Protocol of the Session on October 26, 2006

Steuererhöhungen für Besserverdienende sind nötig, und diese Debatte werden wir auch der Bundesregierung nicht ersparen. Unternehmenssteuerreformen, die weiteres Geld kosten, sind nun völlig fehl am Platz und dürfen von Berlin nicht unterstützt werden. Auch bei den Steuern, die wir auf Landesebene erheben, können wir nachjustieren. Das haben wir verabredet. Das ist nicht schön, geschieht jedoch nicht ohne Sinn.

Was Berlin bietet, hat keine andere Stadt zu bieten: Die Kombination aus erschwinglichen Lebenshaltungskosten inklusive der Mieten in der Innenstadt, das Angebot und die Qualität von Wissenschaft, Kunst und Kultur, die Kita als Bildungseinrichtung, die öffentliche Mobilität und nicht zuletzt und vor allem durch Rot-Rot erlebbar gemachte Geschichte einer ehemals geteilten Stadt.

Berlin ist schnell, vielschichtig, weltoffen, sozial und tolerant – nicht auszudenken, wir würden auch noch freundlicher! Diese Mischung macht es. Die Berliner Lebensverhältnisse, die Lebensqualität, eine Stadt mit Ost-WestKompetenz: Das ist das Geheimnis der Faszination und beschreibt Berlins Alleinstellung gegenüber anderen Städten. Wenn es uns gelingt, uns im ersten Schritt unserer Stärken bewusst zu werden und im zweiten Schritt unsere Stärken zu stärken, dann ist mir um die Zukunft Berlins nicht bange. Dann können wir sagen: Wir haben verstanden, und wir nehmen die Herausforderung des Standortwettbewerbs an – sehr gern sogar.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Insofern hat es Kalkül, dass wir bei Kinderbetreuung und Bildung mehr machen als andere Städten. Deshalb haben wir uns gestern in den Koalitionsverhandlungen für die Kostenfreiheit der Kita und den Einstieg in die Gemeinschaftsschule entschieden.

Selbstverständlich werden wir beneidet, doch es ist richtig, diese Alleinstellungsmerkmale weiter auszubauen. Dafür steht die Linkspartei. Wir werden mit den Sozialdemokraten weiter verhandeln, und dann wird man sehen, ob die gemeinsame Schnittmenge auch in der schwieriger gewordenen Situation für weitere fünf Jahre Zusammenarbeit reicht. Das ist nicht sicher, aber ich bin bei dem derzeitigen Verhandlungsstand optimistisch. Und für uns gilt immer noch: Wir können regieren, aber wir müssen nicht um jeden Preis.

[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Danke schön, Frau Kollegin Bluhm! – Nun spricht für die Fraktion der FDP der Fraktionsvorsitzende, Herr Dr. Lindner. – Bitte schön!

Herr Präsident! Verehrte Damen! Meine Herren! Berlin befindet sich in einer seiner größten Haushalts- und Finanzkrisen. Die Ursachen dafür – das ist verschiedentlich angeklungen – sind durchaus vielschichtig. Das will niemand aus der Opposition verschweigen. Da gibt es kein monokausales, eindimensionales Betrachten, sondern es handelt sich um ein vielschichtiges Problem. Aber wir haben ein erhebliches Mitverschulden an diesem Urteil durch Sie, Herr Wowereit, und Ihren Senat. Das muss man an dieser Stelle auch festhalten.

[Beifall bei der FDP, der CDU und den Grünen]

Ich rede jetzt gar nicht von Ihrem selbstgefälligen „Arm, aber sexy“-Geschwafel im Ausland. Davon rede ich gar nicht.

[Zurufe]

Ich finde es übrigens ganz amüsant, wenn dieser Spruch von Abgeordneten, die neu in das Haus gekommen sind, mit diesen T-Shirts aufgenommen wird. Liebe Kollegen und Kolleginnen, ich sage Ihnen hierzu jedoch Folgendes: Die Diäten sind vielleicht nicht sehr üppig, aber sie sind doch so ausreichend, dass man sich nicht als arm deklarieren kann – von sexy gar nicht zu reden.

