Von all diesen Alarmanzeichen bleibt der Senat offensichtlich völlig unbeeindruckt. Die Überbelegung und der personelle Engpass sind seit Jahren bekannt – Konsequenzen hat der Senat daraus bislang nicht gezogen. Einzige Reaktion sind Einzelfallmaßnahmen, die einzelne
Missstände beseitigen, an der Gesamtsituation aber nichts zu ändern vermögen. Deswegen fordern wir für den Berliner Strafvollzug ein Sofortprogramm, die unstreitig bestehenden Missstände müssen strukturiert und mit einem stimmigen Gesamtkonzept begegnet werden, nicht wie in der Vergangenheit mit bloßen Einzelfallmaßnahmen.
Die CDU hat daher ein Sofortprogramm für den Berliner Strafvollzug vorgelegt und fordert die Justizsenatorin auf, neben einem Einstellungskorridor für den Allgemeinen Vollzugsdienst, den Bau der Haftanstalt in Heidering vorzuverlegen, durch eine unabhängige Kommission die Sicherheitszustände in den Justizvollzugsanstalten und Gerichten überprüfen zu lassen, ggfs. vorbeugende Maßnahmen zur Vermeidung von Meutereien in den Haftanstalten zu treffen, die räumlichen und personellen Voraussetzungen für eine Trennung von Strafvollzug und getrennter Sicherungsverwahrung in den Haftanstalten zu schaffen, die Informationspolitik der Senatsverwaltung zur Bekanntgabe besonderer Vorkommnisse und von Suiziden zu überdenken, die Teilprivatisierung in den Haftanstalten zu prüfen, eine engere Zusammenarbeit der Haftanstalten und privatwirtschaftlicher Unternehmen zu fördern und zu unterstützen und Informationstage in den Haftanstalten für die Bevölkerung und insbesondere für Schulklassen einzurichten.
In den kommenden Jahren wird vor allem in der JVA Tegel eine erhebliche Anzahl von Mitarbeitern in den Ruhestand gehen. Die ohnehin enge Personalbesetzung wird dadurch noch problematischer werden, den eigentlichen Aufgaben der Haftanstalten kann man damit nicht mehr gerecht werden. Neben einem Verwahrvollzug wird weiteres nicht mehr stattfinden, von Resozialisierung keine Rede mehr. Der Senat muss die Verantwortung dafür übernehmen, die Mitarbeiter im Vollzugsdienst unter diesen Bedingungen weiter tätig werden zu lassen, und er muss auch die Verantwortung für eventuelle Missstände, Meutereien oder Situationen, wie wir sie kürzlich erlebt haben, dass mehrere Justizwachmeister bei einem Angriff eines Gefangenen verletzt werden, übernehmen.
Die CDU-Fraktion unterstützt den Bau der Haftanstalt Heidering – zur Entlastung der Überbelegungssituation können 650 zusätzliche neue Haftplätze beitragen. Erforderlich ist allerdings, den Bau der Haftanstalt von 2010 auf 2008 vorzuverlegen.
Mit der Umsetzung dieser Maßnahmen ist es möglich, die Missstände in den Berliner Haftanstalten zumindest zu einem Teil zu entschärfen, den Aufgaben der Haftanstalten wieder nachzukommen und auch für die Mitarbeiter ein annehmbares Arbeitsklima zu schaffen.
Vielen Dank, Frau Kollegin Seibeld! – Für den Senat hat das Wort die Senatorin für Justiz erbeten. – Bitte, Frau Senatorin von der Aue!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Berliner Justizvollzug befindet sich gegenwärtig in einigen Bereichen in einer schwierigen, teilweise auch in einer angespannten Situation. Die Verhältnisse gerade in den geschlossenen Anstalten sind aufgrund der Überbelegung und des deutlichen Abbaus von Personal in den vergangenen Jahren nicht einfach. Über diese Probleme muss diskutiert werden, es darf auch gerne – wie in zahlreichen Erörterungen im Rechtsausschuss – kritisch nachgefragt werden.
Ich gehe diese Probleme an, ich habe Maßnahmen zur Entlastung veranlasst, und ich bin offen für konstruktive und an der Sache ausgerichtete Vorschläge oder Anregungen. Diese Debatte muss weitergeführt werden. Was ich aber nicht zulassen werde, ist, dass die gute und äußerst engagierte Arbeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ort in den Anstalten durch die Verbreitung von Polemik und Unwahrheiten diffamiert wird.
Bedauerlicherweise erschöpft sich der vorliegende Antrag der CDU-Fraktion in weiten Teilen genau darin. Er zeichnet ein verzerrtes Bild der Verhältnisse vor Ort. Denn trotz aller Schwierigkeiten wird durch die verantwortungsvolle Arbeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Berliner Justizvollzuges ein behandlungsorientierter, guter und – auch das ist mir wichtig – sicherer Vollzug in Berlin gewährleistet.
Richtig ist, dass in den vergangenen Jahren, wie in allen Bereichen des öffentlichen Dienstes in diesem Land, auch im Justizvollzug Stellen abgebaut werden mussten. Dies ist ein schwieriger und auch schmerzhafter Prozess, insbesondere dann, wenn parallel dazu die Anzahl der Gefangenen steigt. Gerade gestern bin ich mit den Mitgliedern des Rechtsausschusses in der Jugendstrafanstalt Berlin gewesen, wo diese Thematik besonders deutlich und eindrucksvoll geschildert worden ist. Aber zur ganzen Wahrheit gehört auch, dass Berlin vor einigen Jahren auch im Justizvollzug deutlich besser ausgestattet gewesen ist als die anderen Länder. Diese Zeiten sind vorbei. Die personelle Ausstattung des Justizvollzugs in Berlin ist mittlerweile schlechter als die in Hamburg und nur noch wenig besser als im Bundesdurchschnitt. Nun gilt es, die gute Arbeit mit dem vorhandenen Personal weiterzuführen. Der bereits eingeleitete Prozess der Umstellung auf die veränderten Bedingungen muss weitergehen. Dazu gehört für mich zum Beispiel die Einführung des neuen IT-Programmes BASIS.web in den Anstalten, das zur Vereinfachung von Abläufen führen wird. Damit sind wir
auf einem guten Weg. Aber auch die Gespräche mit den Personalvertretungen über flexiblere Arbeitszeiten in den Anstalten müssen erfolgreich fortgesetzt werden.
Natürlich fällt es Ihnen, meine Damen und Herren von der CDU, leicht, Personal zu fordern, denn Sie stehen nicht in der Gesamtverantwortung. Genau diese Politik aber hat zur desolaten Lage Berlins geführt, genau diese Politik hat nun zur Konsequenz, dass wir den Haushalt konsolidieren müssen, was zum Teil schmerzhafte Folgen hat. Das ist eine Gesamtaufgabe des Senats. Dazu muss jeder Bereich seinen Beitrag leisten, auch die Justiz und der Justizvollzug. Das ist nicht einfach, aber dazu gibt es keine Alternative.
Natürlich fällt es Ihnen leicht, die Vorverlegung des Baubeginns der neuen Anstalt zu fordern. Denn Sie sind nicht gebunden an gesetzliche und haushaltsrechtliche Vorgaben für solche Vorhaben. Aber anstatt solche Luftschlösser zu fordern, werden in der Realität zur Verringerung der Überbelegung tatsächlich Maßnahmen ergriffen. Die Jugendstrafanstalt erhält durch Umstrukturierungen sukzessive zusätzlich etwa 90 Haftplätze. Die durch die Verlagerung des Justizvollzugskrankenhauses freigezogenen Bereiche werden für den Männervollzug genutzt werden können.
Ganz entschieden muss ich dem von der CDU gezeichneten Szenario eines unsicheren, von Meutereien, Ausbrüchen und Fluchten bedrohten Berliner Justizvollzugs entgegentreten.
Auch wenn es natürlich immer wieder zu schwierigen Situationen, auch zu Entweichungen und anderen Vorkommnissen kommt, belegen die Zahlen eindeutig: Der Berliner Justizvollzug ist in den letzten Jahren sicherer geworden. All das, was die CDU hier fordert, gibt es längst. Es gibt seit Jahren ausführliche, differenzierte und hoch professionelle Sicherheitskonzepte für alle geschlossenen Anstalten. Es finden regelmäßig Übungen mit der Polizei statt. Dass der Vollzug sicherer geworden ist, kann man auch daran erkennen, dass entgegen aller Polemik die Zahl der Ausbrüche, das heißt die Fluchten aus geschlossenen Anstalten, so niedrig ist wie noch nie zuvor. Seit 2001 ist dies maximal einmal im Jahr geschehen. Übrigens, noch im Jahr 2000 ist acht Gefangenen aus geschlossenen Anstalten die Flucht gelungen, damals lag die Verantwortung für die Justiz bei der CDU. Im Übrigen sage ich das vorwurfsfrei.
Auch die Zahl der Missbräuche ist völlig anders als in der öffentlichen Debatte und vor allem immer wieder von Ihnen, meine Damen und Herren von der CDU, dargestellt, seit Jahren rückläufig. Nur eines ist deutlich angestiegen: die teilweise verantwortungslose Skandalisierung von Vorfällen, wie sie im Justizvollzug nie gänzlich zu vermeiden sind, unabhängig davon, welche Partei die Verantwortung für diesen schwierigen Bereich trägt. Dies
Meine Damen und Herren von der CDU! Hören Sie endlich auf, die Arbeit des Berliner Justizvollzugs vorsätzlich und wahrheitswidrig schlechtzureden! Hier wird professionell sehr systematisch und hoch engagiert gut gearbeitet. Natürlich gibt es seit Jahren die von Ihnen heute merkwürdigerweise geforderte getrennte Unterbringung von Sicherungsverwahrten. Besuchen Sie die JVA Tegel, gehen Sie in die Teilanstalt V, dort gibt es sie.
Die Zahlen widersprechen dem von Ihnen erweckten Eindruck, der Berliner Justizvollzug sei unökonomisch und schlechter organisiert als in anderen Ländern. Die Tageskosten in Berlin, das heißt die Kosten pro Gefangenem und Tag, liegen im Bundesdurchschnitt. Das heißt, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Berliner Justizvollzug gehen, anders als von Ihnen behauptet, sehr wohl verantwortlich mit den Ressourcen um.
Anders als von der CDU immer wieder und so auch in diesem Antrag gefordert, lehnt diese Regierung eine Privatisierung des Justizvollzugs ab.
Es gibt keinen Bereich in dieser Gesellschaft, in dem in die Grundrechte von Menschen derart massiv eingegriffen wird, wie in Justizvollzugsanstalten. In diesem äußerst grundrechtssensiblen Bereich verbietet es sich, zentrale Aufgaben an Private zu vergeben. Wir wollen keine Privatgefängnisse wie in den USA, denn wir wissen, dass unsere gut ausgebildeten und qualifizierten Justizbeamten diese Aufgaben besser erfüllen und – auch das belegen die Zahlen – auch nicht teurer sind. So liegen beispielweise die Tageshaftkosten in Berlin unter denen in Hessen, einem Land, das von der CDU stets als vorbildlich bei der Privatisierung gerühmt wird. Der Berliner Justizvollzug arbeitet seit Jahren in geeigneten Bereichen mit Privaten zusammen, so bei der Versorgung von Gefangenen und im Arbeitswesen. Dies soll maßvoll ausgeweitet werden. Dazu benötigen wir nicht diesen CDU-Antrag, das ist längst Realität.
Lassen Sie uns über den Justizvollzug sachlich diskutieren. Dies gebietet der Respekt vor den Menschen, die jeden Tag in den Anstalten vor Ort das schwierige und für unsere Gesellschaft äußerst wichtige Geschäft des Strafvollzugs betreiben. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit!
Vielen Dank, Frau Senatorin von der Aue! – Für die SPDFraktion hat jetzt das Wort der Herr Abgeordnete Kohlmeier – bitte!
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn man die Begründung des CDU-Antrags durch die Kollegin Seibeld Revue passieren lässt, dann klingt es so, als seien im Berliner Strafvollzug die verfassungsmäßigen Rechte nicht mehr gewährleistet.
Es ist mitnichten so, dass der Berliner Vollzug ohne eine Rettungsaktion der CDU vor einem Kollaps steht. Der Strafvollzug ist in einer nicht einfachen Situation. Mit einer Kampagne getarnt als Sofortprogramm für die Berliner Justiz diskreditiert die CDU-Fraktion die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Vollzug,
die dort jeden Tag eine schwierige Aufgabe erledigen und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die unter finanziell schwierigen Bedingungen Dienst für die Gesellschaft tun.
Wider besseres Wissen wird der Vollzug von Ihnen schlechtgeredet, die Arbeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter diskreditiert und werden falsche Behauptungen aufgestellt. Das von Ihnen vorgelegte Sofortprogramm ist nicht mehr als ein One-Night-Stand, es ist kurzweilig, flüchtig und wenn man nicht aufpasst richtig teuer.
Aufgabe des Strafvollzugs ist die Resozialisierung, Aufgabe des Jugendstrafvollzugs die Erziehung der jugendlichen Gefangenen. Wenn man sich Ihren Antrag und insbesondere die lange Begründung durchliest, stellt man fest, dass Sie weder verstanden haben, noch politisch und rechtlich verstehen wollen, wie Strafvollzug eigentlich funktioniert. Dass Sie nun andauernd in diesem Haus Themen der Grünen übernehmen und als eigene Anträge einbringen, haben wir mittlerweile verstanden. Dass Sie aber im Gegensatz zum Kollegen Benedikt Lux die Arbeit des Berliner Strafvollzuges noch nicht einmal verstanden haben, zeigt der von Ihnen vorgelegte Antrag.
Sie fordern 200 neue Stellen, ab 2009 sogar 300. Dafür soll es einen Einstellungskorridor geben. Es ist aber so – das ist eine Besonderheit, die der Haushalt zugesteht –, dass es bereits einen Einstellungskorridor gibt.
Und dieser Einstellungskorridor liegt überhaupt nicht im Interesse des Justizvollzugs, da er an Einsparungen von Personalmitteln gebunden ist. – Sie liegen mit Ihrer Einschätzung, dass Neueinstellungen unvermeidlich sind,
ganz klar auf der Linie der Justizsenatorin. Sie hat es eben noch einmal deutlich gemacht. Es redet auch niemand schön, dass die Bedingungen und insbesondere die Personaleinsparungen im Vollzug spürbar sind. Doch wenn Sie sich selbst ganz tief in die Augen schauen, war dies notwendig, und zwar nicht, weil die Justiz gern Sparopfer sein möchte, sondern weil Sie das Land Berlin in eine desaströse Haushaltslage gebracht haben.
Es wird Neueinstellungen im Vollzug geben müssen, schon um den verfassungsgemäßen Ansprüchen aus dem neuen Jugendstrafvollzugsgesetz zu entsprechen. Und es wird mit der Ausbildung der Beamten für den Betrieb der neuen JVA Heidering begonnen. Ich freue mich, wenn Sie die Justizsenatorin bei ihrem Bemühen um mehr Mittel für den Strafvollzug unterstützen wollen. Das sollten Sie dann aber auch tatsächlich tun.
Sie rennen seit mittlerweile einem halben Jahr durch das Land und fordern für jeden Bereich der Berliner Verwaltung Neueinstellungen. Sie müssen aber auch sagen, wo diese Mittel herkommen sollen. Wollen Sie bei der Sanierung von Schulen, bei der Sanierung von Straßen oder beim Jugendschutz sparen? Wir werden in den Haushaltsberatungen im Rechtsausschuss sehen, wie ernst es Ihnen tatsächlich mit dem Berliner Vollzug ist.
Wider besseres Wissen – darauf hat die Justizsenatorin gerade hingewiesen – stellen Sie die Behauptung auf, dass es eine Sicherheitsgefährdung in den Vollzugsanstalten gibt. Seit zehn Jahren ist der niedrigste Stand der Ausbrüche aus den Justizvollzugsanstalten zu verzeichnen. Die Zahl der fehlgeschlagenen Vollzugslockerungen liegt bei 0,11 Prozent. Das ist der niedrigste Wert seit 1986. Das sind Tatsachen, die auch von Ihnen zur Kenntnis zu nehmen sind, die Sie aber anscheinend nicht zur Kenntnis nehmen wollen.