Protocol of the Session on April 26, 2007

[Beifall bei der CDU – Zuruf von Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion)]

An dieser Stelle ist es an der Zeit, den vielen engagierten Menschen in den Behörden zu danken, die die vielen Akten sichten, die sich mit den furchtbaren Schicksalen der damals unterdrückten Menschen auseinandersetzen müssen – das geht an die Psyche – und die mit viel Beratung und Information versuchen, Aufklärung zu betreiben – obwohl mir das, was in Berlin passiert, immer noch ein bisschen zu wenig erscheint.

Trotz der engagierten Tätigkeit der Mitarbeiter bei „Gauck“, „Birthler“ und „Gutzeit“ bestand leider nie die Chance zu verhindern, dass Ex-Stasis ihre Uniform gegen Nadelstreifenanzüge tauschten oder im Hawaii-Hemd unter der karibischen Sonne liegen, während sich ihre Opfer

[Gelächter von Marion Seelig (Linkspartei)]

ich weiß nicht, was es da zu lachen gibt! – mit Kleinstrenten durchs Leben schlagen müssen.

[Beifall bei der CDU und der FDP – Dr. Martin Lindner (FDP): Schweinerei!]

Ich sage Ihnen: Das tut weh!

[Beifall bei der CDU und der FDP – Uwe Doering (Linksfraktion): Wer bestreitet das denn?]

Aber das ist wohl der Preis dafür, Herr Doering, dass der Zusammenbruch des SED-Staates 1989 unblutig endete. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Danke schön, Herr Kollege Scholz! – Für die Linksfraktion hat nunmehr Frau Seelig das Wort. – Bitte schön, Frau Seelig!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bis jetzt haben wir in diesem Hause in der Aussprache über den Bericht des Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR immer sehr sachlich diskutiert. Ich bin davon ausgegangen, dass wir das auch in diesem Jahr können, in dem Jahr, in dem wir alle gemeinsam einen Beschluss eingebracht haben, die Weiterarbeit dieser Institution zu sichern. Insofern liegt uns der nunmehr 13. Tätigkeitsbericht vor, und er wird uns damit auch in den nächsten Jahren vorliegen.

Wenn Sie der Ansicht sind, dass in Berlin nicht allzu viel getan wird, so verweise ich darauf, dass es im Land Brandenburg unter Ihrem CDU-Innensenator gar keinen Landesbeauftragten für die Unterlagen der Staatssicherheit gibt. Dankenswerterweise nimmt Martin Gutzeit diese Aufgaben auch für die Brandenburgerinnen und Brandenburger mit wahr.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Wir müssen auch heute feststellen, dass dies noch notwendig ist, und zu keinem Zeitpunkt – weder auf Bundes- noch auf Landesebene – hat meine Partei, die Linkspartei, jemals einen Schlussstrich gefordert. Allein die Tatsache, dass in der Bundesbehörde im Berichtszeitraum 20 Prozent mehr Anträge auf Akteneinsicht eingegangen sind als im Jahr zuvor, macht deutlich, dass das Interesse am Stasi-Thema nicht nachgelassen hat. Dazu haben auch viele Debatten und öffentliche Versuche, die Opfer zu diffamieren, die wir in Berlin in jüngster Vergangenheit erlebt haben, beigetragen. In einer solchen Situation braucht es erst recht eines Anwaltes für die Betroffenen – dies ist der Berliner Landesbeauftragte. Seine vornehmste Aufgabe ist und bleibt es, die Opfer zu beraten, sie durch den Dschungel von Gesetzen und Institutionen zu führen, damit ein Minimum dessen, was ihnen angetan wurde, wieder gutgemacht wird.

[Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Herr Scholz! Zuhören!]

Das betrifft sowohl schwere gesundheitliche Schäden wie auch finanzielle Einbußen, insbesondere im Rentenalter. Nach wie vor sind die SED-Unrechtsbereinigungsgesetze unbefriedigend bezüglich der Zivildeportierten und der verfolgten Schüler – und mit Verlaub, was in der Bundesregierung im Moment auf dem Tisch liegt, lässt auch nicht allzu viel erhoffen.

[Stefan Liebich (Linksfraktion): Herr Scholz! Bundesregierung!]

