Protocol of the Session on October 26, 2006

Letztlich wird wohl ein Maßnahmenmix erfolgreich sein. Da gibt es nicht den einen Königsweg.

Und – das ist kein Trotz – auch die Hauptstadtdebatte ist zu führen. Nach dem Urteil muss in Deutschland endlich eine Debatte darüber geführt werden, was dem Bund und den Ländern ihre Hauptstadt wert ist. Berlin ist im Grundgesetz als Bundeshauptstadt verankert, und die Kompetenz des Bundes zur Repräsentation des Gesamtstaates ist hinsichtlich der Hauptstadt ausdrücklich verfassungsrechtlich festgeschrieben. In den Verhandlungen mit dem Bund müssen wir die Verpflichtung des Bundes gegenüber seiner Hauptstadt klar einfordern, jetzt noch stärker als vor Karlsruhe. Das Ergebnis muss sein, dass der Bund voll für die hauptstadtbedingten Kosten aufkommt. Da ist es ganz klar, dass wir auch konkrete Projekte benennen. Man kann nicht einfach sagen, wir verhandeln einmal, was geht und was nicht geht, sondern es gibt Gemeinschaftsaktivitäten, wo der Bund davon ausgegangen ist, dass wir unseren Teil beitragen können. Da müssen wir nach dem Urteil ganz klar sehen, dass wir unter dem Eindruck dieses Urteils und noch einmal knapperer und engerer Spielräume das finanzieren, das ausstatten, was für den Lebensnerv der Stadt wichtig ist. Da geht es dann eben nicht, dass wir uns am Humboldt-Forum beteiligen oder an der U5. Wenn der Bund das will, wird er in Zukunft diese Lasten auch tragen müssen, genauso wie in der inneren Sicherheit, wo wir konkrete Aufgaben übernehmen und schon seit vielen Jahren verhandeln. Es muss klar sein: Wenn man hier seiner Verpflichtung nicht

nachkommt, kann es zur Konsequenz haben, dass wir bestimmte Standards herunterfahren. Das muss gelernt werden, dass man nach diesem Urteil bestimmte Dinge nicht mehr weiterfinanzieren kann.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der CDU und der FDP]

Ich bin sehr froh, dass wir uns darin offensichtlich einig sind. Dann können wir gemeinsam in der großen Koalition auf Bundesebene dafür werben.

Wir müssen in diesem Zusammenhang auch das BonnBerlin-Gesetz thematisieren. 17 Jahre nach der Wiedervereinigung ist nicht mehr zu verstehen, dass immer noch große Teile einzelner Ministerien ihren Sitz in Bonn haben und nicht in der Hauptstadt.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Auch der komplette Hauptstadtumzug wäre ein klares Signal und ein klares Bekenntnis für Berlin. Das fordere ich von unseren Bundespolitikern auch ein.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Also: Maßnahmenmix, Hauptstadtdebatte, konsolidieren. Das heißt aber nicht „kaputtsparen“. Wir müssen sehen, dass wir alles das aus eigener Kraft tun, was wir tun können, ohne den Lebenslauf Berlins zu zerstören. Aus meiner Sicht ist es auch so, dass das Urteil ganz klar ein Einstieg in einen knallharten Wettbewerbsföderalismus ist. Also muss es auch darum gehen, eigene Stärken auszubauen, Einnahmen zu erhöhen.

Wir haben Entscheidungen in der Steuerpolitik getroffen. Ich glaube, dass es nötig war, diese Entscheidungen zu treffen, sage aber auch ganz klar, dass es da Grenzen gibt, Grenzen dessen, was man den Menschen zumuten kann, den Mieterinnen und Mietern, auch den Grundstücksbesitzern. Aber insbesondere gibt es in der Steuerpolitik Grenzen dessen, was man der Wirtschaft zumuten kann. Wenn wir die soziale Situation, wenn wir die Einnahmesituation in der Stadt verbessern wollen, müssen wir alles tun – auch unter der Überschrift dieses Wettbewerbsföderalismus –, damit wir die Unternehmen in der Stadt stabilisieren, damit wir neue Unternehmen und damit zusätzliche Arbeitsplätze in die Stadt bekommen. Das muss in den nächsten fünf Jahren auch unser Ziel sein. Wir werden ganz engagiert daran arbeiten.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Genauso wichtig und richtig ist es, Schwerpunkte in der Kultur und in der Wissenschaft zu setzen. Die Kultur ist nicht nur wichtig für das Lebensgefühl der Menschen, der Berlinerinnen und Berliner, sie ist auch wichtig aus wirtschaftspolitischen Gründen. Sie bringt Touristen in die Stadt, bringt Einnahmen für Handel und für Dienstleistung. Auch die Wissenschaft ist ein Pfund Berlins. Dort werden inzwischen viele Zehntausend Arbeitsplätze erhalten und gesichert. Es wäre ein Fehler, hier die Axt anzusetzen.

