Protocol of the Session on May 10, 2007

Wider besseres Wissen – darauf hat die Justizsenatorin gerade hingewiesen – stellen Sie die Behauptung auf, dass es eine Sicherheitsgefährdung in den Vollzugsanstalten gibt. Seit zehn Jahren ist der niedrigste Stand der Ausbrüche aus den Justizvollzugsanstalten zu verzeichnen. Die Zahl der fehlgeschlagenen Vollzugslockerungen liegt bei 0,11 Prozent. Das ist der niedrigste Wert seit 1986. Das sind Tatsachen, die auch von Ihnen zur Kenntnis zu nehmen sind, die Sie aber anscheinend nicht zur Kenntnis nehmen wollen.

Wider besseres Wissen behaupten Sie, es gebe keine Voraussetzungen für die Sicherungsverwahrung. Die Senatorin hat gerade richtigerweise dargestellt, dass es in der JVA Tegel einen gesonderten Bereich für Sicherungsverwahrte gibt.

Wider besseres Wissen fordern Sie Informationstage. In der JVA Hakenfelde gibt es einen Tag der offenen Tür, und in Tegel gab es im letzten Jahr 86 Besuchstage.

Sie stellen in Ihrem Antrag Ungenauigkeiten und falsche Einschätzungen dar, um die Berliner Öffentlichkeit über den Zustand des Vollzugs zu täuschen. Aber wenn man den Antrag umblättert, kommt auf Seite 2 ein Vorschlag, über den man diskutieren kann – zur Privatisierung der Justizvollzugsanstalten. Aber die Behandlung der Gefangenen und die Gewährleistung der Sicherheit in den Anstalten sind Kernaufgaben des Staates. Sie dürfen aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht privatisiert werden. Die rot-rote Koalition hat das auch in ihre Koalitionsvereinbarung geschrieben. In diesem Fall gilt: Lesen hilft.

Mit Rot-Rot wird es keine Privatisierung der Justizvollzugsanstalten geben.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Wie „erfolgreich“ eine Privatisierung ist, kann man zudem an der JVA Hünefeld erkennen. Dort wurde weder die Beschäftigungsquote der Gefangenen von durchschnittlich 70 Prozent erreicht noch Einsparungen in Höhe von 660 000 €. Die Teilprivatisierung in Hessen ist mittlerweile eine finanzielle Katastrophe für den hessischen Steuerzahler. Das wollen wir im Land Berlin nicht haben.

Die Situation in den Berliner Anstalten kann in bestimmten Bereichen, insbesondere hinsichtlich der Überbelegung, durchaus als grenzwertig bezeichnet werden, aber es ist nicht so, dass es im Vollzug keine positiven Veränderungen gibt. Gerade wurde das neue Haftkrankenhaus in Betrieb genommen. Wir bauen eine neue Justizvollzugsanstalt mit 180 Plätzen, und der offene Vollzug in Düppel wird saniert. Mit dem neuen Jugendstrafvollzugsgesetz wird das Land Berlin die Voraussetzungen dafür schaffen, dass das Gesetz in den Anstalten finanziell und personell ordentlich und insbesondere verfassungsgemäß umgesetzt werden kann. Das heißt auch, dass die Mittel für das Personal vom Finanzsenator bereitgestellt werden müssen.

Sie schlagen mit Ihrem Antrag einen falschen Weg ein. Sie wollen den Berliner Vollzug nicht verbessern, Sie wollen ihn „verschlimmbessern“.

Zum Abschluss komme ich noch einmal auf meinen Eingangsvergleich zurück: Zwischen Ihrem Antrag und einem One-Night-Stand gibt es tatsächlich einen Unterschied: Bei einem One-Night-Stand gibt es meistens einen Höhepunkt, in Ihrem Antrag überhaupt keinen.

[Beifall bei der SPD – Sebastian Kluckert (FDP): Haben Sie da Erfahrung?]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Kohlmeier! – Für die Fraktion der Grünen hat jetzt das Wort der Abgeordnete Behrendt.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Stellen Sie sich einmal vor, Sie sind mit einem wildfremden Menschen in einer Zelle eingesperrt, die die Ausmaße von zwei mal drei Metern hat. Stellen Sie sich dann noch vor, mitten in dieser Zelle befindet sich ein Toilettenbecken, das Sie beide benutzen müssen.

[Gelächter von Michael Dietmann (CDU)]

Sie sind dort für 23 Stunden am Tag eingesperrt.

[Warum? von der CDU]

Ich wusste, dass diese Frage aus Ihrer Fraktion kommen würde. Solche Zustände herrschen in der Berliner Vollzugsanstalt Moabit. Und dort – das sollte auch die CDU-Fraktion wissen – sind noch keine verurteilten Straftäter untergebracht, sondern es handelt sich um die Untersuchungshaft. Und in der CDU gibt den einen oder anderen, der dort schon einmal eingesperrt war. Vielleicht können Sie bei den Kollegen Wienhold und Neuling einmal nachfragen, wie es sich anfühlt, dort eingesperrt zu sein. [Beifall bei den Grünen – Zurufe von der CDU]

Diese Unterbringung, auch wenn es die Kollegen Wienhold und Neuling betrifft, ist unmenschlich. Deshalb hat das Kammergericht bereits vor zwei Jahren entschieden, dass eine solche Unterbringung nicht nur rechtswidrig, sondern verfassungswidrig ist.

Geschehen ist seitdem sehr wenig. Im Winter teilte uns die Senatsverwaltung für Justiz mit, dass die Anzahl der so in der JVA Moabit untergebrachten Gefangenen innerhalb dieser zwei Jahre annähernd gleich geblieben ist. Das ist ein Armutszeugnis. Es stellt sich die Frage: Wie wollen wir die dort untergebrachten Menschen im Vollzug zu rechtstreuem Verhalten anhalten, wenn wir selbst im Vollzug die Gesetze derartig brechen? Das kann nicht gut gehen.

Um diese Zustände zu ändern, würde ich bei den Verantwortlichen gern einen innerlichen Aufruhr spüren, eine Unruhe, dass sie in jeder freien Minute an nichts anderes mehr denken. Hier ist die Überschrift der CDU genau richtig: Dafür ist ein Sofortprogramm notwendig. Aber um diese Missstände in den Berliner Justizvollzugsanstalten endlich abzustellen, kann ich bei den Verantwortlichen der Justizverwaltung nicht sehr viel erkennen und leider auch bei Ihnen nicht, Frau Senatorin. Es fehlt ein entschlossenes und zügiges Handeln.

[Beifall bei den Grünen – Dr. Fritz Felgentreu (SPD) meldet sich zu einer Zwi- schenfrage.]

Herr Abgeordneter Behrendt! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Felgentreu?

Von Herrn Felgentreu gern!

Herr Kollege Behrendt! Sind denn die Grünen jetzt bereit, durch „entschlossenes und zügiges Handeln“ den Neubau einer Justizvollzugsanstalt zu unterstützen, um die verfassungswidrigen Zustände im Strafvollzug so schnell wie möglich zu beseitigen?

Ich habe vermutet, dass Sie das fragen wollen. Ich wollte gerade zu den Abhilfevorschlägen überleiten, die Bündnis 90/Die Grünen zu diesen Zuständen zu unterbreiten haben. Es kann nicht angehen, Herr Kollege Felgentreu, dass Sie den Gefangenen, die heute und morgen derart verfassungswidrig untergebracht sind, auf eine Justizvollzugsanstalt verweisen, die Sie erst im Jahr 2011 oder sogar 2012 eröffnen. Dieser Zustand kann nicht noch fünf Jahre andauern.