Ich darf aber dazu sagen, dass sich insbesondere die Linksfraktion dort sehr intensiv dafür einsetzt, dass diesen Opfern Recht geschieht.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Sie als CDU hatten über Jahre die Möglichkeit, diese SED-Unrechtsbereinigungsgesetze und die Rehabilitierungsgesetze in eine Form zu bringen, die den Ansprüchen der Opfer gerecht geworden wäre. Insofern halte ich es für äußerst unfair, auf Landesebene diesen Mangel zu beklagen.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Wir sind auch der Meinung, dass die problematische Anerkennung von Gesundheitsschäden durch ein vereinfachtes Verfahren ersetzt werden soll und muss. Dazu hatten unsere beiden – damals einzelnen – Bundestagsabgeordneten einen Gesetzesantrag eingebracht, der von Ihnen nicht mitgetragen wurde. Eine medizinisch anerkannte Definition einer erweiterten posttraumatischen Belastungsstörung fehlt ebenfalls noch immer; es bleibt abzuwarten, wie sich konkret die von der Bundesregierung angekündigten Gesetzesänderungen darstellen werden. Ich hoffe, die Anhörungen, die demnächst stattfinden, werden etwas dazu beitragen, tatsächliche Fortschritte zu machen. Auf jeden Fall wird damit mehr Beratungsbedarf auf den Landesbeauftragten zukommen – in dem Fall würden wir das begrüßen.

Auch das Engagement im Bereich schulischer Bildung durch die Erstellung von Handreichungen erscheint mir im Jahre 17 nach dem Fall der Mauer eine zu würdigende Arbeit, stellen wir doch immer wieder fest, dass gerade die Verfolgungsgeschichte bei den meisten Jugendlichen nicht mehr mit der DDR assoziiert wird. Aber es gehört zur historischen Bearbeitung einer Epoche – das Wort Aufarbeitung benutze ich nicht sehr gerne, es geht mir etwas schwer über die Lippen –, und es soll möglichst auch noch mit Zeitzeugenberichten fortgesetzt werden. Ich möchte Sie ermutigen, diese Arbeit fortzuführen.

Ich wünsche dem Berliner Landesbeauftragten in dem angesprochenen Sinne viel Arbeit – wir hoffen auf Gesetzesänderungen, die tatsächlich für die Betroffenen etwas bringen –, wir freuen uns über das Engagement und wünschen Ihnen weiterhin gutes Gelingen und eine Fortsetzung Ihrer Arbeit!

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Danke schön, Frau Kollegin! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nunmehr der Kollege Otto das Wort. – Bitte schön, Herr Otto!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Gutzeit! Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist außerordentlich erfreut über die erfolgreiche Arbeit, soweit man das in diesem Zusammenhang sagen kann.

Wer den Bericht aufmerksam gelesen hat, weiß, wie viel dort gearbeitet wurde. Wenn man die Berichte, die Fall

beispiele liest, kann man nachfühlen, welche Schicksale dahinter stecken. Wenn man liest, dass jemand Schwierigkeiten hat, vor einem Gericht oder gegenüber einem Amt nachzuweisen, dass er überhaupt verfolgt wurde, dass er Gesundheitsschäden erlitten hat, dann ist er in der merkwürdigen Lage, dass ihm keiner glaubt.

Er muss das mit Schriftstücken beweisen, die es vielleicht nicht gibt, und mit Zeugen, die möglicherweise nicht zu finden sind. Das ist das Dramatische an diesen Fällen. Aber das ist nur ein Teil Ihrer Tätigkeit, Herr Gutzeit.

Ein anderer Teil ist die Unterstützung der Aufarbeitungsinitiativen und der Verfolgtenverbände. Dort wird viel ehrenamtliche Arbeit geleistet, da gibt es viel bürgerschaftliches Engagement und vor allen Dingen viel Sachkompetenz. Es ist gut, dass Sie sie über Ihren Haushalt fördern und dass das Abgeordnetenhaus das in all den vergangenen Jahren in seinem Haushaltsplan berücksichtigt hat.

Die Arbeit des Landesbeauftragten für die StasiUnterlagen – so verstehen wir das, und so ist es auch in dem Gesetz über seine Behörde angelegt – reicht aber weit über das hinaus, was sich auf die Staatssicherheit konzentriert. Uns ist wichtig, dass das ganze Feld der Aufarbeitung der SED-Diktatur berücksichtigt und durch diese Behörde eine Diskussion befördert wird, die an vielen Stellen noch zu kurz greift.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Denken Sie an aktuelle Debatten in unserer Gesellschaft, etwa daran, dass kürzlich versucht wurde, das Jahrbuch für historische Kommunismusforschung nicht erscheinen zu lassen, weil darin die These vertreten wird, dass die SED-Führung im Dezember 1989 ausgemacht hat, wer zum Sündenbock für alles erklärt werden kann, nämlich Herr Schalck-Golodkowski und die Staatssicherheit. Das hat einigen nicht gefallen. Man versucht, mit Rechtsmitteln zu verhindern, dass so etwas gedruckt werden darf. Das ist vielleicht ein Ausdruck von Kleingeist,

[Zuruf von Stefan Liebich (Linksfraktion)]

vielleicht auch von Ertappt-worden-Sein bei dem, was man geplant hatte.

