Protocol of the Session on January 26, 2006

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 80. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin und begrüße Sie, unsere Gäste und Zuhörer sowie die Medienvertreter ganz herzlich.

Bevor wir mit unseren Beratungen beginnen, möchte ich mit Ihnen einer herausragenden Journalistin und Publizistin gedenken.

[Die Anwesenden erheben sich von ihren Plätzen.]

Im Alter von 80 Jahren ist am 19. Januar 2006 Frau Prof. Carola Stern, die erste Trägerin der Louise-Schroeder-Medaille, verstorben.

Carola Stern wurde am 14. November 1925 in Ahlbeck auf Usedom als Erika Assmus geboren. Die junge Lehrerin verließ 1951 die DDR. Aufgrund ihrer Flucht und eines Entführungsversuches in die DDR nannte sie sich seither Carola Stern. In den Folgejahren studierte sie Soziologie und Politische Wissenschaften an der Freien Universität Berlin.

Mit ihren zahlreichen Büchern und Veröffentlichungen hat sie sich bereits früh einen sehr guten Namen gemacht. Sie wirkte zehn Jahre als Verlagslektorin und 15 Jahre als Kommentatorin und Rundfunkjournalistin beim Westdeutschen Rundfunk. Sie engagierte sich leidenschaftlich für die Ostpolitik Willy Brandts, war Mitbegründerin der deutschen Sektion von „Amnesty International“ und acht Jahre Vizepräsidentin des PEN-Zentrums der Bundesrepublik Deutschland.

Unvergessen ist auch ihr öffentliches Eintreten für eine Entschädigung von Zwangsarbeitern. Carola Stern war als Publizistin und engagierte Journalistin mit ihrer rigorosen Ehrlichkeit und ihrem großen Mut all denen ein Vorbild, die sich für eine freiheitliche Gesellschaft und die Durchsetzung der Menschenrechte einsetzen.

Mit ihren Beiträgen in Rundfunk und Fernsehen und den umfangreichen Buchveröffentlichungen hat sie Beiträge zu einem lebendigen demokratische Bewusstsein in unserer Zeit geleistet.

Carola Stern ist für ihren Einsatz 1998 die LouiseSchroeder-Medaille verliehen worden. Der Bundespräsident zeichnete sie 2001 mit dem Großen Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland aus.

Berlin sagt Dank für das lange publizistische Wirken einer engagierten Journalistin und einer vorbildlichen Demokratin.

Wir trauern um Frau Prof. Carola Stern und gedenken ihrer mit Hochachtung.

Sie haben sich zu Ehren von Carola Stern erhoben. Ich danke Ihnen.

Wir haben heute Geburtstagskinder unter uns: Frau Felicitas Kubala von Bündnis 90/Die Grünen begeht heute einen runden Geburtstag – ich sage nicht genau, welchen. Herzlichen Glückwunsch und alles Gute!

[Allgemeiner Beifall]

Herr Kollege Klemm von der Linkspartei.PDS hat ebenfalls Geburtstag. Auch Ihnen herzlichen Glückwunsch und alles Gute!

[Allgemeiner Beifall]

Sodann kommen wir zum Geschäftlichen. Die Fraktion der SPD hat am Dienstag im Ältestenrat darum gebeten, Nachwahlen für die Mitglieder im Landesjugendhilfeausschuss vorzunehmen. Für das zurückgetretene stimmberechtigte Mitglied Martin Wulff soll das bisherige stellvertretende Mitglied Manfred Ritzau nun stimmberechtigtes Mitglied werden. Für Herrn Manfred Ritzau soll das bisherige beratende Mitglied Michael Piekara stellvertretendes Mitglied werden. Wer diesen Vorschlägen seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke! Die Gegenprobe! – Dann ist das so beschlossen.