[Beifall bei der FDP, der CDU und den Grünen – Allgemeine Heiterkeit]

Herr Wowereit! Was glauben Sie, wie das bei Ihren Kollegen, den Ministerpräsidenten, bei der Bundeskanzlerin, bei der Bundesregierung und vor allem bei den Richtern am Bundesverfassungsgericht angekommen ist, was Sie in den letzten Wochen und Monaten vor der Entscheidung des Verfassungsgerichts aufgeführt haben? – Die Parteitage von SPD und PDS haben beispielsweise beschlossen, keinerlei Wohnungen mehr zu verkaufen, obwohl Dresden – Sachsen, auch ein neues Bundesland – vorgemacht hat, dass man das sehr wohl tun kann, um aus einer finanziellen Krise herauszukommen. Wie ist es wohl angekommen, wenn auf der einen Seite von Ihnen gefordert wird: Keine Studiengebühren! – das wurde im Wahlkampf so vorgetragen –, während auf der anderen Seite eine alleinerziehende Mutter beispielsweise in NordrheinWestfalen mit ihren Steuern das bezahlen soll, was Sie in Karlsruhe begehrten, und deren eigener Sohn oder deren eigene Tochter Studiengebühren an einer Universität in Nordrhein-Westfalen zu entrichten hat? Wie ist es wohl angekommen, wenn beispielsweise in Hessen ein Vater von drei Kindern mit den Steuern, die er bezahlt, Ihr Begehren in Karlsruhe bezahlen soll, während er gleichzeitig für seine drei Kinder etwa 300 oder 400 € monatlich an

Kosten für den Kindergarten zu bezahlen hat? – Sie glauben doch nicht im Ernst daran, dass dies dazu beigetragen hat, Verständnis für Berlin zu wecken und für den berechtigten Kern des Anliegens zu werben. Es hat vielmehr zu Verärgerung und zur Verhärtung der Fronten geführt, und daran sind Sie schuld. Sie haben das Interesse Ihrer Partei und Ihr persönliches Interesse, hier weiter in der Regierung zu sitzen, über das Interesse Berlins und des Landes gestellt. Das ist schändlich, und das ist zu verurteilen.

[Beifall bei der FDP, der CDU und den Grünen]

Sie tragen die Verantwortung dafür. Wir haben heute Morgen im Gottesdienst gehört, dass man auch als Opposition immer Teilerfolge betrachten und wertschätzen muss. Das einzig Erfolgreiche oder Schöne daran ist, dass auf diese Weise das ganze Land gesehen hat, aus welchem Holz Sie geschnitzt sind, und dass damit wenigstens Ihre bundespolitischen Ambitionen begraben wurden. Das gibt wenigstens Hoffnung für das Land, wenn sie schon dieser Stadt durch Ihre Regierungstätigkeit fehlt.

Besonders ärgerlich an dieser Vorgehensweise finde ich, dass Sie mit diesem Handeln, mit dieser Arroganz, mit diesem Attentismus und mit dieser Selbstgefälligkeit genau denjenigen in die Hände gespielt haben, die Berlin schon immer skeptisch bis ablehnend gegenübergestanden haben, den Berlinkritikern und – das kann man sagen – teilweise auch Berlinhassern in den Redaktionsstuben und unter Ihren Kollegen Ministerpräsidenten. Denen haben Sie Wasser auf ihre Mühlen gespült. Das ist genauso ärgerlich und schädlich an dieser ganzen Geschichte.

Ich appelliere aber an die Ministerpräsidenten und an die Bundesregierung und sage ganz klar: Berlin ist nicht Wowereit. Berlin ist auch nicht Rot-Rot. Wir haben einen berechtigten Anspruch auf Solidarität. Es gibt einen erheblichen Teil von Schulden, der völlig unabhängig davon angewachsen ist, wer nach 1990 Regierungsverantwortung übernommen hat. Das ergab sich aus dem Zusammenwachsen der beiden überbordenden Verwaltungen. Niemand hätte diese komplett abbauen können, wie es der Einigungsvertrag ermöglicht hätte. Das ist der Kern, auf den wir Anspruch haben, und das bleibt auch der Anspruch des Landes Berlin. Umso schlimmer ist es, dass Sie das leichtfertig verspielt haben, Herr Wowereit!

Statt dass Sie jetzt mutig und kraftvoll hergehen und die Probleme Berlins lösen, machen Sie das Folgende: Sie versuchen erneut, ein Bündnis mit den Linkssozialisten, mit der Linkspartei zu gründen. Lieber Herr Wowereit! Können Sie mir ein Beispiel in der Geschichte dieser Erde sagen, wo Sozialismus dazu beigetragen hat, haushalts- und finanzpolitische Probleme zu lösen?

[Reg. Bürgermeister Klaus Wowereit: In Cottbus!]

Sozialismus ist Teil des Problems – ganz egal, in welchem Gewand er daherkommt. Das müssen wir doch einmal sehen. Da kann man doch nicht ernsthaft in einer solchen Krise hergehen und mit dieser Partei erneut versuchen, ein Bündnis zu schmieden.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Ich bin der Letzte, der große Propaganda für angeblich große Koalitionen oder eine rot-grüne Koalition macht, aber ich sage Ihnen ganz klar: Jedes Bündnis zwischen demokratischen Parteien – diese Einschränkung mache ich – außer Rot-Rot wäre auf jeden Fall besser für diese Stadt. Jede andere Konstellation!

