Protocol of the Session on April 6, 2006

Beim Thema Versammlungsrecht ist der Herr Senator nun endlich auch zur richtigen Einsicht gekommen. Das macht Hoffnung, Herr Körting, das macht Mut. Auch in Zukunft werden wir Ihnen gern bei der Gewinnung richtiger Einsichten Hilfestellung leisten, wenn es um die Gewährung der inneren Sicherheit in unserer Stadt geht.

[Beifall bei der CDU]

Trotz allem darf nicht verkannt werden, dass auch ein geänderter § 15 Versammlungsgesetz Aufzüge extremistischer Organisationen nicht generell verhindern kann. Die novellierte Vorschrift bietet aber in äußerst problematischen Fällen deutlich weiter gehende Verbotsmöglichkeiten, als dies nach der alten Rechtslage der Fall war. Dennoch sind wir der Überzeugung, dass wir alle extremistischen Entwicklungen verfolgen und gegebenenfalls auch durch weitere gesetzliche Änderungen reagieren müssen.

Schon jetzt geben wir zu bedenken, ob der Katalog der genannten Gedenkstätten nicht auch noch um solche der kommunistischen Diktatur zu erweitern ist.

[Beifall bei der CDU]

Keine Lösung ist es, die Gefahren dieser Strukturen systematisch weiter auszublenden, wie dies offensichtlich immer noch aktuelle Praxis des rot-roten Senats zu sein scheint. Stellvertretend hierfür – auch das ist heute in der vorhergehenden Diskussion deutlich geworden – ist das jüngste Verhalten des ehemaligen SED-Elite-Kaders und heutigen PDS-Senators Flierl.

[Beifall bei der CDU]

Danke, Herr Henkel! – Für die SPD-Fraktion hat jetzt Frau Abgeordnete Fischer das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dem Abgeordnetenhaus liegt heute die Vorlage – zur Beschlussfassung – eines Gesetzes zum Schutz von Gedenkstätten vor, die an die Opfer der menschenunwürdigen Behandlung unter der nationalsozialistischen Gewalt und Willkürherrschaft erinnern, das Gedenkstättenschutzgesetz. Der Senat hat das in seiner Sitzung am 14. März 2006 beschlossen. Im Hinblick auf den gerade vorgelegten Verfassungsschutzbericht ist eine Zunahme der Mitglieder rechtsextremistischer Parteien zu verzeichnen, deren Aufmärsche oft an die Grenze der Erträglichkeit stoßen, weil sie gern an Orten provozieren, die für die dunkle Seite der deutschen Geschichte stehen.

Wir erinnern uns auch an die schwierige Diskussion um Verbote und Auflagenbeschlüsse der Versammlungsbehörde, wenn provokante rechtsextreme Versammlungen Opfer der Naziherrschaft zu verhöhnen drohten. Deshalb war es richtig und wichtig, dass der Bundesgesetzgeber im Frühjahr 2005 eine Änderung des Versammlungsgesetzes dahin gehend in Kraft gesetzt hat, die Möglichkeiten zu konkretisieren, wie gegen neonazistisch ausgerichtete Versammlungen unter freiem Himmel vorzugehen ist. Verkürzt gesagt kann nunmehr an Orten, die als Gedenkstätte von historisch herausragender, überregionaler Bedeutung an die Opfer der menschenunwürdigen Behandlung unter der nationalsozialistischen Gewalt und Willkürherrschaft erinnern, die Versammlung verboten wer

Die Versammlungsfreiheit ist aber nicht grenzenlos. So sieht es das Bundesverfassungsgericht schon länger. Mit Verweis auf dessen Entscheidung von 1995 wären opferverhöhnende Nazi-Demonstration an Orten wie dem Denkmal für die ermordeten Juden Europas auch ohne die Änderungen des Bundesversammlungsgesetzes verboten worden. Aus unserer Sicht hätte es einer Änderung des Versammlungsrechts auf Bundesebene nicht unbedingt bedurft – das haben wir auch in der rot-grünen Regierungszeit deutlich gemacht –, auch wenn es für die Versammlungsbehörden dadurch sicher einfacher ist, Verbote gerichtsfest zu begründen.

den, wenn durch sie die Würde der Opfer beeinträchtigt wird.