Aber ich will bezüglich der Wissenschaft trotzdem etwas hinzufügen. Berlin bildet bereits Studierende für die gesamte Republik aus, mehr als jedes andere Bundesland.

[Dr. Martin Lindner (FDP): Das haben wir schon gehört!]

Es ist wichtig, Herr Dr. Lindner, ob Sie es begreifen wollen oder nicht! Sie müssen verstehen, dass es nach diesem Urteil Konsequenzen in mehrere Richtungen gibt. –

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Es hat zur Konsequenz, dass wir unseren Konsolidierungskurs verschärfen müssen. Aber es hat auch zur Konsequenz, dass wir in Zukunft mit dem Bund und den anderen Bundesländern eine andere Debatte führen als bisher. Es ist nun einmal so, dass wir Studierende aus all den Ländern aufnehmen, die am letzten Donnerstag voller Häme gesagt haben, Berlin soll es allein machen. Da erwarte ich, dass wir zusammenstehen und sagen: Wir übernehmen gern Aufgaben für den Bund und die Bundesländer. – Es bereichert Berlin im Übrigen auch. Es ist nicht so, dass es ganz furchtbar ist, dass die Studierenden nach Berlin kommen. – Aber wenn wir diese Aufgaben übernehmen, erwarten wir auch eine entsprechende finanzielle Beteiligung des Bundes.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Bei den Schwerpunkten ist ganz klar, dass wir weiterhin in die Bildung in der Stadt investieren werden. Wir haben gestern Abend und gestern Nacht die entsprechenden Beschlüsse gefasst. Es wird in den nächsten fünf Jahren ganz deutlich sein, dass auch unter diesen schwierigen Bedingungen die Bildungspolitik ein Schwerpunkt ist. Das ist, wie ich schon gesagt habe, der sozialen Situation der Stadt geschuldet. Aber es ist auch für die Zukunftsfähigkeit der Stadt richtig und wichtig, weiter im Bildungsbereich zu investieren.

Ich möchte noch etwas zum Thema Privatisierung sagen, weil wir immer wieder damit konfrontiert werden, warum wir nicht mehr privatisieren. Der Regierende Bürgermeister hat es schon angesprochen, dass wir prüfen werden, ob die GSG privatisiert werden kann. Ich sage das ganz ehrlich: Ich habe daran keinen großen Spaß.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Es ist möglicherweise nötig. Aber auch die GSG ist ein wirtschaftspolitisches Element für kleine und mittlere Unternehmen in der Stadt.

[Zuruf von Joachim Eßer (Grüne)]

Da helfe ich nicht Siemens oder irgendwelchen Großunternehmen. Da helfe ich denen, die hier in der Stadt hauptsächlich mit der GSG aktiv sind.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Deswegen sage ich: Das kann eine Möglichkeit sein, die wir prüfen werden, aber keine Möglichkeit, um die ich mich reiße.

[Joachim Eßer (Grüne): Aber nicht in der Form! – Dr. Martin Lindner (FDP): Aber auf jeden Fall! Als ersten Schritt!]

Aber es geht um etwas ganz anderes, es geht um die Wohnungsbaugesellschaften. Dazu hat es gestern im RBB wieder einen großen Beitrag gegeben. Und die Journalistin hat – ganz engagiert – gesagt: Jetzt muss die Berliner Politik endlich das tun, was uns Dresden vorgemacht hat. – Herr Meyer hat sofort sekundiert und gesagt: Genau, das ist der richtige Weg, alle kommunalen Wohnungen zu verkaufen.

[Dr. Frank Steffel (CDU): Wer ist Meyer?]

Ganz unabhängig davon, dass ich inhaltlich eine ganz andere Position dazu habe, finde ich, dass es zu unserer Aufgabe gehört, 15 % an kommunalem Wohnungsbestand in der öffentlichen Hand zu behalten, um Einflussmöglichkeiten zu haben.

[Zuruf von Joachim Eßer (Grüne)]

Aber da muss man inhaltlich gar nicht einer Meinung sein, ganz unabhängig davon, dass andere Städte schon auf einem ganz anderen Trip sind: In München werden inzwischen kommunale Wohnungen zurückgekauft.

[Vereinzelter Beifall bei der Linksfraktion]

In Hamburg sagte Ole von Beust ganz klar, als darüber diskutiert wurde, ob nicht drei Viertel des kommunalen Wohnungsbestands von Hamburg privatisiert werden sollten: nicht mit mir.

[Volker Ratzmann (Grüne): Ein bisschen mehr!]

Das war eine klare Absage in Hamburg, ganz unabhängig davon, dass es offensichtlich schon ganz andere Erfahrungen mit privaten Investoren gibt.

[Dr. Martin Lindner (FDP): Halten Sie uns lieber die schwarzen Sozis vor!]

Warten wir ab, wie es im nächsten Jahr in Dresden läuft. Da ist es noch nicht so lange her, dass privatisiert wurde.

Ganz unabhängig von all diesen Dingen gibt es einen grundlegenden Unterschied: Dresden hat es geschafft, sich mit dieser Privatisierungsmaßnahme komplett zu entschulden. Sie waren damit tatsächlich alle Schulden los. Das ist ein Unterschied, Herr Lindner! Bei uns ist es so, dass wir, wenn wir alle kommunalen Wohnungen verkaufen würden, gerade einmal 8 % unseres Schuldenbergs getilgt hätten und wir nach wie vor in der Zins- und Schuldenfalle wären. Herr Meyer hat selbst gesagt, wir würden Luft gewinnen für die nächsten zwei Jahre.

[Dr. Martin Lindner (FDP): 100 Millionen € pro Jahr!]

Da sage ich ganz klar: Ich bin nicht bereit, mich aus der Verantwortung in der kommunalen Wohnungsversorgung zu verabschieden, um für zwei Jahre Luft zu gewinnen. Das wird es nicht geben.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Zuruf von Dr. Martin Lindner (FDP)]

Es wird mit uns kein Modell Dresden geben. Da können Sie schreien soviel Sie wollen. Es wird in den Bereichen der Daseinsvorsorge keine Komplettprivatisierung geben.

Ich wundere mich über Ihre Einlassungen, Herr Pflüger. Das war etwas ganz anderes als im Wahlkampf, den wir gerade geführt haben.

[Stefan Liebich (Linksfraktion): Ja!]

Da haben Sie auch immer gesagt: In diese Bereiche – öffentliche Bereiche, Wohnungen, Daseinsvorsorge – greifen wir auf keinen Fall ein. – Jetzt prüfen Sie, ob man bei Wohnungen nicht doch etwas machen soll oder kann. Auch an der Stelle frage ich Sie: Wie ist Ihre Haltung dazu? Wie ist Ihre Haltung zur Privatisierung in den Bereichen der Daseinsvorsorge? Dazu müssen Sie eine Antwort geben.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Uwe Goetze (CDU): Machen Sie doch wenigstens einen Vorschlag!]

Die sehr strenge Auslegung der Bedingungen, unter denen ein Bundesland überhaupt einen Anspruch auf Sanierungshilfen hat, kann keinem Ministerpräsidenten entgangen sein. Wenn Berlin den Anspruch nicht hat, gilt das mit Sicherheit auch für alle anderen Bundesländer. Ich bin sicher, dass einige Bundesländer das Urteil, das sie jetzt beklatscht haben, in ein paar Jahren in einem völlig anderen Licht sehen werden.

[Dr. Frank Steffel (CDU): Beck zum Beispiel!]