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Aber Sie wollten die. Selbstverständlich! Das sind bewährte Schlittenhunde der Macht.

[Allgemeine Heiterkeit – Zurufe von der Linksfraktion]

Das ist erprobt. Die gehen, vom Wähler zusammengestaucht und zusammengefaltet, durch jeden Türschlitz. Das ist gar kein Problem. Die sind Ihnen wesentlich bequemer als andere Geschichten. Das verstehe ich gut. Aber es hat wiederum nichts mit dem Interesse des Landes zu tun. Das hat mit Ihrem persönlichen Interesse an einem bequemen Regierungshandeln zu tun, aber nicht mit dem Land Berlin.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Das haben Sie wieder vorgeführt. Statt sich hinzusetzen und ernsthaft darüber nachzudenken, wie wir es anpacken können, setzen Sie sich lieber mit einem Fernsehkoch zusammen und betreiben Urteilsschelte. Ich finde, Herr Biolek soll sich um Ochsenschwanz und böhmische Knödel kümmern, aber Sie sollten sich gefälligst darum kümmern, wofür Sie gewählt worden sind und bezahlt werden, nämlich Berlin aus der Krise herauszuführen.

[Beifall bei der FDP und der CDU – Zurufe von der Linksfraktion]

Sie haben heute wieder eine Kostprobe gegeben. Sie haben sich hingestellt und darum gebeten, dass man Ihnen zuhört. Ja, gut! Aber außer Larmoyanz, außer dem Beklagen, wie schlecht es Ihnen geht und wie gemein die anderen waren und wie böse alle mit Ihnen umgehen, haben wir nichts Substantielles darüber gehört, was Sie machen wollen.

[Uwe Doering (Linksfraktion): Jetzt geht’s los!]

Das einzige, was Sie beschlossen haben, ist das, was Sozialdemokraten und Sozialisten immer können, nämlich Steuererhöhungen, den Bürgern in die Tasche greifen. Ich komme darauf später noch einmal. Das muss man sich genau anschauen. Aber bevor Sie einen einzigen Konsolidierungsschritt vorgeschlagen, einen einzigen eingreifenden Beitrag geliefert haben, kommen Sie absurderweise wieder mit Steuererhöhungen. Das Dreisteste war, sich hinzustellen und zu erzählen, Sie wollten die Verfassung des Landes wahren und achten, während Ihr Koalitionspartner erklärt, es sei absurd und spinnig, einen verfassungsmäßigen Haushalt wenigstens als Ziel zu formulieren. Noch nicht einmal als Ziel wollen Sie das formulieren.

Ich frage Sie, Herr Sarrazin: Was tun Sie hier eigentlich noch zwischen diesen Leute auf der Regierungsbank? Da haben Sie doch – das gebietet auch der persönliche Respekt – nichts mehr verloren. Die haben es doch aufgegeben, den Haushalt zu konsolidieren.

[Beifall bei der FDP]

Haben Sie Respekt vor sich selbst und vor dem, was Sie am Anfang der letzten Legislaturperiode angestoßen haben, und verlassen Sie diese Regierung! Es hat keinen Sinn. Mit diesen Leuten kann man keinen Staat machen und keinen Haushalt sanieren.

[Zuruf von der Linksfraktion: Und jetzt konkret!]

Kein Mensch will klagen. Aber wenn Sie so weitermachen, wird die FDP in der Opposition mit dafür sorgen, dass die Sache wieder vors Landesverfassungsgericht geht. Es ist für eine seriöse, verantwortungsbewusste Opposition selbstverständlich, nicht zuzuschauen, wie Sie das Land gegen die Wand fahren.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU – Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Nennen Sie uns Alternativen!]

Ich nenne Ihnen Alternativen: In einer solchen Krise liegt eine Chance. Zunächst – das klang bereits an – muss ein erheblicher Teil der Landesunternehmen, der Wohnungsbaugesellschaften, der BVG, der BSR, der Hafenbetriebe, von Vivantes und anderen verkauft werden. Das können andere im Wettbewerb genauso gut machen.

Schauen Sie sich die Wohnungsbaugesellschaften an. Es ist schizophren, was Sie betreiben. Sie stellen sich ernsthaft hin und sagen, Sie wollten die Mieter schützen und deshalb die Wohnungsbaugesellschaften nicht verkaufen. 15 % der Mieter Berlins sitzen in Wohnungen solcher Gesellschaften. Die werden genauso wie die restlichen 85 % eine dicke, fette Rechung von Ihnen präsentiert bekommen, weil die von Ihnen beschlossene Grundsteuererhöhung natürlich auf die Mieten umgelegt wird. Das ist doch selbstverständlich. Sie sind mir gute Mieterschützer! 15 % wollen Sie im öffentlichen Bestand halten. Die restlichen 85 % kriegen Sie auch noch gleich mit dazu. Was diese schönen Gesellschaften dem Staat bringen, hat man heute gesehen: Die GESOBAU will die Preise um 20 bis 25 % erhöhen. Das kommt auch noch.

Wasserpreise, Straßenausbaubeitragsgesetz – Sie müssen einmal sehen, was Sie in der vergangenen und der anstehenden Legislaturperiode getan haben bzw. beabsichtigen, um die Kosten der Immobilien zu erhöhen. Das können Sie. Dazu sagen wir nein. Natürlich müssen diese Gesellschaften verkauft werden. Die Zeit drängt auch. Die großen US-Pensionskassen haben jetzt Interesse. Jetzt können beachtliche Preise erzielt werden. Frau Kollegin Bluhm, es ist völliger Unsinn, sich in einer Situation, in der man vier bis sechs Milliarden € erzielen kann – was eine Einsparung von ca. 400 Millionen € Zinsen bedeutet –, hinzustellen und zu sagen: Okay, wir sind unfähig, die

Zukunft zu gestalten. Deswegen lassen wir es lieber gleich und verkaufen gar nicht. – Sie müssen alle Gesellschaften komplett verkaufen. Das wird dauern. Einige wird man sofort verkaufen können; andere wird man sukzessive in den Wettbewerb überführen müssen.

Ich bin beim Thema „Chancen für die Bürger“. Ein Beispiel dafür ist die Straßenreinigung. Eine Privatisierung der BSR hat nicht nur für das Land Vorteile, nämlich dass wir die Zuwendungen in einem wettbewerblichen Straßenreinigungssystem reduzieren können, sondern für jeden Bürger, der bei einem Wettbewerbssystem die Kosten für die Hausmüllabfuhr reduzieren kann. Das ist immer so, wenn Wettbewerbe statt Staatsmonopole existieren. Durch die Privatisierung ergeben sich Chancen für die Bürger.

Ich komme zur Verwaltungsreform, dem Stellenabbau im öffentlichen Dienst und der „Hertie School of Governance“. Ihre Zielgröße liegt bei 25 000 bis 35 000 Stellen. Das ist genau die Größe, die meine Partei immer wieder für richtig und vernünftig gehalten hat. Das ist eine Chance zur Verwaltungsreform mit Staatsaufgabenkritik und einer Reduzierung und Konzentration staatlicher Aufgaben. Das bringt nicht nur dem Staat eine deutliche Ersparnis, sondern auch dem Bürger und den Unternehmen den Vorteil einer effizienten Verwaltung. In einer Mangelverwaltung werden hingegen Stellen ohne System gekürzt und die alten, überbordenden Abläufe – teilweise wie zu Wilhelms Zeiten – erhalten.

Das nächste Kapitel betrifft die sozialen Leistungen. Hierzu etwas Grundsätzliches: Niemand – auch nicht der FDP – macht es Spaß, Einschnitte in das soziale Netz vorzunehmen. Aber wir müssen uns anschauen, wo die Stadt steht und welches Image sie hat. Sie hat das Image, üppig ausgestattet zu sein. Das stimmt ja auch. – Sie müssen das Urteil lesen. – Sie hat überdurchschnittliche soziale Leistungen. Die müssen wir reduzieren. Wir müssen in die sozialen Leistungen einschneiden. Die Zielgröße muss der untere Bereich des Durchschnitts der anderen Länder sein. Mehr können wir nicht ausgeben.

[Wolfgang Brauer (Linksfraktion): Sie provozieren Verhältnisse wie in den französischen Banlieus!]

Wir müssen gleichzeitig dafür sorgen, dass die Standortbedingungen Berlins sich so verbessern, dass private Unternehmen hierherkommen und investieren. Das ist die größte soziale Errungenschaft, die wir bekommen können. Das schafft Arbeitsplätze und Perspektiven für die 350 000 arbeitslosen Berlinerinnen und Berliner und bringt mehr als Blindengeld und verbilligte BVG-Karten. Deswegen können wir, verehrte Kollegen von den Grünen, nicht nach der Rasenmähermethode vorgehen, nach dem Motto „Alle müssen leiden“. Wir müssen sehen, dass wir das Image und die Einstellung zu Berlin systematisch ändern. Weniger soziale Leistungen, bessere Standortbedingungen für die Wirtschaft – das hat die Stunde geschlagen.