Protocol of the Session on June 8, 2006

Auf die Ausgestaltung des Jugendstrafvollzuges des Landes Berlin hat das Urteil keine unmittelbaren Auswirkungen. Der in Berlin praktizierte Jugendstrafvollzug entspricht bereits heute nicht nur dem Geiste nach, sondern auch in Inhalt und Organisation im hohen Maß den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. Deshalb sehe ich die Politik bestätigt, die wir in Berlin auf diesem Gebiet schon seit vielen Jahren realisieren.

Es hat mich gefreut, dass das Bundesverfassungsgericht betont hat, dass der Staat durch die Freiheitsentziehung für die Entwicklung der Gefangenen eine besondere

m Ende 007 fordert.

Frau Senatorin! Was halten Sie von dem Gedanken, dass angesichts der Tatsache, dass das Verfassungsgericht solche Mindeststandards gefordert hat, man – wenn es zu dieser Kompetenzübertragung auf die Länder kommt – etwas Ähnliches wie im Polizeirecht tut? Etwa versucht, über die Ländergrenzen hinweg Musterentwurfsdebatten zu führen? Ich gehe erst einmal davon aus, dass noch eine Restchance besteht, mit dieser misslichen Lage überhaupt nicht konfrontiert zu werden. Man muss sich aber unter Umständen darauf einstellen, dass es real geschehen kann.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Lederer! Wir haben bereits angesichts der Anhörung im Deutschen Bundestag entsprechende Diskussionen begonnen. Wir haben uns mit den Vertretern der verschiedenen Fraktionen im Deutschen Bundestag im Rechtsausschuss zusammengesetzt und inhaltliche Diskussionen geführt. Wir haben in der letzten Woche anlässlich der Justizministerkonferenz in Erlangen entsprechend debattiert. Gleichwohl ist dort auch wieder deutlich geworden, dass es eine Diskrepanz bei den Auffassungen gibt. Nicht alle Länder vertreten die gleiche Meinung. Wenn die Zuständigkeit wirklich durch die Kommission auf die Länder übergeht, wird es keinen einheitlichen Standard mehr geben. Das hat die Diskussion in der JuMiKo ganz deutlich gemacht. Ich würde dafür plädieren, sofern es so käme – der Ausgang in der Föderalismuskommission ist auch noch ungewiss –, sehr schnell die Standards, die das Bundesverfassungsgericht von uns verlangt und die im letzten Entwurf der Bundesregierung zum Jugendstrafvollzug liegen, hier in diesem Haus zu beschließen.

Verantwortung hat, der er nur durch eine Vollzugsgestaltung gerecht werden kann, die in besonderer Weise auf Förderung ausgerichtet ist. Wir müssen uns dieser besonderen Verantwortung stellen. Das von manchen immer wieder geforderte bloße Wegsperren, das auch noch möglichst lange, hat bei jugendlichen Straftätern sicherlich genau das Gegenteil von dem zum Ergebnis, was das Bundesverfassungsgericht uns als Aufgabe aufgetragen hat.

Wir müssen die positiven Ansätze der jungen straffällig gewordenen Menschen erkennen und stärken. Wir müssen ihnen gerade im Justizvollzug Rahmenbedingungen schaffen, die ein soziales Lernen und eine Ausbildung von Fähigkeiten und Kenntnissen, die der künftigen beruflichen Integration dienen, möglich machen. Dafür werde ich mich auch in Zukunft mit voller Kraft einsetzen.

Zu Ihrer zweiten Frage: Nach meiner Überzeugung trifft es nicht zu, dass die Schaffung eines bundeseinheitlichen Jugendstrafvollzugsgesetzes in der Vergangenheit ausschließlich an den Ländern gescheitert wäre. Die Bundesregierung hat zuletzt im Jahr 2004 den Entwurf eines Jugendstrafvollzugsgesetzes vorgelegt und mit den Ländern diskutiert. Berlin hatte diesen Entwurf nach intensiver Diskussion mit Vertretern aus der Praxis und mit den Verbänden im Wesentlichen mitgetragen. Ein an den Ländern liegendes Scheitern ist im Augenblick nicht festzustellen, zumal sich auch die anderen Länder an der Debatte beteiligt hatten. Wir sind davon ausgegangen, dass dieses Jugendstrafvollzugsgesetz in dem Entwurf in den Gesetzgebungsgang kommen würde.

Eine Bund-Länder-Anhörung am 3. November 2004 war konstruktiv. Im Ergebnis war vorgesehen, dass der Bund den Entwurf im Licht der Ergebnisse dieser Anhörung überarbeitet und vorlegt. Gestern hat die Bundesjustizministerin Frau Zypries einen entsprechenden ausformulierten Vorschlag für ein Jugendstrafvollzugsgesetz vorgelegt. Ich werde mich an dieser Diskussion wieder beteiligen. Ich bin weiterhin der Auffassung, dass nur ein Bundesgesetz sinnvoll ist und nachdrücklich bundeseinheitliche Standards für den Jugendstrafvollzug festschreiben und eine dauerhafte hohe Qualität des Jugendjustizvollzuges gewährleisten kann.

Ich habe gestern auch gelesen, dass bereits mehrere Länder Jugendstrafvollzuggesetze in Entwurfsform vorgelegt haben. Soweit mir diese durch das Internet bekannt geworden sind, habe ich sie mir angesehen. Ich bin nicht der Auffassung, dass die dort gewährleisteten Mindeststandards denen entsprechen, die das Bundesverfassungsgericht jetzt von uns bis zu 2

Ich werde mich auch zukünftig dafür einsetzen, dass der Strafvollzug beim Bund verbleibt, und bin sehr froh, dass dieses Haus in der letzten Sitzung einhellig dafür plädiert hat, den Strafvollzug in Bundeszuständigkeit zu belassen. – Danke!

Danke schön, Frau Senatorin! – Es gibt eine Nachfrage des Kollegen Dr. Lederer. Er hat das Wort. – Bitte!

Herr Kollege Dr. Lederer! Das war weit mehr als eine Frage. Wir hatten die Frage schon verstanden. – Bitte schön, Frau Senatorin Schubert!

Frau Senatorin, was heißt den JuMiKo?

[Frau Bm Schubert: Justizministerkonferenz!]

Da kann man noch etwas lernen! – Jetzt geht es weiter mit einer Frage des Kollegen Zimmer. – Bitte, Sie haben das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident! – Frau Senatorin! Ich habe Ihre Ausführungen zu den Erziehungszielen des Jugendstrafvollzuges sehr wohl gehört. Wie vereinbart sich damit der Umstand, dass die Arrestanten, die auch Gegenstand des Jugendstrafrechts sind, in der Jugendarrestanstalt in Lichtenrade durch lautstarke Unterhaltungen mit ihren Freunden außerhalb der Jugendarrestanstalt die gesamte Nachbarschaft tyrannisieren? Meinen Sie, dass dem Erziehungsgedanken damit eine Förderung zuwächst, wenn man noch nicht einmal in der

Herr Präsident! Herr Abgeordneter! Ich fange einmal mit der Beantwortung der Frage 2 an. Die Äußerungen des Vizevorsitzenden der polnischen Regierungspartei Liga Polnischer Familie disqualifizieren sich von selbst. Eine unmittelbare Reaktion, von welcher Seite auch immer, würde

diesen grob beleidigenden und menschenverachtenden Ausfällen nur unangemessene Publizität verleihen.

Der Senat von Berlin erwartet allerdings, dass der Regierung der Republik Polen von den europäischen Partnern im Rahmen der EU Zusammenarbeit verdeutlicht wird, dass die von Herrn Wierzejski geäußerte Position nicht im Einklang mit der Grundrechtscharta der Europäischen Union und den Grundwerten des Europarates steht.

Ich sage aber auch ganz deutlich, dass es mich mit großer Sorge erfüllt, wie in unserem Nachbarland Polen, Mitglied der Europäischen Union, Dinge, die mittlerweile längst in Vergessenheit geraten sein sollten, wie offen diskriminierende Äußerungen von Spitzenpolitikern, leider in einer breiten Öffentlichkeit goutiert werden. Das zeigt, dass dort noch viel zu tun ist, um in Europa ein liberales und offenes Klima zu erreichen. Dieser Prozess muss aber auch in der polnischen Gesellschaft voran gebracht werden. Es ist richtig und notwendig, dass von deutscher Seite Solidarität gezeigt wird. Deshalb finde ich es gut, dass Repräsentanten aus Berlin am Sonnabend bei der – glücklicherweise – genehmigten Parade teilnehmen werden. Andererseits ist auch die diskriminierende Gegenparade genehmigt worden. Es ist nicht auszuschließen, dass es zu Auseinandersetzungen kommt. Hoffentlich sind die polnischen Sicherheitskräfte so eingestellt, dass sie die Demonstranten, die für Offenheit und Toleranz demonstrieren, auch schützen werden.

Lage ist, in den entsprechenden Einrichtungen für Ruhe und Ordnung im Land Berlin zu sorgen?

Frau Senatorin Schubert, bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter Zimmer! Auch das ist ein Ausfluss der Erziehung, dass man bei solchem ruhestörenden Lärm, der über das übliche Maß hinaus geht, eingreift. Was sollte Erziehung anderes sein als ein Eingreifen, wenn andere Mitglieder der Gesellschaft gestört werden? Immer dann, wenn uns mitgeteilt wird, dass es solchen ruhestörenden Lärm gibt, gehen wir auf die im Umfeld der Jugendarrestanstalt wohnenden Bürger zu. Wir haben solche Vorfälle nicht nur dort. Das gibt es auch in anderen Anstalten gelegentlich und muss geregelt werden. Wir können dies und tun es mit Erziehungsmaßnahmen.

Jetzt geht es weiter mit dem Abgeordneten Birk von der Fraktion der Grünen mit einer Frage zu dem Thema

Moskau und Warschau – Partnerstädte in Homophobie?

Bitte schön, Herr Kollege Birk!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich frage den Senat:

1. Wie hat der Senat von seiner städtepartnerschaftlichen Beziehung zu Moskau Gebrauch gemacht, um auf die homophoben Äußerungen des Moskauer Bürgermeisters Luschkow zu reagieren, mit denen er das Verbot der Moskauer Gay-Parade gerechtfertigt und den Einsatz der Polizei gelobt hat?

2. Wie hat sich der Senat zu den Äußerungen des Vizevorsitzenden der polnischen Regierungspartei „Liga Polnischer Familie“ Wierzejski verhalten, der zu den Ankündigungen deutscher Politikerinnen und Politiker, am Warschauer CSD teilzunehmen, sagte: „Im Übrigen ist es mir völlig egal, ob irgendwelche Politiker aus Deutschland kommen. Das sind keine ernst zu nehmenden Politiker, sondern einfach nur Schwule. Wenn die Schwulen ein paar Mal etwas mit dem Knüppel übergezogen bekommen, werden sie zum zweiten Mal nicht kommen. Schwule sind doch schon per Definition Feiglinge.“?

[Dr. Lindner (FDP): Die Frage hätte man auch in der BVV stellen können!]

Danke schön. – Der Regierende Bürgermeister antwortet. – Bitte schön, Herr Wowereit!

[Beifall bei der SPD und der Linkspartei.PDS]

[Beifall bei der SPD, der Linkspartei.PDS und den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Ich bin auch nicht bereit, jedwede Äußerung von irgendeinem Politiker zu kommentieren.

[Dr. Lindner (FDP): Bravo!]

Wir haben leider zur Kenntnis nehmen müssen, dass ähnliche Tendenzen in Russland, in Moskau in der Vergangenheit immer wieder dazu geführt haben, dass die Paraden noch nicht einmal genehmigt worden sind. Bereits vor dem Vorfall, von dem der Bundestagsabgeordnete Beck betroffen war, habe ich in einem Schreiben an den Kollegen Luschkow meine große Sorge über Ausschreitungen, die im Zusammenhang mit Mai-Demonstrationen dort zu verzeichnen waren, zum Ausdruck gebracht und ihn im gegenseitigen Interesse darum gebeten, auch von seiner Seite zu verdeutlichen, dass die Zukunft der großen Metropolen nur dadurch sichergestellt wird, dass von allen Seiten ein Klima der Toleranz und Offenheit geschaffen und garantiert wird und sich Situationen nicht noch verschärfen. Wir haben leider erleben müssen, dass es zu diesen gewalttätigen Übergriffen gekommen ist, unter denen nicht nur der Kollege Beck, sondern auch Menschen, die nur von ihrem selbstverständlichen Recht auf Meinungsäußerung und ihrer Forderung nach Toleranz Gebrauch machen wollten, betroffen waren, diskriminiert und geschlagen wurden und Angst um ihr Leben hatten. Dies ist eine schwierige Situation.

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1. Aus welchen Gründen hat der Senat gegen das Votum des Aufsichtsrates der Charité und des Wissenschaftsrates die Schließung der Vorklinik am Campus Benjamin Franklin beschlossen?

Danke schön, Herr Kollege Schmidt! – Der Wissenschaftssenator Dr. Flierl hat das Wort. – Bitte schön!

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Kollege Schmidt! Der Senat hat am 30. Mai beschlossen, im Rahmen der Neustrukturierung der Charité die vorklinische Ausbildung von Studierenden der Medizin künftig am Standort Charité Mitte zu konzentrieren. Er ist der Auffassung, dass mit dieser Lösung vor dem Hintergrund der Haushaltsnotlage des Landes und der bereits festgelegten Absenkung der Landeszuschüsse für Forschung und Lehre bis zum Jahr 2010 eine fachlich angemessene und gleichzeitig wirtschaftliche Struktur gewährleistet wird. Eine Zwei-Standorte-Lösung würde nicht nur höhere Investitionskosten fordern, sondern auch höhere Betriebskosten nach sich ziehen. Das wäre mit der festgelegten Absenkung der Landeszuschüsse und dem Konsolidierungskurs der Charité nicht vereinbar. Mit der vom Senat festlegten Lösung sollen langfristig Einsparungen von mindestens 7,3 Millionen € gegenüber dem Zwei-Standorte-Modell erreicht werden. Darüber hinaus werden weitere Einspareffekte durch eine verbesserte Arbeitsorganisation erwartet.

Sie kennen auch die Situation der Pressekonferenz anlässlich des M-4-Gipfels in Berlin, bei dem die Äußerungen des Kollegen Luschkow ziemlich eindeutig waren. Der Kollege Delanoe hat auch in meinem Namen kräftig dagegen gehalten und protestiert. Wir haben es auch deutlich gemacht. Unsere Einflussmöglichkeiten sind aber begrenzt. Es gibt immer die Abwägung auch im Rahmen der Teilnahme an Veranstaltungen, ob man der Bewegung im jeweiligen Land nutzt oder eher schadet. Die Abwägung muss jeder auch für sich selbst treffen.

Danke schön, Herr Regierender Bürgermeister! – Es gibt eine Nachfrage des Kollegen Birk. – Dann haben Sie das Wort. Bitte!

Angesichts der Tatsache, dass es vor der Moskauer Demo ähnlich aufhetzende Äußerungen auch von politischer Seite gegeben hat, und der Tatsache, dass viele Berliner – und Abgeordnete aus diesem Haus, zumindest ich – morgen nach Warschau fahren werden, frage ich Sie, ob es notwendig wäre, auch auf diplomatischer Ebene auf solche Äußerungen, wie ich sie zitiert habe, einzugehen.

Herr Regierender Bürgermeister, bitte!

Herr Präsident! Herr Abgeordneter! Wir kennen die Einstellung von Politikern aus Russland, aus Polen oder auch aus anderen Ländern der Welt. Wir werden nicht dadurch besser, dass wir diplomatische Briefe austauschen, sondern die Bewegung muss im Land unterstützt werden. Da kann die Solidarität, die nicht nur in Deutschland, sondern auch vor Ort gezeigt wird, eine Hilfe sein. Sie kann aber auch kontraproduktiv sein. Das ist immer abzuwägen. Ich glaube, es gibt auch noch große Unterschiede zwischen Warschau und Moskau. Ich hoffe, dass die Demonstration am Samstag in Warschau friedlich verlaufen wird. Durch die Genehmigung der Gegendemonstration, die sich schon vorher ziemlich eindeutig in ihren Parolen artikuliert hat, ist aber auch wieder Schlimmes zu befürchten. Ich weiß, dass viele aus Berlin und aus der gesamten Bundesrepublik hinfahren werden. Ihnen und vor allen Dingen den betroffenen Menschen vor Ort gilt unsere Solidarität. Man sollte sie – auch in Form von öffentlichen Debatten – zum Ausdruck bringen.

Bevor ich dem Kollegen Schmidt das Wort erteile, muss ich mich selbst korrigieren. Der Kollege Dr. Lindner hatte – darauf wurde ich aufmerksam gemacht – von einer Machtübernahme gesprochen, nicht von einer Machtergreifung. Insofern ist meine Bemerkung gegenstandslos. Ich bitte um Entschuldigung für den Irrtum meinerseits.