Statt mit Häme zur reagieren, sollten sich einige Ministerpräsidenten fragen, was sie tatsächlich unter Solidarität verstehen. Das Urteil zeigt, dass die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern neu geordnet werden müssen, und die dazugehörige Debatte kommt jetzt erst richtig in Gang. Die Länder müssen untereinander einen Weg finden, wie sie den Graben zwischen Arm und Reich zuschütten. Für viele Bundesländer ist die Klärung dieser Frage von existenzieller Bedeutung. Und die Ministerpräsidenten sollten sich dieser Herausforderung sofort stellen.
Ich will an der Stelle etwas zu Brandenburg sagen, weil auch ich über die Brandenburger Reaktion einigermaßen erstaunt war. Die Urteilsverkündung lief gerade zehn Minuten, da kam die Absage zur Länderfusion. Ich freue mich darüber überhaupt nicht. Offensichtlich müssen wir miteinander zur Kenntnis nehmen, dass es im Moment in Brandenburg keine Bereitschaft zu einer Länderfusion gibt. Aber, Herr Pflüger, das heißt noch lange nicht, dass wir sagen können, nun sollen es Wowereit und Platzeck regeln. Das heißt doch nur, dass wir alle miteinander mit unseren Parteifreunden in Brandenburg darüber streiten müssen, dass es nach wie vor ein richtiges und wichtiges Ziel ist, dass wir zu einer Länderfusion kommen. Es ist gerade nach dem Karlsruher Urteil ein wichtiges Ziel, die Region zu stärken und die Kompetenzen und Ressourcen zusammenzuwerfen und sich keine Konkurrenz zu machen. Dafür will ich in den nächsten Jahren werben.
[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Beifall von Dr. Friedbert Pflüger (CDU) und Uwe Goetze (CDU)]
Niemand in Berlin hat allen Ernstes vom Verfassungsgericht die Lösung aller Haushaltsprobleme erwartet, aber angesichts der Geschichte unserer Stadt und der besonderen Probleme und Belastungen, die sich daraus ergeben, haben wir ein Stück Solidarität des Bundes und der Länder für die Hauptstadt erwartet. Jetzt ist Berlin auf sich selbst gestellt, und die Stadt steht nicht zum ersten Mal in ihrer Geschichte vor einer ungewöhnlichen Herausforderung. Daraus ergibt sich für die Berliner Politik, insbesondere aber für die künftige Koalition, ein besonderer Gestaltungsauftrag. Die SPD stellt sich diesem Auftrag. Wir sind aber auch in einer Situation, in der viele zusammenarbeiten müssen. Gemeinsam können wir diese Aufgabe bewältigen und unsere Zukunft in die Hand nehmen. In dieser Stadt steckt viel Kraft. Das hat die Vergangenheit gezeigt, das wird auch die Zukunft beweisen. – Vielen Dank!
Danke schön, Herr Kollege Müller! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nunmehr Frau EichstädtBohlig, die Fraktionsvorsitzende, das Wort. – Bitte schön, Frau Eichstädt-Bohlig!
Sehr geehrter Herr Präsident! Ihnen und dem ganzen Präsidium Glückwunsch zur Wahl – und auf gute Zusammenarbeit! – Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister! Es gab einmal ein Staatsgebilde, das DDR hieß, das mit dem 9. November 1989 untergegangen ist. Die DDR ist untergegangen, weil sie ein totalitärer Unrechtsstaat war. Die DDR ist aber auch untergegangen, weil die damals regierende Partei sie wirtschaftlich und finanziell in den Ruin getrieben hat. Ich glaube, das sollten wir uns zur Lehre nehmen.
[Beifall von Dr. Martin Lindner (FDP) – Uwe Doering (Linksfraktion): Auch noch Beifall von der FDP!]