Eine andere aktuelle Angelegenheit ist die Ausstellung über Antisemitismus in der DDR. Warum ist es schwierig, solch eine Ausstellung im Rathaus Lichtenberg zu veranstalten?

[Zurufe von der Linksfraktion: Es ist doch nicht schwierig!]

Ist das der Kleingeist, der dort regiert, oder ist es die Unfähigkeit zu kritischer Reflektion? In jedem Fall ist es ein Indiz dafür, wie viel Debatte und wie viel Auseinandersetzung noch notwendig sind und wie viel das Land Berlin und insbesondere der Landesbeauftragte für die StasiUnterlagen dazu beitragen müssen.

[Beifall bei den Grünen und bei der CDU– Vereinzelter Beifall bei der FDP]

In der vergangenen Woche war ich auf einer Diskussionsveranstaltung. Dort ging es um den Stalinismus. Ein Re- präsentant des Landes Berlin hat uns darüber aufgeklärt, dass es den „echten“ Stalinismus gegeben habe und dass es Unsinn sei, die späte DDR damit in Verbindung zu bringen. Sie haben das sicherlich der Presse entnehmen können. Solange es Tendenzen der Verharmlosung des Herrschaftssystems in den sozialistischen Staaten, das bis 1989 existierte, gibt, so lange brauchen wir Erforschung und insbesondere Bildungsarbeit auf diesem Gebiet.

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP – Zuruf von Dr. Klaus Lederer (Linksfraktion)]

Dafür brauchen wir Institutionen. Die des Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen hier in Berlin ist eine davon. Deshalb werden wir dafür stimmen – ich freue mich, dass auch die anderen Fraktionen es so sehen –, die Tätigkeit dieser Behörde abermals zu verlängern.

Ein letztes – praktisches – Beispiel: Heute ist Tschernobyl-Gedenktag. Alle, die das Unglück 1986 erlebt haben, können sich erinnern, dass die Regierungen in Moskau und Ostberlin versucht haben, es zu verschweigen. Selbst als in allen westlichen Zeitungen darüber berichtet wurde, haben sie behauptet, in Ostberlin seien weder die Pilze vergiftet noch müsse man vorsichtig sein, Milch zu trinken. Das sind Sachen, die in Vergessenheit geraten. Es ist unsere Aufgabe und es ist Aufgabe des Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, es ist Aufgabe der Universitäten und der Bildungseinrichtungen in Berlin, solche Erinnerungen wachzuhalten und zu vermitteln, damit keine falschen Bilder entstehen. – Danke sehr!

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der CDU und der FDP]

Danke schön, Herr Kollege Otto! – Für die FDP-Fraktion hat nunmehr der Kollege Jotzo das Wort. – Bitte schön, Herr Kollege Jotzo!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Aufklärung bedingt Verantwortung. Dieser kurze Satz ist gut geeignet, um ein wichtiges Ziel und gleichzeitig ein Ergebnis der Arbeit des Beauftragten für die Stasi-Unterlagen zu beschreiben.

Seit dem Untergang des Unrechtsregimes der SED sind 17 Jahre vergangen. Dennoch ist der Bedarf an der Aufklärung dieses Unrechts nicht erloschen. Das zeigt auch der 13. Tätigkeitsbericht des Berliner Beauftragten für die Stasi-Unterlagen ganz deutlich. 2,3 Millionen Anträge auf persönliche Akteneinsicht und 1,7 Millionen Überprüfungen von Mitgliedern des öffentlichen Dienstes sprechen

eine deutliche Sprache. Und es gibt weiter einen überwältigenden Bedarf an individueller Akteneinsicht.

Aber darin liegt nicht die wichtigste Bedeutung des Beauftragten für die Stasi-Unterlagen. Die wichtigste Aufgabe dieser Behörde ist, einer Geschichtsklitterung entgegenzuwirken, die in den letzten Jahren und besonders Monaten zur Mode geworden ist.