Am Montag sind vier Anträge auf Durchführung einer

Aktuellen Stunde eingegangen:

1. Antrag der Fraktion der SPD und der Linkspartei.PDS zum Thema: „Berliner Hochschulen und die Exzellenz-Initiative – Spitzenforschung in der Hauptstadt“,

2. Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: „Ganzjährig Tag der offenen Tür in Berliner Gefängnissen – Verantwortung nicht abschieben, Missstände abstellen!“,

3. Antrag der Fraktion der Grünen zum Thema: „Arbeitsmarktpolitischer Skandal: Berliner Arbeitslosen werden 300 Millionen € vorenthalten!“,

4. Antrag der Fraktion der FDP zum Thema: „Keine rotrote Einheitsschule für Berlin! – Unsere Kinder brauchen Schulen mit mehr Freiheiten und besserer individueller Förderung!“

Im Ältestenrat war eine Begründungsrunde zur Aktualität vereinbart worden. Hierzu rufe ich für die Fraktion der SPD und der Linkspartei.PDS Herrn Liebich auf. – Bitte schön, Herr Liebich, Sie haben das Wort!

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wie aktuell das von den Regierungsfraktionen beantragte Thema ist, möchte ich mit einem Zitat belegen, das vielleicht auch die anwesenden Kolleginnen und Kollegen der CDU über ihren Vorschlag nachdenken lässt:

Wir sollten nicht den Fehler machen, die Chancen Berlins und das, was wir erreicht haben, Biotechnologie, Verkehrstechnik, Kultur, schlechtzureden. Denken Sie an den aktuellen Erfolg der Freien Universität! Wer hätte das vor wenigen Jahren noch gedacht?

Die Fluchtsicherheit im Strafvollzug ist offenkundig nicht mehr gegeben. Es werden unberechtigt Vollzugslockerungen gewährt und dann dilettantisch durchgeführt. In der Folge häufen sich Fluchtvorfälle. Der Rechtsausschuss kommt mit der Behandlung dieser Fälle gar nicht mehr nach. Vor gut zwei Jahren die erste Flucht – die

weibliche Begleitung war nicht in der Lage, den Häftling aufzuhalten. Konsequenzen? – Fehlanzeige! Ende letzten Jahres dann die Flucht von Ismael F. anlässlich des Besuchs im Café Kranzler – wieder heißt es, es handele sich um einen Einzelfall. Konsequenzen? – Wieder Fehlanzeige! Letzten Donnerstag die nächste Flucht – während einer Ausführung in die Wohnung seiner Frau gelingt es einem Gefangenen, der wegen versuchten Totschlags in Tegel einsaß, sich seinen Bewachern zu entziehen. Wieder nur ein Einzelfall? Alles unvermeidbar oder alleinige Schuld der Mitarbeiter? – Mitnichten, Frau Senatorin! Hier stimmt es nicht mehr in der Führung, und das muss abgestellt werden.

Frau Senatorin Schubert, so kann es nicht weitergehen! Selbstverständlich liegt auch ein Teil bei Ihnen, denn Sie leiten die Justizverwaltung. Sie führen damit auch den Berliner Strafvollzug. Das heißt, Sie sollten das tun, denn offensichtlich besteht ein Vakuum. Dieses Vakuum haben Sie zu verantworten. Ausführungen werden doch nicht willkürlich oder nach dem Gusto der zuständigen Beamten genehmigt und durchgeführt. Es gibt genaue Regelungen, für deren Einhaltung die von Ihnen geführte Verwaltung zu sorgen hat. Da dies alles unterbleibt, werde ich noch konkreter. Handeln Sie endlich, und verändern Sie die Regularien! Bei einer begleitenden Ausführung handelt es sich um eine Vollzugslockerung gemäß § 11 des Strafvollzugsgesetzes. Hierzu hat Ihr Haus Ausführungsvorschriften erlassen, die an sich an Klarheit nichts zu wünschen übrig lassen. Da heißt es:

Das hat das hoffnungsvolle junge Talent, der Spitzenkandidat der Berliner CDU, Friedbert Pflüger, gesagt, und damit hat er vollkommen Recht. Reden wir Berlin nicht schlecht, und freuen wir uns gemeinsam über Erfolge, die der ganzen Stadt nutzen!

[Beifall bei der Linkspartei.PDS und der SPD]

Nutzen wir die Aktuelle Stunde, um über die Berliner Hochschulen und die Exzellenzinitiative „Spitzenforschung in der Hauptstadt“ zu reden! Wir alle wissen schließlich, dass Wissenschaft, Forschung und Kultur die Zukunftsfelder unserer Stadt sind, die Priorität genießen sollten und Priorität genießen. Das hat die KlotzEnquetekommission in seltener Einmütigkeit festgestellt. Die damit verbundenen Probleme wollte vor uns schon mancher anpacken. Rot-Rot hat es mutig getan, und damit auch eine Menge erreicht.

[Gelächter von rechts]

Die aktuellen Ergebnisse der Berliner Wissenschafts- und Hochschullandschaft belegen das. Nutzen wir doch einmal die Aktuelle Stunde, um zu beweisen, dass der Berliner nicht nur meckert, sondern sich auch freuen kann! Klar, wir können auch über Gefängnisausbrüche schimpfen, vermeintliche arbeitsmarktpolitische Skandale beklagen oder Angst und Schrecken vor der drohenden Einheitsschule verbreiten, aber wir müssen nicht.

[Gelächter bei der FDP]

Deshalb bitte ich Sie recht herzlich, reden wir ausnahmsweise einmal über einen Erfolg! Die Berliner Öffentlichkeit wäre sicherlich positiv überrascht. – Danke schön!

[Beifall bei der Linkspartei.PDS und der SPD]

Danke schön, Herr Kollege Liebich! – Jetzt hat der Kollege Gram für die Fraktion der CDU das Wort zur Begründung. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Beim Thema Strafvollzug haben Frau Senatorin Schubert und der rot-rote Senat eine niederschmetternde Bilanz von Pannen und Fehleinschätzungen vorzuweisen. Bei der Unterbringung von Strafgefangenen attestiert das Kammergericht dem Senat rechtswidrige Zustände. In der JVA Tegel rumort es bis zur Gefangenenmeuterei. Die Überbelegung bekommt die Senatsverwaltung trotz jahrelanger Warnungen durch meine Fraktion nicht in den Griff. Erst auf massiven Druck der CDU schließt sie sich der Forderung an, eine neue Haftanstalt zu bauen. Regelmäßig muss eine Vielzahl Strafgefangener vorzeitig im Rahmen einer Amnestie nur aus Platzgründen entlassen werden. Ich halte Amnestien für wichtig, aber in dieser Masse ist das ein inakzeptabler Zustand.

[Beifall bei der CDU]

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Gefangene, denen Urlaub oder Ausgang nicht gewährt werden können, können ausgeführt werden, wenn dies zur Erreichung des Vollzugszieles sinnvoll und auf Grund der personellen Gegebenheiten der Anstalt möglich ist.

Und es heißt ferner, dass eine ständige und unmittelbare Beaufsichtigung der Gefangenen sicherzustellen ist. Es stellt sich nun die Frage: Kann dem in Berlin überhaupt noch gefolgt werden? – Offensichtlich nicht! Im Strafvollzug besteht eine personelle Unterausstattung von fast 20 %. Es fehlen 116 Beamte im Vollzug. Die Bediensteten im Vollzug wissen nicht mehr ein noch aus. Es fehlt an allen Ecken und Enden. Dementsprechend ist auch die Stimmung. Der Krankenstand ist sehr hoch. Ein Teufelskreislauf, den es zu durchbrechen gilt! Auf Grund dieser Personalnot sind Ausführungen in der erforderlichen Form nicht mehr durchführbar. Dies ist eine traurige, aber feststehende Tatsache. Ist die sichere Durchführung von Ausführungen nicht mehr möglich, so ist die Anzahl der Ausführungen zu reduzieren. Der Schutz der Bevölkerung vor Kriminellen hat für uns absoluten Vorrang.

Da wir das Thema heute offenbar nicht in einer Aktuellen Stunde behandeln werden, bietet Ihnen, Frau Senatorin, meine Fraktion Mitarbeit an der Überarbeitung der Vorschriften im Ausschuss an. Wir wollen den Dreiklang zwischen den Geboten des Strafvollzugsgesetzes, den tatsächlichen Gegebenheiten der Anstalt und den Sicherheitsinteressen der Bevölkerung. Die vom Senat bislang

Wir wollen aber auch über die Verantwortung des Senats dafür reden. Herr Müller – habe ich gelesen – hat gesagt, den Harald Wolf habe man bei Hartz IV zum Jagen tragen müssen. Von welcher Jagd träumen Sie eigentlich, Herr Kollege Müller? Ist das die Jagd, bei der die 300 Millionen € Beine bekommen haben und gar nicht erst in Berlin angekommen sind? Meinen Sie diese Jagd? – So widersprüchlich wie diese Äußerung von Ihnen ist auch Ihre ganze Arbeitsmarktpolitik im Land Berlin: Einerseits erklärt sich Herr Wolf im Ausschuss – wenn er denn einmal da ist, muss man sagen – für nicht zuständig und sagt, schuld sind immer die Bundesagentur, die Jobcenter oder die jeweilige Bundesregierung. Andererseits bestimmt Herr Wolf über die Aufteilung der 259 Millionen € auf die zwölf Jobcenter und gibt dazu nicht nur eine Empfehlung, sondern offensichtlich auch eine verbindliche Ansage ab – so heute geschehen. Ja, was stimmt denn nun? Tut man so etwas, wenn man nicht zuständig ist? – Einerseits veröffentlicht jener Arbeitssenator große Abhandlungen über die Kapitalisierung des Arbeitslosengeldes II in überregionalen Tageszeitungen. Andererseits kommen in Berlin von den vorhandenen 28 Instrumenten zur Förderung und Qualifizierung von Arbeitslosen fast ausschließlich die Ein-Euro-Jobs zum Einsatz. Einerseits will die PDS einen öffentlich geförderten Beschäftigungs

sektor. Andererseits veranlassen Sie in Berlin eine Positivliste, die die arbeitsnahe Betätigung insbesondere von niedrigqualifizierten arbeitslosen Menschen erschwert. Einerseits sagen Sie, Sie wollen die Rechte der Betroffenen stärken. Andererseits lehnte Rot-Rot zusammen mit der FDP gestern im Ausschuss den Grünen-Antrag zur Einrichtung einer Ombudsstelle ab, mit dem gerade die Rechte der Betroffenen gestärkt werden sollen.

Insofern finden wir, Herr Arbeitssenator – das ist der Titel, den Sie tragen –, dass, solange es die Arbeitsverwaltung gibt, Sie in Berlin auch für die 300 000 offiziell als erwerbslos Gemeldeten in der Verantwortung stehen und uns Auskunft zu geben haben, was Sie in dieser Funktion im Jahr 2006 tun wollen und wie Sie die beträchtlichen Bundesmittel einsetzen wollen. Darüber wollen wir mit Ihnen in der Aktuellen Stunde heute reden.

Danke schön, Frau Dr. Klotz! – Jetzt hat für die Fraktion der FDP Frau Senftleben das Wort. – Bitte schön, Frau Senftleben!

praktizierte Inkaufnahme eines erhöhten Fluchtrisikos ist jedenfalls keine Alternative. Lassen Sie die ohnehin schwer gebeutelten Mitarbeiter der Anstalten nicht im Stich! Hier liegt Ihre besondere Verantwortung, Frau Senatorin! Das Fass ist am Überlaufen. Noch ein Vorkommnis auf Grund von Fehlentscheidungen, und es wird das letzte unter Ihrer Verantwortung gewesen sein. – Ich danke Ihnen!