Wir Grünen möchten Berlin einen vergleichbaren Bankrott ersparen. Ich sehe mit großer Sorge, dass nach einigen anerkennenswerten Sparleistungen der letzten fünf Jahre jetzt eine Regierung der Hasenfüße gebildet werden soll, die vor lauter Angst, dem einen oder anderen heute wehzutun, Berlin dadurch systematisch in den Abgrund reißen will, dass sie die Verschuldung von jetzt 61 Milliarden € auf bald 70 Milliarden € bis 80 Milliarden € erhöht. Und schon im Jahr 2015 werden wir 100 Milliarden € Schulden haben, wenn das so wird, wie Sie, Herr Regierender Bürgermeister, uns heute erläutert haben und wie wir es am Montag nach Bekanntgabe Ihres sogenannten Sparpakets gehört haben. Das ist eine dramatische Entwicklung, die für Berlin die völlige Handlungsunfähigkeit in bereits zehn Jahren mit sich bringt. Das
Ich sage Ihnen ganz klar: Wenn Sie heute nicht mutiger an die Aufgabe, die das Karlsruher Gericht uns allen – der Politik insgesamt – für diese Stadt gestellt hat, herangehen, dann werden Sie in fünf, spätestens zehn Jahren so weit sein, dass Sie genau das machen müssen, und zwar erbarmungslos ohne Wenn und Aber, was heute im FDP-Antrag steht. Wir wollen dieses FDP-Konzept eines Totalausverkaufs nicht.
Wir wollen Berlin nicht kaputtsparen, sondern wieder gesundsparen. Dazu braucht Berlin aber endlich ein klares und umfassendes Sanierungskonzept und einen überarbeiteten Finanzplan, der die Lasten gerecht auf viele Schultern verteilt, und Berlin muss bis spätestens 2011
nicht im Jahr 2007 oder 2008, das fordern wir nicht –, aber noch in dieser Legislaturperiode bis spätestens 2011 wieder einen verfassungskonformen Haushalt dem Abgeordnetenhaus zur Verabschiedung vorlegen.
Und das muss gelingen. Insofern – ich habe heute kein Wort, weder von Ihnen noch von Ihnen, Herr Müller, zu dem Thema verfassungsgemäßer Haushalt gehört.
Nein, haben Sie nicht gesagt. – Irgendwann, aber Sie haben nicht dazugesagt, dass wir das in dieser Legislaturperiode bekommen sollen, und das ist die entscheidende Aufgabe, um die es geht. – Und Sie, Herr Liebich, seien Sie ganz still! Sie wollen überhaupt nicht an das Thema heran. Schulden von morgen brauchen uns heute überhaupt nicht zu interessieren – das ist Ihre Grundhaltung.
Wir Grünen haben die Klage in Karlsruhe unterstützt, und wir hätten uns sehr gewünscht, dass das Bundesverfassungsgericht für eine Unterstützung Berlins durch den Bund und die Ländergemeinschaft plädiert hätte. Ich glaube aber, dass die beleidigte Trotzhaltung und dieses mutlose Selbstmitleid – heute hier im Saal Ihre Rede vor allem, Herr Regierender Bürgermeister, teilweise aber auch Herr Müller – vergrößert das Problem, und das schädigt Berlin genau so nachhaltig, wie die Probleme sind, die das Urteil uns gebracht hat. Daher werden wir gegen diesen Kleinmut systematisch ankämpfen.
Berlin hat schon viel schwierigere Situationen gemeistert und sehr viel spartanischere Zeiten erlebt. Berlin braucht jetzt eine mutige und selbstbewusste Politik und viel Gemeinsinn und bürgerschaftliche Unterstützung, um diesen steinigen Weg der Deckelung des Schuldenbergs zu gehen und systematisch Schritt für Schritt auf das Ende des
weiteren Anwachsens der Schulden hinzuarbeiten. Und das sollte hier gemeinsam getan werden, statt dass ständig gesagt wird, wo es nicht getan werden kann. Damit entsolidarisieren Sie sowohl diese Stadt als auch Berlin von der Ländergemeinschaft und vom Bund und treiben das Land sehenden Auges Schritt für Schritt weiter in den Bankrott. Das ist unverantwortlich.
