Protocol of the Session on October 26, 2006

Drs 16/0006

Wer der Einsetzung des Hauptausschusses gemäß Drucksache 16/0006 zustimmen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Danke! Die Gegenprobe! – Enthaltungen sehe ich nicht. Dann ist das auch einstimmig. Damit ist der Hauptausschuss mit insgesamt 29 Mitgliedern eingesetzt. Der Verteilerschlüssel nach dem Höchstzahlverfahren ist den Fraktionen bekannt.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 9:

Einsetzung des Petitionsausschusses

Drs 16/0007

Der Petitionsausschuss soll nach interfraktioneller Vereinbarung aus 13 Mitgliedern bestehen. Wer mit dieser Mitgliederstärke und unter Berücksichtigung der Drucksache 16/0007 beschließen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Danke schön! Die Gegenprobe! – Enthaltungen sehe ich nicht. Dann ist auch das einstimmig so beschlossen, und der Petitionsausschuss ist eingesetzt und kann mit seiner wichtigen Arbeit nach der Konstituierung beginnen.

Dann kommt

lfd. Nr. 10:

Einsetzung des Kuratoriums „Louise-Schroeder-Medaille“

Drs 16/0010

Wer der Einsetzung des Kuratoriums Louise-SchroederMedaille auf der Basis des Beschlusses vom 12. September 2002 unter Berücksichtigung der Drucksache 16/0010 zustimmen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Danke schön! Die Gegenprobe! – Keine Gegenstimmen, keine Enthaltungen zu sehen. Dann ist auch das einstimmig beschlossen.

Ich bitte auch hier um schnellstmögliche Benennung der Kuratoriumsmitglieder sowie der Stellvertreter, weil das dringlich ist. – Herzlichen Dank!

Ich rufe auf

lfd. Nr. 10 A:

a) Erklärung des Regierenden Bürgermeisters

Jetzt erst recht – Berlin muss es alleine schaffen

Hierzu gab es bereits mit Schreiben vom 19. Oktober von der Fraktion der Grünen den Antrag, eine Aktuelle Stunde zum Thema „Karlsruher Urteil und Folgen für Berlin“ auf die Tagesordnung der ersten Sitzung des Abgeordnetenhauses zu setzen.

Weiterhin rufe ich auf

b) Dringlicher Antrag

Nach dem Karlsruher Urteil: Senat muss umfassende Konsolidierungsmaßnahmen einleiten und einen Nachtragshaushalt 2007 vorlegen!

Antrag der FDP Drs 16/0016

Der Dringlichkeit wird offensichtlich nicht widersprochen.

Zur Regierungserklärung erhält nunmehr der Regierende Bürgermeister das Wort. – Bitte schön, Herr Wowereit!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bevor ich zur Regierungserklärung komme, möchte ich Herrn Momper, Herrn Dr. LehmannBrauns, Frau Seidel-Kalmutzki und den übrigen Mitgliedern des Präsidiums herzliche Glückwünsche des Senats zu ihrer Wahl übermitteln. Auf eine gute Zusammenarbeit!

Ich danke Herrn Dr. Lehmann-Brauns ausdrücklich für seine Rede als Alterspräsident. Es war eine sehr hervorragende Rede. Herr Dr. Lehmann-Brauns, Sie wissen, dass ich nicht alle Ihre Reden so ausgezeichnet finde. Aber es hat sich gezeigt – und das wird sicherlich der Tenor sein, der sich durch viele Reden zur Regierungserklärung ziehen wird –, Sie haben etwas ausgedrückt, das diese Stadt auch fühlt. Deshalb werden viele Passagen, die Sie in Ihrer Rede hatten, wiederholt werden, auch in meiner Regierungserklärung. Ich bin dankbar, weil Sie damit demonstriert haben, dass es Themen für Berlin gibt, die weit über eine parteipolitische Betrachtungsweise hinausgehen. – Recht herzlichen Dank für diese herausragende Rede!

[Beifall bei der SPD, der CDU und der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei den Grünen und der FDP]

Der 19. Oktober 2006 ist ein Einschnitt in der Berliner Politik. Das Bundesverfassungsgericht hat Berlin bescheinigt, sich nicht in einer extremen Haushaltsnotlage nach dem Grundgesetz zu befinden. Berlin kann nach diesem Richterspruch keine Sonder-Bundesergänzungszuweisungen oder andere Sanierungshilfen zur Haushaltssanierung geltend machen. Das ist bitter, aber wir müssen uns der Realität stellen. Berlin muss sich damit abfinden. Und ich sage dazu: Die Berlinerinnen und Berliner hatten in der jüngeren Geschichte schon einige

gen zu bestehen, und ich glaube, sie haben sie auch bestanden.

Wir sind nach Karlsruhe gegangen, um Hilfe einzuklagen. Wir haben damit unser gutes Recht wahrgenommen. Die Hilfe des Bundes und der Solidargemeinschaft der Länder ist kein Almosen, und wir haben in den vergangenen fünf Jahren immense Eigenanstrengungen unternommen, um den Anspruch zu untermauern.

[Dr. Martin Lindner (FDP): Zu wenig!]

Das Urteil sieht nun anders aus. Es gibt keine Hilfe. Ein hartes, ein klares Urteil. Das Verfassungsgericht hat Berlin auf sich selbst zurückgeworfen. Und es hat mit seinen Maßstäben auch für andere Länder so große Hürden aufgebaut, dass bundesstaatliche Sanierungshilfe auf rechtlichem Wege in Zukunft kaum mehr zu erwarten ist. In dieser Klarheit liegt auch etwas Positives. Wir wissen jetzt, woran wir sind. Wir sind autonom in unseren Entscheidungen und an keine wie auch immer gearteten Auflagen gebunden. Wir allein sind es, die jetzt die Balance wahren müssen zwischen finanzpolitischen Notwendigkeiten einerseits und wirtschafts- und sozialpolitischer Vernunft andererseits. Berlin hat in der zurückliegenden Legislaturperiode gezeigt, den Haushalt zu sanieren und den sozialen Frieden zu wahren, ist möglich.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wirft die Frage auf, wo Berlin und wo unsere Republik heute, 17 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer, stehen. Die Menschen in Ost und West waren im Herbst 1989 überglücklich, sich nach 28 Jahren Trennung wieder begegnen zu können. Mehr noch: Es gab einen breiten gesellschaftlichen Konsens darüber, dass nun die Stunde der Solidarität gekommen war, um in ganz Deutschland gleiche Lebensbedingungen herzustellen. Die Solidarität war groß und die Hauptstadt Berlin wurde zum Symbol der zusammenwachsenden Nation.

Wenn man dagegen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Ende denkt, bedeutet das: An die Stelle des Solidaritätsgedankens unseres bündischen Föderalismus tritt ein klarer Wettbewerbsföderalismus. Vom Fall der Mauer und den Folgen der Teilung Deutschlands ist im Urteil wenig zu lesen.

[Zuruf von Michael Braun (CDU)]

Sonderbelastungen, die Berlin durch die jahrzehntelange Teilung bis heute drücken, zählen nicht mehr, nicht die Verlagerung der Industrie nach Westdeutschland während der Teilung, in den Stunden der höchsten Not dieser Stadt, nicht der rasante Prozess der Deindustrialisierung nach der Wende mit dem Verlust Hunderttausender von Arbeitsplätzen, sowohl durch das Zusammenbrechen der Kombinate im Ostteil der Stadt als auch durch das Scheitern der hoch subventionierten Westberliner Unternehmen, nicht die aus dieser Geschichte resultierende geringe Steuer- und Wirtschaftskraft des Landes Berlin. Wir hatten erwartet, dass das Gericht die Belastungen, die Berlin wegen seiner Geschichte bis heute zu tragen hat, berücksichtigt. Das ist nicht geschehen. schwere Prüfungen zu bestehen, und ich glaube, sie haben

[Dr. Martin Lindner (FDP): Was soll denn das Gejammer?]

Und ein zweiter Aspekt taucht nicht auf: Die Bedeutung der Hauptstadt für die Republik. In den meisten Ländern Europas und der Welt ist die Hauptstadt jeweils auch das wirtschaftliche Zentrum. Für Berlin gilt das nicht. Dies ist historisch bedingt. Berlin ist nicht nur die Hauptstadt für die Berlinerinnen und Berliner, sondern aller Deutschen. Die Hauptstadt ist das Aushängeschild der Republik. Kann sich eine reiche Republik eine arme Hauptstadt leisten?

[Dr. Martin Lindner (FDP): Berlin kann sich Rot-Rot nicht mehr leisten!]

Auch die Anstrengungen der letzten Jahre und die Belastungen, welche die Berlinerinnen und Berliner schon in den letzten Jahren getragen haben, zählen nicht: Solidarpakt im öffentlichen Dienst mit Gehaltseinbußen von 8 bis 12 %, Ausstieg aus der sozialen Wohnungsbauförderung und aus der Anschlussförderung, kontinuierlicher Personalabbau seit 1991, viele andere Maßnahmen, die die Berlinerinnen und Berliner tragen mussten, mehr als es der Rest der Republik tun musste. All das zählt nicht.

Im Gegenteil: Das Gericht weist auf angebliche Überausstattungen in den Bereichen Bildung, Soziales, Wissenschaft, Forschung und Kultur hin und verkennt, dass es gerade diese Bereiche sind, die Berlin attraktiv machen,

[Christoph Meyer (FDP): Soziales!]

so attraktiv, dass wir erneut Tausende Bewerber aus allen Teilen des Landes für die Berliner Unis abweisen mussten. Trotzdem bilden wir weit über unseren Bedarf hinaus aus. Und vielfach profitieren davon Jugendliche aus all den Ländern, die noch heute vom Berliner Aderlass nach der Teilung profitieren und aus denen nun erfreute bis erleichterte – man kann auch sagen: hämische – Kommentare zur Berliner Situation kommen. So ist die Welt, und es gehört zu den Wahrheiten, die wir zur Kenntnis nehmen müssen: Nicht Solidarität und Heilung von Wunden der Teilung ist der Leitgedanke des Karlsruher Urteils, sondern Eigenverantwortung und knallharter Wettbewerb.

[Dr. Martin Lindner (FDP): Eine ganz larmoyante Rede!]

Damit wir uns richtig verstehen: Eigenverantwortung und Wettbewerb können Antriebsfedern für eine erfolgreiche Entwicklung sein, aber bitte unter fairen und gleichen Ausgangsbedingungen. Die Folge wird ein hemmungsloser Darwinismus sein.

[Dr. Martin Lindner (FDP): Quatsch!]

Das Urteil haben wir hinzunehmen, und was ich eben ausführte, ist keine Richterschelte,

[Dr. Martin Lindner (FDP): Das macht dann der Herr Biolek! – Zurufe von den Grünen]

sondern die Analyse einer anderen Auffassung des Zusammenlebens in unserem Bundesstaat. – Herr Lindner! Es wäre angemessen für jemanden, der ein flottes Wort

führt, in so einer Stunde einmal zuzuhören, auch wenn es schwerfällt.