Protocol of the Session on January 12, 2006

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 79. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin und begrüße Sie, unsere Gäste und Zuhörer sowie die Medienvertreter sehr herzlich. Ich wünsche allen, die ich noch nicht persönlich habe sprechen können, ein gutes neues Jahr und vor allen Dingen Gesundheit.

Bevor wir mit unseren Beratungen beginnen, möchte ich mit Ihnen eines ehemaligen Kollegen gedenken und bitte Sie, sich zu erheben.

[Die Anwesenden erheben sich von ihren Plätzen.]

Im Alter von 80 Jahren ist am 28. Dezember 2005 Herr Prof. Dr. Dieter Sauberzweig verstorben.

Dieter Sauberzweig war von 1977 bis 1981 Senator für Kulturelle Angelegenheiten und gehörte anschließend von 1981 bis 1985 der SPD-Fraktion des Abgeordnetenhauses von Berlin an. Während seiner Zugehörigkeit zum Berliner Parlament war er stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Kulturelle Angelegenheiten und Mitglied im Ausschuss für Wissenschaft und Forschung. Ab 1981 leitete er zehn Jahre das Deutsche Institut für Urbanistik in Berlin und war von 1999 an fünf Jahre Kurator des Hauptstadtkulturfonds. Sein besonderes persönliches Interesse, man wird wohl sagen dürfen: seine Leidenschaft, galt der Arbeit für die Städte und für die Kultur. Er war ein Mann von nüchterner Sachlichkeit und von ganz hoher persönlicher Kompetenz in seinen Feldern, dazu im Umgang sehr angenehm.

Berlin verdankt ihm die Neuordnung und Neugründung einiger seiner kulturellen Institutionen in seiner Zeit als Senator und die gezielte Förderung vieler Aktivitäten in seiner Zeit als Kurator des Hauptstadtkulturfonds. Durch sein Engagement als Senator und Abgeordneter, als Kurator des Hauptstadtkulturfonds und in den Ehrenämtern im Kulturbereich hat er weit über die Parteigrenzen hinweg und auch bei den Repräsentanten von Kunst und Kultur unserer Stadt hohes Ansehen erworben. Der Senat verlieh ihm im Oktober 2001 den Verdienstorden des Landes Berlin.

Berlin sagt Dank für das lange politische Wirken eines engagierten Kulturpolitikers und eines vorbildlichen Demokraten. Wir trauern um Prof. Dr. Dieter Sauberzweig, und wir gedenken seiner mit Hochachtung.

Sie haben sich zu Ehren des Verstorbenen erhoben. Ich danke Ihnen.

Wir haben heute ein Geburtstagskind unter uns – der Kollege Apelt hat Geburtstag. – Herzlichen Glückwunsch, alles Gute und gute Gesundheit!

[Allgemeiner Beifall]

Ich habe die Freude, den neuen Staatssekretär bei der Senatsverwaltung für Finanzen, den Kollegen Klaus Tei

chert zu begrüßen. – Herzlich willkommen, Herr Teichert, und auf eine gute Zusammenarbeit! Sie sind ein wichtiger Partner des Hauptausschusses und des Parlaments, alles Gute in Ihrem Amt!

[Allgemeiner Beifall]

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben am 24. November in erster Lesung das Straßenausbaubeitragsgesetz und die Senatsvorlage dazu behandelt und diese in den Hauptausschuss und den Bauausschuss überwiesen. Eine Überweisung an den Rechtsausschuss wurde damals nicht mitgetragen. Die ursprünglich in der Sitzung des Bauausschusses am 30. November vorgesehene Behandlung wurde – auch auf Bitten der Opposition – auf eine Sondersitzung am 14. Dezember verschoben. Dort hat eine über sieben Stunden dauernde Anhörung stattgefunden, die auch ein öffentliches Interesse gefunden hat. Leider war dort nur ein Mitglied des Rechtsausschusses anwesend, der Abgeordnete Schimmler, der gleichzeitig auch dem Bauausschuss angehört. Es macht keinen Sinn, nach einer siebenstündigen Anhörung, in der auch sehr umfangreich rechtliche Probleme beraten wurden, noch einmal eine getrennte Behandlung im Rechtsausschuss vorzunehmen. Daher bitten wir, die Überweisung an den Rechtsausschuss aufzuheben und eine gemeinsame Behandlung im Bauausschuss durch Zuladung des Rechtsausschusses sicherzustellen. Das ist der sachgerechte Weg an dieser Stelle. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD und der Linkspartei.PDS]

