Protocol of the Session on October 26, 2006

Ich möchte noch etwas Grundsätzliches sagen. Herr Pflüger hat ein Angebot gemacht, das ich für sehr wichtig halte. Die Schulden werden uns jahrzehntelang in dieser Stadt begleiten. Aber diese Sache kann nicht nur in kleinen Koalitionsverhandlungen verhandelt werden, sondern sie braucht eine Grundhaltung, die die gesamte Berliner Gesellschaft mitnimmt und der ganzen Stadt Mut macht, zu handeln und Einschnitte zu akzeptieren. Diese Mentalität – Herr Sarrazin hat gesagt, jeder geht auf seinen Misthaufen und kräht, ich sage, jeder verteidigt sein Terrain und sagt: Bei mir muss nicht gespart werden, weil bei den anderen auch nicht gespart wird – müssen wir in dieser Stadt überwinden. Nur dann kann es gelingen, wenn erstens alle gemeinsam sagen: Wir gehen nach vorne und weisen nicht ständig immer nur nach, wo es nicht geht. Das Zweite ist, wir müssen es gemeinsam in die Bürgerschaft und in die Stadt hinein vermitteln, wir müssen den Gemeinsinn in Berlin stärken, und zwar in einer mutigen Weise, nicht in dieser hasenfüßigen Art, wie Sie es heute machen. Die ist unerträglich. Die hat Berlin nicht verdient. Lassen Sie uns endlich mutig gemeinsam herangehen! Lassen Sie uns die ersten anderthalb Milliarden einsparen! Und lassen Sie uns dann Schritt für Schritt gemeinsam sehen, wie wir in dieser schwierigen Lage in den Jahren ab 2011 weiter vorankommen, wenn die Luft noch einmal deutlich dünner wird. Nur in dieser Art – Sie haben es Hauptstadtpakt genannt, ich empfehle ein Bündnis für Berlin, aber mir ist egal, wie das heißt –, nur wenn die Politik endlich einen Schulterschluss macht und die harten Einschnitte gemeinsam trägt, entwickelt sich in der Stadt ein anderes Bewusstsein. Wir müssen ehrlich mit den Bürgern reden und dürfen nicht so tun, als könnten wir sie vor bestimmten Einschnitten einfach bewahren, denn das können wir nicht. Die Bürger werden es bezahlen.

Vorhin hat hier jemand völlig zu Recht gesagt: Von uns hier wird kaum jemand von den Zinslasten und der NettoNeuverschuldung geschädigt, die weiter anwachsen.

[Uwe Doering (Linksfraktion): Ich habe es gesagt!]

Danke schön! – Aber die Bürger dieser Stadt müssen es bezahlen. Das Urteil hat sehr deutlich gesagt, dass niemand anderes Berlin diese Lasten abnehmen wird. Deswegen müssen wir mit den Bürgern fair und ehrlich umgehen. Es darf nicht so sein, dass sie im Jahre 2015, 2016 einen Hundertmilliardenberg abgeliefert bekommen und dann gar keine Luft mehr zum Atmen haben. Das sind zunächst Sie, aber dann wir alle der jüngeren Generation schuldig.

[Beifall bei den Grünen und der CDU]

Wenn wir aus dem Parlament hinausgehen, dann steht gleich rechts eine Plakatwand – neu beklebt – neben unserem Abgeordnetenhaus. Da feiert Bethel seinen 125jähriges Bestehen mit einem Satz von Friedrich von Bodelschwingh:

Neue große Nöte brauchen neue mutige Gedanken.

Herr Wowereit und die neue, sich jetzt bildende Koalition! Ich fordere Sie auf, fassen Sie endlich diesen Mut, hören Sie auf zu jammern, nehmen Sie die Sache in die Hand, und fangen Sie an, uns einen soliden Finanzplan und eine solide Haushaltsentwicklung vorzulegen! Wir werden das mittragen, aber zwingen Sie uns nicht, dass wir noch einmal zum Verfassungsgericht gehen müssen, weil Sie da nicht heranwollen.