Der Bund selbst hat das Holocaust-Mahnmal als einen solchen Ort benannt. Den Bundesländern bleibt es überlassen, weitere solcher Orte per Gesetz festzulegen. Der Senat legt uns einen Gesetzentwurf vor, der insgesamt 14 dieser Orte festlegt. Nach eingehenden Diskussionen auch mit den Opferverbänden sind es nun diese 14 Orte, die die Voraussetzungen des § 15 Abs. 2 als schützenswerte Gedenkstätten von historisch überregionaler Bedeutung erfüllen. Diese Heraushebung einzelner Orte im Gesetz ist nicht prioritär zu sehen, sondern ist der Historie geschuldet. In diesem Zusammenhang möchte ich Ihnen einmal den letzten in diesem Gesetz gelisteten Ort vorstellen und näher bringen. Er gehört nicht zu den so populären, sondern eher zu den stillen. Er liegt in Mitte. NaziAufmärsche haben oft in der Nähe stattgefunden. Es handelt sich um das Museum Blindenwerkstatt Otto Weidt mit der Gedenkstätte Stille Helden.

Wie Sie vielleicht wissen, hat Otto Weidt in seinem als sehr wichtig anerkannten Betrieb Besen und Bürsten herstellen lassen. Er hat Arbeitern als letzte Zufluchstätte gedient. Es ist ihm durch die Bestechung der Gestapo gelungen, die Arbeiter aus dem Sammellager in der Großen Hamburger Straße zurückzubringen. Er hat Menschen in diesem hinteren Raum versteckt, der bis heute als Geschichts- und Gedenkstätte erhalten geblieben ist. Welch eine Verhöhnung der Opfer, die nicht nur die dunkle Zeit der Naziherrschaft erdulden mussten, sondern auch vom Schicksal mit Dunkelheit gestraft wurden, denn die meisten von ihnen waren blind, wenn die NPD mit Fahnen, Trommeln, skandierend an diesem Ort vorbeiziehen würde.

Die Auseinandersetzung mit den Feinden der Demokratie ist nach wie vor vor allem Sache der Demokratie. Wirkungsvoller – das ist wahr – als alle Demonstrationsverbote ist es allemal, wenn die Zivilgesellschaft den alten und neuen Nazis entschlossen entgegen tritt. Aber oft ist das nicht möglich.

[Beifall bei der SPD und der Linkspartei.PDS]

Deshalb gelten nicht nur der Schutz und die Würde der Opfer der Naziherrschaft, sondern auch das Ansehen der Stadt als tolerantes Gemeinwesen. Mit diesem Gesetz sind wir diesem Anliegen ein Stück näher gekommen. – Vielen Dank!

Danke schön, Frau Fischer! – Für die Fraktion der Grünen hat jetzt Frau Ströver das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Für uns Grüne ist die Versammlungsfreiheit ein hohes Rechtsgut, anders als für Sie, Herr Henkel, das möchte ich hier ausdrücklich hervorheben. Für ein flächendeckendes Demonstrationsverbot kann man uns jedenfalls nicht gewinnen.

[Beifall bei den Grünen]

Freiheitliche Demokratien müssen damit leben, dass auch Demonstrationen, die die meisten von uns empören, nicht verboten werden. Das heißt nicht, dass wir unerträgliche Aufzüge von Neonazis hinnehmen müssen. Als zivilgesellschaftliche Akteure sind wir gefordert, ihnen deutlich entgegen zu treten. Letztlich kann kein Gesetz etwas gegen nazistische Einstellungen ausrichten. Um ihnen wirksam entgegenzutreten, bedarf es einer politischen und gesellschaftlichen Auseinandersetzung. Da bin ich mit Frau Fischer ganz einig.

[Zuruf des Abg. Zillich (Linkspartei.PDS)]

Die Grünen haben sich auf Bundesebene dafür eingesetzt, dass das Versammlungsrecht nahe an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts formuliert wurde. Ausschlag gebend muss die drohende Verletzung der Menschenwürde sein – das haben die Kolleginnen und Kollegen auch schon vorher gesagt – und nicht, Herr Henkel, wie damals von anderen gefordert, ganz andere Interessen, wie zum Beispiel das Ansehen Deutschlands im Ausland oder freier Autoverkehr oder eine demonstrationsfreie Zone per se am Reichstag oder Brandenburger Tor, wie es mancher gemeint hat.

Also: Um demonstrationsfreie Zonen kann es nicht gehen. Das müssen wir immer deutlich machen. Wir wollen die Würde von Opfern der menschenunwürdigen Behandlung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft in besonderer Weise an den Orten schützen, an denen ihrer in besonderer Weise gedacht wird. An diesen Orten sind weiter Versammlungen möglich, wenn sie die Würde der Opfer nicht beeinträchtigen, zum Beispiel eine Schülerdemonstration gegen Neonazis; es wäre absurd wenn sie nicht an solchen Orten stattfinden könnte. Umgekehrt ist es auch weiterhin möglich, unabhängig von einer Aufnahme in diese Liste Demonstrationsverbote an anderen Orten zu verhängen, wenn die Demonstrationen gegen diese Regelung verstoßen könnten.