Danke schön, Herr Kollege Gaebler! – Es erhält nunmehr der Kollege Gram von der Fraktion der CDU das Wort. – Bitte schön, Herr Gram!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Gaebler! Das klang gerade etwas

Danke schön, Herr Kollege Gram! – Ich lasse über den Antrag abstimmen. Wer der Aufhebung der Überweisung an den Rechtsausschuss zustimmen möchte und eine Zuladung des Rechtsausschusses zu den abschließenden Beratungen des Bauausschusses und des Hauptausschusses wünscht, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das sind SPD und die Linkspartei.PDS. Die Gegenstimmen! – Das sind die drei Oppositionsfraktionen. – Ersteres war die Mehrheit. Dann ist das so beschlossen.

1. Antrag der Fraktion der SPD und der Linkspartei.PDS zum Thema: „Sanierungsprogramme für Schule, Sport und Straßen – Infrastruktur erhalten – Arbeitsplätze sichern“,

vorwurfsvoll, dass nur ein Mitglied des Rechtsausschusses anwesend gewesen ist. Erstens war das eine Sondersitzung, die auf Antrag der Opposition abgehalten wurde, zweitens konnten die Mitglieder des Rechtsausschusses so kurzfristig nicht die Zeit finden, daran teilzunehmen.

[Oh! von der SPD]

Ja, so ist es gewesen. Es sind zudem auch viele andere Themen als die rein rechtlichen besprochen worden.

Das Straßenausbaubeitragsgesetz wird für die Berlinerinnen und Berliner erhebliche finanzielle Mehrbelastungen zur Folge haben.

[Liebich (Linkspartei.PDS): Wie die Mehrwertsteuererhöhung!]

Es ist davon auszugehen, dass sich die Bürger in vielen Fällen gegen diese Belastung zur Wehr setzen werden. Es ist sogar mit einer Rechtsmittelflut zu rechnen, das sage ich Ihnen voraus. Wenn die Damen und Herren von SPD und Linkspartei.PDS schon nicht auf das Gesetz verzichten wollen – das wäre die beste Lösung –, dann müssen zumindest gesetzgeberische Fehler vermieden werden. Im Ausschuss für Bau- und Wohnungswesen sind zahlreiche Probleme von den Anzuhörenden benannt worden. Hierbei wurde die Brisanz, die mit dem Gesetzgebungsverfahren verbunden ist, deutlich. Neben den fachpolitischen Aspekten muss zwingend auch eine Überprüfung in rechtlicher Hinsicht erfolgen. Dabei ist insbesondere zu prüfen, inwieweit die bestehende Rechtslage mit dem neuen Gesetz in Einklang zu bringen ist; Widersprüche und Ungereimtheiten sind auszuschließen. Es ist auch zu prüfen, ob die Interessen der betroffenen Bürgerinnen und Bürger in den zukünftig vorgesehenen Entscheidungsprozessen angemessen berücksichtigt werden. Hierzu gehören Anhörungsrechte und Rechtsbehelfe, und diese Prüfung kann letztlich nur vom Rechtsausschuss vorgenommen werden.

