschlossenen Unternehmen. Das sollte auch die Politik nie aus den Augen verlieren. – Ich danke für die Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der CDU]

Vielen Dank, Herr Ueckert! – Für die Fraktion der Grünen hat jetzt das Wort die Abgeordnete Frau Hämmerling. – Bitte sehr!

[Christian Gaebler (SPD): Eigentlich ist erst die Linksfraktion an der Reihe!]

Entschuldigung! Ich sehe, vor Frau Hämmerling spricht Frau Matuschek von der Linksfraktion. – Bitte entschuldigen Sie!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Ueckert! Da haben Sie aber lange gesucht, bis Sie irgendetwas Kritisches gefunden haben, um nicht die Regierungskoalition einmal in der Umsetzung der Koalitionsvereinbarung würdigen zu müssen. Das wäre zum Beispiel angebracht gewesen!

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Der Nahverkehr gehört zur öffentlichen Daseinsvorsorge, da sind wir uns alle einig. Investitionen in den Nahverkehr generieren einen fünf- bis siebenfach höheren Nutzen, als die Kosten betragen. Der Berliner Nahverkehr ist gut, aber es gibt noch Potenzial, um ihn zu verbessern. Zu diesem Potenzial gehören die sogenannten, bisher 23 Prozent der Berliner Bevölkerung ausmachenden Gelegenheitskunden, die den Nahverkehr weniger als vier Mal im Monat nutzen. Es gibt auch eine hohe Anzahl von Berlinerinnen und Berlinern, die den Nahverkehr überhaupt nicht nutzen. Davon sitzen augenscheinlich auch einige hier im Parlament. Darüber hinaus existiert eine erfreulich hohe Anzahl von Stammkunden im Nahverkehr, die zwar die Vorteile zu schätzen wissen, sich jedoch nicht immer als König Kunde behandelt fühlen. Bedauerlicherweise kann sich jedoch auch eine relativ große Anzahl von Menschen die Bus- und Bahnfahrt aus finanziellen Gründen nicht leisten. Das Einkommensniveau in

Berlin entspricht eben nicht dem in der Bundesrepublik durchschnittlich erzielten Einkommen, sondern liegt bei weitem darunter.

Das alles sind für uns Gründe, die Fahrpreisentwicklung immer wieder politisch zu beleuchten und entsprechende Schlussfolgerungen zu ziehen, die an die Akteure in der Verkehrspolitik – das sind die Verkehrsunternehmen, das ist der Verkehrsverbund – weitergegeben werden müssen. Obwohl wir nicht an der Kompetenz für die Preiskalkulationen teilhaben, ist die politische Rahmensetzung sehr wohl in unseren Händen. Dieser Verantwortung wollen wir uns auch stellen.

Dafür gibt es Spielräume, die folgenden Zahlen belegen das. Die Kostendeckung durch Fahrgelderträge liegt im Bundesdurchschnitt bei den Verkehrsunternehmen bei 43 Prozent, im Osten bei 37 Prozent. In Berlin beträgt diese Zahl ca. 50 Prozent, ist also überdurchschnittlich gut. Berlinerinnen und Berliner sind überdurchschnittlich positiv zum ÖPNV eingestellt. Allerdings ist die Einkommenshöhe für die Nutzung des Nahverkehrs unmittelbar preisrelevant.

Deswegen haben wir jedes Jahr eine monatelange Diskussion um die Fahrpreisveränderungen. Es kommt also darauf an, die günstige Grundstruktur der Fahrpreise im Berliner Nahverkehr so zu ergänzen, dass bisher noch nicht erschlossene Nutzergruppen Anreize erfahren, den Nahverkehr zu nutzen. Nach Angaben des ADAC betragen die Kosten pro Kilometer für einen Autofahrer durchschnittlich 14,5 Cent. Im Berliner Stadtgebiet sind es sicherlich ein wenig mehr, aber nicht mehr als 16 oder 17 Cent pro Kilometer. Wenn man das als Richtwert für eine Preisberechnung nimmt, die ein Autofahrer anstellt, wenn er die Wahl zwischen Auto und Nahverkehr hat, dann weiß man, wie groß die Spielräume sind, um auf die Entscheidung Einfluss zu nehmen.

Wir haben in unserem Antrag einige Vorschläge gemacht, und wir wollen das ergänzen. Z. B. zur Fahrtenhäufigkeit, ab wann sich eine Monatskarte für den Einzelkunden rechnet; es sind im Bundesdurchschnitt 26 Fahrten pro Monat. Es gibt Ballungsräume, für die die Zahl 20 beträgt. In Berlin liegt sie bei über 30. Hier sagen wir: Stammkunden müssen spüren können, dass sie Stammkunden sind. Wenn der Chef der BVG sagt, Jahreskartenbenutzerinnen und -benutzer sind für ihn relativ uninteressant im Vergleich zu Monatskartenkäufern, ist das eine Äußerung, die wir so nicht stehenlassen können. Da müssen wir ihn in die Schranken weisen.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD]