Protocol of the Session on April 6, 2006

[Unruhe bei der SPD und der Linkspartei.PDS]

Ihre Rede war wirklich eine Zumutung. Es zeigt deutlich, dass Sie bis heute nicht in der Lage sind zu sehen, was in dieser Stadt passiert. Sie nehmen die Menschen ausländischer Herkunft, Ihrer heutigen Rede nach zu urteilen, nicht einmal ernst.

[Gaebler (SPD): Was?]

Sie qualifizieren Sie nicht. Sie haben sie heute – ich sage es offen – verhöhnt.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Danke schön! – Herr Dr. Felgentreu zur Replik – bitte, sie haben das Wort!

Herr Wansner! Vielen Dank für diese gut vorgelesene „spontane“ Kurzintervention! Ich finde, Sie sollten Ihre Neidkomplexe gegenüber Herrn Buschkowsky nicht immer so öffentlich ausleben. Das bringt uns alle nicht weiter.

[Beifall bei der SPD]

Wenn Sie ernsthaft glauben, dass Bezirkspolitik das Problem der Arbeitslosigkeit lösen könnte, dann wundert es mich, dass Ihre Fraktion Sie zum migrationspolitischen Sprecher gemacht hat. Aber das steht auf einem anderen Blatt.

Wir haben mit den Mitteln, die wir in der Bezirkspolitik beschicken können – das ist eigentlich ein Thema für die BVV –, das erreicht, was möglich ist, und das ist mehr als in manchen anderen Bezirken. Wir haben aus Bezirksmitteln ein ganzes Haus für Sprachkurse eingerichtet, damit wir diese bedarfsgerecht anbieten können, wir haben Schulstationen aus Bezirksmitteln bezahlt, und wir sind der erfolgreichste Bezirk im Bereich des Schul- und

und zwar insbesondere für Konflikt- und Gewaltprävention. Gleichzeitig ist ein Umdenken in der Lehrerausbildung unausweichlich. Mehr Praxisanteile, individuelle Förderung, gezielte Vorbereitung auf Klassen in sozial benachteiligten Gebieten oder mit hohem Migrantenanteil und somit auch mehr interkulturelle Kompetenzen – das und vieles mehr muss als fester inhaltlicher Bestandteil in der Lehrerausbildung verankert werden.

Chancengerechtigkeit und Teilhabe aller an guter Bildung muss der Schwerpunkt aller Bildungseinrichtungen sein, denn gut ausgebildete junge Menschen mit Perspektive neigen weniger zu Extremismus und Gewalt. Wir müssen uns auch von dem Gedanken verabschieden, dass wir in manchen Bezirken eine soziale oder ethnische Durchmischung hinbekommen. Wir müssen uns damit abfinden, dass wir in manchen Quartieren mit herkömmlichen Unterrichtsmethoden – auch mit Frontalunterricht – nicht weiterkommen. Deshalb sind wir der Auffassung, dass sich Schulen öffnen müssen. Sie müssen sich hin zum Sozialraum und zur Nachbarschaft öffnen, und dabei müssen sie personell und finanziell unterstützt werden.

Herr Böger! Aus diesem Grund brauchen wir mehr echte Ganztagsschulen – nicht nur Ganztagsschulen, die dieses Etikett tragen, sondern Ganztagsschulen, in denen Lehrerinnen und Lehrer, Erzieherinnen und Erzieher mehr Zeit haben und für jedes einzelne Kind da sein können. An diese Schule gehören auch Eltern, Künstler, Handwerker, Theaterpädagogen genauso wie Erzieher, Schulpsychologen, Sozialpädagogen und andere Professionen, wie meine Kollegin Klotz bereits angemahnt hat.

Sportstättensanierungsprogramms. Wir haben eine Städtepartnerschaft mit der Türkei geschaffen, und diese Liste ließe sich beliebig fortsetzen.

[Gram (CDU): Trotzdem explodiert die Gewalt!]

Das ist auch der Grund dafür, warum die Zählgemeinschaft mit den Grünen und der PDS in Neukölln tadellos funktioniert, weil wir nämlich gute und fundierte Integrationspolitik machen. Da werden Sie noch eine ganze Weile in der Opposition bleiben. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD und der Linkspartei.PDS]

Danke schön, Herr Kollege Dr. Felgentreu! – Jetzt folgen die Grünen. Das Wort hat der Kollege Mutlu. Es wäre schön, wenn alle etwas leiser wären als bisher. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der mutige Hilferuf der Rütli-Schule kommt einem Dammbruch gleich. Dieser Dammbruch ist allerdings nicht mit Sandsacken zu stoppen, und dieser Dammbruch ist auch nicht mit beharrlichem Festhalten an der Hauptschule zu schließen, Herr Böger. Diese Restschule ist kaum zu reformieren. Sie hat sich nicht bewährt und gehört abgeschafft.

[Beifall bei den Grünen – Dr. Lindner (FDP): Wieder diese Aufforderung!]

Wir brauchen ein integratives Schulsystem, in dem Demokratie und soziales Verhalten gelernt und gelebt werden können.

[Zuruf des Abg. Dr. Augstin (FDP)]

Langfristig brauchen wir keine Einheitsschule. Es wird uns von der Seite immer wieder fälschlich vorgeworfen, dass wir das fordern. Wir brauchen vielmehr eine Gemeinschaftsschule nach skandinavischem Vorbild, in der alle Schülerinnen und Schüler bis zur 10. Klasse gemeinsam lernen,

[Dr. Augstin (FDP): Eine neue Utopie]

und die Zusammenlegung der Haupt- und Realschule zu einer integrativen Schulform, wie es meine Kollegin Klotz vorhin angemahnt hat, ist ein richtiger Schritt dahin.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der Linkspartei.PDS]

Auch wenn durch die Zusammenlegung von zwei Schulen die Probleme nicht schon gelöst werden können – dieses muss sicherlich inhaltlich und programmatisch unterfüttert und mit den Schulen gemeinsam erarbeitet werden –, ist es doch ein Schritt in die richtige Richtung.

Nichtsdestotrotz dürfen wir Schulen und Lehrkräfte mit den Problemen der Gesellschaft nicht allein lassen.

[Frau Senftleben (FDP): Das tun wir nicht!]

Es wurde bereits diverse Male gesagt, und ich betone es nochmals: Schulen müssen wieder Ort von Respekt, mit klaren Regeln und mit klaren Grenzen werden. Die Lehrerinnen und Lehrer müssen dafür auch gewappnet werden.

Das erfordert eine konsequente und kontinuierliche Fort- und Weiterbildung der Lehrerschaft,

[Frau Senftleben (FDP): Eine Ausbildung!]

[Beifall bei den Grünen]

[Beifall bei den Grünen]

Wir müssen es aber auch schaffen, Autoritäten der Immigranten-Community als echte Partner zu gewinnen. Das können Imame sein, es kann aber z. B. auch der Ältestenrat einer größeren Familie sein. Es gibt so genannten Großfamilien, und diese Einrichtung müssen wir für die Schule gewinnen und in der Schule entsprechend verankern. Die Eltern, insbesondere die aus dem türkischen und arabischen Sprachraum entlasse ich damit keineswegs aus der Verantwortung. Sie haben die Pflicht, ihre Kinder, die Kita und die Schule tatkräftig zu unterstützen. Wenn es notwendig ist, müssen wir auch die Eltern bilden, sie an die Schulen binden und Identifikationsräume schaffen. Wir müssen ein Klima schaffen, wo sich die Eltern wie die Schüler willkommen fühlen. Das gilt im Übrigen für alle Schülerinnen und Schüler und nicht nur für solche mit Migrationshintergrund.

[Beifall bei den Grünen]

Elterncafés oder Mütterkurse sind dazu hervorragend geeignet. Aber diese werden nicht ausreichend finanziert. Diese müssen ausgebaut werden und sollten nicht nur an 50 oder 60 Schulen, sondern an allen Schulen vorhanden

Wir erinnern uns alle an die Diskussion, die wir vor ziemlich genau zwei Jahren hier geführt haben und in der es um die Thomas-Morus-Schule ging. Damals hatte der Rektor der Öffentlichkeit mitgeteilt, dass drei Schüler seiner Schule den so genannten Ehrenmord an Hatun Sürücü für richtig hielten. Es herrschte großes Entsetzen auf allen Seiten, und im Plenum wurde deutlich, dass wir mit einer gewissen Blauäugigkeit an der Berliner Realität vorbeigegangen sind. Es wurde uns bewusst, dass etwas schief läuft und vielleicht sogar etwas aus dem Ruder laufen könnte. Und es wurde uns bewusst, dass eine funktionierende internationale Großstadt mehr braucht als Multikulti-Gesäusel. Das war Konsens.

Damals sollten Taten folgen – z. B. dass die Kinder mit Schulbeginn Deutsch sprechen. Der Senator rühmt sich immer wieder – auch gestern im Bundestag – ob seiner Maßnahmen. Aber Sie müssen sich auch die Frage stellen – jetzt ist er wieder weg –:

Beherrschen alle jetzigen Erstklässler, die nun erstmalig gefördert wurden, die deutsche Sprache? – Nein! Diese Maßnahme ist nicht hinreichend und nicht konsequent. Sie haben die Vorklassen abgeschafft, statt sie zu qualifizieren. Wir wollen hingegen die Startklasse einrichten. Damit verbessern wir nicht nur die Startchancen unserer Kinder, sondern wir legen damit die Basis für eine erfolgreiche Integration.

sein. Wir müssen es auch schaffen, so genannte Testimonials – also Vorbilder – aus den Migranten-Communities als Partner in die Schule zu holen und sie für die Schule als Partner zu gewinnen. Erfolgreiche Migranten und Migrantinnen, die hier groß geworden sind und es als Sportler, Musiker oder Künstler zu Ruhm gebracht haben, können viel bewirken, weil sie von diesen Jugendlichen, die sich als Underdogs verstehen, auch respektiert werden. Insofern müssen wir es auch schaffen, dass die Schule viel mehr individuelle Förderung betreibt. Selbstverständlich muss die Schule auch großen Wert darauf legen – das möchte ich noch einmal unterstreichen –, dass die deutsche Sprache intensiver und gezielter gefördert wird.

[Frau Senftleben (FDP): Und früher!]

Herr Kollege! Bitte bedenken Sie die Redezeit!

Ich komme zum Schluss: Individuelle Förderung ist ein richtiger Weg. Selektionsinstrumente wie das Sitzenbleiben oder das Probehalbjahr gehören in diesem Sinne auf den Prüfstand bzw. abgeschafft.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der Linkspartei.PDS – Dr. Lindner (FDP): Alles weg! Kein Zwang!]

Was Not tut, sind Bildungsvereinbarungen mit klaren Zielen zwischen Schulen, Eltern sowie Schülerinnen und Schülern.

Für die Bekämpfung dieses Dammbruchs gibt es keine Patentlösung. Wir müssen an vielen Schrauben drehen und viele Reformen durchsetzen. Reformen gibt es im Übrigen nicht zum Nulltarif, obwohl Geld allein selbstverständlich nichts bewirkt. Bildungsinvestitionen sind Zukunftsinvestitionen, und diese sind längst überfällig. Das hat uns die Rütli-Schule schmerzlich gezeigt.