[Zurufe von der Linksfraktion]

Wenn Sie jetzt nach diesen Koalitionsverhandlungen und mit Beginn der neuen Regierungszeit keinen Finanzplan vorlegen, der den Weg zu einem verfassungsgemäßen Haushalt bis 2011 weist, dann haben Sie es nicht verdient, auf die Verfassung zu schwören. Das sollten Sie sich überlegen. Und dann zwingen Sie uns zu Maßnahmen, die wir in der Form, wie die FDP das momentan für das nächste Jahr vorsieht, nicht für richtig halten.

[Carola Bluhm (Linksfraktion): Ihnen fällt nichts Neues ein! – Weitere Zurufe von der Linksfraktion]

Ja, aber nur, wenn Sie erst einmal Ihre Hausaufgaben machen. Das ist Ihr Job. Sie müssen jetzt den ersten Schritt machen. Dann können wir – wie Herr Pflüger und wir es vorgeschlagen haben – das durchaus unterstützen. Dazu sind wir bereit, aber nicht in der Form, dass Sie sich bequem zurücklehnen und bei allen Dingen immer nur sagen, dass Sie es nicht nötig hätten, dieses oder jenes zu machen,

[Uwe Doering (Linksfraktion): Das machen wir ja nicht!]

und dass Sie der Bevölkerung gegenüber nicht ehrlich genug die nötigen Einschnitte vertreten wollen. Seien Sie nicht so feige, sondern endlich mutig, wie es Berlin verdient hat!

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP]

Danke schön, Frau Kollegin Eichstädt-Bohlig! – Jetzt spricht für die Linksfraktion die Frau Fraktionsvorsitzende Bluhm. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe neue Kolleginnen und Kollegen! Berlin kann sich so schlecht von außen betrachten. Frau Eichstädt-Bohlig! Sie haben es gerade viele Minuten lang probiert. Das Wort „Soziales“ habe ich gar nicht gehört. Ich glaube, Sie haben diese Stadt nicht erkannt.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Das Urteil der Verfassungsrichter war einstimmig. Es war eindeutig, und es war, was die Versagung finanzieller Hilfen für Berlin anbelangt, wohl auch endgültig. Es ist eine sehr schwierige Situation entstanden, die niemanden von uns gleichgültig lassen kann. Ich begrüße es ausdrücklich, dass der Regierende Bürgermeister den Karlsruher Richterspruch zum Anlass für eine Regierungserklärung genommen hat.

Wir haben das Karlsruher Urteil zu akzeptieren. Eine moralische Verpflichtung, es auch in der Sache richtig zu finden, gibt es gleichwohl nicht. Ich meine, dass die Richter in Karlsruhe das falsche Berlin beurteilt haben. Sie meinten das Berlin der Neunzigerjahre mit Verschwendung, Größenwahn, mit Filz und Korruption, und sie treffen Berlin im Jahr 2006, eine Stadt, die sich nach Kräften bemüht, sich aufzurappeln und neu durchzustarten. Der 16. Oktober 2006 war kein guter Tag für Berlin, aber er ist auch kein Anlass, in Depressionen zu verfallen. Berlin hat schon viele schwierige Momente gemeistert und wird es auch diesmal schaffen.

Die Klarheit des Urteils lässt allerdings auch den politischen Streit darüber müßig erscheinen, ob die Klage hinreichend begründet war, ob man vor Gericht geschickter hätte agieren können oder müssen.

[Uwe Goetze (CDU): Das ist ja einfach!]

Berlin hatte – das ist meine feste Überzeigung – von vornherein keine Chance. Der Grund hierfür ist in der Urteilsbegründung ganz klar nachzulesen.

[Uwe Goetze (CDU): Das ist die wowereitsche Theorie!]

Karlsruhe sieht die größten Einsparpotenziale in Berlin ausgerechnet da – hier stimmen wir mit Ihnen, Herr Goetze, überein –, wo die Stadt Wissenschaft und Kultur entwickelt, wo die Potenziale der Stadt liegen. Das sind klare Einsparvorgaben und Überausstattungsanweisungen aus Karlsruhe gewesen. Dieser Gegensatz ist fundamental, und da geht es nicht um Effizienzsteigerungen oder Vereinfachungen von Strukturen. Karlsruhe verlangt eindeutig Abbau, wo mindestens Sicherung, wenn nicht Aufbau angebracht wäre. Was nach Auffassung von Karlsruhe Berlin hätte retten können, würde die Stadt nach unserer Meinung zerstören. Immanent ist das Problem nicht auf

zulösen. Es muss politisch entschieden werden. Um diese Frage dürfen wir uns nicht drücken.

Da hilft es nicht, Herr Pflüger, wenn Sie mit Verve Antworten des Senats einfordern und dabei hoffen, es möge unbemerkt bleiben, dass die CDU selbst keine hat.

[Beifall bei der Linksfraktion – Unruhe bei der CDU]

Herr Pflüger! Das war Ihre erste Rede in diesem Haus. Ich hätte erwartet, dass Sie in diesen über 30 Minuten einen Satz zu der singulären Verantwortung der Berliner CDU für den Schuldenberg, vor dem Berlin jetzt steht, sagen.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD – Volker Ratzmann (Grüne): Was ist mit Eurem Koalitionspartner?]

Herr Müller hat selbstverständlich etwas dazu gesagt, und ich finde, das gehört sich auch so, Verantwortung für vergangene Entscheidungen zu tragen, Lehren daraus zu ziehen und Veränderungen zu treffen.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD – Uwe Goetze (CDU): Was ist denn mit dem Erbe der DDR?]

Es hilft auch nicht, Herr Lindner, wenn die FDP das Urteil selektiv wahrnimmt, also das herausstellt, was ihr ideologisch in den Kram passt – Stichwort: Privatisierung –, und vornehm alle Aufforderungen von Karlsruhe, Steuererhöhungen vorzunehmen, verschweigt.

Die absolute Krönung aber waren auch diesmal wieder die Grünen. – Kollege Ratzmann, das war schon eine stramme Leistung –: Ein Urteil, das nicht weniger als die finanzielle Zukunft unserer Stadt zum Gegenstand hat, in erster Linie als Chance zu sehen, nun doch noch zum Senatorenposten zu kommen!

[Beifall bei der Linksfraktion – Beifall von Dr. Frank Steffel (CDU)]

Ich will Ihnen das auch überhaupt nicht vorwerfen. So sind Sie nun mal! Aber seien Sie so freundlich und verschonen uns künftig mit dem ganzen pomphaften Gerede von der Gestaltung, der Verantwortung, dem Wählerwillen, und dass Ihr Streben nur zum Besten der Menschheit ist. Wir fühlen uns über die Motive Ihres politischen Handelns hinreichend informiert.

[Volker Ratzmann (Grüne): Das glaube ich nicht!]

Wir müssen uns entscheiden, wo wir mit unserer Stadt hinwollen. Das ist Aufgabe der Politik, aber nicht nur ihre. Auch die gesellschaftlichen Kräfte, die Verbände und Interessengruppen, sind in der Verantwortung. Auch hier wird es nicht reichen, im Hauptsatz energisch zusätzliche Sparanstrengungen zu fordern, um sie im Nebensatz lautstark für die jeweils eigenen Bereiche abzulehnen.

Wir sollten unsere eigenen, ebenfalls von allen hier im Haus vertretenen Argumentationen aufrecht erhalten. Wir sollten ihnen vertrauen. Wir sind nach Karlsruhe gegan

gen, weil wir uns aus eigener Kraft nicht sanieren können. Diese Überzeugung wird nicht dadurch falsch, dass sie von Karlsruhe nicht geteilt wird. Falsch wäre es aber, jetzt so zu tun, als könnten wir es schaffen, wenn wir uns nur genug anstrengen würden. Diese Form nachholenden Gehorsams würde der Stadt mehr schaden als nutzen. Wir würden im Übrigen auch dann kein Geld mehr bekommen, wenn wir jetzt Opern schlössen und alles verkauften, was nicht niet- und nagelfest ist. Machen wir uns nichts vor!

Frau Eichstädt-Bohlig hat angekündigt, dass ich etwas zur öffentlichen Daseinsvorsorge und dem Bekenntnis dazu sagen werde. Ich wollte es vor einem ganz anderen Hintergrund tun, aber schauen wir uns an, was Sie gefordert haben: Wenn wir alle Wohnungsbaugesellschaften des Landes verkaufen würden, dann wäre das eine strukturelle Zinsersparnis von 160 bis 200 Millionen €.

[Dr. Martin Lindner (FDP): Quatsch!]

Mit einer Steigerung des Leitzinses von nur 0,25 % wäre das verpufft, und gleichzeitig ginge die Steuerungskraft für die ganze Stadt, für den gesamten Wohnungssektor damit verloren. Das Karlsruher Urteil hat uns Hilfe verweigert, aber uns auch die Freiheit gegeben, souverän zum Wohle der Stadt zu entscheiden. Die Richter haben Ratschläge gegeben, aber keine Auflagen erteilt.

[Dr. Martin Lindner (FDP): Was ist denn das für eine soziale Logik? – Zuruf von Franziska Eichstädt-Bohlig (Grüne)]

Wir haben die Aufgabe, mit dieser Freiheit verantwortungsbewusst umzugehen, zum einen auf der nationalen Ebene bei der Föderalismusreform II. Ich bin kampfesmutig, aber nicht euphorisch, was die Erfolgsaussichten anbetrifft. Es gibt nun einmal einen natürlichen Egoismus der reichen Länder, der gegen die notwendige Umverteilung spricht. Wir werden zugleich mit dem Bund und den Ländern über Ausgleichszahlungen verhandeln müssen. Denn von den zurzeit 140 000 Studierenden in Berlin sind 80 000 keine Berlinerinnen oder Berliner. Wir bilden für die Republik und andere Länder aus. Wir geben darüber hinaus 100 Millionen € für hauptstadtbedingte Sicherheitsdienstleistungen aus. Der Bund erstattet lediglich 38 Millionen €. Die Liste ließe sich fortsetzen. Festzuhalten ist, dass Berlin sich nach Karlsruhe solche Geschenke an andere nicht mehr leisten kann.

Wir stehen vor einer doppelten Aufgabe: Wir werden unseren Konsolidierungskurs mit sozialem Augenmaß fortsetzen, und wir werden die Stärken der Stadt weiter stärken. Es darf in diesem Zusammenhang noch einmal daran erinnert werden, welche Konsolidierungsanstrengungen Berlin in den letzten Jahren unternommen hat – schmerzhafte Entscheidungen, massive Proteste. Aber das Ergebnis kann sich im Vergleich mit den anderen Ländern und auch dem Bund sehen lassen. Berlin hat seine Ausgaben um über 11 % gesenkt. Im selben Zeitraum haben der Bund und die Länder ihre Ausgaben durchschnittlich um 11 % angehoben. Wir haben den aktuellen Haushalt, also unsere aktuellen Einnahmen und Ausgaben, in ein ver

nünftiges Gleichgewicht gebracht. Darauf können wir auch ein wenig stolz sein.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Wir werden den Kurs der Haushaltskonsolidierung fortsetzen, aber wir werden Berlin nicht blindwütig kaputtsparen. Das heißt, wir tun, was wir können. Zum Beispiel fangen wir bei der Politik durch die Verkleinerung des Abgeordnetenhauses und der Bezirksämter, durch den Verzicht auf Diätenerhöhungen an, und wir werden auch die Einnahmeseite stärker ins Blickfeld nehmen.

[Dr. Martin Lindner (FDP): Alles lächerliche Aspekte!]