Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 89. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin und begrüße Sie alle, unsere Gäste und Zuhörer sowie die Medienvertreter recht herzlich zu unserer letzten Plenarsitzung der 15. Wahlperiode.
Bevor wir in die Tagesordnung einsteigen, habe ich eine traurige Pflicht zu erfüllen und bitte Sie, sich zu erheben.
Der Stadtälteste von Berlin und frühere Stadtrat und Bundestagsabgeordnete Gerhard Schulze ist am 10. August 2006 im Alter von 87 Jahren verstorben.
Aus dem Kriege heimgekehrt, trat der gelernte Drogist Gerhard Schulze 1946 in die Berliner CDU ein. Von 1948 bis 1955 war er Mitglied der Bezirksverordnetenversammlung von Kreuzberg. Von 1954 bis 1955 war er auch Mitglied der CDU-Fraktion des Abgeordnetenhauses. 1955 wurde er in Kreuzberg zum Bezirksstadtrat für Wirtschaft gewählt und übernahm ab 1975 zusätzlich das Ressort Gesundheit. Seit 1975 wirkte er außerdem als Stellvertretender Bezirksbürgermeister in Kreuzberg.
Gerhard Schulze war 26 Jahre lang als Stadtrat in Kreuzberg tätig, kompetent und hoch anerkannt. Ein ganz liberaler Vertreter seiner Partei, sehr angenehm und tolerant selbst im Umgang mit dem politischen Gegner. 1981 wurde er von seiner Partei in den Deutschen Bundestag entsandt. Dort setzte er sich neun Jahre lang für die Belange Berlins ein.
18 Jahre lang hatte Gerhard Schulze den Kreisvorsitz der Kreuzberger CDU inne. Seiner Partei diente er jahrzehntelang auch noch in vielen anderen Ehrenämtern, unter anderem als Vorsitzender der Mittelstandsvereinigung der CDU. Darüber hinaus engagierte er sich in karitativen Organisationen und in der evangelischen Kirche.
Gerhard Schulze wurde für seine jahrzehntelange verdienstvolle Tätigkeit 1969 das Verdienstkreuz am Bande, 1974 das Verdienstkreuz Erster Klasse und 1998 das Große Verdienstkreuz des Bundesverdienstkreuzes verliehen. Als Anerkennung für ein Lebenswerk, das dem Gemeinwohl gewidmet war, zeichneten Abgeordnetenhaus und Senat von Berlin Gerhard Schulze 1994 mit der Würde eines Stadtältesten von Berlin aus.
Mit Gerhard Schulze verliert Berlin einen engagierten und kompetenten Politiker, der tief in seinem Kiez und seinem Bezirk Kreuzberg verankert war und mit Sachverstand und Tatkraft über drei Jahrzehnte hinweg die kommunalpolitischen Geschicke seines Heimatbezirkes begleitet und mitgelenkt hat.
Bevor ich zum Geschäftlichen komme, möchte ich in unsere Mitte den Abgeordneten Stadtkewitz besonders herzlich begrüßen.
Herr Kollege Stadtkewitz, ich freue mich, dass Sie sich nach dem ungeheuerlichen Brandanschlag auf Ihr Privathaus entschieden haben, der Politik treu zu bleiben. Als ich von dem Anschlag auf Sie und Ihre Familie hörte, war ich – wie alle Abgeordneten dieses Hauses – entsetzt und empört. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie furchtbar Gewalt ist, die nicht nur die eigene Person trifft, sondern die Familie bedroht. Ich hoffe, dass die Sicherheitsbehörden die kriminellen Gewalttäter bald finden und schnell den Gerichten überantworten.
In diesem Zusammenhang möchte ich feststellen, dass es für mich und für uns eine Selbstverständlichkeit ist, Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung abzulehnen und zu verurteilen.
Gewalt in der politischen Auseinandersetzung bedroht die Demokratie. Deshalb ist es die gemeinsame Haltung aller demokratischen Parteien und Fraktionen in diesem Hause, Gewalt abzulehnen. Bei dieser Selbstverständlichkeit wird es auch bleiben.
In zwei Wochen, am Sonntag, dem 17. September, haben wir Wahlen. Die Wählerinnen und Wähler Berlins sind aufgerufen, mit ihrer Stimme die Zusammensetzung des nächsten Berliner Abgeordnetenhauses und der zwölf Bezirksparlamente zu bestimmen und in einer Volksabstimmung über Änderungen der Regelung zu Volksbegehren und Volksentscheid in der Berliner Verfassung abzustimmen. Ich rufe alle Bürgerinnen und Bürger auf: Gehen Sie zur Wahl! Nehmen Sie Ihr verfassungsgemäßes Recht in Anspruch, Ihre Stimme in einer freien und geheimen Wahl abzugeben! In vielen Ländern der Welt müssen die Menschen auch heute noch darum kämpfen, in einer Demokratie leben zu dürfen. Sie haben häufig nicht die Möglichkeit, in einer freien Wahl selbst zu entscheiden, welche Politikerinnen und Politiker die Geschicke ihres Landes bestimmen. Wir wissen, Demokratie ist verletzlich und muss täglich neu erkämpft und erarbeitet werden. Jede Stimme, die nicht für eine demokratische Partei abgegeben wird, stärkt die radikalen Ränder unserer Gesellschaft und insbesondere die Neonazipartei.
An dieser Stelle möchte ich den fünf im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien dafür danken, dass sie trotz des Wahlkampfs in einem gemeinsamen Aufruf vor der Gefahr des Rechtsextremismus in Berlin gewarnt haben. In dem Aufruf heißt es: „Wir, die demokratischen Parteien, lassen uns in Zeiten des Abgeordnetenhauswahlkampfes in der Wahrung von Toleranz und Menschenwürde
Die Demokratie ist in unserem Land durch das Grundgesetz und die Verfassung festgeschrieben, und sie ist im Bewusstsein einer großen, einer sehr großen Mehrheit der Bevölkerung auch fest verankert. Um die Demokratie zu wahren, ist es notwendig und eine Bürgerpflicht, an den Wahlen teilzunehmen und seine Stimme abzugeben.
Bürgerinnen und Bürger Berlins, ich wende mich direkt an Sie: Sie haben bei dieser Wahl vier Stimmen. Die Erststimme entscheidet darüber, welcher Abgeordnete Ihren Wahlkreis direkt im Abgeordnetenhaus vertreten soll. Die zweite Stimme ist die Stimme für die jeweilige Partei. Mit dieser Stimme entscheiden Sie darüber, wie stark die jeweilige Partei im Abgeordnetenhaus vertreten sein wird. Mit Ihrer dritten Stimme entscheiden Sie über die Zusammensetzung der Bezirksverordnetenversammlung in Ihrem Bezirk.
Zusätzlich erhalten Sie dieses Mal auch einen Stimmzettel – den vierten Stimmzettel –, auf dem Sie über Änderungen zu den Regelungen über Volksbegehren und Volksentscheid in der Berliner Verfassung abstimmen dürfen. Das Abgeordnetenhaus hat einmütig, mit den Stimmen aller Parteien, beschlossen, die Quoren für Volksabstimmungen und Volksentscheide zu senken, um mehr bürgerschaftliche Beteiligung zu ermöglichen. Es wird den Bürgerinnen und Bürgern Berlins damit wesentlich erleichtert, politische Entscheidungsprozesse unmittelbar mit zu gestalten und mit zu bestimmen.
Zum Schluss möchte ich noch ein Wort an die 16- und 17-Jährigen richten, die bei dieser Wahl erstmals die Möglichkeit haben, die Zusammensetzung der Bezirksverordnetenversammlungen durch ihre Stimme mit zu bestimmen. Ich rufe Sie, und die auch die anderen Erstwähler, auf: Bitte nehmen Sie Ihr Recht wahr, die Politikerinnen und Politiker Ihres Vertrauens in die Bezirksverordnetenversammlung zu wählen. Ich setze darauf, dass gerade die jungen Wählerinnen und Wähler – genauso wie wir alle hier – von der demokratischen Idee begeistert sind und die neue Chance, über ihren Kiez, ihren Bezirk und die Politik mitbestimmen zu dürfen, nutzen.
Jetzt geht es weiter mit Geschäftlichem. Zunächst gibt es eine Änderung einer Ausschussüberweisung. Der Antrag der Fraktionen der SPD und der Linkspartei. PDS zum Thema Zweites Gesetz zur Änderung des Energiespargesetzes, Drucksache 15/5191, der in der 87. Sitzung am 8. Juni 2006 eingebracht und an den Ausschuss für Stadtentwicklung und Umweltschutz überwiesen worden ist, wird zusätzlich mitberatend an den Hauptausschuss überwiesen. Die nachträglich Zustimmung hierzu stelle
1. Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion der Linkspartei.PDS zum Thema: „Innere Sicherheit gewährleisten – Bürgerrechte schützen“.
2. Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: „Den Abstieg stoppen: Rot-Rot führt Berlin in die Krise – 300 000 Arbeitslose, 600 000 Stunden Unterrichtsausfall und 500 000 Straftaten sind nicht akzeptabel.“
3. Antrag der Fraktion der Grünen zum Thema: „Rot-Rot am Ende – am 17. September Weichen für die Zukunft stellen: Bildungsqualität verbessern, neue Arbeitsplätze schaffen, Haushaltskonsolidierung fortsetzen!“
4. Antrag der Fraktion der FDP zum Thema: „5 Jahre rot-roter Senat: wachsende Massenarbeitslosigkeit, extreme Haushaltsnotlage, grassierendes Schulchaos und zunehmende Armut!“
Inzwischen haben sich die Fraktionen auf den eingebrachten Vorschlag der Fraktion der FDP verständigt. Auf eine mündliche Begründung der Aktualität wird verzichtet.
liste sowie das Verzeichnis der Dringlichkeiten hinweisen. Ich gehe davon aus, dass allen eingegangenen Vorgängen die dringliche Behandlung zugebilligt wird. Sollte dies im Einzelfall nicht Ihre Zustimmung finden, bitte ich um entsprechende Mitteilung. Die Dringlichkeitsliste muss noch um den Antrag der Fraktion der Grünen zu dem Thema Verfassungsschutz evaluieren, Drucksache 15/5515, erweitert werden. Dieser Antrag wird als Tagesordnungspunkt 49 d aufgerufen werden.
Für die zeitweilige Abwesenheit an unserer heutigen Sitzung lagen dem Ältestenrat folgende Entschuldigungen von Senatsmitgliedern vor: Senator Dr. Wolf wird ab ca. 18.00 Uhr abwesend sein, um am Eröffnungsempfang der Internationalen Funkausstellung 2006 teilzunehmen. Der Regierende Bürgermeister wird ab ca. 18.30 Uhr abwesend sein, um die Eröffnungsrede anlässlich der Internationalen Funkausstellung 2006 zu halten. Insbesondere die Abwesenheit von Herrn Wolf wurde im Ältestenrat problematisiert. Die Fraktion der Grünen geht davon aus, dass Herr Wolf an der heutigen Sitzung auch nach 18.00 Uhr weiterhin anwesend sein wird.
Vielen Dank, Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Auch im Namen der Grünen und der CDU beantragen wir,
unabhängig davon, dass sie in dieser Regierungskoalition verschiedener Parteien angehören – und beide die Stadt Berlin repräsentieren.
Sie, die Antragsteller, erscheinen an dieser Stelle unglaubwürdig, und ich weise den Antrag als Wahlkampfgetöse zurück: Sie nehmen jede Gelegenheit zum Anlass, dem Senat von Berlin und dem Wirtschaftssenator Wolf zu unterstellen, er würde nicht mit Investoren reden und nichts für das Image der Stadt tun. Jetzt geht er zu den Investoren, und da sagen Sie, dies dürfe er nicht.
Ich bitte um das Handzeichen, wer dem von Herrn Ritzmann gestellten Antrag seine Zustimmung zu geben wünscht. – Danke schön! Die Gegenprobe! – Letzteres war die Mehrheit, die Fraktionen der SPD und der Linkspartei.PDS. Enthaltungen sehe ich nicht. Damit ist der Antrag abgelehnt.
dass der Bitte des Regierenden Bürgermeisters, Herrn Wolf ab 18 Uhr zu entschuldigen, nicht entsprochen wird. Er hat vielmehr hier zu sein, und zwar an dem gesamten Plenartag.
Warum soll Herr Wolf hier sein? – Meine Fraktion hat unter Tagesordnungspunkt 4 d beantragt, dass sich dieses Haus mit den Vorwürfen gegen Herrn Wolf beschäftigt, dass er Parteifreunden öffentliche Mittel über ein Gewerkschaftsnetzwerk zugeschanzt haben soll. Die Debatte wird bedauerlicherweise genau zu dem Zeitpunkt stattfinden, zu dem Herr Wolf vorhat, bei der IFA aufzutreten. Er hat dort keine konkrete Funktion, sondern will einfach nur bei der Eröffnung dabei sein. Das möchten viele in diesem Hause. Dort gibt es nämlich ein Konzert der Gruppe „a-ha“, einen Auftritt des „Cirque du Soleil“, hier aber muss gearbeitet werden, und deswegen muss Herr Wolf heute anwesend sein.
Interessant ist es, zu wissen, dass Frau Bürgermeisterin Schubert im Ältestenrat auf die Frage, warum Herr Wolf unbedingt bei der Eröffnung anwesend sein muss, obwohl er keine Funktion hat, erklärte, im Senat sei beschlossen worden, dass beide Fraktionen vertreten sein müssen.