Protocol of the Session on October 26, 2006

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Beifall von Benedikt Lux (Grüne) – Zuruf von Dr. Martin Lindner (FDP)]

Ich werde Ihnen, Herr Lindner, aufmerksam zuhören, obwohl ich weiß, was Sie sagen werden.

Das Gericht war – auch juristisch – in einer sehr schwierigen Lage. Das wissen wir, und ich habe Verständnis dafür, dass das Gericht grundsätzlich urteilen musste, weil andere Klagen des Saarlandes und Bremens anhängig sind. Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein stehen bestimmt schon vor der Tür. Deshalb musste es auch grundsätzlich sein. In dem komplexen System der bundesstaatlichen Finanzen weiß auch jeder, wie viele Länder dann einen ähnlichen Weg wie Berlin gegangen wären.

Die Klarheit dieses Urteils lässt Berlin allein. Aber wir in Berlin kennen dieses Gefühl des Alleingelassenseins. Die Älteren haben einschneidende Ereignisse wie die Blockade Berlins oder den Mauerbau noch persönlich erlebt. Und sie erinnern sich, wie nach dem 13. August 1961 der amerikanische Vizepräsident Johnson von jenseits des Atlantik schneller an der Spree war als Adenauer, der erst noch den Rhein überqueren musste.

[Zuruf von der CDU: Unfassbar!]

Natürlich ist die Lage heute anders, aber das Gefühl ist ein bisschen wie damals: Außerhalb Deutschlands – von New York über London, Paris und Warschau bis Moskau, Peking und Tokio – gilt Berlin als attraktiv, als spannende und dynamische Metropole mit Zukunft. Im eigenen Land dagegen tut man sich schwer mit der eigenen Hauptstadt. Nur so kann ich manch schadenfrohe Reaktion auf das Urteil interpretieren.

Berlin antwortet darauf nicht mit Larmoyanz,

[Gelächter bei der CDU und der FDP – Dr. Martin Lindner (FDP): Was machen Sie denn gerade?]

sondern mit Selbstbewusstsein und im Wissen wirklich erfahrener Geschichte. – Herr Lindner! Eine Rede hat einen Anfang und ein Ende. Hören Sie bitte bis zum Ende zu.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Wir wissen, dass hier die Konflikte deutscher Geschichte mehr zu spüren waren. Wir wissen auch, dass die Probleme der Gegenwart hier früher und deutlicher zu bemerken sind und daher auch früher gelöst werden müssen.

Die Debatte um die Rütli-Schule war keine Diskussion nur über ein Berliner Problem. Hier wurde exemplarisch etwas diskutiert, was unser ganzes Land angeht. Und deswegen sind wir mit der Problemlösung auch weiter als andere. Mit unserem neuen Schulgesetz haben wir als erstes Land die Konsequenz aus der PISA-Studie gezogen.

[Unruhe bei der CDU]

Oder denken wir an die Kitareform und das Quartiersmanagement: Niemand hat so viel getan wie wir. Es gibt keinen Grund, sich demütig der Arroganz von außen zu beugen: Schauen wir auf uns selbst und auf das, was wir können und was wir selbst tun!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Natürlich kann man die Ausstattung an Kitaplätzen als „Überausstattung“ bezeichnen, wie es das Gericht mit seinem Verweis auf Hamburg getan hat. Ich finde, wir können stolz darauf sein, dass wir in puncto Kita-Angebot in der Republik vorne liegen.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Es wäre doch geradezu widersinnig, wenn wir uns jetzt von diesem Kurs verabschieden würden, da andere Länder und der Bund gerade damit beginnen, dem Berliner Vorbild zu folgen. Wie sagte die Familienministerin von der Leyen an die Adresse der Länder? – Ich zitiere:

Habt den Mut zu neuen Prioritäten! Senkt die KitaGebühren – oder noch besser: Schafft sie ganz ab!

Das hat die CDU-Ministerin von der Leyen gefordert, und Sie hat recht!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Stichwort Wissenschaft: Auch da kann man sehen, wie paradox das Karlsruher Urteil ist. Die Verfassungsrichter sprechen auch hier von einer „Überausstattung“. Gleichzeitig wissen wir alle, dass wir als rohstoffarmes Land noch sehr viel mehr in Bildung und Wissenschaft investieren und noch mehr Hochschulabsolventen hervorbringen müssen. Auf der Bundesebene wird gerade auf der Kultusministerkonferenz darüber diskutiert, 90 000 neue Studienplätze zu schaffen.

Wir bilden aus für andere. Wir zahlen für andere, weil sie ihre Kontingente nicht erfüllen, vor allem die reichen Länder wie Bayern und Baden-Württemberg. Denen soll jetzt 50 % gegeben werden – für Versäumnisse. Wir hingegen sollen keine Finanzierung für das bekommen, was wir schon überproportional ausgebildet haben. Das muss in der Republik zur Kenntnis genommen werden: Wo wir eine Überausstattung haben, leisten wir auch etwas für andere Länder.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Stichwort Kultur: Auch da sprechen die Verfassungsrichter von Überausstattung. Da werden wieder Vergleiche mit anderen Städten oder Ländern angestellt. Das kann man ja von außen vielleicht auch so sehen. Aber wir haben diese drei Opernhäuser nicht nur zu unserem eigenen Vergnügen, sondern auch, weil es dem Renommee unseres Landes dient. Auch da leistet die Hauptstadt eine Aufgabe für die gesamte Republik. Ich darf daran erinnern: Es heißt Staatsoper und nicht Stadtoper, und als solche ist sie damals auch gegründet worden.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Beifall von Dr. Uwe Lehmann-Brauns (CDU) und Dr. Martin Lindner (FDP) – Dr. Martin Lindner (FDP): Das ist das erste Richtige!]

Es steht fest, dass uns niemand bei der Bewältigung unserer Schuldenlast helfen wird. Berlin muss es aus eigener Kraft schaffen. Es wäre verfrüht, in der heutigen konstituierenden Sitzung des Berliner Abgeordnetenhauses schon fertige Lösungen auf den Tisch zu legen. Aber wir sehen schon in den ersten Reaktionen, wie schwer diese politische Prüfung für die ganze Stadt werden wird.

Was uns nicht weiterhilft, ist ein radikaler Kürzungsmasochismus nach dem Motto: Jetzt aber ran, koste es, was es wolle – und sei es das Leben! Ebenso wenig können wir uns jetzt eine „Nützt ja doch alles nichts“-Haltung erlauben und vor dem Schuldenberg kapitulieren.

[Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Bitte ein bisschen lauter bei den Grünen. Die sind ja die Sparkommissarinnen und -kommissare. Das habe ich allerdings von den Sondierungsverhandlungen anders in Erinnerung.

[Volker Ratzmann (Grüne): Wir haben Ihren Kurs auch anders in Erinnerung!]

Ich denke, dass es in Berlin die alte Subventionsmentalität, die uns in mancher Äußerung von außen noch immer unterstellt wird, in dieser Form schon lange nicht mehr gibt. Dieser Senat hat in den letzten fünf Jahren einen Mentalitätswechsel geschafft.

[Oh! von der CDU]

Wir haben vieles verändert, was uns niemand zugetraut hätte. Dabei haben uns viele unterstützt. Die Opposition nicht so richtig, aber viele Organisationen, Institutionen und Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Unser Kurs in den vergangenen Jahren war richtig, und er bleibt auch nach dem Urteil richtig. Gescheitert ist die Klage, nicht unsere Politik.

[Dr. Martin Lindner (FDP): Das ist ja lächerlich!]

Was ist nun zu tun? – Eine große Wegstrecke bei der Konsolidierung unseres Haushalts haben wir schon zurückgelegt. Das wird ja in diesen Tagen manchmal vergessen. Verglichen mit dem Jahr 2002 konnten wir die Neuverschuldung halbieren. Wir haben die Primärausgaben um über eine Milliarde Euro abgesenkt und die Steuereinnahmen sind um eine halbe Milliarde Euro seit 2002 gestiegen. Die aktuelle konjunkturelle Entwicklung wird uns helfen, und auch die Erhöhung der Mehrwertsteuer im nächsten Jahr bringt zusätzliche Einnahmen in den Haushalt. Gott sei dank werden wir auch in diesem Jahr zusätzliche Steuereinnahmen haben. Die brauchen wir auch dringend.

Wir werden den eingeschlagenen Weg der Konsolidierung konsequent weitergehen und alles tun, um die Neuverschuldung so gering wie möglich zu halten. Nur klar ist auch, dass der Weg nicht einfacher, sondern steiniger geworden ist. Der Schlüssel ist eine nachhaltige Verbesserung der wirtschaftlichen Lage und damit die

rung der wirtschaftlichen Lage und damit die Verringerung von Arbeitslosigkeit und Transferzahlungen. Ohne diese bessere Entwicklung, die sich abzeichnet, werden wir uns selber nicht helfen können. Das bleibt auch eine Wahrheit und eine Erkenntnis, die wir bereits vor Karlsruhe hatten.

Wir werden in dem einen oder anderen Bereich trotz Karlsruhe investieren und mehr ausgeben müssen als andere Länder. Zum Teil, weil wir dies aufgrund bundesgesetzlicher Vorgaben tun müssen. Ein Beispiel sind mit 820 Millionen € die höheren Ausgaben bei Hartz IV im Vergleich zu Hamburg, die man uns vorgehalten hat. Diese Ausgaben tätigen wir doch nicht, weil wir glauben, dass die Menschen etwas zusätzlich bekommen müssen, sondern weil es zur Lebenserhaltung notwendig ist, dass diese Sozialhilfesätze gezahlt werden.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Zuruf von der CDU und der FDP]

Ein Vergleich mit dem reichen Hamburg, das eine deutlich niedrigere Arbeitslosigkeit hat, ist etwas merkwürdig – vorsichtig ausgedrückt. Hier können wir keine Kürzungen vornehmen. Es wäre fatal, wenn man glaubte, man könne in diesem Bereich den Bundesgesetzgeber auffordern, seine Minimalsätze noch weiter zu senken. Das würde nicht nur Berlin, sondern die gesamte Republik nicht verkraften.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Wir müssen auch dort, wo es politisch nötig und gut begründbar ist, Mehrausgaben lmachen.

Natürlich gehört im Lichte der Karlsruher Entscheidung alles noch einmal auf den Prüfstand. Wir werden in den nächsten Jahren harte Haushaltsberatungen haben, aber es ist kein Trotz, wenn wir an bestimmten Entscheidungen festhalten, auch wenn Karlsruhe etwas anderes meint. Das Urteil ist wichtig, aber keine Bibel, aus der jede Politik abzuleiten wäre.

Politik bleibt auch nach Karlsruhe die Kunst des Möglichen. Wir müssen abwägen, was für unsere Stadt das Beste ist: Einerseits wollen wir unseren Kindern nicht nur Schulden hinterlassen, andererseits müssen wir sie aber auch so ausbilden, dass sie mithalten können. Einerseits sind unsere Ausgaben für Wissenschaft und Forschung hoch, andererseits liegt da die Chance für künftige Arbeitsplätze.

In den laufenden Koalitionsverhandlungen haben wir zum Haushalt einige Weichen gestellt. Wir standen und stehen vor der Aufgabe, Einnahmen zu verbessern und Ausgaben zu senken, ohne die Zukunftschancen der Stadt zu beeinträchtigen. Also: Intelligenter Ressourceneinsatz und Abwägung im Einzelfall, statt mit der großen Sense alles niederzumähen! Das ist die Devise, und dazu stehen wir auch, und zwar auch dann, wenn andere etwas anderes wollen. Wir verteidigen auch das, was in dieser Stadt sozial gerechtfertigt und notwendig ist und was Zukunftsin

vestitionen für diese Stadt ermöglicht. Dies müssen wir auch bei dieser Haushaltssituation gewährleisten.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]