Wenn wir jetzt von den bundesgesetzlichen Möglichkeiten Gebrauch machen, dann explizit an dem bereits genannten Denkmal für die ermordeten Juden Europas und an weiteren Gedenkorten von herausragender Bedeutung, die jetzt landesgesetzlich festzulegen sind. Über die Auswahl dieser Orte muss man allerdings noch einmal reden, Herr Körting. Das werden Sie im Innenausschuss

Das Gedenkstättenschutzgesetz ist gut gemeint. Wer von uns will nicht verhindern, dass die Würde der Opfer von nationalsozialistischer Gewaltherrschaft in den

Schmutz gezogen wird? Das Ziel dieses Gesetzes soll es sein, den bisherigen Schutz zu verbessern. Dieses Ziel wird aber nicht erreicht, Das Gesetz ist vielmehr eine „Mogelpackung“. Ich unterlege das mit zwei Argumenten:

Es wurde schon gesagt, am 8. Mai 2005 wollte die NPD-Jugend durch das Brandenburger Tor ziehen. Das liegt in unmittelbarer Nähe des Mahnmals für die ermordeten Juden Europas, und der Spruch der auf dem Aufzug plakatiert werden sollte – „Schluss mit dem Schuldkult“ – ist ein Anschlag auf die Würde der Opfer des Nationalsozialismus. Deswegen musste dieser Aufzug an dieser Stelle verhindert werden. Das Wichtige ist, dass das mit der bisherigen Rechtslage problemlos möglich gewesen wäre. Da war sich die FDP übrigens einig mit dem Innensenator, mit den zuständigen Polizeiführern und mit Verfassungsrechtlern. Das Problem war, dass aus Furcht vor der NPD, man könne in der Welt Bilder erzeugen, die nicht gefallen, in einer hysterischen bundespolitischen Debatte, im Schweinsgalopp, ohne ausreichend nachzudenken, ohne sich Zeit zu nehmen, ein Gesetz durchgepeitscht wurde.

vielleicht machen. 14 Orte wurden benannt. Für mich haben sich bei einigen dieser Orte durchaus Fragen gestellt. Wir wissen, dass es nahezu Hunderte von Orten gibt, die an NS-Geschehen in Berlin erinnern. Warum etwa wurden die Jüdische Gemeinde und das Jüdische Museum ausdrücklich aufgenommen, nicht aber das Centrum Judaicum in der Oranienburger Straße? Also dort, wo es die Ausstellung, wo es die Gedenkarbeit gibt, darf man weiter demonstrieren, aber vor der Jüdischen Gemeinde in der Fasanenstraße oder gar vor dem Jüdischen Museum – ein Museum, keine Gedenkstätte! – nicht.

Wie steht es mit der Neuen Wache – auch diese Frage muss gestattet sein –, an der nicht nur der Opfer des Nationalsozialismus gedacht wird, sie ist eine nationale Gedenkstätte von Herrn Kohl dort hingestellt? Es fragt sich, ob die Neue Wache, bei der es allgemein um die Opfer von Krieg und Gewalt geht, tatsächlich in diese Liste hineingehört.

Auch angesichts der notwendigen gesellschaftlichen Diskussion über das Unrechtssystem in der DDR und der wieder erstarkten alten Stasi-Kräfte – das sehe ich ein bisschen wie Herr Henkel – werfen sich Fragen auf, zum Beispiel ob diese Leute vor der Gedenkstätte Hohenschönhausen demonstrieren dürfen. Ich weiß, das wird von diesem Gesetz in keiner Weise abgedeckt; darüber wird sich der Bund Gedanken machen müssen.

[Beifall des Abg. Wansner (CDU)]

Aber eines ist klar: Keine Liste wird je vollständig sein können und kein Gesetz wird es uns ersparen können, uns immer wieder neu mit dem größten Verbrechen der Geschichte auseinanderzusetzen, der Opfer zu gedenken, ihre Würde zu schützen und Menschen verachtendem, nazistischem Gedankengut hier und heute und frühzeitig entgegenzutreten.

[Beifall bei den Grünen – Beifall des Abg. Wansner (CDU)]

Vielen Dank, Frau Ströver! – Für die FDP-Fraktion ist jetzt Herr Ritzmann an der Reihe. – Bitte sehr!

Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Es gibt eine interessante Entwicklung in dieser Debatte. Die Grünen sind jetzt gegen dieses Gesetz, waren im Bundestag aber dafür. Die PDS redet jetzt dafür, war aber im Bundestag dagegen. Die SPD war sowohl im Land als auch auf Bundesebene gespalten. Die Union ist immer für Verbote. Deswegen war klar, dass man einer Einschränkung von Freiheitsrechten immer hinterherjubelt. Auch da nichts Neues. Das Problem an diesem Gesetz ist, dass man sich auf Grund des zeitlichen Kontextes zu wenig Gedanken gemacht hat. Deswegen erläutere ich Ihnen jetzt die Position der FDP.

[Pewestorff (Linkspartei.PDS): Ach, hat sie eine?]

Der zweite Punkt ist: Das Gesetz zählt 14 Gedenkstätten in Berlin auf. Es ist kein generelles Demonstrationsverbot; ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, das Gesetz nochmals zu lesen.

[Henkel (CDU): Eben!]

Diese Orte sind nicht von Demonstrationen ausgenommen, sondern es gibt nur eine Erschwernis bei Demonstrationen, die die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft herabwürdigen. Das heißt, es muss weiter im Einzelfall geprüft werden.

Was ist das Ergebnis? – Es gibt in Berlin jetzt Gedenkstätten erster und zweiter Klasse, nämlich die, die aufgeführt sind – 14 – und die Dutzende – manche sagen, Hunderte – Gedenkstätten, auch kleine Gedenkorte, die nicht in der Liste sind. Aufgeführt in der Liste sind die Köpenicker Blutwoche und der Parkfriedhof in Marzahn. Aber das Mahnmal in der Levetzowstraße – eine Sammelstelle für die Deportationen von Juden – oder die zerstörte Synagoge am Lindenufer sind nicht in der Liste. Was heißt das? – Wenn man der Auffassung folgt, dass die Hürden für die 14 Gedenkstätten, die in der Liste stehen, dort zu demonstrieren, erhöht wurden, heißt das im Umkehrschluss, dass die Hürden für die Orte, die nicht in der Liste stehen, gesenkt wurden. Das bedeutet de facto eine Verschlechterung gegenüber dem Status quo, der bereits jetzt sichergestellt hätte, dass an allen Orten Berlins keinerlei Demonstrationen stattfinden können, die die Würde der Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft herabwürdigen.

[Beifall bei der FDP]

Herr Abgeordneter! Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Zillich?

Herr Kollege Ritzmann! Diese Kategorisierung von Gedenkstätten ist in der Tat ein Problem. Sind Sie nicht mit mir der Auffassung, dass eine solche Kategorisierung schon allein durch die Tatsache stattfindet, dass das Bundesgesetz die Länder auffordert, eine solche Kategorisierung vorzunehmen, auch ohne dass die Länder das ausführen?

Nein, diese Auffassung teile ich nicht. Es ist übrigens keine Aufforderung, sondern eine Möglichkeit. Der Großteil der Bundesländer kommt dieser Möglichkeit nicht nach.

[Sen Dr. Körting: Doch!]

Nein, der Großteil kommt ihnen nicht nach. Zum Beispiel verzichtet Nordrhein-Westfalen vollständig auf die Ausführung dieses Gesetzes. Thüringen verzichtet bisher darauf, Sachsen-Anhalt verzichtet darauf, Niedersachsen verzichtet darauf. Dort gibt es überall Gedenkstätten, die schützenswert sind, aber man ist allgemein der Meinung, dass die bestehende Gesetzeslage ausgereicht hätte und dass das neue Gesetz mehr Probleme schafft, als es löst. Das ist das Kernproblem. Der Schutz der Opfer, des Andenkens an die Opfer des Nationalsozialismus wird durch dieses Gesetz auf keinen Fall gestärkt. Möglicherweise wird dieser Schutz an einigen Gedenkstätten sogar geschwächt. Deswegen erweisen wir dem richtigen Anliegen einen Bärendienst. Meine Fraktion wird diesem Gesetz deshalb nicht zustimmen.

[Beifall bei der FDP – Dr. Lindner (FDP): Bravo!]

Danke, Herr Ritzmann! – Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung der Vorlage an den Ausschuss für Inneres, Sicherheit und Ordnung. – Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann werden wir so verfahren.

Ich rufe auf als Priorität der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen