Protocol of the Session on June 29, 2006

Internationales Berlin – vielfältig und integrativ

Beschlussempfehlung GesSozMiVer Drs 15/5275 Antrag der Grünen Drs 15/5114

e) Antrag und Beschlussempfehlung

Das Integrationskonzept für Berlin weiterentwickeln!

Antrag der SPD und der Linkspartei.PDS Drs 15/5214 Beschlussempfehlung GesSozMiVer Drs 15/5276

f) Antrag

Integrationsbeauftragten ernst nehmen: Wirksamkeit von Integrationsmaßnahmen und politischer Programme überprüfen

Antrag der FDP Drs 15/5304

Für die Beratung haben wir eine Redezeit von bis zu fünf Minuten vereinbart. Es beginnt die SPD. – Herr Kleineidam, bitte sehr!

Danke sehr, Frau Präsidentin! – Meine Damen und Herren! Vielfalt fördern, Zusammenhalt stärken – dieses Leitmotiv des rot-roten Senats beschreibt die Herausforderung und die Ziele der Berliner Integrationspolitik knapp, aber präzise. Dieses Leitmotiv ist Grundlage des Berliner Integrationskonzepts, das es weiter zu entwickeln gilt. Wir konnten vor wenigen Wochen in einer Tageszeitung einen Bericht lesen, wo dargestellt wurde, dass ein Bevölkerungswissenschaftler für das Jahr 2026 hochgerechnet hat, dass in diesem Jahr, also in 20 Jahren, 50 % der Berliner Schülerinnen und Schüler einen Migrationshintergrund haben werden. Das ist die Realität in unserer Stadt, und dieser Entwicklung müssen wir uns bereits heute stellen. Wir sollten also aufhören mit alten Debatten und uns nicht weiter die Köpfe darüber heiß reden, ob Multikulti gescheitert ist oder nicht. Wir haben eine multikulturelle Stadt, und die Frage ist, wie wir sie gestalten.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Auch Scheinlösungen, diejenigen, die immer meinen, bei Problemen der Integration sofort mit Abschiebung reagieren zu müssen, helfen uns nicht angesichts der Tatsachen, die wir im Land Berlin haben. Erforderlich ist die konkrete Arbeit in jedem Ressort. Das ist eine Querschnittsaufgabe im wahrsten Sinne des Wortes. Alle Ressorts müssen ihren Beitrag leisten, und sie müssen ihn zusammen leisten. Das ist das Entscheidende und das Neue an dem Integrationskonzept.

Die Herausforderungen für die Berliner Integrationspolitik sind deutlich beschrieben worden. Lassen Sie uns heute gemeinsam den Senat auffordern, diesen Weg mit dem Integrationskonzept weiterzugehen, es weiterzuentwickeln, damit wir in 20 Jahren friedlich und gut miteinander in dieser Stadt leben können. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der Linkspartei.PDS]

Danke schön! – Für die CDU-Fraktion hat das Wort der Abgeordnete Wansner. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir diskutieren heute im Berliner Abgeordnetenhaus zum wiederholten Male über Integrationskonzepte in Berlin und wissen doch alle ganz genau, dass in den vergangenen fünf Jahren gerade in diesem Bereich in unserer Stadt nichts Positives geschehen ist, sondern wir

Dieses Integrationskonzept ist vom Landesvorstand der Berliner CDU und den Kreisvorsitzenden meiner Partei einstimmig angenommen worden. Herr Kleineidam, das ist eben der Unterschied: Die CDU ist sich in der Frage der Integration einig, während Ihre Partei unter Führung der SPD Neukölln und des Bezirksbürgermeisters Buschkowsky sicher ein ganz anders Konzept entwickelt hat. Ich kann Ihnen eigentlich nur raten, wenn Sie zur CSU nach Bayern gehen würden, was Herr Buschkowsky über Ihre Integrationspolitik in dieser Stadt gesagt hat, ob Sie schmunzeln würden, weiß ich nicht, aber Sie würden Ihr Integrationskonzept sicherlich anschließend wegwerfen, weil das in Ihrer eigenen Partei nicht umsetzbar ist und Sie uns möglicherweise hier etwas vorspielen, was den Tatsachen überhaupt nicht entspricht. Einigen Sie sich erst mal selbst in Ihrer Koalition über Integration! Dann können Sie mit uns darüber diskutieren. Aber wir haben Ihnen ja eine Hilfe mit unserem Integrationskonzept gegeben. Da können Sie weiterhin abschreiben. Ich rate es Ihnen, dann haben Sie möglicherweise in der Integration Erfolge.

im Vergleich zu anderen Städten in Deutschland weit zurückgeblieben sind. Wir haben trotz ständiger Forderungen unserer Fraktion vier Jahre auf einen uns vom Senat jetzt vorgelegten Integrationsbericht warten müssen, den dieser großspurig „Integrationskonzept“ nennt.

Nun haben Sie, nachdem Sie in den Anhörungen, Herr Kleineidam, fast immer nur Kritik hörten, angefangen, mit Anträgen nachzubessern, was auch dringend notwendig war. Dabei scheuen Sie allerdings nicht davor zurück, Anträge der CDU, die Sie vorher in den Ausschüssen abgelehnt haben, abzuschreiben, und zwar unseren Antrag „Expertenmeinungen ernst nehmen – Integrationskonzept weiterentwickeln“ vom 15. November 2005 – fast wortgleich jetzt bei Ihnen nachzulesen. Wir wären allerdings froh gewesen, wenn Sie in den letzten vier, fünf Jahren unsere Anträge, die wir gestellt haben, ernst genommen und möglicherweise auch übernommen hätten. Dann würden wir dieses Fiasko, das wir jetzt erleben, so nicht zur Kenntnis nehmen müssen.

Der Antrag der FDP-Fraktion – nur schöne Worte, wer übernimmt welche Aufgaben beim Integrationskonzept beim Senat – geht wie unser Antrag in die richtige Richtung, Herr Lehmann, weil er die Regierung auffordert, von der uns vorliegenden Zustandsbeschreibung endlich zu konkreten Umsetzungen zu kommen.

Der Antrag der Grünen – internationales Berlin, vielfältig und integrativ – ist ein Parteitagsantrag, in dem Sie alle berechtigten und unberechtigten Forderungen über vier Seiten noch einmal aufgelistet haben. Erstaunt waren wir allerdings über eine Forderung auf Seite 3 unter Punkt 9, wo Sie mehr Polizeipräsenz in den Problemkiezen wünschen. Das hat sich vor einiger Zeit, so lange ist das noch nicht her, ganz anders angehört.

[Frau Villbrandt (Grüne): Das haben wir immer gesagt!]

Wir bieten Ihnen insbesondere zu Ihrem Antrag eine Diskussion an, weil Ihre Anträge in der letzten Zeit realistischer geworden sind. Deshalb sollten wir hier möglicherweise einmal mit den Grünen zu einer Diskussion kommen.

Die CDU-Fraktion hat gemeinsam mit unserem Spitzenkandidaten, Herrn Pflüger, ein im Gegensatz zu Ihrem umsetzbares Integrationskonzept erarbeitet. An diesem Integrationskonzept haben viele Menschen nichtdeutscher Herkunft mitgearbeitet, weil sie nach 5 Jahren von RotDunkelrot keine Hoffnung mehr haben, dass etwas Umsetzbares oder Realistisches kommt. Unter der Überschrift „Neue Wege in der Integrationspolitik“ haben wir 10 Punkte aufgeführt, die sich an den jetzigen Gegebenheiten im Bereich der Integration in Berlin ausrichten: 1. Integration ist Zukunftsaufgabe, 2. Arbeit integriert, 3. Qualifikation als Grundvoraussetzung von Integration, 4. Imamausbildung in Deutschland, 5. Welcome-Center und Integrationslotsen, 6. Aufenthaltsbeendigung und Rückkehr in das Heimatland, 7. Einbürgerung, 8. Kampfansage an den extremen Islamismus, 9. Ausländerrecht konsequent anwenden und 10. Integration als Chefsache.

[Beifall bei der CDU]

Was mich in den letzten vier, fünf Jahren geärgert hat, war die Diskussion: Ist Integration Chefsache? – Unsere Forderung war doch immer, dass der Regierende Bürgermeister sich wenigstens im Ansatz – Sie sehen, er ist bei einer solchen Diskussion noch nicht einmal im Raum, sicherlich interessiert ihn das nicht – mit diesen Problemen beschäftigt hätte. Er hätte sich an der Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland ein Lehrbeispiel nehmen können, denn die hat Frau Böhmer gleich in ihrem Bereich angeordnet. Es wäre sicherlich für die Menschen, für die Integrationsarbeit in dieser Stadt der richtige Ansatz gewesen.

Ich muss gleich aufhören. Lassen Sie mich noch einen Punkt sagen, Frau Präsidentin. – Herr Böger! Wenn man die Integration der letzten Jahre in den Schulen sieht, wie hilflos Sie agiert haben, wie teilweise jämmerlich Ihre persönlichen Vorstellung war, obwohl Sie wussten, was in den Schulen passiert, obwohl alle Sie gewarnt haben, bin ich schockiert, wie teilnahmslos Sie das insgesamt hinnehmen. Ich sage Ihnen offen: Es wäre möglicherweise besser gewesen, wenn Sie auf dem Höhepunkt der Skandale Ihren Hut genommen und gesagt hätten: Ich schaffe es nicht mehr, ich kann es nicht mehr, ich überlasse es einem andern.

[Beifall bei der CDU]

Ich hätte noch gern Frau Junge-Reyer angesprochen.

Aber jetzt ist Ihre Redezeit weit überschritten. Ich bitte Sie um den Schlusssatz.

Gut! – Ich hätte mir gewünscht, dass die Bausenatorin mit der Wohnungswirtschaft einmal ein Gespräch über die Quartiere in dieser Stadt geführt hätte, möglicherweise hätte man sie anders belegen müssen. Denn das sind auch Querschnittsaufgaben. Sie neh

Die letzten 40 Jahre Einwanderungspolitik in der Bundesrepublik sind eine Geschichte der Fehleinschätzungen und Versäumnisse. Es ist zynisch, wenn diejenigen, die Einwanderer nur als billige Gastarbeitskräfte tolerieren wollten, jetzt überall erklären, die Integration sei gescheitert, und zwar an deren Integrationsunfähigkeit. Wer jahrzehntelang Menschen nur nach ihrem Verwertungspotential für die Wirtschaft betrachtet, sie nicht als gleichwertige Mitbürger, als Nachbarn, sondern als Ausländer behandelt, muss sich nicht wundern, dass es Alltagsprobleme gibt, die sich in dem Maße verschärfen, wie sich soziale Problemlagen verschärfen.

Das Integrationskonzept kann die Probleme der letzten 40 Jahre nicht von heute auf morgen lösen. Es gibt keinen gordischen Knoten, den man einfach zerschlagen kann, und alles wird schön. Das Konzept ist Sachstandsbericht und Programm zugleich. Das haben Sie, Herr Wansner, überhaupt nicht begriffen. Deshalb hat die Koalition den Antrag eingebracht, der den Senat beauftragt, zur Weiterentwicklung der Integrationskonzeption ein mittelfristiges Arbeitsprogramm zur Integrationssteuerung zu erarbeiten. Der Kollege Kleineidam hat im Einzelnen erklärt, was gemeint ist. Insofern ist der jetzt nachgereichte FDPAntrag überflüssig.

men noch nicht einmal Ihre Querschnittsaufgaben wahr, und der Regierende Bürgermeister ist nicht bereit, sich mit diesen Problemen zu beschäftigen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU]

Danke schön! – Für die Linkspartei.PDS hat der Abgeordnete Wolf das Wort. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Wansner! Wenn sich die Vorschläge der CDU der letzten 40 Jahre in der Integrationspolitik in Reinform durchgesetzt hätten, würden Lukas Podolski und Miroslav Klose wahrscheinlich noch für Polen Fußball spielen, Gerald Asamoah für Ghana und Oliver Neuville für die Schweiz.

[Beifall der Abgn. Liebich (Linkspartei.PDS) und Frau Seelig (Linkspartei.PDS) – Niedergesäß (CDU): Ist ja ein bisschen billig!]

Und dann könnten Sie Ihre albernen Fähnchen jetzt leise weinend einrollen, weil wir dann schon längst ausgeschieden wären.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS – Zuruf des Abg. Henkel (CDU)]

Selten ist ein politisches Projekt so lange öffentlich und unter Beteiligung der Betroffenen diskutiert worden wie das Integrationskonzept. Das war von uns auch so gewollt. Die Debatte ist mit dem heutigen Tag auch keinesfalls abgeschlossen. Das Integrationskonzept markiert einen Paradigmenwechsel in Berlin. Endlich haben wir ein Leitbild, das anerkennt, dass Berlin eine Einwanderungsstadt ist, was die CDU über Jahrzehnte hinweg geleugnet hat, das anerkennt, dass Pluralität irreversibel ist, das Einwanderung als Chance begreift, und damit den Defizitdebatten etwas entgegengesetzt wird. Vielfalt fördern, Zusammenhalt stärken – das ist ein Leitbild, das einer demokratischen, offenen und toleranten Gesellschaft angemessen ist. Zu diesem Paradigmenwechsel gehört auch, dass alle Senatsverwaltungen einbezogen sind und dass Integrationspolitik als Querschnittsthema behandelt wird. Ich danke allen Beteiligten, besonders dem Integrationsbeauftragten, den Mitgliedern des Integrationsbeirats, den Verbänden und Initiativen, herzlich für ihre Mitarbeit und ihre Vorschläge im Namen meiner Fraktion.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS]

Das historisch Bedeutsame an dieser Konzeption ist, dass endlich der Gedanke des Vielfaltförderns, der Anerkennung und Wertschätzung von Menschen mit Migrationshintergrund in den Mittelpunkt staatlicher Politik gesetzt wurde. Das ist leider keine Selbstverständlichkeit. Integration wird endlich auch als Herausforderung und Forderung an die so genannte Mehrheitsgesellschaft formuliert. Dass viele Migrationsprobleme neben sozialer Marginalisierung und Ausgrenzung wesentlich in rassistischen, kulturellen und religiösen Vorurteilen begründet sind, beweist die Stigmatisierungsdebatte der letzten Jahre. Solange die CDU wie in Hessen und NordrheinWestfalen mit ausländerfeindlichen Kampagnen Wahl

kämpfe führt, solange – wie aktuell in Heinersdorf – ein banaler Kirchenbau zu einer Angstkampagne und Hysterie führt, muss die Integrationsbereitschaft der so genannten Mehrheitsgesellschaft im Fokus der Politik stehen.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS]

Neben der Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik ist die interkulturelle Öffnung des öffentlichen Dienstes von herausragender Bedeutung. Erst wenn der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund im öffentlichen Dienst dem Anteil in der Stadtgesellschaft entspricht, können wir von Normalität sprechen. Die Kampagne „Berlin braucht dich“ ist sicher ein guter Anfang.

Der Teil der Integrationspolitik, der uns trotz aller Fortschritte in Berlin am meisten Sorgen macht, ist die Flüchtlingspolitik. Die Reform der Ausländerbehörde geht uns zu schleppend. Der Umgang mit den Voten der Härtefallkommission ist uns in vielen Fällen unverständlich. Das zeigt aber auch, dass die Arbeit mit der Integrationskonzeption weitergehen muss.

Was die Anträge der Opposition angeht, will ich mich aus Zeitgründen nur mit dem längeren Antrag der Grünen befassen. Inhaltlich, liebe Freunde von den Grünen, sind wir uns nicht fern. Aber das Bedauerliche an dem Antrag ist, dass er ein ziemlich buntes Potpourri von Forderungen ist, die entweder schon längst integraler Bestandteil des Integrationskonzeptes oder Teil von laufenden Kampagnen und Arbeitsschwerpunkten des Integrationsbeauftragten sind. Eine Reihe interessanter Forderungen ist zurzeit noch nicht durchsetzungs- und mehrheitsfähig. Der Antrag enthält aber auch einen großen Teil Symbolismus, der – Herr Kollege Kleineidam hat schon darauf hingewiesen – eher schädlich wirken kann, z. B. die Bildung

Ihr wahres Gesicht zeigen SPD und Linkspartei aber erst so richtig bei der Flüchtlingspolitik. Da beschließen zwar die Parteitage der SPD und der Linkspartei hübsche Resolutionen, aber sie lassen es zu, dass minderjährige Kinder, die hier geboren und groß geworden sind, in ein für sie fremdes Land abgeschoben werden, dass junge Menschen drei Monate vor ihrem Realschulabschluss abgeschoben werden. Das ist die rot-rote Flüchtlingspolitik.