Protocol of the Session on March 23, 2006

Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 83. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin und begrüße Sie alle, unsere Zuhörer, die Gäste und die Medienvertreter ganz herzlich.

Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich eine traurige Pflicht zu erfüllen. Ich bitte Sie, sich zu erheben.

[Die Anwesenden erheben sich.]

Die frühere Abgeordnete Edith Krappe ist am 17. März 2006 im Alter von 96 Jahren verstorben. Edith Krappe war bereits 1946 Mitglied der ersten frei gewählten Stadtverordnetenversammlung von Groß-Berlin. Nach der politischen Spaltung der Stadt im Jahre 1948 wurde sie erneut in die Stadtverordnetenversammlung gewählt, und nach Inkrafttreten der Berliner Verfassung gehörte sie ab 1951 dem Abgeordnetenhaus von Berlin an. Seit 1948 arbeitete sie viele Jahre lang als stellvertretende Vorsitzende und als Geschäftsführerin der SPD-Fraktion. 1957 wurde sie als Berliner Abgeordnete in den Deutschen Bundestag gewählt, dem sie dann bis 1972 angehörte.

1973 wurde Edith Krappe die Würde einer Stadtältesten von Berlin verliehen. Im Jahre 1980, kurz nach Vollendung ihres 70. Lebensjahres, wurde sie mit der Ernst-Reuter-Plakette des Landes Berlin ausgezeichnet. Seitdem hat sie sich zwar nach und nach aus dem politischen Leben zurückgezogen, in der Folgezeit nahm sie aber noch an vielen Veranstaltungen politisch-gesellschaftlicher Art teil.

Mit Edith Krappe verliert Berlin eine engagierte und kompetente Politikerin, deren Sachverstand und zupackende Art für Ihre Arbeit, insbesondere im Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses, wo sie über einige Jahre den Vorsitz innehatte, prägend war. Zeitweise war sie die einzige Frau im Hauptausschuss.

Edith Krappe war in ihrer politischen Arbeit eng verbunden mit Franz Neumann. In der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur wirkte sie an illegalen Aktionen sozialdemokratischer Gruppen mit. Später sagte sie einmal, dass diese Arbeit im Widerstand sie in der NS-Zeit politisch und menschlich aufrecht erhalten hätte.

Edith Krappe war eine aufrechte Politikerin und eine tapfere Frau. Wir schulden Edith Krappe Dank und werden ihrer stets mit Hochachtung gedenken.

Ich danke Ihnen, dass Sie sich zu Ehren von Edith Krappe erhoben haben.

Unter uns ist der Kollege Volker Ratzmann, und er hat

Geburtstag. Herzlichen Glückwunsch! Alles Gute zum Geburtstag!

[Beifall]

Am Montag sind wieder vier Anträge auf Durchfüh

rung einer Aktuellen Stunde eingegangen:

1. Antrag der Fraktion der SPD und der Linkspartei.PDS zum Thema: „Grünes Licht aus Leipzig – Ausbau des BBI kann starten!“,

2. Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: „Schweigen, verharmlosen, verdrängen – Ihr Umgang mit der Geschichte der SED-Diktatur und dem kommunistischen Unterdrückungsapparat ist für einen Berliner Senator würdelos und unerträglich, Herr Flierl!“,

3. Antrag der Fraktion der Grünen zum Thema: „Kultursenator Flierl verharmlost die Verbrechen des SEDRegimes und verschleppt das Gedenken an die Teilung Berlins“,

4. Antrag der Fraktion der FDP zum Thema: „Flierl duldet die Verhöhnung der Stasi-Opfer durch die Täter – Senator Flierl ist nicht mehr tragbar!“.

Inzwischen haben die Fraktionen sich darauf verständigt, unter der lfd. Nr. 4 eine Aktuelle Stunde zu dem Thema

Berlin duldet keine Verhöhnung der Stasi-Opfer durch die Täter – auch Senator Flierl muss sich bekennen

durchzuführen.

Dann weise ich Sie auf die Ihnen vorliegende Kon

sensliste sowie auf das Verzeichnis der Dringlichkeiten hin. Zur Konsensliste gebe ich Ihnen einen Hinweis: Die lfd. Nr. 29 mit zwei Beschlussempfehlungen zum Thema „Mittelfristige Finanzplanung“ soll beraten werden. Ich bitte, dieses zu berücksichtigen.

Der Senator für Inneres wird an dem Schweigemarsch für den am vergangenen Freitag erschossenen Polizeibeamten Uwe Lieschied teilnehmen. Aus diesem Grunde ist er heute ab 14.45 Uhr entschuldigt. Einige Kolleginnen und Kollegen – Kollege Trapp, Frau Kollegin Hertel, auch ich – werden ebenfalls an dem Gedenkmarsch teilnehmen und das Abgeordnetenhaus vertreten.

Ich komme zur

lfd. Nr. 1:

Fragestunde – Mündliche Anfragen

Die Fragen Nr. 2 und Nr. 10 der Abgeordneten Kaczmarek von der CDU und von Lüdeke von der FDP zum Thema „Flusssäure“ sollen zusammengefasst werden. – Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so. Das Prozedere bleibt – wie immer – das gleiche.

Das Wort zur ersten Mündlichen Anfrage hat nunmehr Frau Abgeordnete Iris Spranger von der Fraktion der SPD zum Thema

Auftreten ehemaliger Stasi-Mitarbeiter

Bitte schön, Frau Spranger! Sie haben das Wort!

Ich frage den Senat:

Die Verharmlosung der Stasi-Untersuchungshaftanstalt Hohenschönhausen und die Relativierung der systematischen Menschenrechtsverletzungen des DDR-Repressionsapparates provozierten auf unerträgliche Weise die Vertreter der Opferverbände, die Podiumsteilnehmer und andere Gäste der Veranstaltung. Nach Einschätzung der Moderatorin Frau Dr. Camphausen haben die Stasi-Leute die Veranstaltung zwar belastet, aber keineswegs ihre Vergangenheitsdeutungen durchsetzen können. Ihre Lebenslügen entlarven sich selbst. Die Veranstaltung war – so Camphausen – kein später Sieg der Stasi. Das Veranstaltungsprogramm und ebenso alle Podiumsteilnehmer haben keinerlei Zweifel daran gelassen, dass die Geschichte des MfS-Sperrbezirks dokumentiert und im

Stadtraum deutlich gekennzeichnet werden muss und wird.

Der Senat unterstützt die Tätigkeit der Gedenkstätte Hohenschönhausen und fördert das Projekt des Bezirks Lichtenberg zur Geschichtsarbeit im Stadtraum. Der Senat erklärt seine Solidarität mit den anwesenden Opfern der früheren Staatssicherheit.

Für weitere öffentliche Veranstaltungen ist darüber nachzudenken, wie dieser militanten Präsenz durch ehemalige MfS-Mitarbeiter entgegengewirkt werden kann. Grundsatz muss dabei sein, dass sich die demokratische Öffentlichkeit nicht von einer Minderheit vorschreiben lassen kann, in welcher Form, nach welchem Verfahren und mit welchen Inhalten sich demokratische Erinnerungskultur etabliert. Die Leitung der Gedenkstätte hat die uneingeschränkte Rückendeckung des Senats und des Stiftungsrates, wenn sie von ihrem Hausrecht Gebrauch macht, um Provokationen zu verhindern und ehemalige Häftlinge vor Zumutungen und Angriffen in Schutz zu nehmen.

1. Wie beurteilt der Senat das Auftreten zahlreicher ehemaliger Mitarbeiter der Staatssicherheitsbehörde der DDR auf einer öffentlichen Veranstaltung und deren Versuche, ihre menschenverachtenden und rechtsstaatswidrigen Handlungen als „normal“ darzustellen?

2. Welche Schlussfolgerungen zieht der Senat aus den Vorfällen für die weitere Arbeit der Stiftung Gedenkstätte Hohenschönhausen, und wie wird er die Auseinandersetzung führen?

Danke schön, Frau Kollegin Spranger! – Wer antwortet für den Senat? – Der Senator für Wissenschaft, Forschung und Kultur, Herr Dr. Flierl! – Bitte schön!

Sehr verehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Kollegin Spranger! Ich beantworte Ihre Fragen wie folgt: Der Senat unterstützt nachdrücklich das von der Gedenkstätte Hohenschönhausen angeregte und von der Bezirksverordnetenversammlung Lichtenberg beschlossene Projekt der stadträumlichen Markierung des früheren StasiSperrbezirks in Hohenschönhausen. Mit diesem Projekt wird die Arbeit der Gedenkstätte Hohenschönhausen in den öffentlichen Raum hinein ausgeweitet und somit zusätzlich unterstützt.

Der Senat nimmt mit Besorgnis zur Kenntnis, dass frühere Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit – offensichtlich organisiert und in großer Zahl – an der Auftaktveranstaltung zur stadträumlichen Markierung teilnahmen. Die von Bezirk und Senat vorbereitete und getragene Veranstaltung wurde durch mehrere Vorträge – darunter eines wissenschaftlichen Mitarbeiters der Gedenkstätte – eingeleitet. Die anschließende Podiumsdiskussion wurde von Frau Dr. Camphausen – wissenschaftliche Mitarbeiterin der Bundesbeauftragten für die StasiUnterlagen und Vorsitzende des Trägervereins des Dokumentationszentrums Berliner Mauer – geleite

Der Senat verurteilt das demagogische Auftreten früherer leitender Stasi-Funktionäre während der Podiumsdiskussion.

[Friederici (CDU): Und Sie selbst? – Zuruf der Frau Abg. Schultze-Berndt (CDU)]

Zu Ihrer zweiten Frage: Der Senat wird sich weiterhin für den Ausbau der Gedenkstätte Hohenschönhausen engagieren. Mit dem Bezirk Lichtenberg und der Gedenkstätte werden in Kürze die nächsten Schritte zur Realisierung des Markierungsprojektes verabredet.

Eine Nachfrage von Frau Kollegin Spranger? – Bitte schön!

Herzlichen Dank! – Herr Senator! Sie haben mehrmals – und das ist sicherlich richtig so – den Senat benannt. Ich hätte gern von Ihnen persönlich als Mitglied des Stiftungsrates der Gedenkstätte Hohenschönhausen gewusst, wie Sie den Vorgang bewerten. Wie gedenken Sie, mit solchen Vorgängen künftig umzugehen? Wie bewerten Sie Ihr eigenes Verhalten auf der Veranstaltung?

Herr Senator Dr. Flierl! Bitte schön!

Frau Spranger! Ich habe Ihnen die Position des Senats – die ich formuliert und vorher mit dem Senat nicht abgestimmt habe – und insofern meine Position vorgetragen. Sie haben also in meinem Vortrag genau meine Haltung wiedergefunden.

Wenn Sie nach meiner persönlichen Rolle und meiner heutigen Bewertung fragen, so verweise ich darauf, dass sowohl die Unterstützung des Senats für das Projekt des Bezirks Lichtenberg wie auch die Durchführung und Vorbereitung dieser Veranstaltung mit meiner Mitwirkung geschah. Die Auswahl des Programms und der Podiumsteilnehmer erfolgte durch mich, und die Botschaft dieser Veranstaltung war völlig eindeutig. Ich sage es in diesem Hause ganz deutlich – vor allem gegen die Vor

Herr Senator! In Anbe tracht dessen, dass die Veranstaltung ja nicht als Podium alter Stasi-Leute geplant war, sondern es um ein Pro und Contra zur Frage der Markierung der Gedenkstätte ging, interessiert mich Ihre Position in dieser Frage. Ich bitte darum, dass Sie noch einmal darstellen, welche Position Sie für den Senat in dieser Frage vertreten haben.