Vor diesem Hintergrund ist es für uns völlig unverständlich, dass die Koalition die ursprünglich beschlossene Überweisung an den Rechtsausschuss wieder zurücknehmen will. Nach meinen bisherigen Erfahrungen ist ein solches Vorgehen in der Arbeit unseres Hauses völlig unüblich. Es drängt sich deshalb der Eindruck auf, man wolle bewusst rechtliche Unsicherheiten in Kauf nehmen, um das Gesetz um jeden Preis zügig durch das Parlament zu peitschen.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Meine Damen und Herren! Ich appelliere an Sie, hier äußerste Sorgfalt walten zu lassen und übereilte Schnellschüsse wegen der erwähnten Tragweite des Gesetzes zu vermeiden. Nur so werden wir unserer Verantwortung als Volksvertreter gerecht. Setzen Sie bitte das Vertrauen in die Politik nicht leichtfertig aufs Spiel! Lehnen Sie die Rücknahme der Überweisung in den Rechtsausschuss ab! – Ich danke Ihnen!

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Dann hatten wir in unserer letzten Sitzung auf Antrag der CDU Frau Katja Pohlmann für Frau Marlis Brouwers als stellvertretendes Mitglied in das Kuratorium LouiseSchroeder-Medaille gewählt. Diese Wahl hätten wir nicht vornehmen müssen, da eine einfache Nachmeldung gereicht hätte. Dies nur zur Information, weil es in der letzten Sitzung nicht richtig gelaufen ist.

Dann sind am Montag vier Anträge auf Durchführung einer Aktuellen Stunde eingegangen:

2. Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: „Vernachlässigung von Kindern bis in den Tod – keine Zeit, länger abzuwarten: wirksamer und vollständiger Kinderschutz steht vor Elternrecht und Datenschutz“,

3. Antrag der Fraktion der Grünen zum Thema: „Der Senat muss vor der Wahl Klarheit schaffen und endlich handeln, sonst zahlen die Fahrgäste die Zeche für die Misswirtschaft der BVG!“,

4. Antrag der Fraktion der FDP zum Thema: „’Sex sells’ is not enough! Wo ist Wowereits Hauptstadtkonzept für eine solide Standortpolitik jenseits vom ‚Arm, aber sexy’-Geschwafel?“.

Zur Begründung der Aktualität der eingereichten Anträge erteile ich nunmehr das Wort. Ich beginne mit der CDUFraktion. Der Kollege Steuer hat das Wort. – Bitte schön, Herr Steuer!

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Etwa 100 Kinder, die meist unter vier Jahre alt sind, werden in Deutschland pro Jahr zu Tode misshandelt. Das ist die offizielle Zahl. Es geht heute nicht darum, ob es nun mehr Kinder betrifft oder nicht. Es geht nicht um die mediale Darstellung der Fälle. Es geht um jedes einzelne Kind.

Nach einer Untersuchung des Instituts für Rechtsmedizin in Hamburg von Kindesvernachlässigungen mit tödlichem Ausgang verstarben 75 % der Kinder im ersten Lebensjahr. Fast alle getöteten Kinder wurden im Kreis der Familie umgebracht. Weniger als 5 % fielen fremden Kindermördern zum Opfer.

Das Wohl jedes einzelnen Kindes gehört in den Mittelpunkt der Politik. Es ist keine Antwort, dass die bisherigen Möglichkeiten ausreichten und nur ausgeschöpft werden müssten. Diese Antwort hilft keinem einzigen Kind. In einer Großstadt, die durch ihre soziale Situation für Kindesvernachlässigungen anfälliger ist, müssen schnell Antworten gegeben werden. Wir müssen Initiativen starten, und wir müssen neue Wege gehen, anstatt darauf zu warten, was andere Bundesländer tun und welche Modellprojekte in anderen Städten entwickelt werden. Lassen Sie uns in Berlin anfangen, und zwar heute!