[Beifall bei den Grünen]

Deswegen haben wir bessere Abhilfevorschläge unterbreitet. Sie wurden auch in der Presse veröffentlicht. Der Kollege Lux hat auch noch einmal über Ostern in der Presse Vorschläge gemacht. Wir müssen endlich dafür sorgen, dass wir nicht mehr bundesweit Schlusslicht bei der sogenannten Zweidrittelentlassung sind. Berlin entlässt zu viele Gefangene viel zu spät. Das ist eine der Ursachen für die Missstände und die Überbelegungen in den Strafvollzugsanstalten. Rechtlich hat jeder Strafgefangene einen Anspruch darauf, dass nach zwei Dritteln der Verbüßung geprüft wird, ob er nicht bereits entlassen werden könnte. Berlin ist bei diesen Überprüfungen Schlusslicht. Wir entlassen nicht einmal die Hälfte von dem, was bundesweit üblich ist. Deswegen haben wir diese Zustände.

Es ist mitnichten so – was zum Teil suggeriert wird –, dass die Verwaltung nichts unternehmen kann. Es ist zwar richtig, dass die Strafvollstreckungskammern in richterlicher Unabhängigkeit darüber entscheiden, aber die Gefangenen werden viel zu unzureichend darauf vorbereitet, dass diese Entscheidung getroffen werden kann. Weil es zu wenig Betreuung gibt, weil es zu wenig Vollzugslockerung gibt, weil es zu wenig Ausgänge gibt, können die Gefangenen sich überhaupt nicht bewähren, um bei der Zweidrittelprüfung vorzeitig entlassen zu werden. Hierauf sollte man ein Augenmerk legen. Hier sollte man dringend Abhilfe schaffen.

[Beifall bei den Grünen]

Es ist auch mitnichten so, dass nur wir Grünen diese Ideen haben. Diese Ideen werden auch vom Deutschen Richterbund vorgebracht. – Ich hatte vor kurzem eine Diskussion mit dem Berliner Landesvorsitzenden des Deutschen Richterbundes, der – ebenfalls Altrichter einer Strafvollstreckungskammer – berichtete, dass die Vorbereitung in den Anstalten unzureichend sei. – Das sind Forderungen, die von der Strafverteidigervereinigung erhoben werden. Und selbst der Berliner Vollzugsbeirat, der sich im letzten Jahr sehr intensiv damit beschäftigte, hat gesagt, hier gebe es erheblichen Nachholbedarf, hier müsse dringend etwas passieren.

[Beifall bei den Grünen]

Damit komme ich auf die angespannte Personalsituation im Berliner Vollzug. Es mutet eigenartig an, dass vonseiten der SPD hier eingewandt wird, dass allein die CDU an der Haushaltsnotlage des Landes Berlin Verantwortung trage. Soweit ich mich erinnere, hat die SPD alle, aber

auch wirklich alle Entscheidungen in den 90er Jahren mitgetragen, die zu dieser Haushaltsnotlage geführt haben. Deswegen ist es ein wenig geschichtsvergessen, wenn heute so getan wird, als wenn es allein die CDU gewesen wäre.

[Beifall bei den Grünen – Beifall von Volker Thiel (FDP)]

Die angespannte Personalsituation im Berliner Vollzug ist angesprochen worden. Dort sollten wir bei den anstehenden Haushaltsberatungen sehr genau prüfen, ob nicht bei den vorgenommenen Einsparungen über das Ziel hinausgeschossen und im Einzelfall überzogen wurde, damit der Vollzug weiterhin seine Aufgaben erfüllen kann. Denn dessen Aufgaben zielen darauf ab, dass die Gefangenen ein Leben ohne Straftaten führen können. Hierfür brauchen wir Personal zur Betreuung während der Haft und zur Vorbereitung der Entlassung. Hier sollte man bei den Haushaltsberatungen prüfen, ob dort die eine oder andere Stelle notwendig ist, um die Situation in den Griff zu bekommen.

Lassen Sie uns also energisch, aber auch mit Augenmaß die bekannten Probleme im Vollzug angehen. Überzogene Dramatisierungen, wie sie zum Teil im Antrag der CDU zu finden sind, beispielsweise Warnungen vor Meutereien, nützen dabei niemandem. Aber – dies in Richtung von Ihnen, Frau Senatorin, und zu Ihnen, Herr Kohlmeier – Schönfärberei über den Zustand im Berliner Justizvollzug nützt genauso wenig. Uns Grüne haben Sie jedenfalls bei allen Schritten zur Verbesserung der Situation im Berliner Strafvollzug auf Ihrer Seite. Daran wollen wir weiterhin konstruktiv-kritisch mitwirken. – Danke schön!

[Beifall bei den Grünen]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Behrendt! – Für die Linksfraktion hat jetzt Herr Abgeordneter Dr. Lederer das Wort. – Bitte!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Situation im Berliner Strafvollzug ist schwierig. Das wissen wir. Das betrifft sowohl die Unterbringungs- als auch die Betreuungssituation. Alle Fraktionen dieses Hauses haben die Haushaltskonsolidierung gefeiert. Natürlich hat diese Haushaltskonsolidierung aber auch Konsequenzen gehabt. Der Kollege Behrendt hat recht: Man muss im Einzelnen prüfen, ob diese Konsequenzen akzeptabel sind oder nicht, dafür gibt es die Haushaltsberatungen.

Die Personaldecke beim Vollzugspersonal ist in den vergangenen zehn Jahren sehr viel dünner geworden. Seit 1996 sind 581 Stellen – und damit 13 Prozent – im Berliner Vollzug abgebaut worden. Im Gegenzug ist die Zahl der im Berliner Vollzug Inhaftierten drastisch angestie

gen. Die Entwicklung des Personals gerät trotz unserer Prioritätensetzung im Justizbereich an ihre Grenze.

Ähnlich sieht es bei der Belegung unserer Justizvollzugsanstalten aus. Die Schaffung neuer Haftplätze, die vorzeitige Entlassung von Insassen, all das verschafft uns nicht mehr die Luft früherer Jahre. Die Entspannung hält nicht lang an, wenn sie überhaupt greift.

[Özcan Mutlu (Grüne): Wer war denn hier fünf Jahre an der Regierung?]

Es gibt dazu keinen Königsweg, lieber Herr Mutlu. Hören Sie doch einfach zu, ich habe noch nicht einmal eine halbe Minute geredet. – Wir müssen unterschiedliche Lösungen koppeln, um die Situation wieder beherrschbar zu machen. Das ist völlig richtig. Rechtswidrige, verfassungswidrige Unterbringung ist kein Ruhmesblatt für diese Stadt und muss energisch angepackt und verhindert werden. Da bin ich mir an dieser Stelle mit den Grünen, aber ich glaube auch mit der SPD, total einig. Ich habe jedenfalls nichts Gegenteiliges gehört.

[Beifall bei der Linksfraktion, der SPD und den Grünen]

Erstens: Die Justizvollzugsanstalt Heidering muss möglichst schnell und reibungslos errichtet werden. Erst so erhalten wir die Chance, heruntergekommene Hafträume in älteren Anstalten zu sanieren und heutigen Ansprüchen anzugleichen. Die Überbelegungssituation ist allerdings, liebe Grüne, ohne den Bau von Heidering dauerhaft nicht in den Griff zu kriegen.

[Benedikt Lux (Grüne): Stimmt nicht!]

Frau Seibeld, ich hätte mich gefreut, wenn Sie in Ihrer Aufzählung bei den Senatorinnen und Senatoren im Justizbereich den Unglückssenator Diepgen erwähnt hätten. Denn bei ihm – da hat meine Fraktion den Bau von Heidering noch bekämpft – lagen die Planungen ganz lange in der Schublade, und es wurde nichts und wurde nichts. Immer vollständig aufzählen, wenn wir über diese Dinge reden!

Was wir aber machen können, sind Vollzugsgemeinschaften mit anderen Bundesländern. Lieber Herr Behrend, diese brauchen wir nicht erst in fünf Jahren einzuführen, das können wir relativ schnell machen.

[Dirk Behrendt (Grüne): Machen Sie!]

Das ist ein Punkt, über den wir hier ernsthaft reden müssen. Das wird Geld kosten. Ich hoffe auf die Zustimmung aller Fraktionen bei der Haushaltsberatung 2008/2009. Da muss dringend etwas passieren.