Ich will Ihnen sagen, warum ich meine, dass Sie allein schon mental derzeit dabei sind, die Probleme eher zu vergrößern, als an ihrer Lösung systematisch und konsequent und durchaus auch mit Berliner Selbstbewusstsein zu arbeiten. Das Erste ist: Allen schönen Worten zum Trotz nehmen Sie das Karlsruher Urteil nicht an, sondern meinen, sich einfach wegducken zu können. Das ist der erste und entscheidende Fehler. Nehmen Sie dieses Urteil endlich ernst und nehmen Sie es an! Wer sich ständig in Gerichtsschelte ergeht, der muss damit rechnen, dass künftig die Diebe auf den Rechtsstaat pfeifen, wenn sie sehen, wie hier Regierender Bürgermeister und Stadtregierung meinen, über ein Verfassungsgerichtsurteil reden zu können.
Ich finde, Sie sollten das Urteil etwas deutlicher lesen. Dieses verweist sehr klar auf gravierende Fehler Berlins, auf die jahrzehntelange falsche Wohnungspolitik, auf den unsäglichen Bankenskandal, auf die nach wie vor großzügige Verwaltungsausstattung und weitere Punkte. Das Berliner Jammern, das Sie kultivieren – niemand würde unsere besondere Geschichte der Teilung beachten –, wird dort sehr nüchtern gekontert. Ich finde, das muss diese Stadt auch einmal zur Kenntnis nehmen.
Berlin bekommt bereits eine Menge Geld zum Ausgleich für wirtschaftliche und finanzielle Nachteile und für die Nachteile der deutschen Teilung und der besonderen Berliner Betroffenheit, zurzeit 5,3 Milliarden €: aus dem Länderfinanzausgleich 2,8 Milliarden €, als normale Bundesergänzungszuweisung 566 Millionen € und aus dem Solidarpakt Ost für teilungsbedingte Lasten aktuell knapp 2 Milliarden €. Wer behauptet, der Bund und die Ländergemeinschaft täten nicht genug, um die teilungsbedingten Lasten insgesamt für Ostdeutschland und für unser ganzes Land Schritt für Schritt zu kompensieren und aufzuarbeiten – das finde ich allmählich ein bisschen unanständig, was hier dauernd herumgejammert wird. Denn insgesamt trägt unser Land an diesen Lasten in enormem Maße. Ich finde, es gehört auch dazu, dass Berlin das endlich anerkennt. Im Detail kann man sich über das eine oder andere streiten, aber dieser Jammerton, wie er hier gepflegt wird, ist unerträglich.
Das führt mich zum Zweiten, worin eines der großen Berliner mentalen Probleme liegt. Nach dem Urteil verstärken Sie, Herr Regierender Bürgermeister, zusammen mit der PDS Berlins schlechten Ruf, wir könnten und dürften hier in unserer Stadt munter weiter auf Kosten anderer leben. Dieser Vorwurf zieht sich wie ein roter Faden
durch das Gerichtsurteil. Man sollte den Hohn der anderen Länder einmal ernstnehmen. Der ist nicht schön, der tut weh, aber einfach so zu tun, als wären die alle blöde und nur wir das berechtigte Opfer, dem man endlich irgendetwas zu Füßen legen muss, das ist eine Haltung, die schädlich für Berlin ist. Die hat allein in der letzten Woche sehr viel von dem zerstört, was bisher das gute Image von Berlin gewesen ist.
Darum kann es nicht sein, dass immer wieder diese Berliner Sehnsucht gepflegt wird, andere müssten unsere Probleme lösen und diese Stadt müsste ihre Hausaufgaben gar nicht so machen, wie das notwendig ist. Ich erinnere Sie noch einmal daran: Das Karlsruher Urteil fordert nicht – wie haben Sie es eben gesagt? – radikalen Kürzungsmasochismus, sondern es fordert, dass Berlin die einzelnen Positionen anguckt und auf das Maß von Hamburg zurückführt.
Also reden Sie doch nicht so, als würde der Weltuntergang gefordert, sondern akzeptieren Sie das, was da gefordert wird! Ich bin durchaus mit Ihnen der Meinung, dass wir Punkte haben, die in Berlin spezifisch im Einzelnen anders gesehen werden müssen. Daher gehören wir genauso zu denen, die sagen: Bildung, Wissenschaft und Kultur sind unser Berliner Profil; da wollen wir uns nicht so messen lassen. Da würde ich auch sagen, da kann man anders verfahren als in diesem Urteil vorgesehen. Aber im Großen und Ganzen sollte man es sich ruhig und anständig angucken, die Punkte aufrufen und schauen, wo man Baustein für Baustein und Schritt für Schritt etwas tun kann.
Insofern sehen wir sehr viel mehr Stellen als Sie, wo Berlin nicht weinen muss, sondern wo Berlin schlicht handeln kann und muss. Sie haben für dieses Handeln die Verantwortung übernommen.
Meine Aufforderung: Führen Sie nicht erneut Berlin in diese negative Wagenburgmentalität! Das ist schädlich für diese Stadt. Das kostet uns die weitere positive Entwicklung der Wirtschaftskraft. Das kostet uns unser positives Image, das mit Mühe gerade so toll vorankommt, an dem wir alle hängen, auf das wir alle stolz sind.
Sie sind dabei, es kaputt zu machen. Und das ist das Allerschlimmste, was dieser Stadt passieren kann.
Ich möchte es noch einmal konkret in der Beziehung zum Bund sagen. Das am Montag von Ihnen geschnürte sogenannte Sparpaket war ja nur ein klitzekleines Päckchen. Es enthält zur Hälfte wieder typische Anforderungen an den Bund. Erstens sind das Anforderungen, die sowieso
nicht im Haushalt stehen, also wenn sie nicht gemacht werden, keinen Sparbeitrag leisten, von dem wir eigentlich heute reden. Sie haben also mit dem Karlsruher Urteil nichts zu tun. Für die U 55 sehe ich das Geld nicht, und Sie sehen es auch nicht. Für das wunderbare Phantom eines Schlossbaus am Schlossplatz sieht sowieso keiner Geld. Und für die Staatsoper haben Sie nicht nur jetzt das Angebot des Bundes, 50 Milliarden € hereinzubringen, sondern Sie sind bereits einen 20-Millionen-Vertrag eingegangen, wo der Bund Leistungen an anderen Stellen – Akademie der Künste, Filmakademie usw. – übernimmt, weil Berlin im Gegenzug die Opernstiftung gegründet und die Staatsoper in die Berliner Verantwortung genommen hat. Sie können sich nicht einfach so aus Verträgen von gestern stehlen, und schon gar nicht auf diese Art, dass Sie patzig vom Bund fordern, jetzt solle er mal endlich etwas tun. Sie müssten statt dessen als Bittsteller kommen. Da soll man endlich ehrlich sein, dass Berlin akzeptieren muss, in dieser Rolle zu sein, und nicht einfach nur fordern kann. Sie machen wie ein Elefant im Porzellanladen die bundespolitische Bereitschaft, zu unterstützen, systematisch kaputt macht. Das ist genau das, was Sie erreicht haben mit der Art, wie Sie in den letzten Tagen mit dem Thema umgegangen sind.
Das dritte mentale Problem ist, dass Sie sehr mutlos, feige und hasenfüßig an die Ihnen gestellte Aufgabe herangehen.
Denn nur, wenn Berlin selbstbewusst diese Aufgabe angeht und daran weiterarbeitet, dass Berlin eine moderne und vitale Kreativstadt ist, gelingt es, auch den anderen dieses positive Berlingefühl weiter zu erhalten und die Stadt weiter zu stärken. Sie haben allein Berlin in den letzten Tagen deswegen so geschadet, weil Sie eigentlich der Welt und der Nation zeigen, dass Sie nicht in der Lage und vor allem nicht gewillt sind, die Probleme so anzugehen, wie sie jetzt angegangen werden müssen.