Danke schön, Herr Kollege Steuer! – Das Wort zur Begründung der Aktualität des Grünen-Vorschlags hat nunmehr der Kollege Eßer. – Bitte schön, Herr Eßer!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Grünen haben für die heutige Sitzung als Thema angemeldet: „Der Senat muss vor der Wahl Klarheit schaffen und endlich handeln, sonst zahlen die Fahrgäste die Zeche für die Misswirtschaft der BVG!“ – Dieses Thema hat seinen guten Grund, denn in der letzten Abgeordnetenhaussitzung haben Sie, Herr Wowereit, uns weiszumachen versucht, der von Ihnen ausgehandelte neue Tarifvertrag bei der BVG werde die Probleme des Unternehmens auf lange Sicht lösen. Letztes Mal haben Sie erklärt:

Jede Woche erhalten wir Post von Institutionen und Verbänden, die nicht länger zusehen wollen, wie Kinder von den eigenen Eltern vernachlässigt und geschädigt werden. Sie fordern uns auf – uns, den Gesetzgeber –, endlich zu handeln. Es ist die Bundesarbeitsgemeinschaft für Kinder in Adoptiv- und Pflegefamilien, es sind die Kinderschutzzentren, es ist die Arbeitsgemeinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie, der Deutsche Kinderschutzbund und viele mehr. Sie alle sind sich in einem einig: Die gesellschaftliche Realität in unserem Land hat sich verändert. Immer mehr Eltern sind offensichtlich nicht mehr in der Lage, Verantwortung für sich selbst oder für ihre Kinder zu übernehmen. Es muss daher mehr getan werden als bisher.

Es ist ganz klar: Es gibt keine Eltern, die ihrem Kind absichtlich Schaden zufügen wollen. Eltern sind nicht von Natur aus böse. Sie wollen das Beste für ihr Kind. Doch es ist die Erkenntnis des Jahres 2005, dass viele Eltern offensichtlich nicht wissen, wie sie das Beste für ihr Kind auch erreichen können. Sie versagen erst bei der Zuwendung, dann bei der Bildung, bei der gesunden Ernährung, und am Ende mangelt es an allem. Zurück bleiben kleine Schutzbedürftige, verängstigte und verhungerte Kinder. Spätestens jetzt fallen sie öffentlich auf. Bei einigen ist es dann bereits zu spät.

50 % der Eltern, die ihre Kinder zu Tode prügeln oder verhungern lassen, waren den Sicherheitsbehörden zuvor bekannt. Gegen sie liefen bereits andere Ermittlungen. 50 % waren aber nicht bekannt. Damit haben wir zwei unterschiedliche Personenkreise und damit zwei unterschiedliche Problemstellungen.

Die CDU-Fraktion hat heute das Thema Kinderschutz beantragt, weil wir mit Ihnen darüber sprechen wollen, wie eine bessere Kooperation der Behörden erreicht werden kann, damit kein Kind in Zuständigkeitslücken fällt. Wir wollen mit Ihnen darüber reden, wie Eltern, denen es an Erziehungskompetenz mangelt, früher erkannt werden können und wie Ihnen geholfen werden kann.

[Beifall bei der CDU]

Wir wollen mit Ihnen darüber reden, wie die Erstkontakte zu jungen Müttern verbessert werden können. Wir müssen uns fragen, ob die erneuten Kürzungen der Hilfen zur Erziehung der richtige Weg gewesen sind. Und wir wollen mit Ihnen darüber reden, wie wir schnell zu gemeinsamen Lösungen in diesem Haus kommen. Für uns ist das Thema Kinderschutz jetzt nicht aktuell, weil es in den Medien immer häufiger Berichterstattungen über Kindesvernachlässigungen gibt, sondern für uns ist das Thema aktuell, weil wir in Berlin jetzt handeln wollen. Jedes vernachlässigte Kind ist ein Kind zu viel!

Heute wollen wir uns mit Ihnen darüber einig werden, dass jedes Kind, das an Leib, Leben und Geist geschädigt wird, ein Kind zu viel ist. Heute müssen wir uns darüber einig werden, dass die bisherigen Instrumente eben nicht ausgereicht haben. Heute müssen wir uns darüber einig werden, sofort das Kindeswohl nach vorne zu stellen, an

statt mit juristischen Interpretationen das Erziehungsrecht der Eltern hochzuhalten, die zum Erziehen ihrer Kinder eben nicht in der Lage sind.

[Beifall bei der CDU]

[Beifall bei der CDU]

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben in einem Solidarpakt bis 2019 auf jegliche Gehaltssteigerung verzichtet.